Archiv für den Monat: März 2011

Nachlese zum Verfahren ./. RA Lucas in Augsburg: Wenn der Richter nichts mehr weiß

Unter die Überschrift „Wenn der Richter nichts mehr weiß“ stellt die SZ heute ihren Bericht zum Verfahren gegen RA Lucas vor dem LG Augsburg, über das wir ja auch mehrmals berichtet haben. Ich trage diese Fundstelle nach, weil sie sehr schön den Ablauf des Verfahrens zusammenfasst.

Ist die Entlassungsverhandlung ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung?

Im Zusammenhang mit der der (zeitweisen) Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung (§ 247 StPO) kommt es häufig zu Verfahrensfehlern, die u.a. darauf beruhen, dass in Abwesenheit des Angeklagten außerhalb der Zeugenvernehmung liegende Teile der Hauptverhandlung durchgeführt werden, an denen der Angeklagte dann nicht teilnimmt. Die Rüge in der Revision läuft dann über § 338 Nr. 5 StPO.

In dem Zusammenhang spielt die Frage, was ein „wesentlicher Teil der Hauptverhandlung“ ist, eine wesentliche Rolle. Dazu gibt es eine umfangreiche BGH-Rechtsprechung – bis hin zu Entscheidungen des Großen Senats für Strafsachen. Zuletzt im BGH, Urt. v. 09.02.0211 – 5 StR 387/10, in dem der 5. Strafsenat dargelegt hat, ob und wann die sog. Entlassungsverhandlung „wesentlicher Teil der Hauptverhandlung“ ist. Dort heißt es:

Nach ständiger Rechtsprechung bestimmt sich die Frage der Wesentlichkeit eines Verfahrensteils nach dem Zweck der jeweils betroffenen Vorschriften sowie danach, in welchem Umfang deren sachliche Bedeutung betroffen sein kann; die Entlassungsverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten ist danach grundsätzlich als wesentlich anzusehen, weil der von der Entlassungsverhandlung ausgeschlossene Angeklagte unmittelbar nach der Zeugenvernehmung keine Fragen oder Anträge stellen kann, die den Ausgang des Verfahrens zu beeinflussen vermögen (vgl. BGH – GS – aaO S. 2452 mwN). Diese Gedanken treffen jedoch ersichtlich nicht zu, wenn der die Vernehmung über eine Bild-Ton-Übertragung zeitgleich mitverfolgende Angeklagte nach ausdrücklicher Befragung des Vorsitzenden von seinem Fragerecht keinen Gebrauch machen will. Es wäre bloße Förmelei, wenn ihm – gegebenenfalls nach vorheriger Entfernung des Opferzeugen aus dem Gerichtssaal – in Anwesenheit ein weiteres Mal Fragen anheimgegeben werden müssten (vgl. zur Ersetzung der Unterrichtungspflicht nach § 247 Satz 4 StPO durch Bild-Ton-Übertragung auch BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2006 – 1 StR 268/06, BGHSt 51, 180; ferner zum Frageverzicht in solchen Fällen BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 5 StR 482/10).

Lesetipp: Verfahrenstipps und Persönlicher Anwendungsbereich von Teil 4 und 5 VV RVG.

Auf meiner Homepage habe ich vor einigen Tagen zwei Beiträge einstellen lassen, auf die ich hier hinweisen möchte:

  1. Zeitlich passend und auch als Referenz für den Strafverteidigertag in Berlin gedacht: „Verfahrenstipps und Hinweise für Strafverteidiger (I/2011)“ aus ZAP-Heft 6/2011, ZAP F. 22 R, S. 673
  2. Und aus dem Gebührenrecht: „Persönlicher Geltungsbereich des Teils 4 VV RVG, eine Bestandsaufnahme der Rechtsprechung“ aus RVGreport 2011, 85.

Für den ein oder anderen vielleicht interessant.

Augsburger Puppenkiste, oder was passierte am 7. Hauptverhandlungstag im Verfahren ./. RA Lucas in Augsburg

Vom 7. und wohl vorletzten Hauptverhandlungstag ist Folgendes zu berichten:

Es ist zunächst noch einmal die eigentliche Sachbearbeiterin der StA aus dem Ursprungsverfahren K. vernommen worden. Gegenstand der Vernehmung war (noch) einmal der Sitzungsbericht, den sie vom 2. Hauptverhandlungstag im Verfahren K. erstellt hatte. Sie hat zum Zustandekommen der handschriftlichen Ergänzung ? 4 J 10 M der Darstellung des am Freitag 18.03.2011 vernommenen Zeugen klar widersprochen.

Im Anschluss an die Vernehmung der Zeugin wurde plädiert.

  • Die Staatsanwaltschaft sieht Lucas – trotz der sich teilweise widersprechenden Aussagen – einer versuchten Strafvereitelung (§§ 258, 22 StGB) überführt an. Sie hat – ohne näher zur Strafzumessung auszuführen – eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten beantragt, die zur Bewährung ausgesetzt werden könne. Ausführungen, warum Freiheitsstrafe und warum in dieser Höhe ließ das Plädoyer vermissen. Eine Bewährung sei aber nur angezeigt, wenn zusätzlich ein Berufsverbot ausgesprochen werde. Begründung: Nur so lasse sich einer erneuten Straffälligkeit begegnen. Bewährungszeit: 3 Jahre und 5.000 € Geldbuße.
  • Die Verteidigung ist in ihren Plädoyers von falschen dienstlichen Äußerungen und davon ausgegangen, dass einige Zeugen gelogen haben. Sie hat Freispruch beantragt. Es wird von zwei brillanten Plädoyers der beiden Verteidiger berichtet; RA Bockemühl hat die Einleitung von Strafverfahren gegen einige der Zeugen angeregt (ich bin gespannt, wie sich die Staatsanwaltschaft Augsburg verhält).

Der Angeklagte Lucas hat in seinem letzten Wort darauf hingewiesen, dass dieses Verfahren wohl nicht nur – wie er erst geglaubt habe – das Ziel habe, einen unbequemen Verteidiger auszuschalten. Der heute gestellte Antrag der Staatsanwaltschaft zeige vielmehr, dass er auch in seiner Existenz vernichtet werden soll.

Termin zur Urteilsverkündung: 01.04.2011 – 14.00 Uhr.

Wochenspiegel für die 12. KW, oder wir blicken mal wieder über den Tellerrand

Wir berichten über:

  1. Über die Fahrerlaubnis mit Verfallsdatum.
  2. Über die bösen Angeklagten.
  3. Über die langsam mahlenden Mühlen des Gesetzes.
  4. Über das Schmierestehen.
  5. Über tödliche Gerichtsentscheidungen.
  6. Über einen besonderen Anfangsverdacht.
  7. Über das Abschleppen vom Supermarktparktplatz.
  8. Über Rechtsmittel im Jugendstrafrecht.
  9. Über die Parallelwertung in der Laiensphäre.
  10. Und über die Beschlagnahme von Interviewprotokollen.