Archiv für den Monat: Januar 2015

„Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ – gilt nicht

© Andrey Burmakin - Fotolia.com

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Schon etwas länger hängt in meinem Blogordner der BGH, Beschl. v. 29.07.2014 – 4 StR 126/14, der – mal wieder – die Fragen der Mitteilungspflicht nach „Verständigungsgesprächen“ (§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO) zum Gegenstand hatte. Das ist ja eine Thematik in der „Verständigungsrechtsprechung“ des BGH einen besonderern Stellenplatz einnimmt. In dem Verfahren war es so, dass, nachdem die  Anklage beim LG eingegangen war, ein Gespräch zwischen dem zuständigen Staatsanwalt, den Verteidigern des Angeklagten und der Strafkammer in der damaligen Besetzung stattgefunden hatte.  Aufgrund von Neubesetzungen, die vor dem Eröffnungsbeschluss erfolgten, gehörte keiner der an diesem Gespräch beteiligten Richter der später zur Entscheidung berufenen Strafkammer an. In dem Gespräch wurde u.a. die Möglichkeit einer Bewährungsstrafe für den Fall erörtert, dass sich der Angeklagte in einzelnen, in dem Gespräch näher bezeichneten Fällen der Anklageschrift geständig zeigt. Zu einer Einigung kam es zu diesem Zeitpunkt nicht. In der späteren Hauptverhandlung sind dann weitere „Verständigungsgespräche“ geführt worden. Die führten zunächst nicht zu einem Ergebnis. Der Vorsitzende hat den wesentlichen Inhalt des Gesprächs zwischen den Verfahrensbeteiligten wie folgt bekannt gegeben: „Die Kammer hat in der Sitzungspause mit den Verteidigern des Angeklagten und dem Vertreter der Staatsanwaltschaft ein Gespräch über eine mögliche Verständigung gem. § 257c StPO geführt. Ein Ergebnis konnte bislang nicht erzielt werden.“ Nach erneuten Erörterungen wurde dann  am zweiten Hauptverhandlungstag eine Verständigung gemäß § 257c StPO erzielt. Die Revision des Angeklagten hat dann einen Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO gerügt und u.a. geltend gemacht, der Vorsitzende habe im Rahmen seiner Mitteilungen nicht über sämtliche vor der Hauptverhandlung geführte Verständigungsgespräche berichtet. Und? Sie hatte Erfolg: “

„Nach diesen Grundsätzen unterlag das von der Strafkammer, wenn-gleich in anderer Besetzung, mit den Verfahrensbeteiligten im Zwischenverfahren geführte Gespräch der Mitteilungspflicht gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, da die Strafkammer mit den Verfahrensbeteiligten erörtert hat, dass eine Bewährungsstrafe dann möglich sei, wenn sich der Angeklagte zu bestimmten Anklagevorwürfen geständig zeige. Insbesondere handelte es sich bei dem Gespräch, das in Anwesenheit der gesamten Strafkammer stattgefunden hat, nicht etwa lediglich um „sondierende Äußerungen“ nur eines Mitglieds des Spruchkörpers (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2010 – 1 StR 400/10, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Hinweis 1).

An der Mitteilungspflicht ändert sich auch durch die zwischen dem Vorgespräch und der Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgte vollständige Neubesetzung der Strafkammer nichts. Schon aus dem Wortlaut des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ergeben sich keine Hinweise darauf, dass Verständigungsgespräche, die mit dem Gericht in anderer Besetzung geführt worden sind, nicht von der Mitteilungspflicht erfasst wären. Ein Wechsel der Gerichtsbesetzung im Zeitraum zwischen Eingang der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens ist gesetzlich zulässig und insbesondere bei länger andauernden Zwischenverfahren keine Seltenheit. Schon im Hinblick auf die Regelung des § 76 Abs. 2 Satz 4 GVG (reduzierte Besetzung der Strafkammern) und im Hinblick auf die fehlende Beteiligung der Schöffen bei Vorgängen außerhalb der Hauptverhandlung (§ 76 Abs. 1 Satz 2 GVG) besteht zwischen der Besetzung der Kammer im Zwischenverfahren einerseits und im Hauptverfahren andererseits regelmäßig keine Identität.

Gleichwohl hat der Gesetzgeber darin keinen Anlass gesehen, die Mitteilungspflicht gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO einzuschränken. Gegen eine solche Ausnahme spricht insbesondere der Sinn und Zweck des Gesetzes. Die Pflicht zur Mitteilung sämtlicher auf eine Verständigung abzielenden Vorgespräche dient neben der notwendigen Information der Öffentlichkeit vor allem der des Angeklagten, der bei derartigen Gesprächen – ebenso wie die Schöffen – in der Regel nicht anwesend ist (vgl. BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – 1 StR 423/13, NStZ 2014, 217, 218). Nach dem gesetzlichen Regelungskonzept soll durch umfassende Transparenz- und Dokumentationspflichten eine wirksame Kontrolle von Verständigungen sichergestellt werden (BVerfG, NStZ 2013, 295, 297 f.). Zudem ist es für die Willensbildung des Angeklagten von Bedeutung, dass er durch das Gericht umfassend über sämtliche vor der Hauptverhandlung mit den übrigen Verfahrensbeteiligten geführten Verständigungsgespräche informiert wird (BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – 1 StR 423/13, aaO). Mit diesem Schutzzweck wäre es nicht vereinbar, in dem Umstand, dass die Besetzung der Strafkammer zwischen dem Gespräch und der Hauptverhandlung hinsichtlich eines oder auch sämtlicher Richter gewechselt hat, einen Grund für den Ausschluss der Mitteilungspflicht zu sehen.“

Tja, die Argumentation des BGH ist nachvollziehbar. Aber die Mitteilungspflicht geht dann schon sehr weit, wenn die Kammer über einen Vorgang informieren muss, an dem ggf. keines ihrer derzeitigen Mitglieder beteiligt war. Aber andererseits: Wenn alles richtig gelaufen ist, muss der Inhalt der ersten Erörterung ja aktenkundig gemacht worden sein (§§ 212, 202a Satz 2 StPO). Es gilt also nicht der Satz: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.

Never twice? Oder: Welche Auswirkungen hat ein Bewährungsversagen?

© ferkelraggae - Fotolia.com

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Eine Frage, die in der Praxis die angeklagten Mandanten häufig sehr interessiert, ist die, ob ggf. bereits vorhandene Vorstrafen und/oder ein sog. Bewährungsversagen nicht die erneute Strafaussetzung zur Bewährung ausschließen. Die Antwort des Verteidigers muss/kann lauten: Nein, es ist zwar nicht „ungefährlich“, aber eine erneute Strafaussetzung zur Bewährung ist möglich. Die Aussage wird nun u.a. gestützt durch das OLG Koblenz, Urt. v. 01.09.2014 – 2 OLG 3 Ss 70/14 – mit den Leitsätzen:

1. Vorstrafen und Bewährungsversagen schließen eine erneute Strafaussetzung zur Bewährung nicht von vornherein aus.

2. Waren die Vorstrafen des Angeklagten im Wesentlichen auf seine Neigung zu übermäßigem Alkoholkonsum zurückzuführen, hält sich eine Strafaussetzung zur Bewährung bei einer erneute Verurteilung im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens, wenn der Angeklagte der Ursache der früheren Delinquenz mit der freiwilligen Durchführung und dem erfolgreichen Abschluss einer Alkoholtherapie entgegengewirkt hat.

3. Ein durch die erneute Tat dokumentierter Alkoholrückfall steht der Annahme einer positiven Änderung der Lebensverhältnisse nicht von vornherein entgegen, da Rückfälle nach langjährigem Alkoholmissbrauch nicht untypisch sind und den günstigen Verlauf insgesamt nicht in Frage stellen müssen.

Und eins darf man in diesen Fällen nicht übersehen, worauf auch das OLG hinweist: „Bei dieser Sachlage hält sich die Strafaussetzung zur Bewährung im Rahmen der dem Tatrichter zustehenden Beurteilung (vgl. BGH, 1 StR 62/97 vom 08.04.1997, Rdn. 2 nach juris, NStZ-RR 1997, 231).“ Der Tatrichter hat ein „Beurteilungsermessen“ und das Revisionsgericht hat seine Entscheidung pro/contra Bewährung „bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen. Das ist schon ein Pfund, mit dem man als Verteidiger wuchern kann.

Polizei misst Leichentemperatur mit Fleischthermometer, oder: „Rechtsstaatlichkeit geht vor Wahrheitsfindung.“

© helmutvogler - Fotolia.com

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Na, das wird die Polizei in Erding nicht gerne gehört haben, was die Vorsitzende der Schwurgerichtskammer (des LG Landshut, oder?) in einem Prozess um einen Erdinger Frauenarzt in der Urteilsbegründung ausgeführt hat und worüber die SZ heute berichtet (vgl. hier). Die Richterin wirft der Polizei „Spurenvernichtung“ vor.

Aus dem Bericht der SZ:

„Das Desaster beginnt, gleich nachdem zwei Beamte des Kriminaldauerdienstes (KDD) am Tatort eingetroffen waren. Im Bad eines Reihenhauses im Erdinger Stadtteil Pretzen liegt an jenem Abend des 4. Dezember 2013 die Leiche der 60-jährigen Brigitte B. Der Notarzt glaubt, die Frau sei bei einem Sturz ums Leben gekommen. Die Polizisten übernehmen die Einschätzung. Dabei hätte ein gezielter Blick gezeigt, dass die Frau erwürgt oder erstickt wurde.

Polizei misst Temperatur mit Fleischthermometer

In einem solchen Fall kommt es zu kleinen, aber unübersehbaren Blutungen in den Augen. Zudem ist die Leiche mit Hämatomen übersät. Die KDD-Beamten sehen das alles nicht. Ihre „polizeiliche Leichenschau“ wird zu einer „polizeilichen Spurenvernichtung“, so Geppert. Beim Entkleiden der Leiche spritzt Blut durchs Bad – die Beamten wischen es weg. Die Groteske geht weiter. Die Polizisten haben kein medizinisches Thermometer, um die Temperatur der Leiche zu messen. Einer der beiden hat sich privat ein Fleischthermometer zugelegt. Das nimmt er her.

Zum kriminalistischen Grundwissen gehört, dass man eine Stunde später eine zweite Messung machen muss, damit der Todeszeitpunkt möglichst genau berechnet werden kann. Doch es gibt keine zweite Messung. Seit einigen Monaten gibt es nun eine Dienstanweisung bei der Kripo Erding, in jedem Fall zweimal zu prüfen.

Erst die Obduktion macht klar, dass Brigitte B. umgebracht worden ist. Spuren am Tatort lassen sich kaum noch sichern. Michael B. hat mit Erlaubnis des KDD im Bad geputzt. Die mittlerweile mit dem Fall betrauten Beamten des Kommissariats K 1 holen ihn zu Hause ab. Angeblich, um ihn als Zeugen zu befragen. Tatsächlich ist er längst ihr Hauptverdächtiger.

Er wird nicht über seine Rechte belehrt. Aber man schneidet ihm auf der Dienststelle die Fingernägel ab und er muss seine Hose runterlassen, um seine Knie zu fotografieren. Dann wird er vernommen. Dass die Vernehmung eines Verdächtigen, der nicht belehrt wird, nicht verwertbar ist, ist nur das eine. Bedrückend sei es, sagte Richterin Geppert wütend, dass nicht nur geschlampt, sondern auch Gesetze missachtet wurden: „Rechtsstaatlichkeit geht vor Wahrheitsfindung.“

„Rechtsstaatlichkeit geht vor Wahrheitsfindung.“ Recht hat sie die Vorsitzende.

„ein kleines gallisches Dorf…“, oder: AG Emmendingen versus PoliscanSpeed, die 2.

© Bertold Werkmann - Fotolia.com

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Wer die Geschichten von Asterix und Obelix kennt, weiß, dass alle mit der Einleitung anfangen (vgl. hier): „Wir befinden uns im Jahre 50 v.Chr. Ganz Gallien ist von den Römern besetzt… Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die römischen Legionäre, die als Besatzung in den befestigten Lagern Babaorum, Aquarium, Laudanum und Kleinbonum liegen…“ Für das Verkehrsrecht möchte ich das – animiert durch den Kollegen Dr. Krenberger, der mich (auch) auf das AG Emmendingen, Urt. v. 13.11.2014 – 5 OWi 530 Js 17298/13, das mir der Kollege Rinklin aus Emmendingen schon geschickt hatte, hingewiesen hat, wie folgt abwandeln:

Wir befinden uns im Jahre 2015 n.Chr. Ganz Deutschland ist von der Firma Vitronic und Poliscan Speed besetzt… Ganz Deutschland? Nein! Ein von einem unbeugsamen Amtsrichter bevölkertes AG – das AG Emmendingen – hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die Firma Vitronic und Poliscan Speed, die als Besatzung in den befestigten Lagern anderer AG und OLG, auch dem OLG Karlsruhe, liegen…

Denn: Nachdem das AG Emmendingen schon im AG Emmendingen, Urt. v. 26.02.2014 – 5 OWi 530 Js 24840/12 – (vgl. dazu PoliscanSpeed – OLG unterliegen einem “Zirkelschluss”) mehr als deutliche Worte zu Poliscan Speed gefunden hatte, hat es jetzt im AG Emmendingen, Urt. v. 13.11.2014 – 5 OWi 530 Js 17298/13 noch einmal richtig nachgelegt, und das dann gleich auf mehr als 30 Seiten. Also ein „richtiger Hammer“. Und dabei hat sich das AG auch nicht von seinem „übergeordneten“ OLG Karlsruhe „belehren“ bzw. leiten lassen, das im OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.10.2014 – 2 (7) SsBs 454/14 – das AG Emmendingen, Urt. v. 25.02.2014 aufgehoben hatte. Das AG schlägt zurück bzw. lässt sich nicht beirren und hält an seiner Auffassung fest, dass dem Tatrichter in Verfahren, in denen eine Messung mit PoliscanSpeed zugrunde liegt, nur der Freispruch bleibt, solange die Geräteherstellerfirma „Vitronic“ und die PTB nicht alle Daten herausrücken.

Die Formulierungen in dem mehr als 30 Seiten langen Urteil sind schon bemerkenswert; dass ich hier nicht alles vorstellen kann, liegt bei der Länge auf der Hand, daher nur zwei Beispiele:

1. Das AG scheut sich nicht, mit der Rechtsfigur des „standardisierten Messverfahrens“ ins Gericht zu gehen und auch sie zu hinterfragen. Dazu heißt es u.a.

Die Interessen an der Aufrechterhaltung der „Rechtsfigur“ des „standardisierten Messverfahrens“ sind gleichwohl gesellschaftlich weit verbreitet und untereinander verbunden durch ein gewachsenes Geflecht privater Geschäftsleute und staatlicher Entscheidungsträger, vor allem auf exekutiv-kommunaler Ebene, womöglich aber zumindest teilweise auch auf judikativer Ebene (sog. „PoliScan-Allianz“). Die privaten wirtschaftlichen Interessen liegen dabei ebenso auf der Hand wie die finanziellen Überlegungen der Öffentlichen Hand und die Arbeitsbelastungen der Bußgeld- und Rechtsbeschwerderichter. Sie sind – isoliert betrachtet – allesamt legitim.

Ebenso legitim ist aber auch das Anliegen des Staatsbürgers, den Interessen der Allgemeinheit nicht bedingungslos untergeordnet zu werden. Konkret: Im Falle einer Geschwindigkeitsüberschreitung konsequent zur Rechenschaft gezogen zu werden – allerdings nur im Falle einer belastbaren Überführung. Immerhin geht es nicht nur um Geldbußen im Bagatellbereich, sondern z. B. auch um Fahrverbote, Nachschulungen bei „Führerscheinen auf Probe“ oder Fahrtenbuchauflagen (zu Letzterem vgl. VG Düsseldorf, Beschlüsse v. 16.09.2014 – 6 K 4512/13 sowie v. 22.09.2014 – 6 K 8838/13).“

2. Und dann auch noch einmal zum „standardisierten Verfahren“:

„Der Ausgangsfall (1993) betraf noch einen „geständigen“ Betroffenen, so dass sich die Skrupel gegenüber einer Verurteilung „mit wenigen Sätzen“ leichter überwinden ließen. Im zweiten Fall (1997) erklärte der BGH dann jedoch – wohl zur Verblüffung nicht nur des GBA und des jeweils vorlegenden OLG Köln – die Absegnung derartiger „Spar-Urteile“ habe sich auch auf „nicht geständige“ Betroffene bezogen. Es dürfte sich insoweit vorliegend um ein negatives Paradebeispiel schleichender rechtsstaatlicher Desensibilisierung auf höchstfach- bzw. obergerichtlicher Ebene handeln.

Jedenfalls übernahmen die meisten OLGe in der Folgezeit einigermaßen „bereitwillig“ die Sichtweise des BGH. Einschränkungen der Überprüfbarkeit der Funktionsweise der Geräte seien eben hinzunehmen. Das Messverfahren „PoliScan Speed“ sei ja ein „standardisiertes Verfahren“ iSd Rechtsprechung des BGH. „Argumente“ werden seither in aller Regel durch Zirkelschlüsse in Gestalt von Hinweisen auf den BGH und andere OLGe ersetzt.

Die Heraufbeschwörung der Funktionsuntüchtigkeit der Ordnungswidrigkeiten-rechtspflege durch den BGH überzeugt indes nicht. Insoweit gilt es vielmehr mit Prof. Dr. Ulrich Sommer zu bedenken: „Die Folgen des Umgangs mit angeblich rechtsstaatlich geprägten Oberbegriffen wie dem der Funktionsuntüchtigkeit hatte schon Limbach gesehen, die die Gefahr der Zuflucht zu Zweckmäßigkeits- und Plausibilitätserwägungen für offensichtlich hielt und vor einer Argumentation warnte, „die allzu leicht der Staatsräson Unterschlupf bietet“ (Limbach, Die Funktionsuntüchtigkeit der Strafrechtspflege im Rechtsstaat, Strafverteidigervereinigungen 1996, S. 42). Wer mit den unabwendbaren Bedürfnissen der Funktionsuntüchtigkeit einer Strafrechtspflege Bürgerrechte demontieren will, findet sich leicht in der eines Richters unwürdigen Rolle des Liktors wieder, der weit entfernt von dem Freiheitsbedürfnis seiner Bürger das blanke Beil der strafrechtlichen Gewalt nur noch halbherzig in Rutenbündeln verdeckt“ (Sommer, StraFo 2014, 441, 444).“

Ich bin gespannt, wie das OLG Karlsruhe, dem der amtsrichterliche Kollege in Emmendingen die Gefolgschaft verweigert reagiert. Sicherlich „not amused“. Und im zweifel nun auch mit einer Senatsentscheidung in Dreier-Besetzung, denn bei dem Beschluss vom 24.10.2014 hat es sich – so meine ich – um eine Einzelrichterentscheidung gehandelt. Aber, ob der Kollege aus Emmendingen dem folgen wird. Ich wage es zu bezweifeln. Wie hießt es doch bei Asterix: „Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.

„Nicht jede Aufnahme des nackten Körpers oder des Geschlechtsteils eines Kindes ist Kinderpornografie….

© Spencer - Fotolia.com

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Nicht jede Aufnahme des nackten Körpers oder des Geschlechtsteils eines Kindes ist Kinderpornografie ..“, u.a. so heißt es im BGH, Beschl. v. 03.12.2014 – 4 StR 342/14 – zu folgendem Sachverhalt in einem Urteil des LG Essen, mit dem der Angeklagte u.a. wegen Besitzverschaffung an einer kinderpornografischen Schrift verurteilt worden ist:

„a) Nach den Feststellungen fertigte der Angeklagte am 7. Mai 2013 von der siebenjährigen V. S. zwei Fotos, als diese nackt mit ihrem Bruder in einem Planschbecken badete. Dabei fotografierte er zweimal eine Szene, in der sie mit gespreizten Beinen eine Frontalansicht bot. Bei der ersten Gelegenheit befindet sie sich in einer halb liegenden Position. Das eine Bein hat sie aufgestellt, während das andere Bein angewinkelt am Boden liegt, so-dass ihr Geschlechtsteil aus der Kameraperspektive voll sichtbar ist. Bei der zweiten Gelegenheit liegt V. S. auf dem Rücken. Ihre linke Schulter und ihre linke Seite sind leicht erhoben. Anscheinend setzt sie sich gerade auf oder legt sich aus sitzender Position hin. Ihr rechtes Bein liegt leicht nach rechts abgewinkelt auf dem Boden, der linke Oberschenkel ist gerade ausgestreckt, mit der Folge, dass ihr Geschlechtsteil auch hier aus der Kameraperspektive gut sichtbar ist (Fall A 2 der Urteilsgründe). Am 5. September 2013 übersandte der Angeklagte mittels seines Computers eine dieser Fotografien an eine unbekannt gebliebene andere Person (Fall B 24 der Urteilsgründe). Das Landgericht hat die von dem Angeklagten gefertigten Bilder als „pornografisch“ bewertet, weil ihr alleiniger Zweck die Zurschaustellung des Geschlechts-teils des zur Tatzeit sieben Jahre alten Kindes gewesen sei und es sich nicht um eine zufällige Aufnahme gehandelt habe (UA 61 f.).“

Der BGH bewertet das – zunächst – mal anders und hat das Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen:

„Nicht jede Aufnahme des nackten Körpers oder des Geschlechtsteils eines Kindes ist Kinderpornografie im Sinne des § 184b Abs. 1 StGB. Tatobjekte sind nur pornografische Schriften, die sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern zum Gegenstand haben. Zu den sexuellen „Handlungen“ von Kindern gehört zwar nach der Neufassung des Gesetzes durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie vom 31. Oktober 2008 (BGBl. I 2008, S. 2149) auch ein Posieren in sexualbetonter Körperhaltung (BGH, Urteil vom 16. Januar 2014 – 4 StR 370/13, NStZ 2014, 220, 221; Beschluss vom 21. November 2013 – 2 StR 459/13, NStZ-RR 2014, 108; Beschluss vom 16. März 2011 – 5 StR 581/10, NStZ 2011, 570, 571; Ziegler in: BeckOK, StGB, § 184b Rn. 4; MüKoStGB/Hörnle, 2. Aufl., § 184b Rn. 17; Röder, NStZ 2010, 113, 116 f.; vgl. auch BT-Drucks. 16/3439, S. 9; BT-Drucks. 16/9646, S. 2, 17). Voraussetzung ist aber, dass die von dem Kind eingenommene Körperposition objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild, einen eindeutigen Sexualbezug aufweist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. August 2008 – 4 StR 373/08, NStZ 2009, 29; Urteil vom 20. Dezember 2007 – 4 StR 459/07, NStZ-RR 2008, 339, 340 mwN). Körperpo-sitionen, die sich bei einem Handlungsablauf ohne eindeutigen Sexualbezug (z.B. Körperpflege, An- oder Umkleiden, Sport, Spiel etc.) naturgemäß ergeben sind auch dann keine sexuellen Handlung von Kindern im Sinne von § 184b Abs. 1 StGB in der derzeitigen Fassung, wenn sie für Bildaufnahmen zu pornografischen Zwecken ausgenutzt werden.

Die Feststellungen belegen nicht, dass V. S. in den Momenten, in denen sie von dem Angeklagten fotografiert wurde, ihr Geschlechtsteil „zur Schau gestellt“ und damit eine Handlung vorgenommen hat, die ihrem äußerem Erscheinungsbild nach einen eindeutigen Sexualbezug aufweist. Möglich erscheint auch, dass der Angeklagte lediglich für seine Zwecke günstige Momente im natürlichen Bewegungsablauf des badenden Kindes dazu ausgenutzt hat, um dessen Geschlechtsteil aufzunehmen. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.“