Ja, richtig gesehen. Heute schon wieder OWi. Stand an sich nicht auf meinem Plan. Hat sich aber so ergeben, weil mir der Kollege Freese aus Heinsberg gestern einen Beschluss des OLG Köln geschickt hat, den ich dann den interessierten Lesern nicht lange vorenthalten möchte.
Das OLG Köln sich hat im OLG Köln, Beschl. v. 27.09.2019 – III – 1 RBs 362/19 – wen überrascht es? – nicht der Auffassung des VerfGH Saarland in seinem Urteil vom 05.07.2019 angeschlossen. Das hier in einer Einzelrichterentscheidung, die auf eine Senatsentscheidung (hoffentlich?, denn auch Einzelrichterentscheidungen sind Senatsentscheidungen) Bezug nimmt, und zwar wie folgt:
„Der vorliegende Fall gibt keine Veranlassung, allgemeine Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen (vgl. BGH VRS 40, 134 [137]). Zulassungsbedürftige Fragen in dieser Hinsicht wirft die Sache nicht auf; insbesondere hat der Senat in einem Parallelverfahren mit Entscheidung vom heutigen Tag zu der dort ebenfalls verfahrensgegenständlichen Geschwindigkeitsmessung mit dem Messgerät TraffiStar S 350 und mit Blick auf das Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 5. Juli 2019 (Lv 7/17 = NJW 2019, 2456 ff) wie folgt Stellung genommen (vgl. SenE v. 27.09.2019 —III-1 RBs 339/19):
Die angefochtene Entscheidung verletzt ihn (erg.: den Betroffenen) nicht in seinem Grundrecht auf ein faires Verfahren. Namentlich ist sein Anspruch auf effektive Verteidigung nicht in durchgreifender Weise berührt.
Anlass zu Ausführungen bietet insoweit das Urteil des Verfassungsgerichts-hofes des Saarlandes (VerfGH) vom 5. Juli 2019 (Lv 7/17 = NJW 2019, 2456 ff.), wonach der Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt ist, wenn der Betroffene einwendet, er könne das Messergebnis mangels gespeicherter Rohmessdaten nicht sachverständig überprüfen lassen.
Die Entscheidung, die Geltung nur für das Saarland entfaltet, bindet den Senat nicht Er teilt im Übrigen die Auffassung auch in der Sache nicht; er hält vielmehr die dort postulierten Anforderungen an ein faires Verfahren und eine effektive Verteidigung für überzogen. Die Prämisse jederzeitiger anlassloser Überprüfbarkeit lässt sich jedenfalls für den Bereich der Verfolgung massenhaft auftretender Verkehrsordnungswidrigkeiten aus diesen Grundsätzen nicht herleiten (so wohl auch: Krenberger, NZV 2019, 421, 422). Das gilt nach Auffassung des Senats unabhängig davon, ob Messdaten im Einzelfall vom Gerät gespeichert werden oder nicht. Er folgt insoweit der Auffassung des OLG Oldenburg (Beschl. v. 09.09.2019 — 2 Ss OWi 233/19 – betr. das Lichtschrankenmesssystem ES 8.0).
Ein Messgerät durchläuft eine intensive, sich in der Regel über mehrere hundert Stunden erstreckende Bauartprüfung bei der Physikalisch Technischen Bundesanstalt (PTB). So sind bei dem betroffenen System TraffiStar S 350 — so der Sachverständige der PTB in der mündlichen Verhandlung vor dem VerfGH – über 21.000 Messungen mit dem Ergebnis durchgeführt worden, dass die gesetzlich geforderten Fehlergrenzen eingehalten werden. Erst nach erfolgreichem Durchlaufen dieser Testverfahren wird die Konformitätsbescheinigung erteilt, die nach der vom Senat geteilten obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. zuletzt SenE v. 21_11.2018 – 111-1 RBs 383/18 -; SenE v. 10.04.2019 —111-1 RBs 416/19 -; OLG Düsseldorf, Beschl. v 31.01.2017 IV 3 RBs 20/17 -; OLG Oldenburg, Beschl. v. 13.03.2017 — 2 Ss OWi 40/17 – OLG Rostock, Beschl. v. 22.01.2019 — 21 SS OWi 251/128 ) ein sog. antizipiertes Sachverständigenglutachten darstellt Hinzu kommt, dass nach erfolgter Zulassung eines Messverfahrens jedes zum Einsatz kommende Einzelgerät noch zusätzlich dem Erfordernis der regelmäßigen Eichung — mithin einer turnusmäßigen Kontrolle der Gerätefunktionen und ihrer Konformität mit dem bei der PTB hinterlegten Baumuster durch eine unabhängige Landesbehörde – unterliegt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.07.2014 – 1 RBs 50/14 ). Etwaigen Ungewissheiten und Ungenauigkeiten wird schließlich durch — äußerst großzügig bemessene — Toleranzabzüge Rechnung getragen. All dies begründet ein hohes Maß an Zuverlässigkeit, welches bei der Verfolgung angemessene Beachtung finden muss.
Das erkennt im Grundsatz auch der VerfGH an, indem „in keiner Weise bezweifelt wird, dass der Zulassungs- oder Konformitätsprüfung der PTB außerordentlich sorgfältig und neutral erfolgen und unter den gleichen Bedingungen gewährleisten, zu gleichen Ergebnissen zu gelangen.“ Ist dem aber so, so ist es nur konsequent, Vertrauen in die vom Messsystem gelieferten Ergebnisse zu setzen. Nach Auffassung des Senats würde die Systematik des antizipierten Sachverständigengutachtens konterkariert, ja geradezu ad absurdum geführt, würde der Betroffene diese jederzeit und allein auf einen Verdacht hin in Frage stellen und überprüfen dürfen. Durch die Verwehrung einer solchen Prüfung wird er nicht „zum unmündigen Objekt staatlicher Verfügbarkeit“ degradiert bzw. „auf Gedeih und Verderb der amtlichen Bestätigung der Zuverlässigkeit eines elektronischen Systems und der es steuern-den Algorithmen ausgeliefert“. Anders als der VerfGH meint, ist er nämlich nicht rechtlos gestellt. Die gem. § 39 MessEG auf seinen Antrag durch die Landesbehörde vorzunehmende Befundprüfung vermag Klarheit darüber zu verschaffen, ob das jeweilige Messgerät den Anforderungen der Eichung und der Konformitätsprüfung genügt Wenngleich der konkrete in Rede stehende Messvorgang damit nicht nachvollzogen werden kann, rechtfertigt ein Ergebnis, welches keine Beanstandungen zu Tage fördert, aber sehr wohl den Schluss, dass bei dem Messgerät auch in der Vergangenheit keine Unregelmäßigkeiten aufgetreten sind. Dem Betroffenen stehen darüber hinaus prozessuale Rechte zur Seite. So kann er Akteneinsicht nehmen, konkrete Zweifel an der Zuverlässigkeit des Messung jederzeit vortragen, in der Hauptverhandlung sein Fragerecht ausüben, Beweisanregungen oder Beweisanträge stellen (so zu Recht: OLG Bamberg, Beschl. v. 13.06.2018 – 3 Ss OWi 626/18 – = NStZ 2018, 724 ff).
Damit bedarf es nicht der Klärung der Frage, ob die Rohmessdaten überhaupt geeignet sind, eine nachträgliche Plausibilisierung zu ermöglichen. Dies hat die PTB im Verfahren vor dem VerfGH mit beachtlicher Argumentation in Frage gestellt. Ferner sei darauf hingewiesen, dass die Entscheidung des VerfGH keinen für die Praxis gangbaren Weg aufzeigt, in welcher Weise eine private Überprüfung des Messvorgangs auf die Überzeugungsbildung des Tatrichters ggfls. Einfluss nehmen soll. Für. den Fall, dass der vom Betroffenen beauftragte Sachverständige die sich aus den Akten ergebende Messung bestätigt, entstehen zwar keine Probleme. Ergibt seine Untersuchung indes eine Geschwindigkeit, die die amtlich ermittelte unterschreitet, ebenso gut aber – was in der bisherigen Debatte erstaunlicherweise gar keine Rolle spielt – auch darüber liegen kann, stellt sich die Frage, welche Messung zugrunde zu legen ist. Der Tatrichter befindet sich in dem Dilemma, entscheiden müssen, ob er dem amtlichen Ergebnis gleichwohl vertraut oder auf den – auf einem in Eigenregie rekonstruierten Algorithmus beruhenden — Befund des Sachverständigen setzt. Eine weitere sachverständige Begutachtung wird allenfalls dann in Betracht kommen, wenn der Sachverständige des Betroffenen dartun kann, dass er über überlegene Erkenntnismöglichkeiten verfügt. Dafür sieht der Senat bislang keine- Anhaltspunkte.
Der Senat stellt klar, dass seine Entscheidung die Konstellation betrifft, in der von vornherein keine Messdaten gespeichert worden sind oder aber dem Gericht keine solchen zur Verfügung stehen. Damit bleibt (selbstverständlich) das — sich zwanglos bereits aus § 147 StPO ergebende – Recht der Verteidigung, unberührt, in sämtliche sich bei den Akten befindlichen Unterlagen gegebenenfalls auch Rohmessdaten) Einsicht zu nehmen. Soweit in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung dem Betroffenen weitergehende Informationsrechte — etwa auch im Hinblick auf nicht bei den verfahrensgegenständlichen Akten befindlichen Unterlagen — zugestanden werden (vgl. etwa: OLG Celle, Beschl. v. 16.06.2016 1 Ss OWi 96/16 KG, Beschl. v. 06.08.2018 — 3 Ws 168/18 -; OLG Hamm, Beschl. v. 03.01.2019— 4 RBs 377/18 -; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.07.2019 — 1 Rb 10 Ss 291/19 — m.w.N. – bei juris), muss der Senat sich damit nicht befassen, denn die genannten Entscheidungen beziehen sich auf Fallgestaltungen, in denen der Betroffene vergeblich eine entsprechende Herausgabe von Verwaltungsbehörde verlangt hatte. Von daher ist auch eine Vorlage an den Bundesgerichtshof gern. §§ 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG nicht veranlasst“
Daraus folgt zwanglos, dass der Betroffene durch die Zurückweisung des von seinem Verteidiger in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht ausdrücklich „mit Blick auf die“ damals noch „bevorstehende Entscheidung des VerfGH des Saarlandes“ gestellten und auf Einholung eines Gutachtens eines Sachverständigen für Geschwindigkeitsmessungen gerichteten Beweisantrages auch nicht in seinem Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Maßgabe des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG verletzt ist. Soweit sich die Rechtsbeschwerdebegründung zudem auf den Zulassungsgrund der „Nachprüfung zur einheitlichen Rechtsprechung“ beruft, ist dieser nach § 80-Abs. 1 Nr.-1, Abs. 2 Nr. 1 OWG angesichts der Höhe des verhängten Bußgeldes nicht, einschlägig.“
Es ist schon traurig zu sehen, wie schnell die OLG sich bemühen, dem VerfGH Saarland nicht zu folgen. Und: Hier haben wir ihn wieder: Den Teufelskreis. Abgelehnt wird u.a. mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der (Akten)Einsicht. Nur, wenn die beantragt wird, gibt es sie nicht vollständig – so auch das OLG Köln entgegen einigen anderen OLG. Und vorlegen? Wir doch nicht…
Edit am 02.10.2019 – 17.45 Uhr: In der Post war gestern eine Mail vom OLG köln mit Entscheidungen. Darunter der OLG Köln, Beschl. v. 27.09.2019 – III-1 RBs 339/19, der in der hier vorgestellten Entscheidung erwähnt wird. Ich habe die Mail erst heute Nachmittag bearbeitet. Man erkennt, es war eine Sentasentscheidung, also Dreierbesetzung. Zumindest das 🙂 .