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StPO III: Anordnung von Jugendarrest „keine Haft“, oder: Belehrung im Hauptverhandlungsprotokoll?

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Und dann als dritte Entscheidung noch der LG Limburg, Beschl. v. 05.01.2023 – 2 Qs 76/22.

Das AG hat gegen den verurteilten Jugendlichen einen Jugendarrest von vier Wochen verhängt, weil dieser eine mit Urteil vom 22.02.2021 rechtskräftig erteilte Weisung, an einem Anti-Gewalt-Trainingskurs des Jugendhilfevereins teilzunehmen, schuldhaft nicht erfüllt habe. Gegen diesen am 29.09.2022 zugestellten Beschluss hat der Jugendliche mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 01.10.2022, eingegangen ausweislich der Faxleiste an diesem Tag, das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde eingelegt. Aufgrund des Rechtsmittels hat die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 03.11.2022 die Akte der Kammer mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen vorgelegt, die am 07.11.2022 beim Landgericht eingegangen ist. Mit Schriftsatz vom 28.10.2022, gerichtet an das Amtsgericht Limburg und ausweislich des Eingangsstempels am 04.11.2022 bei der Staatsanwaltschaft eingegangen, hat der Verteidiger das Rechtsmittel eingehend begründet. Die Staatsanwaltschaft hat es aber versäumt, die Rechtsmittelbegründung in angemessener Frist der Akte nachzusenden.

Das LG hat, nachdem keine Beschwerdebegründung vorlag, mit Beschluss vom 21.11.2022 das Rechtsmittel aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet verworfen. Gegen die formlos übersandte Kammerentscheidung hat der Jugendliche dann mit Schriftsatz vom 26.11.2022, eingegangen an diesem Tag, weitere Beschwerde (§ 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO) eingelegt und hilfsweise – sollte die Kammer einen Fall einer Verhaftung i.S.d. § 310 Abs. 1 Nr. StPO verneinen – beantragt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 33a StPO) zu gewähren. Das Rechtsmittel hatte mit dem Hilfsantrag Erfolg:

„Dem Hilfsantrag war zu entsprechen. Die Voraussetzungen des Nachverfahrens gemäß § 33a StPO liegen vor.

1. Der ergangene Kammerbeschluss ist unanfechtbar. Die weitere Beschwerde ist nicht statthaft. Der Fall einer Verhaftung i.S.d. § 310 Abs. 1 Nr. StPO liegt nicht vor. Beschwerdebeschlüsse des Landgerichts sind grundsätzlich nicht mit der weiteren Beschwerde anfechtbar (§ 310 Abs.2 StPO). Einer der in § 310 Abs. 1 StPO geregelten Ausnahmefälle liegt nicht vor, insbesondere auch keine „Verhaftung“ i.S.v. § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO. Zwar ist die Rechtsnatur des jugendstrafrechtlichen Ungehorsamsarrests umstritten, doch unabhängig davon, ob man ihn als „besondere jugendstrafrechtliche Reaktionsmöglichkeit“ und im weitesten Sinn somit als einen Akt der Vollstreckung wertet oder als „unselbstständige Ersatzmaßnahme“ qualifiziert, ist die Anordnung von Jugendarrest nach § 11 Abs. 3 S. 1 JGG, da ein Verstoß gegen eine im Urteil erteilte Weisung sanktioniert wurde, jedenfalls keine einer Verhaftung i.S.v. § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO gleichzustellende Maßnahme (OLG München NStZ 2012, 166).

2. Die Kammer hat mit der zum Nachteil des Beschwerdeführers ergangenen Entscheidung – wenn auch ohne eigenes Verschulden – rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Die eingehende Beschwerdebegründung lag bei der Kammerberatung nicht vor.

3. Die gebotene Prüfung, ob die frühere Entscheidung abgeändert werden muss, führt zum Erfolg der sofortigen Beschwerde.

Ein Jugendarrest durfte schon deshalb nicht verhängt werden, weil der Beschwerdeführer entgegen § 11 Abs. 3 S.1 JGG nicht über die Folgen einer schuldhaften Zuwiderhandlung gegen die erteilte Weisung belehrt worden ist.

3.1. Zweckmäßiger Weise erfolgt eine Belehrung nach der Urteilsverkündung, wobei sie zu protokollieren ist.

Das Protokoll der Hauptverhandlung vom 22.02.2021 weist eine Rechtsmittelbelehrung, aber keine Belehrung nach § 11 Abs. 3 JGG aus. Der Kammer ist es verschlossen, eine dienstliche Erklärung des Jugendrichters einzuholen, ob die Belehrung über einen Ungehorsamsarrest Teil der mündlichen Urteilsbegründung war. Ebenso wie eine Belehrung über die Folgen schuldhafter Verletzung von Weisungen eines Bewährungsbeschlusses gehört die Belehrung über Folgen erteilter Weisungen nach Jugendstrafrecht zu den wesentlichen Förmlichkeiten der Beurkundung einer Hauptverhandlung (vergl. zu Belehrung nach § 268a Abs. 3 StPO Karlsruher Kommentar, 8. Auflage, StPO, § 273 Rdnr. 6 m. w.n.). Dem entspricht es, dass das Protokoll als „maßgeblich“ angesehen wird (Eisenberg/Kölbel, JGG, 22.Aufl., § 11 Rdnr. 16, BeckOK/Gertler, 27 Ed. 1-11-2022, JGG § 11 Rd.19, LG Marburg NStG-RR 2006, 122).

4. Eine Belehrung kann – ebenso wie eine fehlende Belehrung nach § 268a Abs. 3 StPO – nachgeholt werden (§ 453a Abs.1 S. 1 StPO entsprechend). Eine gesonderte, an den Beschwerdeführer gerichtete Belehrung ist der Akte nicht zu entnehmen.

In den schriftlichen Urteilsgründen hat der Jugendrichter zwar sehr deutlich auf die Folgen schuldhafter Nichterfüllung hingewiesen. Nach der Beschwerdebegründung kann aber nicht mehr angenommen werden, dass der Beschwerdeführer die Urteilsgründe tatsächlich gelesen hat. Verpflichtet hierzu ist er nicht.“

Ist Erzwingungshaft „Verhaftung“?, oder: Offen gelassen

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Und die dritte „Haftentscheidung“ betrifft eine Erzwingungshaftproblematik, nämlich die Frage, ob Erzwingungshaft nach § 96 OWiG unter den Begriff der Verhaftung i.S.v. § 310 Abs. 1 StPO fällt. Der OLG Hamm, Beschl. v. 20.03.2018 – 4 Ws 27/18 – sagt:

„Der Senat kann offen lassen, ob das Rechtsmittel bereits unstatthaft ist, weil es sich gegen eine Entscheidung eines Landgerichts richtet, welche ihrerseits bereits auf eine Beschwerde (hier: gegen die Anordnung von Erzwingungshaft) hin ergangen ist und in einem solchen Fall eine weitere Beschwerde nur in den gesetzlichen Ausnahmefällen des § 310 Abs. 1 in Verbindung mit § 46 OWiG statthaft ist (vgl. § 310 Abs. 2 OWiG).

Die Anordnung von Erzwingungshaft fällt nach herrschender Auffassung in der Rechtsprechung nicht unter den Begriff der Verhaftung im Sinne von § 310 Abs. 1 StPO (OLG Hamm NStZ-RR 2006, 320; OLG Rostock NStZ 2006, 245, 246; OLG Schleswig, Beschl.v. 04.08.2004 – 1 Ws 279/04 – juris; offengelassen in: OLG Karlsruhe NStZ 2016, 184). In der Literatur wird diese Auffassung teilweise in Zweifel gezogen. Argumentiert wird, dass die Erzwingungshaft vergleichbar schwerwiegend sei, wie die Beugehaft nach § 70 Abs. 2 StPO. Der Begriff der Verhaftung in § 310 StPO sei kein anderer als in § 304 StPO und dort sei die Beugehaft als Verhaftung anzuerkennen (Matt in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 310 Rdn. 43 und 42 unter Hinweis auf OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 26, 27). In der Tat spricht vieles dafür, auch die Anordnung von Erzwingungshaft nach § 96 OWiG als „Verhaftung“ anzusehen, wenn man jede unmittelbar die Haft herbeiführende Entscheidung als relevantes Kriterium ansieht (vgl. BGHSt 26, 270, 271) – in Abgrenzung zu bloß bei Eintritt einer weiteren Bedingung zur Haft führenden Entscheidungen wie bei der Ersatzordnungshaft (vgl. BGH, Beschluss vom 04.08.2009 – StB 32/09 = BeckRS 2009, 23731). Diese Frage muss der Senat aber nicht abschließend entscheiden.“

Nicht Rosen, sondern Kündigung für den Staatsanwalt

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Ich war ein paar Tage unterwegs, daher komme ich erst heute dazu auf die PM_StA_Muenster_27_06_12 hinzuweisen, die sic auch noch einmal mit der Verhaftung eines Verteidigers im Gerichtssaal beim LG Münster befasst (hier dazu unser Beitrag mit weiteren Hinweisen). In der PM heißt es u.a.:

Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft Münster in diesem Fall ist skandalös und rechtsmissbräuchlich, denn sie verletzt in eklatanter Form die für Rechtsanwalt R. streitende Unschuldsvermutung. Die Festnahme in einer eigens dafür beantragten Unterbrechung der Gerichtsverhandlung vor den Augen aller Anwesenden und der anwesenden Presse erweckt den Eindruck einer mediengerechten Inszenierung. Ein sachlicher Grund für die Festnahme in dieser Form ist nicht erkennbar. Da Fluchtgefahr nicht bestand, wäre es ein leichtes gewesen, Rechtsanwalt R. vor oder nach der Verhandlung ohne großes Aufsehen im Gerichtsgebäude festzunehmen. Wenn dies dennoch im Gerichtssaal unter den Augen der Öffentlichkeit und der Presse geschah, ist nur so zu erklären, dass den verantwortlichen Staatsanwälten darum ging größtmögliche öffentliche Wirkung zu erzielen. Dabei ist die Staatsanwaltschaft nach den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren gehalten, alles zu vermeiden, »was zu einer nicht durch den Zweck des Ermittlungsverfahrens bedingten Bloßstellung des Beschuldigten führen kann.« (RiStBV Nr. 4a Keine unnötige Bloßstellung des Beschuldigten).

Diese Art publicityträchtiger staatsanwaltschaftlicher Öffentlichkeitsarbeit ist schon im Fall Zumwinkel kritisiert worden. Diese Art der medialen Exekution verletzt die Unschuldsvermutung und das Gebot der Verhältnismäßigkeit in
unerträglicher Form.

Die Strafverteidigervereinigungen fordern daher die Ablösung des verantwortlichen Abteilungsleiters der Staatsanwaltschaft. Ursache und Hintergrund des »Presselecks« sind lückenlos aufzuklären.“

Also nicht Rosen, sondern „Kündigung für den Staatsanwalt“.

Verteidiger, kommst du nach Münster, dann pass auf! Verhaftung droht, aber warum jetzt und warum hier?

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Beherrschendes Thema der vergangenen Woche war – zumindest für die StrafBlogs – sicherlich die Verhaftung des Pflichtverteidigers im Gerichtssaal während einer Hauptverhandlung beim LG Münster. Ich hatte darauf ja auch gestern schon im Wochenspiegel hingewiesen (vgl.zur Verhaftung des (Pflicht)Verteidigers im Gerichtssaal, auch hier, hier und hier, hier und hier).

Die Geschichte hatte ich schon während des Urlaubs über den JuraBlogs-Newsletter verfolgt. Als ich es gelesene habe, war mein erster Gedanke: So eine „spannende“ Geschichte, und du kannst nicht bloggen. Der zweite Gedanke war dann: Das geht doch gar nicht. Denn ich erinnerte mich an eine Entscheidung des 2. Strafsenats, und zwar den OLG Hamm, Beschl. v. 06.06.2003 – 2 Ws 122/03. Grundlage dieses Beschlusses war auch die Verhaftung eines Verteidigers im Gerichtssaal. Die hatte allerdings beim OLG, das noch am gleichen Tag den Haftbefehl außer Vollzug gesetzt hatte, keinen Bestand. Allerdings – und das habe ich dann jetzt hier aus den Beiträgen und auch aus der örtlichen Presse entnommen – lag der Entscheidung ein anderer Sachverhalt zugrunde. Da war der Verteidiger nämlich wegen Ungebühr mit Ordnungshaft belegt und sogleich festgenommen worden.Da liegt also zunächst mal der entscheidende Unterschied in den Sachverhalten. „Verhaftung“ auf der Grundlage der §§ 177, 178 GVG geht gar nicht. Damit hatten wir es in Münster in der vergangenen Woche aber auch nicht zu tun. Da war es ein Haftbefehl auf der Grundlage des § 112 StPO wegen versuchter Anstiftung zur Falschaussage.

Eine ganz andere Frage ist das Procedere. Wenn ich nachträglich den Bericht in der Welt lese, dann frage ich mich: Warum muss die Verhaftung in der Hauptverhandlung durchgeführt werden – lassen wir mal die ggf. noch darüber hinausgehende Frage der „zufälligen“ Anwesenheit eine Kamerateams außen vor? Wobei – um Kommentaren vorzubeugen: Dass die Hauptverhandlung unterbrochen wurde, spielt für mich keine Rolle, das ergibt sich automatisch aus ihrem normalen Ablauf, § 243 StPO sieht eben keinen „Programmpunkt“ „Verhaftung des Verteidigers“ vor. Da ist m.E. jedes Gefühl für Verhältnismäßigkeit, man könnte auch sagen Fingerspitzengefühl, verloren gegangen.Auch eine Staatsanwaltschaft sollte, nein muss sich überlegen, wo und wie ich einen Beschuldigten, für den ja immer noch die Unschuldsvermutung streitet, (vorläufig) festnehme. Da ist man m.E. hier gehörig über das Ziel hinausgeschossen. „Rambo“ bzw. amerikanische Gerichtsfilme lässt/lassen grüßen.

Mir erschließen sich Zeitpunkt und Ort der Festnahme jedenfalls nicht. Dafür hätte man ja schon gerne eine Erklärung der Staatsanwaltschaft gelesen/gehört. Ich finde derzeit keine, wenn ich in den alten Ausgaben der örtlichen Presse aus der vergangenen Woche nichts überlesen habe. Jedenfalls steht bei den aktuellen Pressemitteilungen der StA Münster auf deren Homepage nichts, was weiter führen würde. Also: Warum zu dem Zeitpunkt und warum an dem Ort?

Allerdings: LTO und der Kollege Vetter können berichten, dass der verhaftete Kollege wieder frei ist. Wenigstens etwas.