Archiv für den Monat: Juni 2011

Knauseriges LG – aber die Kammer muss ja auch nicht davon leben

Das LG Kleve, Beschl. v. 01.04.2011 – 111 Qs 9/11 zeigt mal wieder, wie knauserig LG gerade in OWi-Verfahren sein können. Danach sind einfache, alltägliche Verkehrsordnungswidrigkeiten (zum Beispiel wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung mit einer Geldbuße von 80 €) im unteren Bereich des Bemessungsrahmens (§ 14 RVG) einzuordnen. Auch wenn Ordnungswidrigkeitenverfahren in einem hohen Anteil Verkehrsordnungswidrigkeiten zum Gegenstand haben, würden die Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren, von Ausnahmen abgesehen, dadurch nicht bedeutsamer oder schwieriger.

Und: Ist das richtig?

„Auch die Sach- und Rechtslage war denkbar einfach. Sie beschränkte sich auf die Frage, ob der Betroffene zur fraglichen Zeit Fahrer des Fahrzeugs war oder nicht. Zur Klärung dieser Frage wurde ein Lichtbildvergleichsgutachten eingeholt. Das gerichtliche Verfahren stellte im Vergleich zu anderen Ordnungswidrigkeitsverfahren sowohl vom Umfang als auch von der Schwierigkeit her nur unterdurchschnittliche Anforderungen an die Tätigkeit des Verteidigers. Dies gilt insbesondere auch für die Tätigkeit des Verteidigers in den beiden Hauptverhandlungsterminen. Der erste Hauptverhandlungstermin am 13.01.2010 führte zur vorläufigen Einstellung des Verfahrens wegen längerer Abwesenheit des Betroffenen. Vor diesem Hintergrund erscheint selbst die vom Amtsgericht festgesetzte Terminsgebühr in Höhe von 130 Euro bereits als vergleichsweise hoch. Selbst wenn man berücksichtigt, dass der Sachverständige in diesem Termin Fotos von dem Bruder des Betroffenen angefertigt und einen Abgleich mit dem Foto aus der Bußgeldakte vorgenommen hat, rechtfertigt dies jedenfalls nicht den Anfall der sogenannten Mittelgebühr. Denn die Tätigkeit des Sachverständigen hat weder viel Zeit in Anspruch genommen noch nennenswerte Anforderungen an die Tätigkeit des Verteidigers gestellt, zumal die Hauptverhandlung absehbar mit der vorläufigen Einstellung des Verfahrens endete. Auch die zweite Hauptverhandlung am 08.09.2010 war mit einer Dauer von 15 Minuten verhältnismäßig kurz. Die durchgeführte Beweisaufnahme beschränkte sich auf die Erstattung des Lichtbildvergleichsgutachtens durch den Sachverständigen mit dem Ergebnis, dass der Betroffene eher nicht der Fahrer gewesen sei. Rechtlich folgte daraus zwingend der Freispruch des Betroffenen. Die Hauptverhandlung am 08.09.2010 stellte an den Verteidiger somit in jeder Hinsicht nur unterdurchschnittliche Anforderungen. Die von dem Amtsgericht unterhalb der Mittelgebühr festgesetzte Terminsgebühr in Höhe von 130 Euro ist daher, auch unter Berücksichtigung der oben genannten weiteren Kriterien, angemessen.“

Was darf in der Hauptverhandlung verlesen werden?

Durch das 2. Justizmodernisierungsgesetz sind vor einiger Zeit die Möglichkeiten zur Verlesung von Urkunden pp. in der StPO in § 256 StPO erheblich erweitert worden. Bisher gibt es dazu aber noch nicht viel Rechtsprechung, was entweder daran liegen kann, dass von den erweiterten Verlesungsmöglichkeiten nicht so viel Gebrauch gemacht wird, oder daran, dass die damit zusammenhängenden Fragen unproblematisch sind.

Der BGH, Beschl. v. 29.03.2011 – 3 StR 90/11 hat sich mit der Problematik nun aber mal befasst. Dort heißt es:

Die Rüge einer Verletzung von § 250 StPO durch die Verlesung eines „Beiblatts zur Festnahmeanzeige vom 8. Februar 2009“ sowie des „polizeilichen Berichts über die durchgeführte Wiegung“ (sichergestellten Betäubungsmittels) „vom 9. Februar 2009“ ist zulässig erhoben. Sie ist indes unbegründet, da es sich um in Urkunden enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden ü-ber Ermittlungsmaßnahmen handelte, die nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO verle-sen werden konnten (vgl. KK-Diemer, 6. Aufl., § 256 Rn. 5 und 9a; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 256 Rn. 5 und 26, jeweils mwN.

Congratulations – LawBlog erhält den Grimme Online Award

Herzlichen Glückwunsch an den/das LawBlog, der/das – wie man hier lesen kann – gestern den Grimme Online Award erhalten hat.

Die Begründung der Jury lautet:

Juristen haben es schwer: Im Studium schleppen sie den dicken Schönfelder durch die Uni, und am Wochenende können sie nicht auf Partys gehen, weil sie neue Gesetzestexte in das rote Buch einheften müssen. Nach dem Studium tragen sie unförmige schwarze Roben, unter denen man den maßgeschneiderten Anzug und die Rolex nicht sehen kann. Selbst beim Mittagessen hat man keine Ruhe, schließlich werden Urteile nicht im Gericht entschieden, sondern in vertraulichen Gesprächen, in denen sich die törichten Schicksale der unwissenden Mandanten nur bei einem Glas Château Mouton-Rothschild besser ertragen lassen. Dass der Alltag eines Juristen ganz anders aussieht, diese Sicht verdanken wir Udo Vetter und seinem „law blog”. Seit Jahren bietet er uns einen qualitativ hochwertigen Blick hinter die Kulissen des juristischen Betriebes und zeigt uns zwischen verständlichen Erläuterungen der Paragraphen vor allem die menschliche Seite. Vetters Blog immunisiert gegen das beklemmend kafkaeske Gefühl, das Nichtjuristen in Rechtsfällen erfasst. Denn unter mancher Robe wird eine Jeans getragen, deren Träger gegen Fehler von Gerichten und gegnerischen Parteien kämpft, und nicht die Rolex, sondern die Bürokratie sind schwer zu (er)tragen. Den schmalen Grat zwischen Schweigepflicht und einer für den Erfolg eines Blogs notwendigen Offenheit erreicht Vetter dabei mit einem erzählerischen Stil, der die Relevanz trockener juristischer Themen für jeden verdeutlicht.
Als Strafverteidiger behandelt Vetter auch Verstöße im Bereich des Internetrechts. Kritisch, glaubwürdig und mit großer Genauigkeit hinterfragt er die Diskussionen um Netzsperren und Vorratsdatenspeicherung. Auch das hat das „law blog” zu einer wichtigen Institution im Netz werden lassen.“

Wie gesagt: Herzlichen Glückwunsch.

Lesetipp: Die Verteidigung in Auslieferungsverfahren nach IRG

Inzwischen ist StRR 06/2011 online. Für einen Monat haben wir aus dem Heft dann auf der Startseite von Heymanns Strafrecht den Beitrag „Die Verteidigung in Auslieferungsverfahren nach IRG“ von Rechtsanwalt Dr. jur. Ingo E. Fromm, Koblenz (StRR 2011, 208) zum kostenlosen Download bereitgestellt.

BGH als „Streitschlichter“ :-)

Nicht selten wird in der Praxis, häufig nach einem Verteidigerwechsel über die Wirksamkeit einer Rechtsmittelrücknahme gestritten. Der BGH hat dazu – noch einmal – ausgeführt: Wird die Wirksamkeit einer Revisionsrücknahme von einem Verfahrensbeteiligten in Zweifel gezogen, so ist es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Sache des Revisionsgerichts, hierüber eine feststellende Erklärung zu treffen. Das Rechtsmittelgericht ist zur abschließenden Entscheidung über die Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme berufen (BGH, Beschl. v. 17.02.2011 – 4 StR 691/10)