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Wiedereinsetzung, eigenes Verschulden, oder: Ohne Auftrag muss der Verteidiger nichts tun.

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Wiedereinsetzungsfragen stellen sich im Strafverfahren häufiger. Meist gehen diese Fragen für die Angeklagten aber glimpflich aus, da ihnen ein Verschulden des Verteidigers nur ausnahmsweise zugerechnet wird bzw. die Rechtsprechung nur selten ein eigenes Verschulden des Angeklagten annimmt. Aber das ist nicht immer der Fall, wie der BGH, Beschl. v. 23.09.2015 – 4 StR 364/15 – zeigt.

Da war in einem BtM-Verfahren nach der Urteilsverkündung zwischen dem Angeklagten und dem Verteidiger nicht geklärt, ob denn nun Rechtsmittel eingelegt werden soll oder nicht. Der BGH geht jedenfalls davon aus, dass die Frage der Einlegung eines Rechtsmittels nicht unmittelbar nach der Urteilsverkündung verbindlich durch eine dahingehende Weisung der Angeklagten entschieden worden war und ihr er  Pflichtverteidiger in der Folgezeit dieser Weisung abredewidrig nicht nachgekommen wäre. Vielmehr war die endgültige Entscheidung noch von einer entsprechenden Willensäußerung der Angeklagten abhängig. In der Situation sagt der BGH, dass ein Angeklagter, der die definitive Zusage seines Verteidigers, ein Rechtsmittel einzulegen, noch nicht erhalten hat, während des Laufs der Einlegungsfrist nicht darauf vertrauen kann, dass dies gleichwohl geschieht. Wenn er es tut, liegt eigenes Verschulden vor. Und/denn:

„c) Vor diesem Hintergrund geht auch die Auffassung der neuen Wahlverteidigerin der Angeklagten fehl, ihr damaliger Pflichtverteidiger hätte rein vorsorglich Revision einlegen müssen, da mangels telefonischer Erreichbarkeit der Angeklagten eine definitive Klärung über die Rechtsmitteleinlegung innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht erfolgen konnte. Gerade weil die Frage der Revisionseinlegung noch offen war, war es Sache der Angeklagten, dafür Sorge zu tragen, dass ihr Verteidiger sie für eine Rücksprache erreichen konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 1996 – 2 StR 426/96, NStZ 1997, 95). Dass die Angeklagte, der die Wochenfrist zur Einlegung der Revision ausweislich ihrer eigenen Erklärung bekannt war, angenommen haben könnte, diese Frist sei eine reine Bedenkzeit und umfasse nicht zugleich die für den rein technischen Vorgang der Einlegung des Rechtsmittels erforderliche Zeitspanne, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Zwar war die Absendung des unter dem 12. März 2015 abgefassten, an die Postanschrift der Angeklagten in den Niederlanden gerichteten Schreibens ihres Pflichtverteidigers mit der Aufforderung, sich zur Frage der Einlegung der Revision nunmehr zu erklären, im Hinblick auf die am nächsten Tag ablaufende Frist ersichtlich verspätet und deshalb wenig sachdienlich. Das eigene Verschulden der Angeklagten wird dadurch aber nicht beseitigt (vgl. Senatsbeschluss vom 22. August 2012 – 4 StR 299/12).“

Tja, da kann man nur raten, dass eindeutige Absprachen getroffen werden. Und wenn nicht, nicht erst unmittelbar vor Fristablauf die Mandantin anschreiben :-). Ist „wenig sachdienlich“.

Beim OLG Hamm hat der Monat (demnächst) nur noch 25 Tage

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Ich lese ja gerade Korrektur der Texte für das „Handbuch für die strafverfahrensrechtliche Nachsorge“, in dem es natürlich auch ein Kapitel zur Rechtsbeschwerde nach den §§ 116 StVollzG geben wird. Und da viel mir dann beim Lesen ein, dass in meinem Blogordner immer noch der schon etwas ältere OLG Hamm, Beschl. v. 28.05.2015 – 1 Vollz (Ws) 248/15 – hängt, über den ich schon seit längerem berichten will. In ihm geht es um eine verfristete Rechtsbeschwerde und einen gegen die Fristversäumung gestellten Wiedereinsetzungsantrag.

Der Gefangene hatte seinen Antrag an das zuständige Gericht auf Protokollierung des Rechtsmittels erst drei Tage vor Ablauf der Rechtsmittelfrist zur Post gegeben. Das reichte dann nicht mehr für eine rechtzeitige Protokollierung  mit Vorführung zum Rechtspfleger.

Das OLG sieht darin ein Verschulden des Gefangenen und hat die Wiedereinsetzung abgelehnt:

„Zwar ist ein Betroffener nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts berechtigt, die ihm vom Gesetz eingeräumten prozessualen Fristen bis zu ihrer Grenze auszunutzen. Dies bedeutet auch, dass ein Gefangener grundsätzlich das Recht hat, eine Rechtsbeschwerdebegründung gegebenenfalls auch noch am letzten Tag der Frist zu Protokoll des Urkundsbeamten zu erklären. Es beinhaltet jedoch keinen Anspruch darauf, dass der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle auch verpflichtet ist, bei später Antragstellung zur Vorführung allein wegen des bevorstehenden Fristablaufes  überobligatorische Tätigkeiten außerhalb des normalen Geschäftsganges zu entfalten, um die Einhaltung der Rechtsbeschwerdefrist zu gewährleisten. Die gesetzlich vorgeschriebene Rechtsmittelfrist beinhaltet nämlich keine reine Bedenkzeit, sondern umfasst zugleich die Zeitspanne, die dem Betroffenen je nach den Umständen zur Erledigung des rein technischen Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung verbleibt (vgl. Senat a.a.O.). Es muss deshalb von dem Betroffenen erwartet werden, dass er seinerseits alles ihm Zumutbare veranlasst, um die rechtzeitige Protokollierung des Rechtsmittels sicherzustellen…..“

Und das OLG setzt nach – für zukünftige Fälle:

„Es wird insoweit ergänzend ohne Vornahme einer allgemeinen Festlegung für jeden Einzelfall darauf hingewiesen, dass nach Auffassung des Senats ein Protokollierungsersuchen im Regelfall dann als rechtzeitig anzusehen sein wird, wenn es zumindest fünf Werktage vor Ablauf der Rechtsmittelfrist abgesendet worden ist.

Durch die vorstehend dargelegte Betrachtungsweise wird einem Gefangenen der Zugang zu den Gerichten und zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Rechtsmittelinstanzen auch nicht entgegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Die notwendigen organisatorischen Maßnahmen zur Protokollierung der Rechtsbeschwerdebeschwerde eines Gefangenen sind vielmehr als sachlicher Grund anzusehen, der einen für den Betroffenen hinnehmbaren höheren Zeitaufwand erfordert. Hierbei ist zudem zu beachten, dass die Möglichkeit der Protokollierung einer Rechtsbeschwerde vor dem Rechtspfleger sich lediglich als ein gesetzliches Äquivalent zur gemäß § 118 Abs. 3 StVollzG grundsätzlich notwendigen Einlegung des Rechtsmittels unter Mitwirkung eines Rechtsanwaltes darstellt. Auch bei Inanspruchnahme eines Rechtsanwaltes könnte der Betroffene unter Berücksichtigung dessen anderweitiger Auslastung nicht damit rechnen, dass dieser im Falle des Einganges eines Mandatsauftrages am Tag vor Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist für ihn noch in sinnvoller Weise tätig werden könnte. Auch insoweit könnte der Gefangene gerade nicht erwarten, der Rechtsanwalt werde sich bereits am Folgetag in die JVA begeben, um die Angelegenheit zu besprechen und anschließend noch taggleich eine Rechtsbeschwerdebegründung abzufassen und für deren Zugang bei Gericht zu sorgen. Vielmehr wird in derartigen Fällen mangels ausreichender Einarbeitungsmöglichkeiten in die Sach- und Rechtslage eine über die Erhebung der allgemeinen Sachrüge hinausgehende Rechtsbeschwerdebegründung im Regelfall kaum möglich sein.“

Tja, solche „Neigungsbeschlüsse“ sind immer unschön, kündigen sie doch i.d.R. eine Rechtsprechungsänderung an. So wohl auch hier. In Hamm hat der Monat demnächst also nur noch 25 Tage. Ob das das BVerfG schön findet/mitmacht? Man wird es dann sehen.

Aber Herr Kollege: Auch wenn die Strafkammer „schlampt“, sie sind/bleiben/waren Wahlanwalt

© Alex White - Fotolia.com

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Zu Wiedereinsetzungsfragen gibt es immer wieder – mehr oder weniger interessante – Entscheidungen auf der Homepage des BGH. Zu denen gehört dann auch der BGH, Beschl. v. 18.05.2015 – 2 StR 26/15. Versäumt worden war die Frist zur Begründung der Revision. Der BGH gewährt Wiedereinsetzung von Amts wegen:

Dem Angeklagten war von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Frist zur Begründung der Revision zu gewähren. Denn der Angeklagte war ohne Verschulden an der Einhaltung dieser Frist verhindert. Er konn-te und durfte darauf vertrauen, dass sein Wahlverteidiger nach Einlegung der Revision dieses Rechtsmittel auch fristgerecht begründen würde. Soweit der Verteidiger untätig geblieben ist, weil über seinen schon längere Zeit zuvor bestellten Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger nicht entschieden worden war, war dies für den Angeklagten nicht vorhersehbar; weder das Versäumnis der Strafkammer noch das (angesichts des bestehenden Wahlverteidigermandats nicht nachvollziehbare) Unterlassen einer fristgerechten Begründung der Revision durch den Wahlverteidiger dürfen den Angeklagten zum Nachteil gereichen.

Nachdem der Verteidiger (nach zwischenzeitlich am 4. November 2014 erfolgter Beiordnung als Pflichtverteidiger) mit Telefaxschreiben vom 13. November 2014 die Revision begründet hat, die versäumte Handlung damit innerhalb der (ab Zustellung des Beschlusses vom 7. November 2014 an den Angeklagten ab 13. November 2014 laufenden) einwöchigen Antragsfrist des § 45 Abs. 1 StPO nachgeholt worden ist, war auch die Voraussetzung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen gegeben (§ 45 Abs. 2 Satz 3 StPO).“

Recht hat m.E. der Senat mit dem „nicht nachvollziehbar“. Auch wenn die Strafkammer „schlampt“ bzw. nicht zügig arbeitet, der Kollege ist und bleibt zunächst mal Wahlanwalt.

Ist klar: Eine Frist versäumen kann nur der, der sie einhalten will

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Schon ein paar Tage hängt in meinem „Blogordner“ der OLG Hamm, Beschl. v. 09.09.2014 – 5 RVs 67/14, der eine Wiedereinsetzungsproblematik zum Gegenstand hat, die in der Praxis häufiger auftritt und auf die ich hier dann einmal hinweisen will. Der Angeklagte hat gegen ein amtsgerichtliches Urteil – nachdem er zunächst Rechtsmittelverzicht erklärt hat – nun doch Sprungerevision eingelegt und begründet seinen Wiedereinsetzungsantrag wie folgt:

„(…) Ich habe mich insoweit auf die Angaben der Anwälte, dass es keine weiteren Folgen (außer der verhängten Gesamtgeldstrafe – Anm. des Senats) geben würde, verlassen, und habe das Urteil angenommen und auf Rechtsmittel verzichtet.
In der Zeit nach dem Urteil habe ich auch die Geldstrafe bezahlt. Ich dachte auch, dass man nun gegen das Urteil nichts mehr machen kann.
Dann erhielt ich die Mitteilung, dass die Straßenverkehrsbehörde aufgrund des Urteils 14 Punkte ins Verkehrszentralregister eingetragen hat. Wenn ich diese Folge gekannt hätte, hätte ich nie ein Geständnis angegeben und mich auf diese Absprache mit dem Gericht nicht eingelassen. Denn ich Wirklichkeit war der Sachverhalt anders als in der Anklage steht. Mein Geständnis nehme ich ausdrücklich zurück.
Ich bin bis zuletzt davon ausgegangen, dass man wegen des Rechtsmittelverzichts nicht gegen das Urteil vorgehen kann. Das hatte man mir so erklärt. Erst nachdem ich Frau Q die Akte zur Prüfung vorgelegt habe, habe ich erfahren, dass es doch noch eine Möglichkeit gibt.“

Das OLG lehnt den Antrag – nicht überraschend – ab, denn – dazu die Leitsätze der Entscheidung:

  1. Eine Frist im Sinne des § 44 StPO versäumt derjenige, der sie einhalten wollte, aber nicht eingehalten hat. Demgegenüber ist jemand, der von einem befristeten Rechtsbehelf bewusst keinen Gebrauch macht, nicht nach Satz 1 der Vorschrift an dessen Einlegung „verhindert“. Dies gilt auch dann, wenn ein Angeklagter – auch nach Beratung durch seinen Verteidiger – die Rechtsfolgen der (zunächst) nicht angegriffenen Entscheidung (hier: Eintragung von Punkten in das Verkehrszentralregister) oder die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels möglicherweise falsch einschätzt.
  1. 44 StPO stellt ausschließlich auf unverschuldete Hindernisse bei der Einhaltung einer Frist ab. Als ein solches Hindernis kommt die unverschuldete Unkenntnis von Umständen nur insoweit in Betracht, als letztere für den Beginn und Lauf einer einzuhaltenden Frist maßgeblich sind. Demgegenüber stellt eine unverschuldete Unkenntnis von Umständen, die lediglich den Beweggrund zur Wahrung einer Frist beeinflussen können (wie hier die falsche Einschätzung sämtlicher Folgen des Urteils), kein solches Hindernis dar. Die irrige Beurteilung der Folgen eines zunächst nicht angegriffenen Urteils derart, dass außer der verhängten (Gesamt-)Geldstrafe keine weiteren Konsequenzen eintreten würden, beeinflusste lediglich die Willensbildung dahin, nicht gegen das Urteil vorzugehen, also letztlich die Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels nicht auszunutzen.

Also: Man muss sich schon genau überlegen, was man dem Mandanten rät bzw. wie man ihn belehrt.

Keine Wiedereinsetzung, oder: Das eigene Verschulden wird zu einem des Verteidigers?

entnommen open.clipart.org

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Es gibt – so finde ich – dann doch recht viele Entscheidungen des BGH zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 44, 45 StPO). Dabei sind die, in denen der BGH dem Verteidiger ein Verschulden an einer Fristversäumung „vorwirft“ i.d.R. für den Angeklagten nicht so fatal, da dem Angeklagten das Verschulden seine Verteidigers nicht zugerechnet wird. „Schlimmer“ sind die, in denen der BGH ein eigenes Verschulden des Angeklagten an der Fristversäumung sieht. Das war es dann nämlich mit dem Rechtsmittel, weil dann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen ist. So jetzt der BGH, Beschl. v. 09.10.20174 – 4 StR 374/14 mit einer in der Praxis sicherlich häufigeren Konstellation:

„1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Revisionsbegründungsfrist bleibt ohne Erfolg, weil der Angeklagte weder dargelegt noch glaubhaft gemacht hat, dass er ohne Verschulden gehindert war, die versäumte Frist einzuhalten (§ 44 Abs. 1 StPO).

Dem Angeklagten war aus dem Schreiben seines früheren Verteidigers vom 5. Juni 2014 bekannt, dass dieser die nur „fristwahrend“ (vgl. den Revisionseinlegungsschriftsatz vom 15. Mai 2014) eingelegte Revision für nicht aussichtsreich hielt und sich dabei im Einvernehmen mit ihm sah. Unter diesen Umständen musste er damit rechnen, dass sein Verteidiger die Revision – ungeachtet einer vorherigen anderslautenden Absprache, für die es zudem an jeder Glaubhaftmachung fehlt – nicht von sich aus begründen würde. Wenn der Angeklagte seine Revision gleichwohl durchführen wollte, hätte er dies seinem früheren Verteidiger ausdrücklich mitteilen, einen anderen Rechtsanwalt beauftragen oder die Revision selbst zu Protokoll der Geschäftsstelle begründen müssen. Da er stattdessen untätig blieb und die Frist zur Begründung der Revision verstreichen ließ, trifft ihn an der Versäumung der Frist ein Verschulden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Dezember 1989 – 4 StR 537/89, BGHR StPO § 44 Satz 1 Verhinderung 9; Beschluss vom 13. März 1984 – 4 StR 56/84, Rn. 2; MüKoStPO/Valerius, § 44 Rn. 56).

Was man sich jetzt natürlich fragen kann/muss: Und wie ist es dann jetzt doch mit einem Verschulden des Verteidigers? Muss er nicht ggf. den Mandanten über das, was er nach einem „fristwahrenden Rechtsmittel“ ggf. tun muss ausdrücklich belehren? Und handelt es sich, wenn er es nicht tut, dann nicht doch wieder um ein Verschulden des Verteidigers? Ich würde den Mandanten in diesen Fällen (ausdrücklich) so bzw. darüber belehren, was der BGH wünscht.