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„Pflichti 4:“ Wann gibt es einen zweiten Pflichtverteidiger?

ParagrafenIn der letzten heute vorgestellten Entscheidung aus dem Pflichtverteidigungsrecht geht es noch einmal um einen KG-Beschluss, nämlich den KG, Beschl. v. 20.09.2013 – 4 Ws 122/13 – und die darin behandelt Problematik des sog. zweiten Pflichtverteidigers. Das KG geht in seiner Entscheidung davon aus, dass die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers ein unabweisbares Bedürfnis voraussetzt, eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten und einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten. Das besteht nach Auffassung des KG u.a. bei einer besonderen Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage sowie dann, wenn sich die Hauptverhandlung über einen längeren Zeitraum erstreckt und zu ihrer ordnungsgemäßen Durchführung sichergestellt werden muss, dass auch bei dem vorübergehenden Ausfall eines Verteidigers weiterverhandelt werden kann, oder der Verfahrensstoff so außergewöhnlich umfangreich ist, dass er nur bei arbeitsteiligem Zusammenwirken zweier Verteidiger beherrscht werden kann.

Und die Voraussetzungen hat das KG im entschiedenen Fall verneint, dazu u.a.:

„a) Das Verfahren weist bei insgesamt zehn Vorwürfen des bandenmäßigen Betäubungsmittelhandels sowie einem weiteren Fall des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie einem Aktenumfang von drei Bänden Verfahrensakten zuzüglich zweier Haftbände sowie 36 in der Anklageschrift genannten Zeugen für ein erstinstanzliches landgerichtliches Verfahren weder eine besondere Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage noch einen ungewöhnlichen Umfang auf.

b) Hinsichtlich der Dauer der Hauptverhandlung existiert keine starre Grenze dergestalt, dass ab einer bestimmten Anzahl von Verhandlungstagen die Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers in der Regel erforderlich ist. Eine solche Bestellung im Fall einer außergewöhnlich langen Hauptverhandlung beruht auf der Erfahrung, dass eine längere Dauer der Hauptverhandlung die Wahrscheinlichkeit erhöht, ein Verteidiger werde planwidrig verhindert sein, und nimmt damit die allgemeine Prozessmaxime der Verfahrensbeschleunigung sowie gegebenenfalls auch das Gebot der besonderen Beschleunigung in Haftsachen auf (vgl. OLG Brandenburg; OLG Hamburg; OLG Frankfurt/M., jeweils a.a.O.; OLG Hamm NJW 1978, 1986). Sie ist aber nur dann geboten, wenn und soweit andere Reaktionsmöglichkeiten auf die unvorhergesehene Verhinderung eines Verteidigers nicht ausreichen. In Betracht kommen insoweit unter anderem die Unterbrechung der Hauptverhandlung nach § 229 StPO, das Tätigwerden eines Vertreters gemäß § 53 Abs. 1 BRAO oder die Bestellung eines weiteren Verteidigers (erst) bei tatsächlichem Eintritt der Verhinderung oder Ausbleiben des zunächst allein beigeordneten Verteidigers; die letztgenannte Möglichkeit einer Verteidigerbestellung in der laufenden Hauptverhandlung ist in § 145 Abs. 1 Satz 1 StPO ausdrücklich vorgesehen (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Dezember 1993 – 4 Ws 291/93, 304/93 -, OLG Brandenburg; OLG Hamburg, jeweils a.a.O.). ..“

Und das waren dann heute:

Der Wortlaut gab es nicht her, aber richtig dürfte es sein….

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Beim LG Hamburg läuft ein Verfahren beim Jugendschwurgericht. Dort ist ein Kollege, nennen wir ihn A.,  als Wahlverteidiger des Beschuldigten im Ermittlungs-, Zwischen- und auch im Hauptverfahren neben einem auf ausdrücklich erklärten Wunsch des Angeklagten bereits im Ermittlungsverfahren beigeordneten anderen Rechtsanwalt, nennen wir ihn B, tätig. Im Laufe der Hauptverhandlung beantragte der Angeklagte die Beiordnung des Rechtsanwalts A als „zweiten Pflichtverteidiger“ nach „§ 140 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4 und 5 StPO“. Zur Begründung führte er aus, dass sich der bestellte Pflichtverteidiger B durch einen Unfall das rechte Handgelenk gebrochen habe. Eine „ordnungsgemäße Verteidigertätigkeit in der Hauptverhandlung“ sei daher nicht mehr vollständig gewährleistet, namentlich bei der Erstellung von Mitschriften oder dem schnellen Zugriff auf die Verfahrensakten werde dieser durch die Verletzung spürbar beeinträchtigt. Aufgrund „bereits ausgeschöpfter finanzieller Möglichkeiten“ seiner für die Vergütung aufkommenden Familie könne die Teilnahme des Wahlverteidigers an der Hauptverhandlung nur durch dessen Beiordnung gewährleistet werden. Diesem Antrag entsprach der Vorsitzende und ordnete noch am selben Hauptverhandlungstag an, dass der A „für die Dauer der Erkrankung“ des bestellten Verteidigers als „weiterer Verteidiger beigeordnet wird“. Später wurde die die Beiordnung des A wieder aufgehoben, nachdem der zuvor an sämtlichen Terminen anwesende Pflichtverteidiger B mitgeteilt hatte, dass er wieder ohne Einschränkungen in der Lage sei, die Verteidigung zu.

Zu Recht fragt man sich? Nun auf den ersten Blick denkt man: Ja sicher. Das läuft über § 48 Abs. 5 RVG, also Erstreckung, und keine Ende? Ja, hier dann aber mal nicht der Normalfall der Regelungen in § 48 Abs. 5 RVG, sondern sicherlich ein Sonderfall. Und, das vorab: Sicherlich ein Fall, bei dem Sinn und Zweck des § 48 Abs. 5 RVG dem entgegenstanden, was der Rechtsanwalt hier mit seinem Rechtsmittel erstrebte: Festsetzung von weiteren rund 13.000,00 € an gesetzlichen Gebühren. Denn so viel war noch offen aus dem Zeitraum vor der Bestellung. Rund 3.000,00 € waren für den Zeitraum festgesetzt worden.

Die Frage hat dann das OLG Hamburg beschäftigt. Das hat im OLG Hamburg, Beschl. v. 17. 9. 2012 – 3 Ws 93/12 – den § 48 Abs. 5 RVG einschränkend ausgelegt. Danach wird vom Regelungsbereich des § 48 Abs. 5 RVG nicht erfasst der Vergütungsanspruch eines während laufender Hauptverhandlung zum zweiten Pflichtverteidiger bestellten früheren Wahlverteidigers, sofern damit allein in der Person eines bereits bestellten, in der Hauptverhandlung ebenfalls durchgehend anwesenden Pflichtverteidigers liegende vorübergehende körperliche Einschränkungen, namentlich mangelnde Schreib- und Nachschlagefähigkeiten, kompensiert werden sollen.

Der Wortlaut gibt diese Einschränkung nicht her. M.E. hat das OLG Hamburg aber Recht, wenn es in der vorliegenden Konstellation eine Ausnahme von der in § 48 Abs. 5 RVG geregelten Ausnahme vom Grundsatz § 48 Abs. 1 RVG sieht. Danach stehen den Pflichtverteidiger Gebühren nur zu, soweit sie in dem Zeitraum entstanden sind, auf den sich die Bestellung des Pflichtverteidigers erstreckt. Davon macht § 48 Abs. 5 RVG eine Ausnahme, wenn es erst später im Verfahren zur Bestellung kommt, der Rechtsanwalt aber schon vorher Tätigkeiten als Wahlanwalt für den Beschuldigten erbracht hat. Um solche Tätigkeiten, die für den neu bestellten Pflichtverteidiger durch § 48 Abs. 5 RVG gebührenmäßig abgesichert werden sollen, ging es hier aber nicht. Daher ist die Beschränkung der Erstreckung durch das OLG m.E. hier gerechtfertigt.

Man hätte ggf. auch über die Einschränkung „für die Dauer der Erkrankung“  zu dem Ergebnis kommen können. Aber dann hätte sich die auch nicht unbestrittene Frage gestellt, inwieweit eine Plfichtverteidigerbestellung ein- bzw. beschränkt erfolgen kann. Das wäre hier m.E. möglich gewesen.