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Telefonieren in der U-Haft, oder: Keine Gespräche mehr mit „Mutti“

© Mac Dax - Fotolia.com

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Untersuchungshaftgefangene benötigen für Telefonate eine Telefonerlaubnis. Die wird vom Gericht „erteilt/ausgesprochen, wenn keine Bedenken gegen das Telefonat bestehen. Frage: Was ist, wenn sich nach Erteilung einer Telefonerlaubnis herausstellt, dass die Voraussetzungen für die Zustimmung weggefallen sind. Nun, dann kann die erteilte Zustimmung widerrufen werden. So der OLG Celle, Beschl. v. 08.09.2016 – 1 Ws 434/16:

„c) Der Vorsitzende des Schwurgerichts hat zu Recht seine Zustimmung zur Erteilung einer Erlaubnis für Telefonate des Angeschuldigten mit seiner Mutter unter deren Festnetznummer versagt und eine vor Anklageerhebung von der Staatsanwaltschaft Hildesheim – auf der Basis einer Zuständigkeitsübertragung nach § 134 Abs. 3 Satz 1 NJVollzG – erteilte Zustimmung für Telefonate des Angeschuldigten mit seiner Mutter unter deren Mobiltelefonnummer widerrufen. Denn es sind neue Umstände zu Tage getreten, die befürchten lassen, dass der Angeschuldigte Telefongespräche unter Verwendung der Telefonanschlüsse seiner Mutter zu Verdunkelungshandlungen nutzen wird.

Die Lebensgefährtin des Angeschuldigten, die Zeugin S. V., die bei der mutmaßlichen Tat des Angeschuldigten zugegen war und damit als unmittelbare Tatzeugin in Betracht kommt, hat in einem Brief an dem Angeschuldigten verklausuliert vorgeschlagen, sie und der Angeschuldigte sollten sich nach außen hin als Verlobte gerieren. Sie hat damit implizit vorgeschlagen, der Angeschuldigte möge dazu beitragen, dass sie unter Berufung auf ein ihr zuzubilligendes Zeugnisverweigerungsrecht eine Aussage vor Gericht vermeiden und eine Unverwertbarkeit ihrer gegenüber der Polizei gemachten Angaben erreichen könne. Der Inhalt eines Briefes des Angeschuldigten an S. V. mit der Formulierung, „… aber es war nicht so und du warst dabei und hast es gesehen,“ belegt jedenfalls eine Einflussnahme auf die Zeugin und begründet den Verdacht einer versuchten Anstiftung zu einer Falschaussage. Damit besteht die tatsachenfundierte Besorgnis, dass die Zeugin V. und der Angeschuldigte Kontakte zu verdunkelnden Absprachen nutzen werden.

Zwar bezieht sich die erteilte Telefonerlaubnis auf Gespräche des Angeschuldigten mit seiner Mutter und soll sich auch die neu erstrebte weitere Telefonerlaubnis auf Gespräche des Angeschuldigten mit seiner Mutter erstrecken. Jedoch hat die Zeugin V. in einem weiteren Brief an den Angeschuldigten vom 12. August 2016 erklärt, sie werde das nächste Mal hoffentlich einen Anruf des Angeschuldigten mitbekommen, weil sie am nächsten Tag zu seiner Mutter gehen werde. Diese Angabe der Zeugin V. begründet – wie der Vorsitzende des Schwurgerichts zu Recht angenommen hat – die weitere Besorgnis, dass die Zeugin V. bei Telefonaten des Angeschuldigten mit seiner Mutter anwesend ist beziehungsweise selbst mit dem Angeschuldigten unter Nutzung von Telefonanschlüssen der Mutter des Angeschuldigten telefoniert. Damit besteht die Befürchtung, dass die Telefonerlaubnisse, um die es vorliegend geht, für Verdunkelungsabsprachen zwischen dem Angeschuldigten und der Zeugin V. genutzt werden. Dabei ist naheliegend, dass solche Gespräche in Kenntnis und mit Billigung der Mutter des Angeschuldigten geführt werden. Vor diesem Hintergrund sind ungeachtet des Umstandes, dass Kontakte zwischen dem Angeschuldigten und seiner Mutter unter dem besonderen Schutz von Art. 6 Grundgesetz stehen, die Versagung und der Widerruf der Zustimmung zu Telefonerlaubnissen nicht nur rechtlich statthaft, sondern auch in der Sache geboten.

Durch eine akustische Gesprächsüberwachung könnte die begründete Befürchtung von Verdunkelungsaktivitäten nicht hinreichend abgewendet werden, weil bei einer akustischen Gesprächsüberwachung in der Regel erst im Anschluss an eine bereits erfolgte Absprache und damit erst zu spät reagiert werden könnte (vgl. insofern OLG Celle, Beschluss vom 24. November 2009 – 2 Ws 276/09, NStZ-RR 2010, 159).

Ohne Bedeutung ist im vorliegenden Zusammenhang, dass der Haftbefehl nicht auf Verdunkelungsgefahr gestützt ist; Maßnahmen zur Vermeidung von konkret zu befürchtenden Verdunkelungshandlungen können auch in einem solchen Fall ergriffen werden (OLG Celle, Beschluss vom 24. November 2009 – 2 Ws 276/09, NStZ-RR 2010, 159; OLG Celle, Beschluss vom 24. März 2016 – 1 Ws 28/16; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 119 Rn. 5).“

 

Für den Fachanwalt: Es wird Zeit für die Fortbildung, sonst droht Widerruf

entnommen wikimedia.org Urheber Photo: Andreas Praefcke

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Was bringt man am Tag der Deutschen Einheit bzw., welche Entscheidungen bieten sich für die Berichterstattung an? Dass an einem Feiertag nur zwei Postings kommen, liegt auf der Hand. Am Besten wäre natürlich etwas Staatstragendes, nur ist das nicht so einfach, dazu etwas zu finden. Und da bin ich dann auf eine (weitere) „Fortbildungsentscheidung“ des BGH gestoßen. Im Moment haben die m.E. beim BGH einen Lauf; ich erinnere da nur an das BGH, Urt. v. 18.07.2016 – AnwZ (BrfG) 46/13 und dazu Qualitätssicherung beim Fachanwalt, oder: Was kann/darf/muss in der Fortbildung drin sein?.

Heute geht es um den BGH, Beschl. v. 09.08.2016 – AnwZ (Brfg) 13/16. Der passt zeitlich ganz gut, denn er behandelt die Folgen einer verspäteten Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung des Fachanwaltes. Und immerhin schreiben wir ja schon Anfang Oktober.Da wird es für 2016 allmählich Zeit mit Fortbildung.

Im entschiedenen Fall ging es um einen Fachanwalt für Strafrecht, bei dem die Erlaubnis zur Führung des Fachanwaltstitels widerrufen worden war, weil er keine Fortbildung für das Jahr 2014 nachgewiesen hatte. Dagegen hatte der Fachanwalt geklagt und beim AGH NRW verloren. Die Berufung dagegen hatte beim BGH keinen Erfolg:

„2. Der Kläger beruft sich weiter auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Er behauptet, die Fortbildungspflicht erfüllt, nämlich im Jahre 2015 zehn Fortbildungsstunden nachgewiesen zu haben.

Dieser Vortrag ist nicht geeignet, die Richtigkeit des anzufechtenden Urteils in Zweifel zu ziehen. Der Anwaltsgerichtshof ist von fünf Fortbildungsstunden ausgegangen, welche der Kläger nach Zustellung des Widerrufsbescheids im Oktober 2015 absolviert hatte. Auf die Rechtmäßigkeit des zuvor ergangenen, die Fortbildungspflicht im Jahre 2014 betreffenden Bescheides hatten sich diese fünf Stunden nicht ausgewirkt. Gleiches gilt, soweit der Kläger später noch weitere Fortbildungsveranstaltungen besucht haben sollte. Der Tatbestand der Nichterfüllung der Fortbildungspflicht stand mit Ablauf des Jahres 2014 fest (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 2013 – AnwZ (Brfg) 16/12, NJW 2013, 2364 Rn. 10; Beschluss vom 5. Mai 2014 2014 – AnwZ (Brfg) 76/13, AnwBl. 2014, 755 Rn. 10). Für Ereignisse, die erst nach Erlass des Bescheides eingetreten sind, kann dies jedoch nicht gelten.

Soweit der Kläger meint, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, eine ausreichende Zahl von Fortbildungsveranstaltungen anzubieten, trifft dies nicht zu. Weder die Bundesrechtsanwaltsordnung noch die Fachanwaltsordnung sehen eine entsprechende Pflicht der Kammern vor.“

Der Kläger/Fachanwalt hat im Übrigen inzwischen auf die Führung der Bezeichnung „Fachanwalt für Strafrecht“ verzichtet. Damit erledigt sich für ihn die Fortbildungsverpflichtung.

Wer lügt, bekommt keine PKH

HammerWer lügt, bekommt keine PKH. So lässt sich der OLG Hamm, Beschl. v. 14.11.2014 – 9 U 165/13 – kurz und knapp zusammenfassen. Ergangen ist er in einem Verfahren, in dem der Kläger eine Schadensersatzklage gegen einen Unfallgegner anhängig gemacht hatte, der ihm angeblich auf seinen Pkw aufgefahren sein sollte. Also ein „manipulierter Unfall“. Für das Verfahren war dem Kläger PKH gewährt worden. Die ist vom OLG jetzt widerrufen worden, nachdem sich im Verfahren herausgestellt hatte, dass der Kläger den Unfall selbst provoziert hat. Die Klageabweisung ist rechtskräftig. Zum Widerruf der PK, der für die 1. und die Berufungsinstanz erfolgte, führt das OLG aus:

„Das Gericht kann die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 1 ZPO aufheben, wenn die Partei durch unrichtige Darstellung des Streitverhältnisses die für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe maßgebenden Voraussetzungen vorgetäuscht hat. Als Gericht der Hauptsache kann der Senat auch über die Aufhebung der Bewilligung der in erster Instanz gewährten Prozesskostenhilfe entscheiden.

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Der unzulässige doppelte Bewährungswiderruf

© M. Schuppich - Fotolia.com

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Liegt an sich auf der Hand: Einen doppelten Bewährungswiderruf gibt es nicht, so das KG im KG, Beschl. v. 31.07.2014 – 2 Ws 279/14. In dem Verfahren hatte – was in der Praxis nicht selten ist – ein unzuständiges Gericht die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen. Das war dann aufgefallen und die Sache war dann an das zuständige Gericht abgegeben worden. Das hatte die Bewährung dann gleich noch einmal widerrufen. Nun – so das KG – das geht nicht:

„Die angefochtene Entscheidung leidet unter einem Verfahrensmangel, der zu ihrer Aufhebung zwingt.

Zwar ist die Strafvollstreckungskammer grundsätzlich gemäß §§ 462a Abs. 1 Satz 1, 453 StPO für die Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung zuständig, wenn – wie hier – gegen den Verurteilten zum Zeitpunkt der zu treffenden Entscheidung eine Freiheitsstrafe vollstreckt wird (vgl. Senat NStZ 2007, 422). Dies gilt jedoch nicht, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs – wenn auch nur in irrtümlicher Annahme seiner Zuständigkeit – bereits eine entsprechende Entscheidung erlassen hat, mag diese auch noch nicht zugestellt oder rechtskräftig sein. In diesem Fall ist es der Strafvollstreckungskammer solange verwehrt, erneut in der Sache zu entscheiden, wie die vorangegangene (fehlerhafte) Entscheidung existent ist. Es gilt insoweit nichts anderes als für die doppelte Anhängigkeit ein und derselben Sache bei verschiedenen Gerichten, die ein von Amts wegen zu beachtendes Prozesshindernis begründet.

Vorliegend wird das Amtsgericht seinen Widerrufsbeschluss nun noch einmal ordnungsgemäß zuzustellen haben. Erst wenn der Verurteilte gegen diese Entscheidung Rechtsmittel einlegt und das Beschwerdegericht sie aufhebt, ist der Weg für eine Beschlussfassung durch die Strafvollstreckungskammer frei.“

Neue Straftaten – Auswirkungen auf den Bewährungswiderruf?

ParagrafenIn meinem „Blogordner“ hingen einige Entscheidungen zu Bewährungsfragen. Die habe ich in den letzten Tagen aufgearbeitet (vgl. hier zuletzt den KG im KG, Beschl. v. 23.05.2014 – 2 Ws 198/14 – und dazu Straftat “außer Landes” – Bewährungswiderruf “inner Landes” möglich?). Jetzt ist der Ordner fast leer, allerdings zwei Entscheidungen habe ich noch. In beiden Entscheidungen geht es um die Frage des Widerrufs von Strafaussetzung wegen neuer Straftaten, und zwar:

  • Einmal der OLG Hamm, Beschl. v. 30.04.2014 – 2 Ws 68-69/14. Der stellt fest, dass der Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung wegen neuer Straftaten innerhalb der Bewährungszeit gemäß § 56 f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB sich nicht auf die Feststellung der neuen Taten beschränken kann/darf, ohne die Sozialprognose zu prüfen, denn neue Straftaten stehen einer günstigen Prognose nicht zwingend entgegen: „Im Widerrufsverfahren nach § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB muss zu der Feststellung des Vorliegens einer Anlasstat eine Prüfung der Frage, ob sich dadurch die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, nicht erfüllt hat, hinzukommen. Dabei stehen auch einschlägige Rückfalltaten, jedenfalls wenn sie von geringerem Gewicht sind, einer neuerlichen günstigen Prognose nicht von vornherein entgegen. Das den Widerruf prüfende Gericht hat in jedem Fall eine neue, in die Zukunft gerichtete Prognose dahin zu erarbeiten, ob die Erwartung künftigen straffreien Lebens durch die Nachtat(en) widerlegt ist oder nicht dennoch fortbesteht (Fischer, a.a.O., Rn 8; OLG Stuttgart, Beschluss vom 08. November 2001 — 2 Ws 222/01 —, zitiert nach juris, Rn 10).
  •  Und dann noch der OLG Hamm, Beschl. v. 01.04.2014 – 3 Ws 67/14, der sich mit der Frage auseinandersetzt, ob der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wegen einer neuen Straftat stets eine rechtskräftige Verurteilung wegen dieser Tat voraussetzt. Das wird vom OLG Hamm – erneut – verneint, während andere OLG das im Hinblick auf die Rechtsprechung des EGMR zum Teil anders sehen. Das OLG Hamm räumt zwar ein, dass bei der Anwendung des § 56f StGB die in Art. 6 Abs. 2 EMRK normierte Unschuldsvermutung zu beachten und die dazu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen sei. Hieraus ist zwar zu entnehmen, dass regelmäßig nicht das die Strafvollstreckung überwachende Gericht (im Rahmen der Widerrufsentscheidung) eine neue Straftat feststellen dürfe, allerdings folgt daraus nicht, dass die Widerrufsentscheidung die Rechtskraft der eine neue Tat feststellenden Entscheidung voraussetzt.