Archiv für den Monat: Juni 2015

Begegnung Hundeführerin/Traktor und „posttraumatische Belastungsstörung“

entnommen wikimedia.org Uploaded by Tatanga 2006

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Um die Begegnung einer Spaziergängerin, die mit drei Hunden unterwegs war, mit einem Traktorfahrer ging es im LG Düsseldorf, Urt. v. 11.03.2015 – 16 O 14 / 14. Nach dieser „Begegnung“ machte die Spaziergängerin als Klägerin Schadensersatzansprüche aufgrund erheblicher körperlicher und vor allem psychischer Folgen eines bei dieser Begegnung eingetretenen Unfallereignisses geltend. Sie behauptete u.a. von  dem beklagten Fahrzeugführer in der Form bedroht worden zu sein, dass er versucht hätte, sie durch Zufahrt mit einem Traktor zu nötigen bzw. gar zu verletzten. Die Klägerin war in der Vergangenheit mit dem Beklagten in Streit über auslaufende Hunde auf den anliegenden landwirtschaftlich genutzten Feldern gewesen. Gegenüber der Polizei gab sie an, aufgrund eines gezielten Beschleunigens des Traktors wäre der von ihr geführte Hund erschreckt aufgesprungen und hätte sie umgerissen. Gegenüber dem behandelnden Arzt gab sie an, dass sie bei einem Ausweichen gestürzt wäre. In der weiteren Behandlung sprach sie sodann sogar davon, dass sie von dem Traktor gestriffen und deswegen gestürzt wäre. In der Klagschrift war wiederum von einem Ausweichen anlässlich des Zurücksetzens des Traktors die Rede. Der behandelnde Arzt konnte objektive Befunde zu der behaupteten Verletzung der HWS und des Sprunggelenks nicht finden. Die Klägerin behauptete ab er trotzdem, im Anschluss an dieses Geschehen eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten zu haben.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Dazu passen folgende Leitsätze

  • Bei widersprüchlichen Angaben zum Unfallgeschehen und fehlenden objektiven Befunden ist sind körperliche Primärverletzungen mit den Angaben der betroffenen Partei allein nicht nachgewiesen.
  • Es fehlt auch an einem Nachweis einer unfallbedingten PTBS, wenn bereits das äußere Geschehen nicht einen ausreichenden Schweregrad aufweist und die Widersprüche zum Unfallgeschehen die Glaubwürdigkeit der Klägerin erschüttern.

In Münster ist was los: Flurstücke, oder: Gesichter in einer Stadt

Flurstücke 1

Flurstücke 1

An sich war ich gestern Abend ja müde und kaputt. Zwei Tage jeweils 8 Stunden referieren im FA-Kurs, das schlaucht im fortgeschrittenen Alter 🙂 inzwischen ganz schön, war aber ein netter Kurs, so dass es Spaß gemacht hat. Aber ich war dann – zm Glück – doch nicht  müde, um am kulturellen Angebot in Münster teilzunehme. Nein, ich war nicht auf dem Open-Air-Konzert von Lionel Ritchie auf dem Schloßplatz, sondern bei den Flurstücken 2015 (vgl. hier), und zwar bei KompleXKapharnaüM: Figures Libres. In der Vorankündigung/Beschreibung heißt es u.a.:

„Die Stadt zeigt ihr Gesicht. Von den Fassaden schauen Köpfe, überlebensgroß. Jung oder Alt. Sorgenzerfurcht oder von Lachfalten gezeichnet. Nachdenklich oder aufbruchsbereit. Und hinter jedem steht eine Geschichte. ……Zentrale Frage: Wer sind wir? Vor allem: Wer ist Münster? Dazu nehmen sie ihre Zuschauer mit auf einen Parcours, der die gesamte Stadtatmosphäre verwandelt. Mobile Übertragungswagen mit Bilderfenstern projizieren die Gesichter auf Hausleinwände. Ein Live-Mix aus Musik und Textcollage macht das Eintauchen in die leuchtende Nacht zur Erfahrung mit langem Nachhall. Man höre und schaue. Wie nebenbei löst „Figures Libres“ die Gewissheit auf, wer hier Betrachter ist. Und wer Betrachteter.“

Kurzes Fazit: Beeindruckend, die nachfolgenden Bilder können nicht die Fazination der über die Hauswände huschenden Gesichter und Gestalten wiedergeben. Es hat sich gelohnt, doch noch hin gegangen zu sein 🙂 . Manchmal ist es eben gut, wenn man dem Ratschlag/Vorschlag der Ehefrau folgt.

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Ich habe da mal eine Frage: Verfahrensgebühr für die Berufung oder für die Revision?

Fotolia © AllebaziB

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Eine interessante Frage, die mir bis dahin auch noch nicht untergekommen war, ist vor einiger Zeit in dem gebührenrechtlichen Forum auf meiner Homepage Burhoff-online gestellt worden. Auszugehen war von folgendem Sachverhalt:

Das AG hatte die drei Angeklagten H, G und A am 12.05.2014 u.a. wegen Raubes mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Gegen dieses Urteil hat die Pflichtverteidigerin des Angeklagten H. mit Schriftsatz vom 19.05.2014 Rechtsmittel eingelegt. Der Angeklagte G. ließ mit Verteidigerschriftsatz vom 17.05.2014 Berufung, der Angeklagte A. mit Verteidigerfax vom 19.05.2014 Rechtsmittel einlegen, welches er in der Folgezeit nicht weiter begründete. Die Pflichtverteidigerin des Angeklagten H. hat das von ihr eingelegte Rechtsmittel mit Schriftsatz vom 13.07. 2014 als Revision bezeichnet und diese form- und fristgerecht begründet. Vor dem LG wurden sämtliche Rechtsmittel gem. § 335 Abs. 3 Satz 1 StPO als Berufung behandelt und mit Urteil vom 12.05.2014 alle kostenpflichtig verworfen. Die Pflichtverteidigerin des Angeklagten H. hat in ihrem Vergütungsfestsetzungsantrag die Revisionsverfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG in Ansatz gebracht. Das AG hat nur die Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren gem. Nr. 4124 VV RVG angesetzt. “

Und wer hat Recht?

Was Polizeibeamte oder AG so alles können – ein Sachverständiger hätte es wohl anders gesehen?

entnommen Wikimedia.org Urheber Federico Cantoni (Jollyroger)

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Vor einigen Tagen habe ich vom LG Lüdinghausen das AG Lüdinghausen, Urt. v. 20.04.2015 – 19 OWi-89 Js 1431/14-139/14 – übersandt bekommen. Es geht um eine Geschwindigkeitsmessung mittels Provida-Nachfahrsystem auf einem Motorrad. Zur Auswertung der Messung (durch die Polizei) stellte das AG fest bzw. führt es aus:

„Das Gericht hat insoweit aus dem Videofilm ein Print gefertigt, dieses in Augenschein und als Bl. 71 zur Akte genommen. Gemäß § 267 Abs. 3 S. 1 StPO wird auf dieses Print Bezug genommen. Auf dem Print ist die Beschilderung deutlich zu erkennen und links neben der Beschilderung von hinten das Fahrzeug des Betroffenen etwa mittig des Bildes. Der Polizeibeamte G. hat dann versucht, dem Fahrzeug des Betroffenen mit gleich bleibendem Abstand zu folgen. Tatsächlich wurde der Betroffene jedoch schneller während dieser Verfolgung und fuhr mit einer deutlich den Umständen unangepasster Geschwindigkeit. Das Gericht hat weitere zwei Videoprints gefertigt. Das erste Videoprint ist ein solches, dass die Situation des Betroffenen zu Beginn der später anhand des Videos vorgenommenen Messung darstellt. Insoweit wird nach § 267 Abs. 3 S. 1 StPO auf das Lichtbild Bl 72 der Akte Bezug genommen. Ebenso wird Bezug genommen auf das Print Bl. 73 der Akte, das in etwa die Situation am Ende der (später festgelegten) Messstrecke darstellt. Hier ist das Betroffenenfahrzeug erkennbar kleiner abgebildet als auf dem Bild Blatt 72 der Akte. Das Betroffenen Fahrzeug war dementsprechend schneller unterwegs als das Fahrzeug der Polizei. Zudem ist erkennbar, dass der Betroffene aufgrund seiner Geschwindigkeit in der Rechtskurve, vor der er sich befindet nach links auf die Gegenfahrbahn heraus getragen wird. Auf dem ebenso in Augenschein genommenen Messvideo ergibt sich, dass ihm in der Kurve Radfahrer auf der rechten Fahrbahn entgegenkamen. Gefährdet wurden diese jedoch nicht.

Die Polizei wertet im Nachhinein die gefertigten Videos aus und bestimmt anhand einer dann im Rahmen der Auswertung festgelegten Messstrecke eine gefahrene Durchschnittsgeschwindigkeit. Es handelt sich hierbei nicht um ein standardisiertes Messverfahren, sondern eine freie Messung mit dem zur Tatzeit gültig geeichten und der Bedienungsanleitung entsprechenden Provida- System. Anhand des Wegstreckenzählers, der in das Video eingespielt wird, wurde als Messstrecke eine Strecke zwischen 59888 m und 59982 m festgelegt. Die Messstrecke war also 94 m lang. Hiervon wurde seitens der Polizei eine Toleranz von 4 m abgezogen. Die für die Geschwindigkeitsmessung dann notwendige Zeit hat das Gericht anhand der Videobilder ermittelt. Der Bildzähler wies zu Beginn 127604 Bilder aus, am Ende der Messstrecke 127710 Bilder. Für die Bildzähler-Differenz von 106 Bildern war angesichts der für ein Bild anzusetzenden Zeit von 0,04 Sekunden eine Zeit von 4,24 Sekunden als Messzeit anzusetzen. Auch hier wurde eine Toleranz abgezogen und zwar von 0,0242 Sekunden, so dass sich eine verwertbare Messezeit von 4,2642 Sekunden ergab. Aus den Zahlen ohne Toleranzabzug ließ sich dann eine Geschwindigkeit von 79,8 km/h ermitteln. Der Toleranzabzug belief sich jedoch nur auf 3,9 km/h. Notwendig war jedoch einer Toleranz von mindestens 5 km/h. Diese wurde erreicht, in dem ein weiterer Geschwindigkeitsabschlag von 1,9 km/h von den zu unter Berücksichtigung der oben genannten Toleranzwerte ermittelten Geschwindigkeit von 75,9 km/h berücksichtigt wurde. Dementsprechend wurde nur eine Geschwindigkeit von 74 km/h vorgeworfen. Für die Tat bedeutet dies eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 24 km/h.“

Für mich war diese Vorgehensweise ein wenig unkonventionell, zumal es sich ja um eine Messung in einer Kurve gehandelt hat. Ich habe daher mal „meine Sachverständigen“ von der VUT aus Püttlingen gefragt. Die haben dann wie folgt Stellung genommen:

„Über die Notwendigkeit des Sachverständigen zur Beurteilung technischer Fragestellungen.

Im Urteil zu 19OWi-89 Js 1431/14-139/14 wird durch das Gericht eine nachträgliche Auswertung einer Verfolgungsfahrt mittels eines Provida-Motorrads durchgeführt.

Interessant hieran ist, dass das Gericht in seinem Urteil darauf eingeht, dass der relevante, nachträglich ausgewertete, Streckenabschnitt in einer Kurve lag.

Die PTB als Zulassungsbehörde hat übereinstimmend in den Zulassungen der Bauformen Provida 2000 und Provida 2000modular für solche Fälle  folgendes formuliert:

„Messungen mit Schräglage dürfen nicht verwendet werden“

Dieses Verbot hat auch seinen Niederschlag in den Gebrauchsanweisungen gefunden und besteht bis zum heutigen Tage.

In einer Untersuchung in 2012 hat die PTB festgestellt, dass alleine durch die Schräglage des Messmotorrads ein Fehler von bis zu 8% auftrat. Im gleichen Artikel wurde auch konstatiert, dass dieser Effekt reifenabhängig ist. Hieraus muss geschlossen werden, dass bei abweichender Reifenkontur auch höhere Fehler auftreten können.

Dies zeigt, dass das Verbot der Verwendung solcher Messungen technisch wohl begründet ist. Aus technischer Sicht ist dies auch nicht anders zu werten, wenn durch eine nachträgliche Auswertung die Berechnung des Geschwindigkeitswertes durch das Gericht erfolgt. Das Verbot der Zulassungsbehörde bezieht sich grundsätzlich auf alle Wegstreckenmessungen und daraus folgend auch Geschwindigkeitsmessungen, da der Abrollumfang des Reifens durch Schräglage verändert wird.

Dem entsprechend basiert das hier gefällte Urteil auf einer verfälschten Messung deren Ungenauigkeiten weit außerhalb der Toleranzen der Gerätezulassung liegt.

Dies hätte durch die Prüfung des Vorgangs durch einen Sachverständigen vermieden werden können.

Hinzuweisen ist auch noch darauf, dass hier unklar bleibt warum die Auswertung innerhalb des Kurvenbereichs durchgeführt wurde. Kommend von Ahsen gibt es eine etwa 270m lange gerade Strecke bis zur im Urteil genannten Kurve und danach gibt es auf der Eversumer Straße/K9 ein etwa 1,3 km langes schnurgerades Teilstück welches sich hervorragend für eine Messung eignen würde.  

[1] – Einfluss einer Motorrad-Schräglage auf Geschwindigkeitsmessungen mit Videonachfahrsystemen.“

Also, schon erstaunlich. Erstaunlich aber auch, dass der Verteidiger das so hingenommen hat. Oder?

Keine Beschwer – kein zulässiges Rechtsmittel- und was ist mit dem Fall Cleve?

© Dan Race Fotolia .com

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Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels setzt grds. die Beschwer des Rechtsmittelführers voraus. Ist keine Beschwer gegeben, ist das Rechtsmittel unzulässig. So gerade noch einmal der BGH in Zusammenhang mit der Nichtverhängung einer Maßregel nach § 64StGB im BGH, Beschl. v. 02.06.2015 – 5 StR 206/15 (alt: 5 StR 133/14). Der Angeklagte hatte sich ausschließlich gegen die Nichtanordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gewendet. Ergebnis: Rechtsmittel unzulässig:

Das Rechtsmittel ist mangels Beschwer des Angeklagten unzulässig. Der Angeklagte kann das Urteil nicht allein deswegen anfechten, weil gegen ihn neben der Strafe keine Maßregel nach § 64 StGB verhängt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1979 – 2 StR 743/78, BGHSt 28, 327, 330 f.; Beschluss vom 29. August 2011 – 5 StR 329/11 mwN).

Das gilt nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH auch beim Freispruch. Da könnte jetzt aber Bewegung in die Diskussion kommen durch das EGMR, Urt. v. 15.1.2015 – 48144/09 Fall Cleve (vgl. dazu auch hier), das vor allem auch im Fall Mollath von Bedeutung werden könnte (Gustl Mollath bekommt Hilfe vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte).