Archiv für den Monat: Oktober 2010

Schädliche Neigungen beim KG

Auf einen im Grunde ganz banalen Umstand aus dem Jugendstrafrecht hat jetzt vor kurzem noch einmal das KG in seinem Beschl. v. 26.08.2010 – (1) 1 Ss 351/10 (25/10)  – hingewiesen. Der Angeklagte war vom AG zu einer Jugendstrafe verurteilt worden, dei mit schädlichen Neigungen i.S. von § 17 Abs. 2 JGG begründet worden war. Das KG hat aufgehoben und führt dazu u.a. aus:

„Darüber hinaus ist die Annahme von „schädlichen Neigungen“ im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG in dem Urteil nicht rechtsfehlerfrei begründet. Das Jugendgericht sieht die schädlichen Neigungen darin, daß der Angeklagte sich dem illegalen Zigarettenhandel angeschlossen und ihn mit erheblicher Intensität betrieben habe, was an seinen „häufigen Aufgriffen“ ablesbar sei. Richtig ist zwar, daß die wiederholte Begehung der ge-werbsmäßigen Steuerhehlerei tragfähige Rückschlüsse auf erhebliche Anlage- und Erziehungsmängel zulassen. Das Amtsgericht hätte jedoch feststellen und darlegen müssen, daß die schädlichen Neigungen nicht nur bei Begehung der Taten, sondern auch noch im Zeitpunkt des Urteils vorlagen und deshalb weitere Straftaten des Angeklagten zu befürchten sind (vgl. Senat, Be-schluß vom 20. Juni 2008 – (1) 1 Ss 185/08 (13/08) – mwN). Anlaß zu derartigen Erörterungen bestand, weil sich der Angeklagte im Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits etwa drei Wochen in Untersuchungshaft befunden hatte und das Jugendgericht bei seiner Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung (§ 21 JGG) selbst davon ausgegangen ist, daß von dem Angeklagten wegen der „erfahrenen“ Untersuchungshaft und des Warneffekts seiner Verurteilung keine weiteren Straftaten zu erwar-ten seien. Das Amtsgericht hätte deshalb prüfen müssen, ob nicht insbesondere die – soweit ersichtlich erstmals – erlittene Freiheitsentziehung zu einer positiven erzieherischen Wirkung geführt hatte, welche die Verhängung von Jugendstrafe entbehrlich machte.“

Wird immer wieder übersehen.

Wer suchet, der findet – aber für eine Durchsuchung reicht das nicht

Das BVerfG hat in seinem Beschl. v. 10.09.2010 – 2 BvR 2561/08 – auf einen Umstand hingewiesen, der schon häufiger Gegenstand von Beschlüssen gewesen ist (vgl. die Nachw. bei Burhoff, handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 5. Aufl., Rn. 536 m.w.N.): Die Durchsuchung setzt einen Anfangsverdacht voraus. Sie darf nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die dann zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind

Das hat das BVerfG in einem Verfahren entschieden, in dem eine polizeiliche Kontrolle eines ebay-Verkäufers vermeintliche Unregelmäßigkeiten ergeben hatte. Das BVerfG weist darauf hin, dass dann, wenn die Durchsuchung wegen des Verdachts der Hehlerei bei einem Verdächtigen, der im Rahmen von Online-Auktionen zahlreiche Mobiltelefone gekauft und auch veräußert hat, nur aufgrund der Tatsache erfolgt, dass die Verkäufe von originalverpackten Mobiltelefonen innerhalb kurzer Zeit zu billigsten Preisen erfolgt sind, dies einen Verfassungsverstoß darstelle. Der Verdacht der Hehlerei setze unter anderem den Verdacht voraus, dass die Sache durch einen Diebstahl oder ein anderes Vermögensdelikt erlangt worden ist. Allein aus der Anzahl der verkauften Mobiltelefone könne jedoch ohne weitere Anhaltspunkte nicht auf eine Straftat geschlossen werden.

Polizei-NRW-21… Polizei arbeitet in NRW wieder mit Bleistift

Unter dem treffenden Titel „Polizei zückt wieder Bleistifte“ wird heute u.a. in den Westfälischen Nachrichten über massive Computerprobleme bei der Polizei NRW berichtet, mit denen diese nach Aufspielen eines Updates Anfang Oktober 2010 zu kämpfen hat.

Probleme gibt es wohl (nur?) bei der elektronischen Datenübermittlung an die Staatsanwaltschaft. Da sei es zu einem Rückstau gekommen von bis zu 100.000 Verfahren gekommen, der jetzt von der Polizei in (Sonder-?)Schichten aufgearbeitet wird. Bei täglich 5.000 – 6.000 Verfahren, die man abarbeitet, hat man da mehr als 14 Tage mit zu tun.

Na ja, wie geschrieben: Polizei-NRW-21, oder: Wir sind im 21. Jahrhundert angekommen. Man fragt sich, ob so etwas nicht zu verhindern ist/wäre.

Schilderwirrwarr kann Fahrlässigkeitsvorwurf entfallen lassen

Das OLG Jena hat sich in seinem Beschl. v. 06.05.2010 – 1 Ss 20/10 mit der Frage befasst, ob eine durch extrem missverständliche Beschilderung hervorgerufene falsche Fahrweise die Schuld bei einer Körperverletzung ausnahmsweise entfallen lässt. Das hat der OLG für den zu entscheidenen Einzelfall bejaht und den Angeklagten vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung freigesprochen. Der damals 55 Jahre alte Angeklagte war als Fahrradfahrer mit einer plötzlich aus ihrer Hofeinfahrt herauslaufenden Frau zusammengestoßen. Die (82 Jahre) alte Dame kam zu Fall und verletzte sich schwer. Für den Angeklagten war die Kollision mit ihr – wegen der beschränkten örtlichen Sichtverhältnisse – nicht mehr zu vermeiden. Er war mit ca. 10 bis 15 km/h auch nicht etwa „gerast“. Die Frage war allein, ob er deshalb schuldhaft (fahrlässig) gehandelt hatte, weil der Unfall auf einem Gehweg geschehen war, wo das Radfahren grundsätzlich nur Kindern bis 10 Jahren erlaubt ist. AG und LG hatten das so gesehen und den Angeklagten verurteilt.

Die Revision vor dem OLG führte zum Freispruch. Der Angeklagte sei zwar objektiv nicht berechtigt gewesen, auf dem Gehweg mit dem Rad zu fahren. Sein Irrtum, dort fahren zu dürfen, könne ihm aber nicht vorgeworfen werden. Verkehrsbeschilderungen müssten so gestaltet sein dass „Sinn- und Tragweite der getroffenen Regelung durch einen beiläufigen Blich erkennbar sei, ohne nähere Überlegungen hierüber anstellen zu müssen“. Diese Anforderungen sei die irreführende Beschilderung nicht gerecht geworden; dem Angeklagten sei daher kein Schuldvorwurf zu machen. Er sei nur etwa 200 m vor der Ortschaft durch eine Schilderkombination aus dem Gefahrzeichen „Radfahrer kreuzen“ und dem darunter angebrachten Hinweisschild „Radwanderweg“ auf den links neben der Straße verlaufenden späteren Unfallweg geleitet worden. Bei dieser Beschilderung sei der Irrtum, den bei gleichen Aussehen (plötzlich) als Gehweg weitergeführten Weg auch innerorts befahren zu dürfen, ohne das klarstellende Verkehrszeichen 239 „nur Fußgänger“ naheliegend gewesen.

In vergleichbaren Fällen gnaz interessanter Verteidigungsansatz.

Was ist eigentlich eine Sachverhandlung?

Immer wieder muss der BGH entscheiden, was eigentlich eine Sachverhandlung i.S. des § 229 StPO ist, so dass eine Unterbrochene Hauptverhandlung mit der Verhandlung fristgemäß fortgesetzt worden ist. So auch im Urt. v. 19.08.2010 – 3 StR 98/10. Dort heißt es dann:

„Zu der Rüge des Beschwerdeführers, das Landgericht habe gegen § 229 Abs. 1 und 4 StPO verstoßen, da der Sitzungstag vom 25. August 2009 keine Fortsetzung der Hauptverhandlung im Sinne von § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO ge-wesen sei, bemerkt der Senat ergänzend: Es kann dahinstehen, ob die an diesem Tag erfolgte Neubestellung der Nebenklagevertreterin („Umbeiordnung“) eine Verhandlung zur Sache im Sinne der Unterbrechungsvorschriften darstellt. Jedenfalls die Mitteilung des Vorsitzenden, dass die in einem Beweisantrag (der Verteidigung) benannten Zeugen für den nächsten Termin geladen werden sollen, erfüllt die Kriterien für eine wirksame Fortsetzung der Hauptverhandlung in diesem Sinne; denn sie diente der Unterrichtung der Verfahrensbeteiligten dar-über, dass dem Beweisantrag der Verteidigung stattgegeben worden war (vgl. BGH, Beschluss vom 6. April 1994 – 3 StR 439/92, bei Kusch NStZ 1995, 18, 19 Nr. 8). Hieran hält der Senat fest.“

Eine für die Praxis wichtige Frage, da die nicht fristgemäße Fortsetzung zur Neuauflage führt.