Archiv für den Monat: Januar 2012

Pflichtverteidiger im Bußgeldverfahren – einfach macht man es sich in Lübeck

Ich hatte ja vor einigen Tagen über die vom Kollegen Bella „erstrittene“ Entscheidung des AG Ahrensburg berichtet (vgl. hier), in der die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Bußgeldverfahren abgelehnt worden war. Der Kollege hatte Beschwerde eingelegt. Er hat jetzt Nachricht aus Lübeck und hat mir die Beschwerdeentscheidung zur Verfügung gestellt (vgl. auch hier beim Kollegen). Das LG Lübeck, Beschl. v. 10.01.2012 – 4 Qs 7/12 macht es sich m.E. (zu) einfach, wenn es dort nur heißt:

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat das Amtsgericht in dem angefochtenen Beschluss die Beiordnung eines Pflichtverteidigers für das Bußgeldverfahren abgelehnt. Die Voraussetzungen der §§ 46, 60 OWiG, 140 Abs. 2 S. 1 StPO sind nicht erfüllt. Die dem Betroffenen unmittelbar drohenden Rechtsfolgen begründen ebenso wenig die Schwere der Tat wie die ihm mittelbar drohende Folge der Entziehung der Fahrerlaubnis. Auch eine die notwendige Mitwirkung eines Verteidigers gebietende schwierige Sach-und Rechtslage liegt nicht vor. Diese ergibt sich auch nicht aus der zwischen Gericht und Verteidigung geführten Auseinandersetzung um die Beiziehung und Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung des Messgeräts.“

Eine Auseinandersetzung mit den Argumenten und eine Begründung der Ablehnung ist das in meinen Augen nicht.

Strafzumessung: Besitz der Waffe beim Waffenbesitz – ist Doppelverwertung

Das OLG Hamm, Beschl. v. 18.10.2011 – III-3 RVs 78/11 hebt den Rechtsfolgenausspruch eines amtsgerichtlichen Urteils auf, durch das der Angeklagte „wegen des unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition“ zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzte worden ist, verurteilt worden ist. Dazu das OLG:

Die Überprüfung des Schuldspruchs aufgrund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Rechtsfolgenausspruch erweist sich hingegen in mehrfacher Hinsicht als materiell-rechtlich fehlerhaft.

Zur konkreten Strafzumessung enthält das angefochtene Urteil keine eigenständige Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte. Lediglich die Entscheidung, der konkreten Strafzumessung nicht den nach § 52 Abs. 6 WaffG für minder schwere Fälle vorgesehenen Strafrahmen, sondern den Regelstrafrahmen des § 52 Abs. 1 WaffG zugrundezulegen, hat das Amtsgericht näher begründet. Hierbei hat es neben der strafrechtlichen Vorbelastung Folgendes zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt:

„(…) Im Gegenteil lassen der Besitz der Waffe und die Bereitschaft, bei einer Auseinandersetzung mit vormals jugoslawischen Landsleuten auch kriminelle Mittel in Form zumindest des Bereithaltens einer ,scharfen‘ Waffe einzusetzen, auf Kontakte zu kriminellen Kreisen und eine kriminelle Grundeinstellung schließen. (…)“

Die Erwägung, der Angeklagte habe die in Rede stehende Pistole bei einer Auseinandersetzung mit Landsleuten bereitgehalten, findet in den Urteilsfeststellungen keine Grundlage. Dort ist zwar von einer tätlichen Auseinandersetzung mit dem Zeugen T am 17. Januar 2010 – zwölf Tage vor dem Auffinden der Schusswaffe im Besitz des Angeklagten – die Rede. Dass der Angeklagte sich bereits am 17. Januar 2010 im Besitz der Pistole befand, lässt sich den Feststellungen indes nicht entnehmen. Anhaltspunkte für Kontakte des Angeklagten zu kriminellen Kreisen lassen sich den Urteilsfeststellungen ebenfalls nicht entnehmen. Vor diesem Hintergrund begründet die oben wiedergegebene Formulierung in den Urteilsgründen die Besorgnis, dass das Amtsgericht letztlich den Besitz der Schusswaffe als solchen strafschärfend berücksichtigt und damit gegen das in § 46 Abs. 3 StGB ausgesprochene Verbot, Umstände, die schon Merkmal des gesetzlichen Tatbestands sind, bei der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigen (Doppelverwertungsverbot), verstoßen hat.“

Das mit dem Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB) ist eben nicht einfach.

Blutentnahme: Mit 4,02 Promille noch einwilligungsfähig…? jedenfalls beim OLG Jena

© Shawn Hempel - Fotolia.com

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Die Flut der Entscheidungen zum Richtervorbehalt und zum Beweisverwertungsverbot bei dessen Verletzung ist abgeebbt, aber hin und wieder gibt es dann doch noch Entscheidungen, über die man berichten kann/sollte/muss. So das OLG Jena, Beschl. v. 06.10.2011 – 1 Ss 82/11, in dem das OLG (auch) zur Frage der Einwilligungsfähigkeit des Angeklagten Stellung genommen hat, und zwar auf folgender Grundlage:

„Nachdem die Polizeibeamten in Person der Zeugen POM S und POM D vor Ort erschienen waren, begaben sie sich zu dem Fahrzeug des Angeklagten, wo sie ihn sitzend und rauchend antrafen. Sie machten sich an der Fahrertür ihm bemerkbar, stellten sich ihm sodann vor und forderten ihn auf, die Zigarette zu löschen sowie seine Fahrzeugpapiere und Personaldokument vorzulegen. Dieser Aufforderung kam der Angeklagte nach, wobei seine Reaktion sehr verlangsamt und zuweilen unkoodiniert wirkten, seine Augäpfel sahen zudem glasig aus und aus dem Fahrzeug selbst sowie aus seinem Mund war deutlich Alkoholgeruch wahrnehmbar. Sie entschlossen sich, einen Atemalkoholtest durchzuführen, zu dem der Angeklagte auch bereit war und zu dem er einwilligte. Der um 17.45 Uhr durchgeführte Atemalkoholtest ergab einen Wert von 4.02 Promille. Daraufhin belehrten die Polizeibeamten den Angeklagten, dass gegen ihn wegen Trunkenheit im Verkehr ermittelt werde und unterrichteten ihn über seine Rechte. Der Angeklagte entgegnete daraufhin, nicht unter Alkoholeinfluss gefahren zu sein, sondern danach den Alkohol zu sich genommen zu haben. Da der Zeuge POM D im Fahrzeug des Angeklagten eine halb gelehrte Flasche Bier auf der Mittelkonsole stehen sah, ordnete er zwei Blutproben an, worauf der Angeklagte zur Polizeistation Bad L zur Durchführung der Blutentnahme verbracht wurde, nachdem sein Fahrzeug verschlossen wurde. Als sich der Angeklagte zum Polizeifahrzeug begab, hatte er Schwierigkeiten beim Laufen, wie sein schwankender Gang den Polizeibeamten zeigte, er konnte sich aber ohne fremde Hilfe ins Fahrzeug setzen und diesem auch wieder entsteigen, wobei er ebenfalls etwas schwankend in das Polizeigebäude in Bad L ging. Auf der Fahrt zur Polizeidienststelle in Bad L hatten die Polizeibeamten mit dem Angeklagten gesprochen und ihm das nun folgende Procedere erklärt, wobei eine sinnvolle Unterhaltung mit ihm möglich war. In der Polizeistation angekommen, hatten die Polizeibeamten daher keine Zweifel, dass der Angeklagte trotz des Grades seiner Alkoholisierung einwilligungsfähig war und legten ihm zu den zwei von POM D angeordneten Blutentnahmen die Einwilligungserklärung vor, die er daraufhin unterschrieb, wobei sie den Eindruck hatten, dass der Angeklagte orientiert war und wusste, was er unterschrieb.“

Das OLG geht von einer ausreichenden Einwilligung aus. Es hat keine „durchgreifenden Zweifel“. Also Zweifel hat es, oder wie? Kann man m.E. auch haben bei 4,02 Promille. In einem Mordverfahren würde das sicherlich für Schuldunfähigkeit i.S. des § 20 StGB reichen.

Bahn lässt Überlebende der „Costa Concordia Havarie“ stehen

Da bleibt einem das Brötchen im Halse stecken – wenigstens mir – wenn man liest, wie „sensibel“ die DB mit Überlebenden der Costa Concordia Havarie“ umgegangen ist. Man lässt sie im Fernbahnhof Frankfurt stehen, berichtet die Tagespresse (vgl. z.B. hier).

Die Bahn hat sich entschuldigt. Die Mitarbeiter seien für solche Fälle nicht ausgebildet.

Frage: Wieso muss man eigentlich dafür ausgebildet sein, um zu wissen, dass man in einem solchen Fall helfen muss? Und Schuld sind eh die anderen, nömlich der Reiseveranstalter, der nicht sicher gestellt hat, dass die Gäste nach Hause kommen. Nun gut, mag sein. Aber gefragt waren Bahnmitarbeiter, oder?

Empfehlung an den Rechtspfleger: Grundkurs in Gebührenfragen…..

Ich habe länger überlegt, ob ich über den AG Pirmasens, Beschl. v. 27. 10. 2011 – 4231 Js 5802/11 1 Ds  – berichten soll oder nicht. Denn es ist ja immer die Frage, ob sich nicht möglicherweise Nachahmer finden, die die falsche Argumentation/Begründung aufgreifen. Aber ich stelle den Beschluss dann jetzt doch ein, und zwar als warnendes Beispiel dafür, wie man es nicht machen soll.

Es geht im Beschluss um die Bemessung der Rahmengebühren nach § 14 RVG. Das AG/die Rechtspflegern macht dazu Ausführungen, die m.E. falsch sind, und zwar nicht nur ein bißchen, sondern richtig :-). Im Beschluss heißt es:

Die Mindestgebühr ist für die Grund- und die Verfahrensgebühr mit 30,– Euro und für die Terminsgebühr mit 60,– Euro normiert. Im Hinblick darauf, dass diese Gebühr nur bei Einfachst-Fällen und einkommenslosen Angeklagten in Frage kommen wird, ist vorliegend eine Erhöhung vorzunehmen. Angemessen erscheint das Doppelte der Mindestgebühr für die Grundgebühr und die Terminsgebühren, da die Verhandlungen von sehr kurzer Dauer waren (35 und 40 Minuten) und besondere Schwierigkeiten nicht ersichtlich sind, der Aktenumfang ist verhältnismäßig gering, die Angelegenheit ist rechtlich einfach gelagert gewesen, die Beschuldigte war nicht an der Tat beteiligt, sie hat jedoch die sie entlastenden Tatsachen erst in der Hauptverhandlung preisgegeben, so dass noch ein weiterer Hauptverhandlungstermin anberaumt werden musste. Da die Beschuldigte davon ausgehen konnte, freigesprochen zu werden, war die Angelegenheit nicht von hoher Bedeutung für die Angeklagte. Die Beschuldigte befand sich noch in Ausbildung, so dass von einem unterdurchschnittlichen Einkommen der Beschuldigten auszugehen ist…“

Was ist daran nun so falsch, wird sich der ein oder andere fragen? Nun, es sind m.E. folgende Punkte:

1. Schon der Ansatz der Gebührenbestimmung ist falsch. Die Rechtspflegerin scheint von der Mindestgebühr als Grundlage auszugehen und zu untersuchen, ob und wie diese zu erhöhen ist. Das widerspricht aber der ganz h.M., die davon ausgeht, dass die Mittelgebühr zugrunde zu legen und dann zu prüfen ist, in wie weit davon nach oben oder nach unten abzuweichen ist (vgl. Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl. 2011, Teil A: Rahmengebühren [§ 14], Rn. 1084 ff. m.w.N. aus der Rspr.). Hätte man diese Grundlage zutreffend angewendet, dann hätten sich m.E. andere, die Tätigkeiten des Rechtsanwalts angemessener honorierende Rahmengebühren ergeben.

2. Falsch ist/war es auch – offenbar bei der gerichtlichen – Verfahrensgebühr darauf abzustellen, dass der Rechtsanwalt „erstmals im ersten Termin aufgetreten“ ist. Und was ist mit den Vorgesprächen, die sicherlich mit der Angeklagten haben geführt werden müssen?. Der Verteidiger ist doch nicht im Termin vom Himmel gefallen.
3. Über diese Bedenken hinaus: Skurril ist die Entscheidung, wenn das AG argumentiert, dass die Sache rechtlich einfach gelagert gewesen sei, (weil) die Beschuldigte nicht an der Tat beteiligt gewesen sei, sie habe jedoch die sie entlastenden Tatsachen erst in der Hauptverhandlung preisgegeben, so dass noch ein weiterer Hauptverhandlungstermin anberaumt werden musste. Da die Beschuldigte davon ausgehen konnte, freigesprochen zu werden, sei die Angelegenheit nicht von hoher Bedeutung für die Angeklagte gewesen. Zunächst: Man hat aufgrund der Formulierungen den Eindruck, dass das AG die frei gesprochen Angeklagte nachträglich gebührenrechtlich dafür „bestrafen“ will, dass sie die sie entlastenden Umstände erst in der Hauptverhandlung „preisgegeben“ hat. Abgesehen davon, dass dem der „Nemo-tenetur-Grundsatz“ entgegensteht, ist das gebührenrechtlich irrelevant. Die Frage kann allenfalls erstattungsrechtlich eine Rolle spielen, hat es aber nicht, da das AG in der Kostengrundentscheidung keine Einschränkung gemacht hat. Noch skurriler ist die Argumentation, die Angelegenheit sei deshalb nicht von hoher Bedeutung gewesen, weil die Angeklagte davon ausgehen konnte, frei gesprochen zu werden. Davon gehen viele Angeklagte aus. Bedeutet das, dass es sich in all den Fällen um eine für sie nicht bedeutende Angelegenheit handelt? Es mag sein, dass sich im Nachhinein in Verfahren herausstellt, dass ein Freispruch auf der Hand lag. Daraus kann man dann aber doch nicht – in einer „Ex-post-Betrachtung“ schließen, dass das Verfahren für die Angeklagten keine hohe Bedeutung hatte.

Meine Empfehlung: Mal einen Grundkurs in Gebührenfragen buchen/belegen.