Archiv für den Monat: Oktober 2012

Das sollte man aber wissen; oder: Die Täteridentifizierung anhand eines Lichtbildes

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Manche Entscheidungen verstehe ich nicht. So den OLG Koblenz, Beschl. v. 21.09.2012 – 2 SsBs 54/12, den mir ein Kollege übersandt hat. Da habe ich aber keine Problem mit dem OLG-Beschluss, denn der ist richtig, sondern mit der zugrunde liegenden amtsgerichtlichen Entscheidung.

Es geht um die bekannte Problematik der Täteridentifizierung anhand eines Lichtbildes. Eine seit Jahren „ausgekaute“ Problematik, die einem Amtsrichter, der Bußgeldsachen macht, bekannt sein sollte. War sie aber wohl nicht – was mich erstaunt, denn die den Fragen zugrunde liegende BGH-Entscheidung BGHSt 41, 376 stammt aus dem Jahr 1995 (!!) und ist von den OLG seitdem immer wieder übernommen worden. Warum man dann als Tatrichter immer noch Fehler macht, ist unverständlich.

So allerdings beim AG Linz. Da war nicht ordnungsgemäß auf das vom Verkehrsverstoß gefertigte Lichtbild Bezug genommen worden mit der Folge, dass der Amtsrichter dass dann die Feststellungen des Amtsrichters nicht ausreichend. Dazu noch einmal das OLG:

„Die Feststellungen im Urteil vom 13.03.2012 sind lückenhaft und entsprechen nicht den Anforderungen der §§ 261, 267 Abs. 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG. Die Urteilsgründe lassen nicht in rechtlich überprüfbarer Weise erkennen, ob die vom Sachverständigen oder vom Bußgeldrichter selbst durch Vergleich des Tatfotos mit dem Gesicht des Betroffenen, vorgenommene Identifizierung eine tragfähige Grundlage für die richterliche Überzeugungsbildung ist (vgl. Senat, Beschluss vom 02.10.2009 – 2 SsBs 100/09 – zitiert nach juris). Hat der Tatrichter den Betroffenen anhand eines bei einer Verkehrsüberwachungsmaßnahme gefertigten Lichtbildes als Fahrer identifiziert, müssen die Urteilsgründe so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Beweisfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen (Senat a.a.O., Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 71 Rdnr. 47a m.w.N.). Die Urteilsfeststellungen enthalten insoweit keinerlei Ausführungen zur Bildqualität des Messfotos und beschreiben die abgebildete Person oder mehrere charakteristische ldentifizierungsmerkmale nicht so präzise, dass dem Rechtsbeschwerdegericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei der Betrachtung des Fotos die Prüfung ermöglicht wurde, ob dieses zur Identifizierung generell geeignet ist (vgl. Göhler a.a.O.).

Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass das Messfoto nur Teile des Gesichts des Fahrers wiedergibt. Anhand der weiteren Beschreibung erschließt sich nicht, welche Teile des Gesichts durch Hand- und Wageninnenspiegel verdeckt werden und welche Gesichtspartien noch erkennbar sind (UA S. 3). Angaben zur Bildqualität im Übrigen enthält das Urteil nicht.

Eine Bezugnahme gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG liegt hinsichtlich des Messfotos ebenfalls nicht vor. Die Verweisung im Sinne von § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO muss grundsätzlich prozessordnungsgemäß sein, Zweifel am Vorliegen einer Verweisung müssen ausgeschlossen sein; die bloße Mitteilung der Fundstelle und die Mitteilung, das Lichtbild sei in Augenschein genommen worden, genügen hierzu nicht (Göhler a.a.O., § 71 Rdnr. 47b m.w.N.).

Die Urteilsausführungen enthalten keine über die reine Mitteilung der Fundstelle und der Inaugenscheinnahme hinausgehenden Feststellungen (UA S. 3 oben). Eine prozessordnungsgemäße Bezugnahme liegt nicht vor; eine eigene Würdigung durch das Rechtsbeschwerdegericht scheidet insoweit aus.

Ob und inwieweit das vom Bußgeldrichter zum Vergleich herangezogene Lichtbild bzw. Lichtbilder zur Identifizierung geeignet sind, kann somit anhand der Urteilsfeststellungen durch das Rechtsbeschwerdegericht im vorliegenden Fall nicht geprüft werden. Das gilt auch soweit der Bußgeldrichter seine Überzeugung überdies auf das Gutachten eines Sachverständigen gestützt hat. Hat der Sachverständige im Rahmen seiner Gutachtenerstattung auch Lichtbilder ausgewertet, muss dem Rechtsbeschwerdegericht in der oben beschriebenen Weise – prozessordnungsgemäße Verweisung auf ein Lichtbild oder Beschreibung – die Nachprüfung ermöglicht werden, ob die Lichtbilder für eine Überzeugungsbildung überhaupt geeignet sind (OLG Bamberg, NZV 2008, 211 m.w.N.). Daran fehlt es hier.“

Wie gesagt: Unverständlich. Zumal zu der Problematik in allen Handbüchern und Kommentaren dasselbe steht. Muss man nur nachlesen

 

Themen des 51. VGT 2013 – nicht unbedingt Knaller

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Inzwischen sind auf der Homepage der Deutschen Verkehrsakademie die Themen des 51. VGT 2013 veröffentlicht worden. Nicht unbedingt Knaller, allerdings darf man zu AK IV gespannt sein, was dabei herauskommt. Auch KG V – Reform des Punktesystems ist ganz interessant, wenn denn das Ministerium bis zum 51. VGT überhaupt schon einen Gesetzesentwurf vorgelegt hat. Aber wie man hört, soll der im November kommen. Dann wird es im Hinblick auf die Wahl 2013 aber auch Zeit.

Arbeitskreis I:   Erwerbsschadensermittlung bei Verletzung vor oder kurz nach dem  Berufseinstieg

– Schätzungsgrundlagen

– Durchschnittseinkommen und Pauschalierung – Anforderungen an die Darlegung

Leitung: Dr. Hans-Joseph Scholten, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht

Düsseldorf, 1. Zivilsenat, Düsseldorf

Referent:        Sebastian Debudey, Abteilung Schaden K und H/U/S zentral, HUK-COBURG, Coburg

Referent: Nicolas Eilers, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht, Groß-Gerau

Referent: Hans-Peter Freymann, Präsident des Landgerichts, Saarbrücken

Arbeitskreis II:           Minderjährigenschutz versus Schutz der anderen Unfallbeteiligten – zwei sich ausschließende Prinzipien?

– Reichweite des gesetzlichen Kinderschutzes – Ansprüche der durch Kinder Geschädigten

– Lösungsansätze im europäischen Vergleich

Leitung: Dr. Meo Micaela Hahne, Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof a.D., Heidelberg

Referent: Paul Kuhn, Rechtsanwalt, Referent für Schaden- und Unfallversicherung, ADAC e.V., München

Referent:  Herbert Lang, Rechtsanwalt, Leitung Abt. Kraftfahrt-Schaden, Allianz Versicherungs-AG, München

Referentin: Dipl. Psych. Dipl. Heilpäd. Cordula Neuhaus, Therapiezentrum für Menschen mit ADHS, Esslingen am Neckar

Arbeitskreis III: Aggressivität im Straßenverkehr

– Ursachen und Folgen

– Regelkonformes Verhalten – Prävention und Intervention

Leitung: Dr. Horst Schulze, Direktor und Professor, Leiter der Abteilung U,

Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach

Referent: Prof. Dr. Manfred Bornewasser, Institut für Psychologie, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

Referent: Prof. Dr. Gerrit Manssen, Fakultät für Rechtswissenschaften, Universität Regensburg

Referent: Holger Randel, Vorsitzender Richter am Landgericht Hamburg, Kleine Strafkammer 8, Hamburg

Arbeitskreis IV:             Geschwindigkeitsmessungen im Straßenverkehr

– Anforderungen an die Nachvollziehbarkeit

– Akteneinsichtsrechte

– Standardisierte Messverfahren

Leitung: Jürgen Cierniak, Richter am Bundesgerichtshof, 4. Strafsenat, Karlsruhe

Referent:    Johann-Markus Hans, Polizeidirektor, Deutsche Hochschule der Polizei, Münster

Referent:    Jost Henning Kärger, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Stellv. Leiter Verkehrsrecht

Juristische Zentrale, ADAC e.V., München

Referent: Thomas Olbermann, Richter am OLG Bamberg, 3. Strafsenat (zugleich Senat für

Bußgeldsachen), Bamberg

Referent: Dipl.-Phys. Klaus Schmedding, Sachverständiger, öbuv Messsysteme, Oldenburg

Arbeitskreis V: Reform des Punktsystems

– Bewertung, Eintragung, Tilgung

Leitung: Prof. Dr. em. Klaus Geppert, Berlin

Referent:        Dr. Frank Albrecht, Regierungsdirektor, Referatsleiter LA 23, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin

Referent: Dr. Peter Dauer, Leitender Regierungsdirektor, Leiter der Abteilung Grundsatzangelegenheiten des Straßenverkehrs, Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Inneres und Sport, Hamburg

Referentin: Dr. Daniela Mielchen, Rechtsanwältin, Hamburg

Referent: Dietmar Zwerger, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht München, 5. Kammer, München

 

Betrunkene Seniorin im Rennen mit der Polizei

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Wo ordnet man diese Meldung ein, auf die ich gerade in der Tagespresse gestoßen bin: Im Elektro-Rollstuhl auf der Straße: Betrunkene flüchtet vor Polizei.

Ist es kurios oder erschreckend? Wohl eher erschreckend.

Jedenfalls sicherlich nicht alltäglich, wenn sich eine 74-jährige Rentnerin in einem Elektrorollstuhl mit der Polizei ein Rennen liefert und dabei dann auch noch 1,74 Promille hat. So geschehen aber am Wochenende in Wolfsburg (vgl. hier der Bericht in den Wolfsburger Nachrichten).

Und was ist es strafrechtlich? Der Elektrorollstuhl dürfte eine Fahrzeug sein. § 24 STVO greift nicht. Daher liegt dann 3 316 StGB nahe.

Toilettenreinigung ist Vollarbeit

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In dem zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehenen BGH, Beschl. v. 12.09.2012 – 5 StR 363/12, über den auch schon an anderer Stelle berichtet worden ist, der jetzt aber im Volltext vorliegt, geht es dem Leitsatz nach zunächst ganz unspektakulär um die Frage, wann eine ausdrückliche Beauftragung i.S. von § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB vorliegt. Und die Entscheidung hat dann auch „nur “ einen „Zu-Leitsatz“. Den gibt es immer/oft, wenn sich die eigentliche Aussage einer Entscheidung nur schwer fassen lässt.

In der Entscheidung geht es dann aber auch in Zusammenhang mit dem Vorwurf des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt dann aber – und insoweit dann schon „spektakulärer“ bzw. berichtenswert um die Frage, ob die Tätigkeit von sog. „Toilettenfrauen“ Tätigkeit i.S. der Mindestlohnvereinbarung für Gebäudereiniger und ob die gesamte Zeit, in der die Tätigkeit ausgeübt ist „Arbeitszeit“ ist., Beides ist vom 5. Strafsenat bejaht worden. Zur Arbeitszeit:

b) Die von den bei der A. angestellten Reinigungskräften in den Toilettenanlagen zugebrachte Zeit ist in vollem Umfang Arbeitszeit. Ihre Tätigkeit dort hat das Landgericht nicht nur als eine (unter Umständen geringer vergütbare – vgl. BAG EzA BGB 2002, § 611 Arbeitsbereitschaft Nr. 4) Arbeitsbereitschaft, sondern als Vollarbeit gewertet. Nach der Rechtsprechung unterscheidet sich die Arbeitsbereitschaft, die in Zeiten wacher Aufmerksamkeit im Zustand der Entspannung geleistet wird (BAG, Urteil vom 17. Ju-li 2008 – 6 AZR 505/07, PersV 2009, 27; BAGE 109, 254, 260) von der Vollarbeitsleistung, die von dem Arbeitnehmer eine ständige Aufmerksamkeit und Arbeitsbelastung verlangt. Letzteres trifft auf die Toilettenpflege in Warenhäusern zu. Eine bloß wache Aufmerksamkeit umschreibt das Anforderungsprofil nur unzureichend, weil die Reinigungskraft im Blick auf den in denToilettenanlagen herrschenden erheblichen Besucherverkehr eine ständige Kontrollaufgabe zu bewältigen hat, die nach den Feststellungen des Landgerichts durch ständige Nachreinigungen immer wieder unterbrochen wurde. Mithin liegt auch keine den Arbeitnehmer weniger beanspruchende bloße Arbeitsbereitschaft vor, weil die hierfür typischen Phasen der Entspannung (vgl. BAG aaO) fehlen. Deshalb hat das Landgericht das Aufgabenfeld der Arbeitnehmer der A. rechtsfehlerfrei als der Vollarbeit „Toilettenreinigung“ unterfallende Tätigkeit gewertet, zumal die Beschäftigten gerade nicht – wie von der Verteidigung behauptet – die Möglichkeit einer freien Zeiteinteilung und die Gelegenheit zur Erledigung ihrer eigenen Angelegenheiten hatten.

Ich denk: Recht hat er, der BGH.

Auch beim zweiten Mal hat das Urteil beim BGH nicht „gehalten“.

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Das liest man nicht so häufig: Eine zweite Aufhebung durch den BGH. So aber nachzulesen im BGH, Beschl. v. 25.09.2012 –  5 StR 372/12. Der BGH hebt in dem Beschluss zum zweiten Mal die Verurteilung eines Angeklagten u.a. wegen Raubes auf, und zwar wegen Mängeln in der Beweiswürdigung. Dabei stützt sich der BGH vornehmlich auf die fehlerhafte Bewertung einer Lichtbildvorlage gegenüber einer Zeugin.

„aa) Die Strafkammer hat nicht hinreichend bedacht, dass der Identifizierung des Angeklagten durch die Zeugin Sc. aufgrund erheblicher Mängel der Wiedererkennungsleistung nur ein äußerst geringer Beweiswert zukommt. Dieser ist – was die Strafkammer im Grundsatz richtig erkannt hat – bereits dadurch stark herabgesetzt, dass die Zeugin den Angeklagten lediglich auf einer Einzelbildvorlage erkannt hat (vgl. BGH, Urteil vom 19. November 1997 – 2 StR 470/97, BGHR StPO § 261 Identifizierung 13; Beschluss vom 18. August 1993 – 5 StR 477/93). Dieser Umstand wiegt um so schwerer, als die Zeugin – was das Landgericht ebenfalls im Grundsatz nicht verkannt hat – den Angeklagten weder in der sequentiellen Lichtbildvorlage noch in der Videowahlgegenüberstellung identifizieren konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 – 5 StR 439/08, BGHR StPO § 261 Identifizierung 17), da dies Zweifel an ihrer Fähigkeit zur Wiedererkennung des Täters weckt und zusätzlichen Anlass zu der Annahme gibt, die Zeugin könnte durch den mit der Einzellichtbildvorlage verbundenen suggestiven Effekt beeinflusst worden sein…“

Damit ist dann ein Pfeiler der landgerichtlichen Beweiswürdigung entfallen:

„Angesichts des danach gravierend verringerten Beweiswerts der Identifizierungen des Angeklagten, auf die das Landgericht seine Überzeugung maßgeblich stützt, fehlt es insgesamt an einer ausreichenden Tatsachengrundlage, die den Schluss auf die für die Überzeugungsbildung erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit der Täterschaft des Angeklagten zuließe. Die übrigen von der Strafkammer angeführten Gesichtspunkte vermögen auch in ihrer Gesamtheit nicht mehr als einen Verdacht zu begründen…“

Man fragt sich natürlich: Hätte die Strafkammer das wissen können bzw. ergaben sich aus der ersten Revisionsentscheidung Hinweise? M.E. wohl kaum, denn da hatte sich der BGH in seinem BGH, Beschl. v. 10.11.0211 – 5 StR 397/11 – mit einer ganz anderen Frage befasst. Nämlich mit der Ablehnung eines Beweisantrages wegen Bedeutungslosigkeit. Die Beweiswürdigung im Übrigen hatte der BGH nicht angesprochen.

Es geht dann jetzt in die 3. Runde.