Archiv für den Monat: Januar 2011

Der Wurf mit dem Plastikklappstuhl – besonders schwer?

Das KG hat sich in seinem Urt. v. 06.07.2010 – (2) 1 Ss 462/09 mit dem Wurf mit einem Plastikklappstuhl auf objektschützende Polizisten und der Frage befasst, ob das ein unbenannter besonders schwerer Fall des Landfriedensbruches darstellen kann.

Die Frage hat das KG grds. bejaht. Vom Instanzgericht war das abgelehnt worden. Das KG sieht die Ablehnung der Anwendung der Strafzumessungsregel eines unbenannten besonders schweren Falls des Landfriedensbruchs als rechtsfehlerhaft an, wenn die konkrete Tat nicht an den benannten Regelbeispielen gemessen wird, sondern an bisher bekannt gewordenen Beispielsfällen der Rechtsprechung für unbenannte besonders schwere Fälle. Dies gelte umso mehr, wenn die bisherige Rechtsprechung verfassungsrechtliche Korrekturen im Hinblick auf das Analogieverbot erfahren habe. So dürfe der Wurf eines Plastikklappstuhls auf objektschützende Polizisten zwar nicht (wie bisher) als Einsatz einer Waffe gewertet werden, könne sich jedoch als unbenannt schwerer Fall darstellen, wenn weitere, die Gefährlichkeit des Handelns erhöhende Umstände hinzukommen. Das Analogieverbot stehe nicht der grundsätzlichen Möglichkeit entgegen, auf den konkreten Fall bezogen ein Beisichführen von gefährlichen Werkzeugen in Verwendungsabsicht oder dessen Verwenden als einen unbenannten Fall zu werten.

Schuster bleib bei deinen Leisten…

denkt man, wenn man die Entscheidung des 5. Strafsenats des BGH v. 14.10.2010 – 5 StR 418/10 liest. In der Sache hatte der Angeklagte in einem Missbrauchsprozess – dem 70-jährigen Angeklagten wurde der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs seiner Enkelin gemacht – einen Fachanwalt für Familienrecht mit seiner Verteidigung beauftragt (hatte seinen Grund sicherlich in dem familiären Hintergrund der Tat :-). Der Angeklagte wird dann zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Fachanwalt für Familienrecht legt Revision ein, die allerdings dann wegen fehlender Revisionsbegründung verworfen weil. Im Wiedereinsetzungsbeschluss des BGH heißt es zum Wiedereinsetzungsverfahren:

„Sein Pflichtverteidiger, Fachanwalt für Familienrecht N. , hat hiergegen am 1. April 2010 rechtzeitig das Rechtsmittel der Revision erhoben, „aber keine Revisionsbegründung zustande gebracht“ (eidesstattliche Versicherung vom 26. August 2010, S. 2). Der Pflichtverteidiger hat nach Verwerfung der Revision dem Angeklagten und dessen Ehefrau erklärt, dass es dabei nicht bleiben werde, weil die Verwerfung des Rechtsmittels nicht vom Angeklagten, sondern von ihm zu vertreten sei. In den folgenden Wochen hat der Pflichtverteidiger den Wiedereinsetzungsantrag nicht gestellt, weil es ihm aus persönlichen Gründen so schlecht gegangen ist, dass er kaum noch arbeiten konnte (eidesstattliche Versicherung aaO S. 3).“

Da ist also manches schief gelaufen. Der erste Fehler sicherlich der des Angeklagten, der es aber nicht wissen muss, dass man mit einer Strafverteidigung wohl i.d.R. keinen Fachanwalt für Familienrecht beauftragen sollte. Der zweite Fehler m.E. dann der, dass der Fachanwalt für Familienrecht das Mandat angenommen hat, obwohl er offenbar von Strafrecht keine Ahnung hatte. Er hätte es wissen müssen. Schuster bleib bei deinen Leisten, oder: Warum gibt es denn Fachanwaltschaften (womit natürlich nicht gesagt ist, dass jeder Fachanwalt eine „Revisionsbegründung zsutande bringt“.

Der rechtliche Hinweis – nicht nur bei Änderung des Sachverhalts…

Eine der Verfahrensrügen, die häufig (noch) Erfolg haben, ist die Rüge der Verletzung des § 265 StPO – also fehlender bzw. nicht korrekter rechtliche Hinweis. So dachte auch der Verteidiger in dem der Entscheidung des BGH vom 30.11.2010 – 1 StR 509/10 zugrundeliegenden Verfahren, in dem der Angeklagte wegen Mordes angeklagt war. Angeklagt war „Heimtücke“ und „Habgier“, es erging rechtlicher Hinweis auf „sonstige niedrige Beweggründe“. Dazu der BGH.

1. Während dem Angeklagten mit der Anklageschrift vorgeworfen worden war, sein Opfer heimtückisch und habgierig getötet zu haben, hat das Landgericht ihn wegen einer heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen begangenen Tat verurteilt. In der Hauptverhandlung hatte der Vorsitzende den Angeklagten darauf hingewiesen, dass u.a. auch „sonstige niedrige Beweggründe“ als Mordmerkmal in Betracht kommen. Die Revision meint, dieser Hinweis seiunzulänglich gewesen, weil der die rechtliche Bewertung tragende Sachverhalt hätte genau bezeichnet werden müssen. Diese Rüge geht fehl. Denn die ihr zugrunde liegende Annahme, ein Hinweis gemäß § 265 StPO müsse aus Rechtsgründen stets auf neuen tatsächlichen Erkenntnissen beruhen, ist unzutreffend. Freilich ist dies nach forensischer Erfahrung vielfach der Fall, jedoch ist ein Hinweis nach § 265 StPO auch dann geboten, wenn sich der Sachverhalt selbst nicht geändert hat, er aber nach Auffassung des Gerichts dennoch rechtlich anders als noch in der zugelassenen Anklage zu bewerten ist (vgl. KK/Engelhardt, StPO, 6. Aufl. § 265 Rn. 17). Ein Verfahrensverstoß ist daher allein mit der Behauptung, geänderte tatsächliche Grundlagen eines Hinweises gemäß § 265 StPO seien nicht mitgeteilt worden, nicht schlüssig dargetan.

Im Übrigen könnte eine auf die Behauptung unzulänglicher tatsächlicher Erläuterung eines Hinweises gemäß § 265 StPO gestützte Rüge schon im An-satz nur dann Erfolg haben, wenn Urteil und zugelassene Anklage in tatsächlicher Hinsicht wesentlich voneinander abweichen würden. Derartige Differenzen vermag der Senat nicht zu erkennen; sie sind von der Revision auch nicht einmal abstrakt behauptet, erst recht nicht konkret ausgeführt worden (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 – 1 StR 587/09 mwN).“

Auf nach Augsburg – zum Prozess gegen RA Lucas – wer fährt mit?

Morgen beginnt in Augsburg erneut das Verfahren gegen den Kollegen Lucas aus Augsburg, das seinen Ausgang in der Entscheidung des BGH in 1 StR 104/08 genommen hat. Der Kollege ist dort wegen Strafvereitelung angeklagt. Es ist der zweite Anlauf, nachdem die erste Hauptverhandlung ausgesetzt werden musste.

Für diejenigen, die nicht wissen, worum es geht, hier eine Zusammenfassung aus einer Mail der Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger e.V

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

der Prozess gegen RA Stephan Lucas soll nun am 13.o1.2011 vor dem LG Augsburg (3.Strafkammer) beginnen und am 21.01. und 4.02.11 jeweils um 9:oo fortgesetzt werden. Öffentlichkeit – gerade auch von KollegInnen – ist erwünscht.
Ich teile diesen Termin mit, weil sich nach den Veröffentlichungen in der Zeitung und den anschliessenden Diskussionen viele KollegInnen gemeldet haben, die sich über die Anklage empörten und zum Prozess kommen wollten.

Dieser war ursprünglich schon für einen Termin vor einem Jahr geplant. Nach einer Schutzschrift der Verteidigung 2009 wurde dann erstmals (!) begonnen, Zeugen zu vernehmen. Weitere Verzögerungen ergaben sich daraus, dass sich immer wieder vorgesehene (Ersatz)-Richter wegen eigener Befangenheit selbst ablehnten, was angesichts der geringen Grösse des Augsburger Landgerichts und der gegebenen persönlichen Nähe der dortigen Richter zu den beiden Richterkollegen als einzigen Belastungszeugen nicht verwundert.

Zur Erinnerung: worum geht es? RA Lucas wird der (vollendeten) Strafvereitelung angeklagt. Sein behauptetes Vergehen besteht darin, dass er 2007 in einer Revisionsschrift vortrug, es habe am Beginn eines BtmG-Prozesses ein Deal-Angebot der Berufsrichter für den Fall eines Geständnisses seines Mandanten  gegeben, das er nach Rücksprache mit dem Mandanten abgelehnt habe. Wegen der dann ausgesprochenen Strafhöhe nach einer Verfahrensdauer von einem Jahr rügte er einen Verstoss gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens („Sanktionsschere“). Die Richter bestritten, dass es ein solches Angebot gegeben habe. Der 1.Senat des BGH (Nack-Senat) wies nicht nur die Revision ab, was in solchen Fällen üblich ist, sondern hielt es für richtig, in einem Zusatz darauf hinzuweisen, er sei befremdet darüber „mit unwahrem Vorbringen konfrontiert zu werden“.

Damit unterstellte er ohne eigene Kenntnis , Lucas habe gelogen und die Richter hätten (natürlich) die Wahrheit gesagt und gab das Stichwort für die wenige Tage später erfolgte Aufnahme der Ermittlungen gegen RA Lucas.

Eine Besonderheit des Verfahrens ist, dass die StA sich nicht genierte, RA Lucas genau vor der Strafkammer anzuklagen, vor der er seinerzeit verteidigte, was eine Flut von Ablehnungen und Selbstablehnungen der Richter zur Folge hatte. Das OLG zwang die (Ersatz)-Strafkammer, die ursprünglich wegen der von der Verteidigung gerügten örtlichen Unzuständigkeit nicht in Augsburg verhandeln wollte, nun doch die Verhandlung durchzuführen.

Das Verfahren hat grundsätzliche Bedeutung für das Verhältnis Richter – Verteidiger. Wenn jeder Verteidiger besorgen muss, wegen Strafvereitelung angeklagt zu werden, wenn er eine Wahrnehmung vorträgt (etwa im Rahmen eines Befangenheitsantrags), dem der betroffene Richter widerspricht, ist Feuer auf dem Dach des deutschen Strafprozesses.“

In der Tat: Das wäre wirklich ein Feuer.

Ich werde hier weiter berichten.