Archiv für den Monat: September 2015

Darf ich einen „Schreiber“ mit in die Hauptverhandlung nehmen?

© Corgarashu – Fotolia.com

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Darf der Zuhörer einen „Schreiber“ mit in die Hauptverhandlung nehmen, um sich dort Notizen machen zu können? Um die Frage war es im sog. „Gröning“-Verfahren beim LG Lüneburg gegangen und die Frage hat nun auch das OLG Celle beschäftigt.In dem Verfahren hatte der Vorsitzender der Schwurgerichtskammer eine sog. Medienverfügung erlassen. Danach galt im gesamten LG-Gebäude ein absolutes Verbot von Waffen und gefährlichen Werkzeugen. Zeugen hatten sich vor dem Zugang zur Hauptverhandlung einer körperlichen Durchsuchung auf Waffen (auch gefährliche Chemikalien, Messer u.a.), gefährliche Werkzeuge (auch Feuerzeuge und Streichhölzer), zu Film- und Tonaufnahmen geeigneter Gegenstände, insbesondere Mobiltelefonen, Smartphones und Tabletcomputer, sowie Wurfgegenstände (z.B. Flaschen, Dosen, Obst, Eier (…) zu unterziehen. Das Gleiche galt für Flugblätter, Transparente, Trillerpfeifen, Glocken und ähnliche zur Verursachung von Lärm geeignete Gegenstände sowie Kugelschreiber und Füllfederhalter. Die Beschwerdeführerin hatte am ersten Tag ihrer Teilnahme an der Hauptverhandlung u.a.  ein Schreibheft und einen „Schreiber“ mit in den Sitzungssaal nehmen wollen. Die Mitnahme dieser Gegenstände wurde ihr im Rahmen der Einlasskontrolle von den Beamten unter Berufung auf die sitzungspolizeiliche Anordnung verwehrt. In der Folgezeit versuchte die Beschwerdeführerin erfolglos, eine Genehmigung zur Mitnahme von Schreibutensilien für die Teilnahme an der Hauptverhandlung zu erhalten.

Sie hat dann beim OLG Celle Beschwerde eingelegt, die das OLG als unzulässig angesehen hat. Insoweit hat sich das OLG der wohl h.M. in der Rechtsprechung angeschlossen, wonach eine sitzungspolizeiliche Maßnahme dann nicht mit der Beschwerde anfechtbar ist wenn ihr eine über die Dauer der Hauptverhandlung hinausgehende Wirkung nicht zukommt und insbesondere Grundrechte oder andere Rechtspositionen nicht dauerhaft berührt oder beeinträchtigt werden.

Das OLG hat im OLG Celle, Beschl. v. 08.06.2015 – 2 Ws 92/15 – aber auch zur Begründetheit Stellung genommen.:

„Die Versagung der Mitnahme von spitzen Schreibgeräten durch die Zuschauer verfolgt einen zulässigen Zweck. Sie dient dazu, eine Gefährdung der Verfahrensbeteiligten auszuschließen und damit einen störungsfreien Ablauf der Hauptverhandlung zu gewährleisten. Die angeordnete Maßnahme ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten des zugrundeliegendes Strafverfahrens, die sich sowohl aus dem erhobenen strafrechtlichen Vorwurf, als auch aus dem Alter und der Konstitution der Verfahrensbeteiligten (konkret der Angeklagten und Nebenkläger/innen) ergeben, verhältnismäßig. Hierbei verkennt der Senat nicht, dass die Beschwerdeführerin ein nachvollziehbares und berechtigtes (Informations-)Interesse daran hat, sich in der Hauptverhandlung Notizen machen zu können. Allerdings erfährt dieses – auch auf dem Grundsatz der Öffentlichkeit beruhende – subjektive Recht seine Einschränkung durch § 176 GVG. Vorliegend überwiegt im Rahmen der Abwägung die Gewährleistung eines störungsfreien äußeren Sitzungsablaufs und diesem innewohnend der Schutz der Prozessbeteiligten, insbesondere des hochbetagten Angeklagten, vor Wurfattacken das Recht der Beschwerdeführerin. Das hohe Alter der Beteiligten und der erheblich beeinträchtigte Gesundheitszustand des Angeklagten gebieten es, bereits die Möglichkeit einer Störung der Sitzung durch das Werfen von kleineren und bei bestimmungsgemäßem Gebrauch ungefährlichen Gegenständen wie Kugelschreibern, Füllfederhaltern oder anderen spitzen Schreibgeräten zu verhindern. Das Recht der Beschwerdeführerin findet in der Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Sitzungsablaufs seine Grenzen.

Darüber hinaus sind die Beeinträchtigungen der Beschwerdeführerin durch die angefochtene Maßnahme – wie unter 1. ausgeführt – zeitlich eng begrenzt. Der Senat hält es für zumutbar und für die Befriedigung des Informationsinteresses ausreichend, dass sich die Beschwerdeführerin unmittelbar nach dem Ende der jeweiligen Sitzung oder nach Beginn einer Sitzungspause Notizen macht.“

Na ja, da muss man schon ein gutes Gedächtnis haben, wenn man sich alle die Notizen machen will, die erforderlich erscheinen.

Der Beweisantrag auf einen (völlig ungeeigneten ?) Sachverständigenbeweis

© Dan Race Fotolia .com

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Vor ein paar Tagen hatte ich ja gemeckert bzw. „knallige“ BGH-Entscheidungen zum Beweisantragsrecht vermisst, und zwar mit der Vorstellung des BGH, Beschl. v. 30.07.2015 – 4 StR 199/15 – und des BGH, Beschl. v. 09.07.2015 – 1 StR 141/15 (vgl. dazu Die Glaubwürdigkeit der Zeugin – ist nicht bedeutungslos) , und gleich haben wir eine Entscheidung. Zwar auch keinen „Knaller“, aber immerhin von Interesse im Hinblick auf einen Sachverständigenbeweisantrag, der in einem Verfahren, das u.a. auch einen Mordvorwurf zum Gegenstand hatte, gestellt worden war. In dem Beweisantrag ging es um ein kriminaltechnisches Sachverständigengutachten zur Rekonstruktion von Geschehensabläufen und Tatgeschehen. Das Landgericht hatte den Antrag gem. § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, die begehrte Einholung eines kriminaltechnischen Sachverständigengutachten sei für den Beweis der behaupteten Tatsache völlig ungeeignet; die objektiv feststehenden Parameter, wie etwa insbesondere Körpergröße und Körpergewicht des Angeklagten sowie des Opfers, Maße und Beschaffenheit des Tatmessers, die im Rahmen der Obduktion des Leichnams erhobenen Befunde zur Stichverletzung, zum Verlauf und zur Tiefe des Stichkanals sowie zur Beschaffenheit der Eintrittswunde, weiterhin die in Augenschein genommenen Lichtbilder aus der Wohnung des An-geklagten, insbesondere des Wohnungsflurs sowie einer Planskizze des Flurs, aus denen sich dessen Größe, die Lage der Türen und der vorgefundenen Blutspuren ergeben, stellten keine ausreichende Grundlage für eine Rekonstruktion des Tathergangs dar und ließen keinen „sicheren Rückschluss“ zu.

Der BGH sieht es im BGH, Urt. v. 09.07.2015 – 3 StR 516/14 – anders. Nach – lesens- und beachtenswerten 🙂 Ausführungen zur Zulässigkeit der Verfahrensrüge nimmt er dann auch zu den „materiellen“ Fragen der Rüge Stellung, und zwar:

Es handelt sich um einen Beweisantrag:

„Daran gemessen stellt das Beweisbegehren des Beschwerdeführers einen Beweisantrag dar: Zwar erweckt die Antragsformel für sich genommen den Anschein, der Nebenkläger behaupte lediglich ein – von ihm noch dazu negativ formuliertes – Beweisziel. Aus der folgenden Begründung ergibt sich jedoch mit ausreichender Deutlichkeit, was er durch das Sachverständigengutachten tat-sächlich zu belegen trachtet, nämlich dass nach wissenschaftlichen Erfahrungssätzen der auf der Grundlage der vorhandenen Beweise und Spuren fest-zustellende Tathergang nicht mit den Angaben des Angeklagten zum Ablauf der Tat zu vereinbaren ist. Hierzu ist zum einen die (schriftlich vorbereitete) „geschlossene Verteidigererklärung“ mit der Einlassung des Angeklagten in die Antragsbegründung eingestellt, zum anderen werden aber auch beispielhaft die – den Akten entnehmbaren – Parameter (Rauminhalt, Quadratmeterzahl, Blut-anhaftungen, Stichkanal etc.) aufgelistet, anhand derer nach kriminaltechnischem Erfahrungswissen der Beleg zu führen sei, dass die Beschaffenheit des Tatortes, das Spuren- und Verletzungsbild sowie die weiteren objektivierbaren Tatumstände die Tatschilderung des Angeklagten widerlegen; es werden damit umfangreich Anknüpfungstatsachen benannt, auf die das Gutachten aufbauen soll. Damit wird gleichzeitig deutlich, dass es sich bei dem Beweisbegehren weder um einen bloßen Aufklärungsantrag handelt, der darauf gerichtet ist, durch Versuche oder Rekonstruktion der Tat hypothetisch mögliche andere Tatabläufe zu ermitteln (vgl. dazu LR/Becker aaO, § 244 Rn. 171 ff. mwN), noch dass der Nebenkläger die allein dem Gericht obliegende abschließende Würdigung des Beweisergebnisses durch die Bewertung des Sachverständigen ersetzt wissen will. Deshalb unterscheidet sich das Beweisthema im vorliegenden Fall entscheidend von dem eines Antrags, der begehrt, lediglich die Ergeb-nisse eines operativen Fallanalysegutachtens in die Hauptverhandlung einzuführen (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 2006 – 3 StR 77/06, NStZ 2006, 712). Somit ist der Anwendungsbereich des § 244 Abs. 3 bis 6 StPO eröffnet.“

Und: Das Beweismittel ist nicht völlig ungeeignet im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO.

„…Umgekehrt ist ein Sachverständiger nicht aber schon dann ein völlig ungeeignetes Beweismittel, wenn er absehbar aus den Anknüpfungstatsachen keine sicheren und eindeutigen Schlüsse zu ziehen vermag. Als Beweismittel eignet er sich vielmehr schon dann, wenn seine Folgerungen die unter Beweis gestellte Behauptung als mehr oder weniger wahrscheinlich erscheinen lassen und hierdurch unter Berücksichtigung des sonstigen Beweisergebnisses Einfluss auf die Überzeugungsbildung des Gerichts erlangen können. Ob eine sachverständige Begutachtung auf der verfügbaren tatsächlichen Grundlage zur Klärung der Beweisbehauptung nach diesen Maßstäben geeignet ist, kann und muss der Tatrichter in Zweifelsfällen im Wege des Freibeweises – etwa durch eine Befragung des Sachverständigen zu den von ihm für eine Begutachtung benötigten Anknüpfungstatsachen – klären (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 3 StR 284/11, NStZ 2012, 345 mwN).“

Mandat beendet? Dann gehören die Handakten dem Mandanten – jetzt auch in Hamm

© fotodo - Fotolia.com

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Im vergangenen Jahre habe ich – ebenso wie einige andere Blogs – über das BGH, Urt. v. 03.11.2014 – AnwSt (R) 5/14 – berichtet (vgl. hier: Mandat beendet? Dann gehören die Handakten i.d.R. dem Mandanten). Ergangen war es in einem berufsrechtlichen Verfahren gegen einen Kollegen, der ein Ehepaar aus Neuss in drei gerichtlichen Verfahren vertreten hatte. Nach einem Wechsel des Kollegen in eine andere Kanzlei zahlten die Mandanten die dem Kollegen zustehenden Gebühren und Auslagen. Außerdem beauftragten sie einen anderen Rechtsanwalt mit der weiteren Verfolgung ihrer Rechtsangelegenheiten. Dieser forderte den Kollegen vergeblich auf, ihm die Mandanten-Handakten zur Weiterführung des Mandats herauszugeben. Darüber ist es dann zu einem berufsrechtlichen Verfahren gekommen, in dem der AnwGH NRW den Kollegen frei gesprochen hatte. Er hatte eine berufsrechtliche Pflicht zur Herausgabe verneint. Der BGH hatte das dann anders gesehen und aufgehoben und zurückverwiesen.

Nun hat der AnwGH NRW „nachgebessert“ und im AnwGH NRW, Urt. v. 29.05.2015 – 1 AGH 1/15 – ebenfalls eine Berufspflicht zur Herausgabe der Akten nach Beendigung des Mandats, wenn die Gebühren gezahlt sind, bejaht (was soll er auch anderes tun 🙂 ?):

2. a.) Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Es besteht nicht nur eine zivilrechtliche, sondern (auch) eine berufsrechtliche Pflicht zur Herausgabe der Handakten. Die Herausgabepflicht ist zwar nicht ausdrücklich in § 50 BRAO geregelt. Sie ist aber aus der Generalklausel des § 43 BRAO i. V. m. §§ 675, 667 BGB und inzident auch der Vorschrift des § 50 BRAO zu entnehmen. Der Senat, ohnehin gem. § 358 Abs.1 StPO an die Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs gebunden, ist der Ansicht, dass die anlasslose Zurückbehaltung der Handakten ein gravierendes Fehlverhalten darstellt. Denn der Mandant übergibt dem Rechtsanwalt seine Unterlagen zur Besorgung des Auftrages in dem Vertrauen, dass dieser – sein Rechtsanwalt – sich für ihn einsetzt und sich zumindest rechtmäßig verhält. Kommt es, aus welchen Gründen auch immer, zu einer Beendigung des Mandats und der Mandant verfolgt seine Rechtsangelegenheiten auf anderem Wege, etwa mit Hilfe eines anderen Rechtsanwalts weiter, kann er mit Fug und Recht erwarten, dass er seine dem früheren Bevollmächtigten ausgehändigten Originalunterlagen zurückerhält. Ist der Rechtsanwalt hinsichtlich seiner Gebühren und Auslagen befriedigt, ist keinerlei Grund erkennbar, der ein solches Verhalten (Zurückhaltung der Handakten) rechtfertigen könnte. Mit einer gewissenhaften Berufsausübung ist das keinesfalls vereinbar, es widerspricht vielmehr in hohem Maße dem Vertrauen, dass der frühere Mandant in den Rechtsanwalt gesetzt hatte.

Seenotrettungsfackeln im Fußballstadion – Freiheitsstrafe von 1 Jahr 6 Monate ohne…..

entnommen wikimedia.org Urheber Amarhgil

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Heute Abend startet in der 3. Fußballbundesliga in Osnabrück das Derby zwischen dem VL Osnabrück und Preußen Münster. Diese Derbys waren in der Vergangenheit immer spannungsgeladen. Zuletzt so geladen, dass der DFB für die diesjährigen Derbys die Teilnahme von Fans des jeweils anderen Vereins als Zuschauer verboten hat.

Zu dem Auftakt passt dann m.E. ganz gut der Hinweis auf den OLG Hamm, Beschl. v. 11.08.2015 – 5 RVs 80/15 -, über den schon an anderer Stelle berichtet worden ist, der jetzt aber im Volltext vorliegt. Da aus dem Beschluss selbst der Sachverhalt nicht zu entnehmen ist, muss ich auf die PM des OLG Hamm zurückgreifen. Aus der lässt sich entnehmen:

„Für begangene Straftaten im Zusammenhang mit dem Abbrennen von Pyrotechnik beim Spiel des FC Schalke 04 gegen Eintracht Frankfurt am 24.11.2012 muss ein vorbestraftes Mitglied der „Hugos“ eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr 6 Monate verbüßen, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wird. Das hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 11.08.2015 entschieden und damit die Revision des Angeklagten gegen das Berufungsurteil des Landgerichts Essen verworfen.

Der heute 25 Jahre alte Angeklagte aus Gelsenkirchen gehört zu den führenden Mitgliedern der sog. Fan-Gruppierung „Hugos“. Er ist bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten, unter anderem wegen Körperverletzungsdelikten. Zuletzt erhielt er im Juni 2012, rechtskräftig seit Januar 2013, wegen Körperverletzung eine einjährige Jugendstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im November 2012 plante der Angeklagte eine Aktion beim Fußballspiel des FC Schalke 04 gegen Eintracht Frankfurt am 24.11.2012, mit der er gemeinsam mit weiteren Mitgliedern der „Hugos“ in der Schalke-Arena darauf aufmerksam machen wollte, dass die Gruppierung zu Unrecht von Spielen ausgeschlossen werden solle. Zu Beginn der 2. Halbzeit zeigte die Gruppierung ein Banner. Mitglieder, unter ihnen der Angeklagte, entzündeten um das Banner herum 19 Seenotrettungsfackeln. Diese verbreiteten toxische Rauchgase, durch welche 8 unbeteiligte Stadionbesucher, unter anderem ein 12 Jahre altes Kind, zum Teil erhebliche Rauchgasvergiftungen erlitten. Für die Tat wurde der Angeklagte vom Schöffengericht Gelsenkirchen-Buer und sodann – in der Berufungsinstanz – vom Landgericht Essen wegen gefährlicher Körperverletzung, Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und gemeinschaftlicher Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 6 Monaten verurteilt. Das Landgericht Essen lehnte es in der Berufungsinstanz ab, die Vollstreckung dieser Strafe zur Bewährung auszusetzen.“

Und die – „und u. a. von einem namhaften Universitätsprofessor begründete“ -Revision hatte dann beim OLG Hamm keinen Erfolg: Das OLG hat nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen. Zusatz zur Verwerfungsentscheidung:

Ein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB liegt nicht vor. Da der Straftatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB auch nur gegenüber einem einzelnen Opfer verwirklicht werden kann, war das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung nach § 46 StGB nicht daran gehindert, die nicht unerhebliche Zahl der Opfer der hier abgeurteilten Straftat sowie auch die Unbeherrschbarkeit der vom Angeklagten heraufbeschworenen Gefahrenlage strafschärfend zu berücksichtigen (vgl. auch Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 46 Rdnr. 19).

Auch die Ausführungen zu § 56 Abs. 1, 2 StGB sind im Ergebnis nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat die negative Prognose mit vertretbarer Begründung namentlich auf die zahlreichen, teils auch einschlägigen Vorverurteilungen des Angeklagten gestützt. Der Angeklagte hat sich selbst von einer kurz zuvor gegen ihn verhängten Bewährungsstrafe (Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 13. Juni 2012, Az. 60 Ds 609 Js 44603/11) nicht von der Begehung der hier abgeurteilten Straftat abhalten lassen. Die von der Revision vorgetragenen Umstände in der Person des Angeklagten, insbesondere auch die Auswirkungen einer vollstreckbaren Freiheitsstrafe auf die berufliche Zukunft des Angeklagten, sind sicherlich von Gewicht, gleichwohl bleibt die von der Kammer getroffene Prognoseentscheidung rechtsfehlerfrei. Da der – auch angesichts der familiären Verhältnisse – bislang positive Verlauf der Schul- und Berufsausbildung des Angeklagten einschließlich des angestrebten Studienabschlusses ausdrücklich in den Feststellungen zur Person des Angeklagten hervorgehoben worden ist, kann sicher angenommen werden, dass die hiermit zusammenhängenden Gesichtspunkte vom Landgericht auch bei der Entscheidung nach § 56 StGB berücksichtigt worden sind. Der Vorwurf der Revision, das Landgericht habe zentrale Prognosefaktoren unbeachtet gelassen, geht daher fehl.

Da das Landgericht bereits die Voraussetzungen nach § 56 Abs. 1 StGB rechtsfehlerfrei verneint hat, musste die Frage, ob im vorliegenden Fall die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der erkannten Freiheitsstrafe gebietet (§ 56 Abs. 3 StGB) – wofür gleich mehrere Umstände des Einzelfalls und auch der Gedanke der Abschreckung möglicher anderer Täter sprechen –, nicht beantwortet werden.“

Um die Entscheidung abschließend beurteilen zu können, müsste man schon etwas mehr aus dem LG-Urteil wissen. So hängt der Beschluss ein wenig in der Luft. Und die PM ist wohl dem Umstand geschuldet, dass man abschrecken will, oder?

Nachtrag v. 17.12.2015: Inzwischen steht das Berufungs-Urteil des LG Essen online, und zwar hier.

Entziehung der Fahrerlaubnis – durch die Hintertür?

© Spencer - Fotolia.com

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Ich hatte vorhin ja schon über die Führungsaufsicht und ihre Folgen berichtet (vgl. den KG, Beschl. v. 11.06.2015 – 2 Ws 124/15 und dazu Der Fernfahrer, der Berlin nicht verlassen darf – Berufsverbot?). In den Kontext passt dann auch der KG, Beschl. v. 22.06.2015 – 2 Ws 172/15, in dem es auch um Führungsaufsicht und die Weisung, Kfz. nicht zu führen, und die Folgen dieser Weisung geht. Ein Verurteilter hatte gegen eine solche Weisung geltend gemacht, dass sie einer (weiteren) Entziehung  der Fahrerlaubnis auf Umwegen gleich komme. Anders hat das das KG gesehen:

„Die Weisung findet ihre gesetzliche Grundlage in § 68b Abs. 1 Nr. 6 StGB. Es kann im Hinblick auf die letzte Verurteilung des Beschwerdeführers und unter Berücksichtigung der Vorstrafen des Verurteilten, die immer wieder auch Straßenverkehrsdelikte betrafen, kein Zweifel daran bestehen, dass der Verurteilte versucht sein könnte, Kraftfahrzeuge auch künftig zur Begehung von Straftaten zu verwenden. Die Weisung, dass der Beschwerdeführer keine Kraftfahrzeuge halten darf, hält sich nicht nur im Rahmen des Gesetzes, sie ist auch sachgerecht und verhältnismäßig, denn das Halten eines Kraftfahrzeuges erhöht die Gefahr, dass sich der Beschwerdeführer – verführt durch die sofortige Verfügbarkeit eines Fahrzeugs – dazu hinreißen lässt, erneut alkoholisiert mit einem Auto zu fahren.

Allerdings ist umstritten, ob darüber hinaus ein allgemeines Verbot Kraftfahrzeuge zu führen im Wege der Führungsaufsicht angeordnet werden kann. Auch das Kammergericht hat diesbezüglich in der Vergangenheit besorgt, eine solche allgemeine Weisung komme der Entziehung der Fahrerlaubnis gleich und unterlaufe damit die Regelung des § 69 StGB (vgl. u.a. KG, Beschluss vom 8. Oktober 1998 – 5 Ws 572/98 – [juris]). Entgegen der von Teilen des Schrifttums und der früher vom Kammergericht vertretenen Ansicht hat u.a. das OLG Frankfurt/M. die Auffassung vertreten, dass es weder verfassungs- noch einfachrechtlich ausgeschlossen sei, auf § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StGB auch solche Verbote zu stützen, die einer Entziehung der Fahrerlaubnis gleichkommen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 10. August 2010 – 3 Ws 423/10 – Rdn. 9 [juris]; Stree/Kinzig in: Schönke/Schröder, StGB 29. Aufl. § 68b Rdn. 11). Auf Wortlaut und -sinn der Vorschrift lasse sich eine eingrenzende Auslegung nicht stützen. § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StGB erlaubt es gerade zu verbieten, Kraftfahrzeuge oder bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen oder von anderen Fahrzeugen zu halten oder zu führen. Daraus ergebe sich, dass neben einem begrenzten Verbot im Sinne von „Arten von Kraftfahrzeugen“ auch ein umfassendes Verbot im Sinne von alle „Kraftfahrzeuge“ möglich sei. Mithin lasse sich im Wortlaut des Gesetzes gerade keine Stütze für eine nur eingeschränkte Zulässigkeit der Anordnung von Fahrverboten finden (vgl. OLG Frankfurt/M. a.a.O.).

Der Senat stimmt dieser Auffassung zu. Er teilt ferner die Ansicht, dass sich aus dem Gesetzeszweck kein Gebot zur einengenden Auslegung der Vorschrift ableiten lässt (vgl. OLG Frankfurt/M. a.a.O., mit ausführlicher und überzeugender Darstellung)…….

Auch im Einzelfall ist die Anordnung des umfassenden Verbots zum Führen und Halten von Kraftfahrzeugen im Sinne des § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StGB nicht zu beanstanden. Abgesehen davon, dass der Verurteilte, der sich seit dem 19. September 2011 durchgehend in Haft befindet, zurzeit schon deshalb keine Kraftfahrzeuge führen darf, weil er keine Fahrerlaubnis besitzt, ist das weiterführende Verbot, während der Führungsaufsicht Kraftfahrzeuge zu führen auch dann nicht unverhältnismäßig, wenn man berücksichtigt, dass die erteilte Weisung grundsätzlich zu einer faktischen Ausweitung der Sperre für die Erlangung einer Fahrerlaubnis bis zum Ende der Führungsaufsicht führt. Denn: Anders als bei der Maßregel nach § 69a StGB liegt der Sinn der Anordnung nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StGB nicht bloß darin, einen ungeeigneten Verkehrsteilnehmer vom Führen eines Kraftfahrzeugs abzuhalten, sondern darin, zusätzlich weitere erhebliche Straftaten des Verurteilten unter Verwendung von Kraftfahrzeugen zu erschweren (wie z.B. gewerbsmäßige Kraftfahrzeugdiebstähle und Tankbetrügereien).

Die fragliche Weisung ist auch im Einzelfall nicht unverhältnismäßig……“