Archiv für den Monat: April 2014

Verteidiger plötzlich krank – dann Nachholung der Verfahrensrüge möglich

© Stefan Rajewski - Fotolia.com

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Was häufig im Revisionsrecht übersehen wird: I.d.R. wird keine Wiedereinsetzung zur sog. Nachholung von Verfahrensrügen gewährt. Das ist insbesondere dann misslich, wenn im Revisionsverfahren ein neuer Verteidiger die Verteidigung übernimmt. Davon gibt es im Grunde nur zwei Ausnahmen, nämlich einmal, dass dem Angeklagten die zur Begründung der Verfahrensrüge erforderliche Akteneinsicht nicht rechtzeitig gewährt worden ist und zum anderen eine plötzliche Erkrankung des Verteidigers. Auf den letzten Umstand weist der BGH, Beschl. v. 27.01.2014 – 1 StR 367/13 noch einmal hin:

Dem Wiedereinsetzungsgesuch liegt folgendes Geschehen zugrunde:

Nachdem der Angeklagte durch einen seiner beiden Verteidiger, Rechtsanwalt Sc. , fristgerecht Revision eingelegt hatte, wurde dem Angeklagten das Urteil am 13. April 2013 zugestellt. Bis zum Ablauf der Frist des § 345 Abs. 1 StPO am 13. Mai 2013 ging keine Revisionsbegründung ein. Am 23. Mai 2013 bat der weitere Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt N. , um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist und holte die bis dahin fehlende Begründung mit Schriftsatz vom 27. Mai 2013 u.a. mit der Erhebung zahlreicher Verfahrensrügen nach. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat Rechtsanwalt N. unter Vor-lage einer ärztlichen Bescheinigung vorgetragen, aufgrund einer bei ihm zwischen dem 8. und dem 18. Mai 2013 bestehenden, durch eine Zahnerkrankung bedingten Arbeitsunfähigkeit an der rechtzeitigen Erstellung der Revisionsbegründung gehindert gewesen zu sein.

Die Wiedereinsetzung war zu gewähren, weil der Angeklagte ohne sein Verschulden daran gehindert war, innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO sein Rechtsmittel unter Einschluss der zahlreichen Verfahrensrügen zu begründen. Wie der Senat bereits entschieden hat (Senat, Beschluss vom 14. August 1984 – 1 StR 322/84, NStZ 1985, 204), rechtfertigt eine kurz vor  Ablauf der Begründungsfrist eintretende Erkrankung des mit der Revisionsbegründung beauftragten Rechtsanwaltes ausnahmsweise die hier begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Erhebung (Nachholung) von Verfahrensrügen.“

Gebracht hat es nichts: Wiedereinsetzung ist zwar gewährt worden, aber die Revision hatte dann doch keinen Erfolg

Akteneinsicht a la AG Stuttgart: Es gibt die ganze Messbildreihe

© lassedesignen - Fotolia.com

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Nach längerer Zeit mal wieder etwas zur „Akteneinsicht“ im Bußgeldverfahren, nämlich bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung in die gesamte „Messbildreihe“. Das AG Stuttgart hat sie im AG Stuttgart, Beschl. v. 01.04.2014 – 11 OWi 575/14 – gewährt. Begründung:

Zwar ist die Messbildreihe nicht zur Akte genommen worden und damit nicht Aktenbestandteil im engeren Sinne, das Akteneinsichtsrecht des Betroffenen erstreckt sich jedoch auf alle Bild-, Video- und Tonaufnahmen, die für den Betroffenen als belastend oder entlastend von Bedeutung sein können. Die Messbildreihe muss dem Betroffenen deshalb zugänglich gemacht werden.

Es sind keine wichtiger Gründe ersichtlich, die einer Übersendung der Messbildreihe in Kopie auf einem Datenträger an den Verteidiger entgegenstehen. Datenschutzrechtliche Gründe stehen genauso wenig wie bei der Einsicht in die Messbildreihe bei der datenhaltenden Stelle vor Ort entgegen. Zwar ist der Verteidiger ortsansässig und eine Einsichtnahme vor Ort wäre ihm eher zuzumuten als einem auswärtigen Verteidiger, ihn aber allein aufgrund der räumlichen Nähe zu benachteiligen; ist nach Auffassung des Gerichtes nicht gerechtfertigt, zumal er vorgetragen hat, ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben zu haben, für das die Messbildreihe ebenfalls benötigt wird.

Nichts weltbewegend Neues, aber auch Fortschreibung einer bestehenden Rechtsprechung kann interessieren.

 

Belehrungsfehler III: Die (fehlende) Belehrung des potentiellen (Sekunden)Schläfers

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Ich hatte vor einiger Zeit über den OLG Nürnberg, Beschl. v. 04.07.2013 – 2 OLG Ss 113/13 – (vgl. dazu Belehrungsfehler I: Der verdichtete Tatverdacht) und den LG Saarbrücken, Beschl. v. 27.05.2013 – 6 Qs 61/13 (vgl. dazu Belehrungsfehler II: Das LG hebt auf, das AG hat nur durchgewunken) berichtet. Nun hat mich ein Kollege auf den LG Gießen, Beschl. v. 09.12.2013 – 7 Qs 196/13 – aufmerksam gemacht, der sich auch mit der Frage der Erforderlichkeit einer Belehrung befasst. Ausgangspunkt ist/war folgender Sachverhalt: Dem Beschuldigten wird ein Verstoß gegen §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB vorgeworfen. Er soll infolge Übermüdung (Sekundenschlaf) einen Auffahrunfall mit erheblichem Sachschaden verursacht haben. Deswegen ist dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis vom AG gem. § 111a StPO vorläufig entzogen worden. Der dringende Verdacht eines kurzzeitigen Einschlafens des Beschuldigten wird u.a. auf Angaben des Beschuldigten gegenüber einem POK X. gestützt, wonach er wohl kurz eingeschlafen zu sein. Die Beschwerde des Beschuldigten, mit der u.a. die Unverwertbarkeit dieser Angaben geltend gemacht worden ist, hatte keinen Erfolg

Das LG bejaht die Verwertbarkeit der Angaben des Beschuldigten gegenüber dem Polizeibeamten mit der Begründung: Auch wenn bei einem Auffahrunfall bereits aufgrund der Tatsache des Auffahrens gegen den Hintermann der Verdacht einer Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 1 Abs. 2, 4, 49 Abs. 1 Nr. 1 und 4 StVO, 24 StVG bestehen könne, begründe dieser allgemeine Verdacht noch keine Verpflichtung des Vernehmungsbeamten zur Belehrung gemäß §§ 136 Abs. 1, 163a Abs. 4 StPO schon vor der ersten Befragung des Auffahrenden. Die Beurteilung durch POK X., der davon ausgegangen sei, es gehe noch um Informationsgewinnung, sei nicht ermessenfehlerhaft oder missbräuchlich. Dies zeigte sich für das LG auch darin, dass er den Beschuldigten sofort nach dessen Äußerung zum Einschlafen gemäß § 136 Abs. 1 StPO belehrt hatte.

Eben kann man das m.E. nur sagen. Denn, wenn der Polizeibeamte den Beschuldigten nämlich sofort nach seiner Äußerung zum Einschlafen belehrt hat, dann spricht das m.E. dafür, dass sich auch schon vorher seine potentielle „Täterschaft“ bereits so verdichtet hatte, dass er nicht mehr nur „Auskunftsperson“ war, sondern bereits als Tatverdächtiger im Raum stand. Und das losgelöst vom Vorwurf des Strafverfahrens mit einem Verstoß gegen § 315c StGB, sondern ggf. auch und vor allem wegen des Vorwurfs einer Ordnungswidrigkeit nach §§ 1 Abs. 2, 4, 49 Abs. 1 Nr. 1 und 4 StVO, 24 StVG. Insoweit hätte er auf jeden Fall belehrt werden müssen. Die Entscheidung des LG legt daher m.E. die „Belehrungsschwelle“ zu weit nach hinten. Anders und richtig das LG Saarbrücken in der o.a. Entscheidung.

Pflichti X: Der „prozessökonomisch“ arbeitende Pflichtverteidiger

RVG KasseDer „prozessökonomisch“ arbeitende Pflichtverteidiger bekommt eine Pauschgebühr bzw. eine prozessökonomische Tätigkeit des Pflichtverteidigers kann bei der Bemessung einer Pauschgebühr  berücksichtigt werden. So das OLG Hamm im OLG Hamm, Beschl. v. 27.03.2014 –  5 RVGs 8/14. Das ist allerdings keine neue Rechtsprechung, sondern ist so oder ähnlich schon früher vom OLG Hamm und auch anderen OLG vertreten worden (vgl. dazu OLG Hamm StraFo 2005, 173 = AGS 2005, 112; NJW 2006, 75 = JurBüro 2006, 138 = StV 2006, 203; JurBüro 2005, 535; OLG Karlsruhe RVGreport 2005, 315= StV 2006, 205 = NStZ-RR 2005, 286). Allerdings haben die OLG früher darauf abgestellt, dass zusätzlicher zeitlicher Aufwand erforderlich, um den Umstand, dass der Pflichtverteidiger zur Abkürzung des Verfahrens beigetragen hat, berücksichtigen zu können. Dazu führt das OLG jetzt – ausdrücklich – nichts mehr aus. da heißt es nur:

„Hinsichtlich der Bemessung der Pauschgebühr ist zu bemerken, dass – worauf auch der Vertreter der Staatskasse bereits zutreffend hingewiesen hat der Senat entsprechend seiner gefestigten Rechtsprechung die offenbar prozessökonomische Tätigkeit des Antragstellers berücksichtigt hat. So hat ich der ehemalige Angeklagte geständig eingelassen und die Hauptverhandlung konnte an nur einem Tat durchgeführt  werden.“

Grundsätzlich ok, aber: Geständige Einlassung des Angeklagten – das ist „Prozessökonomie“ an anderer Stelle. Aber das OLG meint sicherlich, dass der Pflichtverteidiger dem Angeklagten zu „prozessökonomischen“ Verhalten geraten hat…..

Pflichti 9: Unterhaltspflichtverletzung, dann Pflichtverteidiger?

© froxx - Fotolia.com

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Die Verteidigung gegen den Vorwurf der Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170 StGB) kann schwierig sein. Aber dem LG Kleve war sie in einem solchen Verfahren noch nicht schwierig genug, um einen Pflichtverteidiger beizuordnen. Jedenfalls nicht, wenn „ordnungsgemäß“ gearbeitet wird, sagt der LG Kleve, Beschl. v.  03.04.2014 – 120 Qs-401 Js 948/13-33/14 12 Ds 887/13:

„Die Beschwerde ist unbegründet, weil die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gemäß § 141 StPO nicht vorliegen. Die Kammer schließt sich auch in der Begründung den zutreffenden Erwägungen des mit der Beschwerde angegriffenen Beschlusses an. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine günstigere Entscheidung. Zwar kann es bei der Beurteilung von Unterhaltspflichtverletzungen gemäß § 170 StGB – etwa bei Selbständigen und Schwarzarbeitern – zu erheblichen Problemen kommen. Dies ist aber nicht immer der Fall; es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles an. Dass die Schwere der Tat – trotz der vielen Vorstrafen – hier keine Pflichtverteidigerbeiordnung erfordert, lässt sich schon daran ablesen, dass es zu einer vorläufigen Einstellung gemäß § 153a StPO kam. Besondere Schwierigkeiten der Sach- und Rechtslage sind auch nicht ersichtlich. Die Anklage umfasst nur wenige Zeilen. Die grundsätzliche Einstandspflicht für das eheliche Kind (Auszubildender B.) ist offenkundig und durch das Urteil des Familiengerichts (Regelbetrag) geklärt. Im Wesentlichen war nur die Leistungsfähigkeit des Angeklagten zu klären. Das war relativ übersichtlich, weil der Angeklagte ohne Besonderheiten als ordnungsgemäß angemeldeter Lagerarbeiter tätig war bzw. ALG II bezog.“