Archiv für den Monat: April 2014

Pflichti 8: Nochmal “Waffengleichheit” und: Interessante Auslagenentscheidung

© ferkelraggae - Fotolia.com

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Heute dann mal wieder ein Tag der Pflichtverteidigung, den wir mit dem LG Hannover, Beschl. v. 20.12.2013 – 40 Qs 135/12 starten. Und dann zur “Waffengleichheit”, nämlich:

“Ist bei mehreren Angeklagte, die eine Tatbeteiligung jeweils bestreiten, zu besorgen, dass die Angeklagten sich in der Hauptverhandlung gegenseitig belasten könnten, gebietet der Grundsatz der „Waffengleichheit” grundsätzlich die Beiordnung eines Pflichtverteidigers, wenn auch dem anderen Mitangeklagten ein Pflichtverteidiger bestellt worden ist.”

Insoweit schon ganz interessant. Interesssant(er) aber noch wegen der Kosten- und Auslagenentscheidung: Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung war nämlich – so das LG – prozessual überholt, nachdem das Amtsgericht in der Sache bereits durch Urteil entschieden hatte; eine rückwirkende Verteidigerbeiordnung kam nach Auffassung des LG nach Abschluss des Verfahrens nicht (mehr) in Betracht. Aber das LG hat die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten in entsprechender Anwendung von § 472 Abs.2 StPO der Landeskasse auferlegt, weil das Rechtsmittel vor Eintritt der prozessualen Überholung Erfolg gehabt hätte. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers hätten nämlich vorgelegen, eben wegen der erforderlichen “Waffengleichheit”.

Vergewaltigung: Häufung von Fragwürdigkeiten bei Aussage-gegen-Aussage

© Dan Race - Fotolia.com

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Beweiswürdigung ist manchmal nicht einfach. Und besonders schwierig kann sie sein, wenn es um eine Aussage-gegen-Ausage-Situation geht, wie man sie häufig bei Vergewaltigungsvorwürfen findet. Da legt die Rechtsprechung, vor allem auch die des BGH, die Hürde für eine ordnungsgemäße Beweiswürdigung dann doch schon recht hoch. Das macht der BGH, Beschl. v. 06.02.2014 – 1 StR 700/13 – noch einmal deutlich, in dem der BGH allgemein zu dieser Problematik ausgeführt hat:

„a) Wenn Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung im Wesentlichen davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Das gilt besonders, wenn sich sogar die Unwahrheit eines Aussageteils des Belastungszeugen herausstellt (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Oktober 2000 – 1 StR 439/00, NStZ 2001, 161, 162).“

Und, nachdem der BGH sich dann mit einzelnen Indizien auseinandergesetzt hat:

„ff) Hinzu kommt, dass das Landgericht die gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin sprechenden Indizien jeweils eher isoliert in den Blick genommen hat. Bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Tatopfers sowie der Glaubhaftigkeit seiner Angaben darf sich der Tatrichter indes nicht darauf beschränken, Umstände, die gegen die Zuverlässigkeit der Aussage sprechen können, gesondert und einzeln zu erörtern sowie getrennt voneinander zu prüfen, um festzustellen, dass sie jeweils nicht geeignet seien, die Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen. Selbst wenn nämlich jedes einzelne Glaubwürdigkeit oder Glaubhaftigkeit möglicherweise in Frage stellende Indiz noch keine Bedenken gegen die den Angeklagten belastende Aussage auf-kommen ließe, so kann doch eine Häufung von – jeweils für sich erklärbaren – Fragwürdigkeiten bei einer Gesamtschau zu durchgreifenden Zweifeln an der Richtigkeit eines Tatvorwurfs führen (vgl. BGH, Urteil vom 19. November 2008 – 2 StR 394/08).“

Trunkenheitsfahrt: allein 0,65 Promille BAK reicht nicht

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Das AG verurteilt den Angeklagten wegen einer Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB), stellt aber nur eine BAP von 0,65 Promille fest. Reicht so nicht, sagt der OLG Schleswig, Beschl. v. 17.01.2014 – 1 Ss 152/13 (8/14) – und hebt auf die Revision des Angeklagten das amtsgerichtliche Urteil auf:

„…Das Urteil leidet an einem Darstellungs- und Begründungsmangel. Das Urteil enthält keine Feststellungen, die den Schluss auf den vom Tatgericht angenommenen rauschbedingten Fahrfehler zulassen. Allein der mit 0,65 Promille angegebene Blutalkoholwert des Angeklagten zur Tatzeit (wobei der Zeitpunkt des Trinkendes im Urteil nicht angegeben wird) erlaubt einen solchen Rückschluss nicht, zumal der Angeklagte weder von dem die Blutprobe entnehmenden Arzt noch den zum Unfallort herbeigerufenen Polizeibeamten als merklich alkoholisiert beschrieben wurde. Insoweit ist nicht auszuschließen, dass das zum Unfall führende verkehrswidrige Fahrverhalten des Angeklagten auf anderen Ursachen als einer alkoholbedingten Berauschung fußte.

 Es ist aber nicht auszuschließen, dass in einer neuerlichen Hauptverhandlung Feststellungen zur Ursache des Fahrfehlers getroffen werden können. Diesbezüglich wäre insbesondere an ein Sachverständigengutachten zu denken, das unter Berücksichtigung der physiologischen Besonderheiten des Angeklagten Auskunft über dessen Alkoholverträglichkeit geben könnte.“

Ist mir nicht so ganz klar. Warum eigentlich nicht § 315c StGB? Das hätte vom Ansatz des AG her doch nahe gelegen. Oder habe ich ein Brett vorm Kopf?

Der Telefonkontakt zum Verteidiger – verwertbar oder nicht?

1896_telephoneDer Kollege Nozar hat mir vor einigen Tagen den OLG Saarbrücken, Beschl. v. 14.04.2014 – 1 Ws 53/14 – übersandt und dabei den Sachverhalt, der letztlich zum Beschluss geführt hat, kurz geschildert, und zwar wie folgt:

Der Kollege verteidigt einen Mandanten in einer Bedrohungssache. Das Verfahren ist gerichtlich anhängig. Der Mandant ruft ihn an und spricht mit ihm. Monate später ergeht gegen den Mandanten ein Haftbefehl wegen Verdacht der gefährlichen Körperverletzung, was nichts mit dem Mandat – Bedrohung zu tun hat. Der Kollege legt weitere (Haft)- Beschwerde ein und erhält nun den OLG, Beschluss, in dem er lesen muss:

Der Beschuldigte gehört dem sog. Rockermilieu an, in dem die besagte Tat sich ereignete. Die polizeiliche Analyse seines Mobiltelefons hat ergeben, dass er dieses entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten im Zeitraum vom ppppp. bis pppppp nicht nutzte und seine letzten telefonischen Kontakte zu seinem jetzigen Verteidiger und dem polizeilichen Erkenntnissen zufolge Präsident des pppppp bestanden, wobei festzuhalten ist, dass Hintergrund der Tat vom pppppp Differenzen zwischen dieser Rockervereinigung und dem pppp gewesen sein sollen (vgl. BI. 15 ff Register TKÜ). Dies lässt den Schluss zu, dass der Beschuldigte, dessen Telefonie auch ansonsten konspirativen Charakter hat, sich unmittelbar nach der Tat — evtl. auf anwaltlichen und „kollegialen“ Rat – in jeder Hinsicht ruhig verhalten wollte bzw. sollte, um seiner Ermittlung als möglicher Täter nicht Vorschub zu leisten.

Der Kollege ist über die Argumentation verwundert und fragt sich, ob es zulässig ist „diesen „Anrufkontakt“ mit dem Verteidiger überhaupt zu speichern bzw. zu verwerten ?“ Denn in dem Zeitpunkt bestand ja bereits ein Mandantsverhältnis aus der Bedrohungssache. Er hält dies für bedenklich, und zwar wegen des BGH, Beschl. v. 18.02.2014 – StB 8/13 (vgl. dazu Das abgehörte Anbahnungsgespräch – eine Entscheidung mit Folgen). Ich meine, er hat Recht. M.E. kann den „Telefonkontakt“ beim Rechtsanwalt/Verteidiger nicht als Indiz zu Lasten des Beschuldigten werten. Dem steht m.E. § 160a StPO entgegen.

Was mich wundert: Das OLG scheint die Problematik gar nicht gesehen zu haben. Jedenfalls findet man dazu nichts im Beschluss.

Ach so: Ich brauche keine Kommentare zur Frage, ob der Haftbefehl nicht auch ohne dieses „Indiz“ aufrechterhalten worden wäre. Darum geht es nicht.

Führt zulässiges Verteidigungsverhalten in die Sicherungsverwahrung?

entnommen wikimedia.org Urheber ComQuat

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Ich habe länger nicht mehr geschrieben: Darauf muss man erst mal kommen, beim BGH, Beschl. v. 04.02.2014 – 3 StR 451/13 – bin ich aber fast geneigt es zu tun. Nicht bezogen auf den BGH, Beschluss, sondern bezogen auf das ihm zugrunde liegende Urteil des LG Wuppertal, durch das der Angeklagte wegen schweren sexuellen Missbrauchs verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist. Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg, denn – so der BGH unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des GBA:

„Ein wesentliches Begründungselement der sachverständig beratenen Strafkammer für die Gefahr weiterer Straftaten ist eine beim Angeklagten vorliegende Externalisierung eigener Verantwortlichkeit dahingehend, dass er in der Hauptverhandlung zwar das äußere Tatgeschehen objek-tiv eingeräumt habe, im Übrigen aber gegenüber Gericht, Sachverständigen und seinem privaten Umfeld angab, zu den Taten von einem ‚Russen‘ gezwungen worden zu sein (UA S. 22 ff., 29 f., 38). Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht die Einlassung des Angeklagten im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose zu seinem Nachteil verwertet hat. Zulässiges Verteidigungsverhalten darf im Rahmen der Prüfung des § 66 StGB jedoch weder hang- noch gefahrbegründend verwertet werden (BGH NJW 1992, 3247; NStZ 2001, 595, 596; 2010, 270, 271; Senat, Beschl. v. 5. April 2011 – 3 StR 12/11 – Rn. 7; BGH, Beschl. v. 13. September 2011 – 5 StR 189/11 – Rn. 17). Anderenfalls wäre der Angeklagte gezwungen, seine Verteidigungsstrategie zu ändern, um der Anordnung von Sicherungsverwahrung zu entgehen (BGH StV 2002, 19; Beschl. v. 26. Oktober 2011 – 5 StR 267/11 – Rn. 6).“

Also, muss man erst mal drauf kommen, dass zulässiges Verteidigungsverhalten in die Sicherungsverwahrung führt. Und so ganz neu ist die Auffassung des  BGH, dass das unzulässig ist, ja nicht, wie die Zitate des GBA zeigen.