Heute eingestellt auf der HP ist die Entscheidung des 5. Strafsenats des BGH v. 21.07.2010 – 5 StR 60/10, in der der BGH zur Ermessensausübung bei Anwendung der §§ 66b Abs. 1 Satz 2, 66 Abs. 2 StGB nach der Entscheidung des EGMR v. 17.12.2009. Der BGH nimmt darin – zumindest teilweise – auch zur Anwendbarkeit der Entscheidung des EGMR auf die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung Stellung.
Interessant zu lesen.
Interessant. Mal schauen, ob das der sodann zuständige Senat ebenso sieht, sobald ihm die erste Vorlage eines OLGs zur Frage der Aussetzung/Erledigung bzw. Unzulässigkeit der Vollstreckung einer SV in einem „Altfall“ vorliegt.
ich denke, es wird auf eine Entscheidung des großen Senats hinauslaufe (der 4 Ss. scheint es tendenziell anders zu sehen(, dann BVerfG und dann EGMR
Ja, ich denke auch, es wird eine Entscheidung des Großen Senats zu der Frage geben. Falls der Große Senat die Entscheidung des EGMR aber nicht für allgemeinverbindlich für alle Altfälle erklären sollte und mithin viele Untergebrachte, die für vor 1998 begangene Taten verurteilt worden sind, weiterhin in der Sicherungsverwahrung bleiben, könnte es für Deutschland jedoch peinlich werden.
Allerdings muß man erst einmal einen Untergebrachten finden, der vor das BVerfG und ggf. vor den EGMR ziehen möchte, und einen Anwalt, der in der Lage ist, eine ordnungsgemäße Verfassungs- und Menschenrechtsbeschwerde zu erheben; zumal kostenlos, denn die meisten Untergebrachten haben keine finanziellen Mittel. Und eine Verfassungs- oder Menschenrechtsbeschwerde diktiert man nicht mal nebenbei. Das muß ein blitzsauber formulierter Schriftsatz sein, der sich eingehend mit der Rechtsprechung der Fachgerichte und des BVerfG auseinandersetzt und die Verletzung von spezifischen Verfassungsrecht darlegt. Da ist man – wenn man in der Thematik drin ist – locker 3-5 volle Arbeitstage beschäftigt, kostenlos wohlgemerkt. Da muß man als Anwalt schon Idealist sein. Denn selbst wenn die Verfassungsbeschwerde erfolgreich ist: das BVerfG wird den Gegenstandswert auf maximal 4.000,- bis 8.000,- Euro festsetzen. Ein karger Lohn für eine Grundsatzentscheidung, berücksichtigt man, daß jedes Provinz-Landgericht bei „Massenabmahnungen“ im Urheberrecht Streitwerte von 10.000,- bis 100.000,- Euro festsetzt. Hier zeigt auch die finanzielle Komponente erneut, daß auch das BVerfG gar kein Interesse daran hat, Anwälte zu animieren, solche Fälle vorzutragen.
Prozeßkostenhilfe bewilligt oder versagt das BVerfG (entgegen der eigenen Rechtsprechung) nicht in einer Zwischenentscheidung, sondern erst mit der abschließenden Entscheidung. Ein PKH-Antrag nützt auch nichts. Die 30- bis 50-seitige Verfassungsbeschwerde muß ja ohnehin schon mit dem PKH-Antrag komplett eingereicht sein. Das Verfahren vor dem BVerfG dürfte wenigstens 12-24 Monate dauern, vor dem EGMR noch einmal 3-5 Jahre. Falls der BGH also gegen die „Altfälle“ entscheidet, ist das Thema für die nächsten Jahre erst einmal wieder erledigt.
Inwzischen haben die Oberlandesgerichte Köln (Beschluß vom 12.08.10, 2 Ws 488/10) und Nürnberg (Beschluß vom 04.08.10, 1 Ws 404/10) die Sache dem BGH zur Entscheidung vorgelegt, mit der Frage, ob unter Berücksichtigung des Urteils des EGMR vom 17.12.09 in „Altfällen“ § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB n.F. oder § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. anzuwenden sei.
Es ist also in Kürze mit einer Entscheidung des BGH zu rechnen. Fällt diese im Sinne der Rechtsauffassung der OLGe Köln, Nürberg und Celle aus, bleiben die Türen für weitere „Altfälle“ zunächst einmal verschlossen. Aber bei der Vehemenz, mit der die „Hartliner“-OLGs das Urteil des EGMR für unbeachtlich erklären, bezweifele ich, daß selbst eine positive BGH-Entscheidung in jenen Gerichtsbezirken zur sofortigen Entlassung führen wird. Eher führt man wohl noch eine Richtervorlage nach Art. 100 GG zum BVerfG durch.