Archiv für den Monat: April 2012

50.000 € Schmerzensgeld nach einem Mord nicht zu viel…

Das OLG Bremen hat im OLG Bremen, Beschl. v. 16.03.2012 – 3 U 6/12 PKH für eine Berufung verweigert, mit der der der Beklagte ein vom LG Bremen festgesetztes Schmerzensgeld von 50.000 € auf 25.000 € reduzieren wollte. Ausgangspunkt war eine Verurteilung des Beklagten wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung unter Berücksichtigung verminderter Schuldfähigkeit zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren. Das LG hat das von ihm festgesetzte Schmerzensgeld wie folgt begründet:

Zur Begründung der Verurteilung hat das Landgericht ausgeführt, dass der Beklagte der Tochter der Klägerin vorsätzlich Verletzungen zugefügt habe, aufgrund derer die Tochter der Klägerin verstorben sei. Zwar sei zu beachten, dass nach dem Gesetzeswortlaut nur die Körper- und Gesundheitsverletzung, nicht aber die Vernichtung des Lebens als solche Schmerzensgeldansprüche auslösen könne. Nach den sachverständigen Ausführungen stehe aber fest, dass die Tochter der Klägerin nach dem ersten Würgeangriff das Bewusstsein wiedererlangt habe. Sie sei für einen nennenswerten Zeitraum bei vollem Bewusstsein gewesen und habe die ihr zugefügten Verletzungen – insbesondere auch die schwere Afterverletzung – vollständig wahrgenommen.

Für die Bemessung des Schmerzensgeldes sei ausschlaggebend, dass die Tochter der Klägerin nach dem Würgeangriff nicht nur starke Schmerzen und erhebliche Verletzungen durch den Beklagten erlitten, sondern insbesondere auch aufgrund des als sicher erkannten Todeseintritts eine Todesangst ausgestanden habe. Eine Einschränkung der Wahrnehmungsfähigkeit des Beklagten aufgrund Alkoholisierung oder sonstiger Stoffe könne nach den Sachverständigenangaben ausgeschlossen werden. Der relativ kurze Zeitraum des Überlebens sei angesichts der vorsätzlichen und mit Misshandlungen verbundenen Tat kein taugliches Bemessungskriterium für das Schmerzensgeld und trete völlig hinter die Kombination aus verletzungsbedingtem Schmerz und der Angst vor dem als vom Beklagten beabsichtigt erkannten Tod zurück. Durch diese Kombination hebe sich der Fall von anderen Vergleichsfällen aus den Schmerzensgeldtabellen ab und rechtfertige eine Verurteilung in der tenorierten Höhe. „

Das OLG hat das „gehalten: Bei einer vorsätzlich begangenen gefährlichen Körperverletzung, die zum Tode der Geschädigten führt, trete bei der Bemessung des Schmerzensgeldes die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes hinter dessen Genugtuungsfunktion zurück. Nach den Umständen des Einzelfalls könen deshalb ein Schmerzensgeld von € 50.000,00 auch dann angemessen sein, wenn die Geschädigte die Verletzungshandlung lediglich für einen kurzen Zeitraum (hier ca. 30 Minuten) überlebt, sie jedoch die ihr zugefügten schweren Verletzungen und Schmerzen bewusst und in Todesangst wahrnehme.

Piraten scheitern in Karlsruhe – doch kein Karfreitagstanz

Der Kollege Kompa, der eine Tanzpartnerin sucht (vgl. hier), hat über das Vorhaben der hessischen Piraten berichtet, gegen das Tanzverbot am Karfreitag vorzugehen (auf die Idee käme man in Münster nie 🙂 ;-). Die Kollegen von de lege lata sind das Ganze mal grundsätzlich angegangen.

Jetzt lese ich gerade, dass die Piraten in Karlsruhe wegen eines Formfehlers keinen Erfolg hatten. Sie hätten zunächst den hessischen Verwaltungsgerichtshof anrufen müssen. Tja, das kommt dabei heraus, wenn man gleich so hoch hinaus will :-).

Der enttäuschte Richter und der „Beklagte, der den Schwanz einzieht“

Der Lawblog und der Kollege Blaufelder haben gestern schon über OLG Stuttgart, Beschl. v. 29.3.2012, 14 W 2/12 berichtet, in dem es um die Frage der Besorgnis (!!) der Befangenheit, allerdings im Zivilverfahren (§ 42 ZPO),  ging.

Zur Prüfung stand eine Äußerung des Vorsitzenden der Zivilkammer. Der hatte, nachdem der Geschäftsführer der Beklagten nicht zum Termin erschienen und sein Fernbleiben durch den Beklagtenvertreter mit „dringenden Angelegenheiten“ begründet worden war, geäußert, dass der Geschäftsführer der Ladung des Gerichts hätte Folge leisten und sich der Auseinandersetzung oder Diskussion stellen sollen, statt den „Schwanz einzuziehen“.

Das OLG sieht mit dieser Äußerung die Besorgnis der Befangenheit nicht begründet, und zwar weil:

Zwar stellt die beanstandete Äußerung („Schwanz einziehen“) eine – wie der abgelehnte Richter in seiner dienstlichen Stellungnahme vom 5. Dezember 2011 (GA 63) selbst einräumt – „saloppe bis derbe Redensart“ dar. Die Äußerung darf jedoch nicht isoliert betrachtet werden; vielmehr kommt es auf den Zusammenhang an, in dem sie gefallen ist (vgl. OLG Hamburg, NJW 1992, 2036).

 So ist die Äußerung ersichtlich von der Enttäuschung des abgelehnten Richters darüber geprägt, dass der für eine nach § 278 Abs. 1 ZPO angestrebte wirtschaftliche Gesamtlösung unerlässliche Gesellschafter-Geschäftsführer der Beklagten, dessen persönliches Erscheinen zu dem – immerhin mit dreimonatiger Vorlaufzeit anberaumten – Termin vom 24. November 2011 angeordnet worden war, nicht zum Termin erschienen war.

Dies manifestiert sich nicht zuletzt darin, dass der abgelehnte Richter – ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 24. November 2011 (GA 52 f.) – den Parteien mitgeteilt hat, dass nach seiner Auffassung der hiesige Rechtsstreit nicht die eigentliche Ursache der Auseinandersetzung betreffe. Diese liege vielmehr in dem Streit zwischen den beiden Gesellschaftern über die Trennungsvereinbarung begründet, weswegen es angezeigt sei, eine gütliche Einigung hierüber anzustreben.“

Ok, natürlich muss ich eine Äußerung immer im Gesamtzusammenhang sehen. Ab – darauf wird im Strafverfahren in der Rechtsprechung des BGH übrigens auch abgestellt. Aber: Ist die vom OLG als „saloppe bis derbe Redensart“ zugelassene Begründung nicht ein wenig dünn? Die Äußerung ist „ersichtlich von der Enttäuschung des abgelehnten Richters darüber geprägt, dass …“? Das trägt m.E. nicht. Ein Richter hat nicht enttäuscht zu sein und wenn, dann hat er seine Enttäuschung zu (er)tragen. Jedenfalls berechtigt sie ihn m.E. nicht zu einer „saloppen und derben Redensart“.

Und wenn man sich schon so äußert, dann sollte man aber auch die Möglichkeit einer Entschuldigung sehen/ergreifen: Aber dazu hat es nicht gereicht. Denn – so heißt es im Beschluss:  „In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass der abgelehnte Richter auch in der Folge – und somit nach reiflicher Überlegung – an seiner unangemessenen Äußerung festgehalten habe (aaO).“ Eben, spätestens da war Schluss.

Mich hat die Entscheidung jedenfalls erstaunt und ich habe mich gefragt, wie wohl reagiert würde, wenn eine enttäuschte Partei geäußert hätte, das „Gericht ziehe den Schwanz ein. §§ 176 ff. GVG lassen grüßen. Mir sind übrigens bei den Aktualisierungsarbeiten für meine beiden Handbücher, Hauptverhandlung und Ermittlungsverfahren, mehrere so großzügige Entscheidungen begegnet. Also starten wir demnächst mal eine Reihe: Was ein Gericht alles sagen darf.

Und schon wieder: Fernwirkung der Absprache

Nachdem der BGH in der ersten Zeit nach Inkrafttreten der Verständigungsregelung im August 2009 den neuen Vorschriften eine Kontur gegeben hat, beschäftigt er sich derzeit in verstärktem Maße mit den Fernwirkungen der Absprache/Verständigung (vgl. z.B. auch hier). Dabei geht es meist um die Konstellation, dass von mehreren an einer Tat beteiligten Tätern einer oder einige einer Verständigung zugestimmt haben, andere jedoch nicht. Gegenüber letzteren werden dann die Angaben derjenigen verwendet, mit denen eine Verständigung zustande gekommen ist. So auch in BGH, Beschl. v. 06.03.2102 -1 StR 17/12. Dann ist immer auf die Beweiswürdigung zu achten:

„Die Revision trägt in diesem Zusammenhang zutreffend vor, dass sich im Verlauf der Hauptverhandlung beide Angeklagte S. nach entsprechenden Gesprächen mit einem vom Gericht für den Fall von Geständnissen genannten Strafrahmen einverstanden erklärten (§ 257c StPO) und noch vor der Abtrennung des Verfahrens gegen K. S. Erklärungen zur Sache abgaben. Der Angeklagte und sein Verteidiger hatten demgegenüber eine Verständigung abgelehnt.
c) Es ist jedenfalls in der Regel geboten, in die Würdigung einer entscheidungserheblichen Aussage eines Tatbeteiligten eine vorangegangene oder im Raum stehende Verständigung in dem gegen ihn wegen desselben Tatkomplexes durchgeführten Verfahren – gleichgültig, ob es Teil des Verfah-rens gegen den Angeklagten oder formal eigenständig ist – erkennbar einzube-ziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2012 – 1 StR 349/11; Beschluss vom 9. Februar 2012 – 1 StR 438/11; Beschluss vom 6. November 2007 – 1 StR 370/07, BGHSt 52, 78, 82 f. mwN) und nachvollziehbar zu behandeln, ob der Tatbeteiligte im Blick auf die ihn betreffende Verständigung irrig glauben könnte, eine Falschaussage zu Lasten des Angeklagten sei für ihn besser als eine wahre Aussage zu dessen Gunsten (BGH aaO). Gründe des Einzelfalls, die derartige Erörterungen hier gleichwohl entbehrlich erscheinen ließen, sind nicht ersichtlich.“

Überforderte Ermittler befeuern Lynchjustiz-Mob… Emden und danach…

Unter der Überschrift „Überforderte Ermittler befeuern Lynchjustiz-Mob“ beleuchtet der Kollege Strate bei der LTO die Ereignisse in Emden um die Festnahme des ersten „Tatverdächtigen“. Inzwischen habe sich, was ja ein wenig tröstet, einige Emder Bürger bei dem 17-Jährigen entschuldigt (vgl. hier).