Da gibt es mal wieder eine Entscheidung, die sich mit der Frage des Richtervorbehalts bei § 81a StPO auseinandersetzt: LG Limburg, Beschl. v. 04.08.2009, 2 Qs 30/09. An sich nichts Besonderes. Denn man wird in der Tat trefflich darum streiten können, ob in Limburg ein nächtlicher richterlicher Eildienst erforderlich ist (vgl. dazu OLG Hamm, Urt. v. 18. 8. 2009, 3 Ss 293/08 für Bielefeld). „Interessanter“ finde ich dann schon die Ausführungen des LG zur Frage: Brauche ich eine Akte?. Dazu heißt es:
„Hinzu kommt, dass die Richterinnen und Richter des Amtsgerichts L. – jeder in einer eigenen richterlichen Entscheidung zur Verfahrensgestaltung – übereinstimmend mündliche Entscheidungen aufgrund mündlichen Sachvortrages ablehnen. Entgegen der Verteidigung liegt hierin keine Weigerung der Richter, eine Rechtsnorm anzuwenden. Eine mündliche Entscheidung ohne Akte wäre zwar auch prozessordnungsgemäß (vgl. BGHSt 51, 285 ) und begründet bei entsprechender amtsgerichtlicher Praxis (etwa AG Essen – Beschl.v. 11.10.2007 – 44 Gs 4577/07 – iuris) auch die Verpflichtung der Polizeibeamten zu versuchen, eine mündliche Anordnung einzuholen (vgl. OLG Hamm, Beschl.v. 25.8.2008 – 3 Ss 318/08 – iuris). Im Amtsgerichtsbezirk L. liegt der Fall aber anders. Die hier in richterlicher Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) getroffene Entscheidung zur Verfahrensgestaltung ist, weil mit der Prozessordnung im Einklang stehend, zu respektieren. Eine Verpflichtung zur mündlichen Entscheidung besteht nicht. Im Übrigen ist eine Entscheidung auf der Grundlage eines schriftlich unterbreiteten Sachverhalts, einer Akte, auch sachgerecht. Die Durchsetzung der vorbeugenden Kontrolle und die Gewährung effektiven Rechtsschutzes gebieten eine solche Verfahrensweise, soll der Richtervorbehalt seine Funktion einer verstärkten Sicherung der Grundrechte genügen. Anzunehmen, es könne „im Idealfall binnen einer Viertelstunde“ (so etwa OLG Stuttgart NStZ 2008, 238, Zopfs NJW 2009, 244) eine mündliche richterliche Anordnung eingeholt werden, wahrt den Richtervorbehalt nur formal.
Einer solchen Entwertung richterlicher Tätigkeit verbunden mit einem Vertrauensverlust die Seriosität richterlicher Arbeit betreffend ist entgegen zu treten. So hat auch das LG Hamburg (aaO) eine Anordnung ohne schriftliche Entscheidungsgrundlage schlicht als „unzumutbar“ angesehen. Zu Recht verweisen die Richter des Amtsgerichts L. darauf, dass bei einem mündlichen Sachvortrag die tatsächliche Entscheidungsgrundlage nicht nachvollzogen werden kann. Das gesprochene Wort ist flüchtig und birgt zudem die Gefahr, dass gerade in Grenzfällen, in denen sich die richterliche Kontrolle zu bewähren hat, entscheidungserhebliche Details nicht in gebotener Sorgfalt dargestellt und abgewogen werden können. Zudem verschieben sich Verantwortlichkeiten. Mit der von den Ermittlungsbehörden zu fordernden schriftlichen Dokumentation eines vorläufigen Ermittlungsergebnisses geht ein höheres Maß an Verantwortung einher als dies in einem mündlichen Vortrag der Fall ist. Dies gilt insbesondere, wenn im Anfangsstadium von Ermittlungen richterliche Entscheidungen beantragt werden. Bei schriftlicher Unterbreitung der Ermittlungsergebnisse ist auch ausgeschlossen, dass Ermittlungsrichter und Polizeibeamter sich unterschiedlich an Details der Entscheidungsgrundlage erinnern. Schon die Gefahr derartiger Missverständnisse ist angesichts des Gewichts der Entscheidung zu vermeiden, schwächen solche Missverständnisse auch das Vertrauen in die Zuverlässigkeit richterlicher Entscheidungen. Mit guten Gründen fordern daher die Amtsrichter in L., dass die richterliche Entscheidungsgrundlage – auch für den Beschuldigten – nachvollziehbar ist.“
Na ja, das kann man auch anders sehen. Und: Wird mit einer vorab abgegebenen Erklärung, nicht auf „mündlichen Zurif“ tätig werden zu wollen, nicht vorab für jeden Fall nächtlichen Tätigwerdens „Gefahr im Verzug“ en bloc bejaht. Das BVerfG verlangt aber eine Einzelentscheidung und eine eigenverantwortliche Prüfung des Einzelfalls. So brauchen die Polizeibeamten doch gar nicht erst zu versuchen, einen Richter zu erreichen. Oder?
Das ist doch genau der Punkt, der in den beiden OLG-Entscheidungen, die jetzt so viel Wind gemacht haben, übersehen wird.
„Wind gemacht haben“, ich denke, Sie sollten sich nicht bei den OLG`s, sondern beim BVerfG „beschweren“. Die OLG`s setzen die Vorgaben nur um.
Ich sehe der Entscheidung vornehmlich die Scheuklappen an, die der entscheidende Richter offenbar aufgesetzt hatte.
* Es ist offenbar zulässig im mündlichen Verfahren zu entscheiden wie auch nach Vorlage der Akten (letzteres sollte eh klar sein).
* Wenn aber eine mündliche Entscheidung grundsätzlich zulässig ist, dann stellt es eine Verweigerung rechtlichen Gehörs dar, wenn der Richter von vornherein die Entscheidung ohne Akte verweigert.
* Aufgrund dieser Argumentation ist GiV sogar tagsüber bei voller Gerichtsbesetzung dauerhaft anzunehmen. Das widerspricht schon der Systematik der Richtervorbehalte.
* Ein Richter der erreichbar ist, aber die Entscheidung verweigert obwohl er rechtlich zu einer Entscheidung in dieser Form legitimiert wäre, lehnt das Ersuchen ab. Eine Anordnung durch die Polizei oder StA unterläuft meiner Ansicht nach diese Entscheidung. Die richterliche Unabhängigkeit bewirkt zwar scheinbar, dass der Richter ein solches Ersuchen ablehnen darf, nicht aber, dass der Hoheitsträger dadurch begünstigt wird.
* Soweit die den Deutschen so heilige Dokumentation (warum ist die eigentlich im Strafprozess selber so unwichtig, dass kein Wortprotokoll geführt wird?) hier als „Schwachstelle“ angeführt wird, ist das kein valides Argument. Es ist dem Staat / Hoheitsträger bei dem heutigen technischen Standard unbenommen, dem jeweiligen Bereitschaftsdienst Anschlüsse mit automatischer Aufnahmefunktion zur Verfügung zu stellen. Diese Dokumentation wäre ohnehin umfassender als eine Akte, da zugleich gesichert wäre, welche Informationen tatsächlich bei dem Richter angekommen sind.