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Genug ist genug… Verfahrensverzögerung einmal berücksichtigt reicht

Der BGH, Beschl. v. 24.01.2012 – 1 StR 551/11 ist ein schönes Beispiel für den Umgang mit der Verfahrensverzögerung. Der 1. Strafsenat führt dazu aus:

Zutreffend ist allerdings die Einwendung der Revision, es habe eine rechtsstaatswidrige Verzögerung des Verfahrens vorgelegen. Die „hohe Komplexität des Sachverhalts“, der „ungewöhnlich hohe Schwierigkeitsgrad“ der Tatvorwürfe, hinsichtlich derer es nicht zu einer Verurteilung kam, und die weiteren vom Landgericht genannten Besonderheiten des Verfahrensablaufs können letztlich auch bei einer Gesamtbetrachtung die vom Landgericht selbst als „ungewöhnlich lange Zeit“ (UA S. 43) bezeichnete Verfahrensdauer zwischen Bekanntgabe der Einleitung des Steuerstrafverfahrens bis zum Urteilserlass von nahezu sieben Jahren und sieben Monaten nicht mehr rechtfertigen.

Vorliegend reicht es aber zur Kompensation der mit der Verfahrensverzögerung verbundenen Belastung der Angeklagten aus, die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung ausdrücklich festzustellen. Das Landgericht hat die Dauer des Verfahrens schon bei der Strafzumessung in besonderem Maße ausdrücklich zugunsten der Angeklagten berücksichtigt und eine angesichts des verwirklichten Unrechts äußert milde Gesamtgeldstrafe verhängt. Einer weitergehenden Kompensation bedarf es daher – worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hingewiesen hat – nicht, weil eine besondere Belastung der nicht inhaftierten Angeklagten gerade durch die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nicht ersichtlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2008 – 2 StR 467/07, NStZ 2009, 287; Beschluss vom 5. August 2009 – 1 StR 363/09, NStZ-RR 2009, 339; Beschluss vom 2. September 2010 – 2 StR 297/10; Beschluss vom 15. April 2009 – 3 StR 128/09, NStZ-RR 2009, 248). Den Umstand, dass die Angeklagte – zumal im Hinblick auf die schweren Tatvorwürfe, von denen sie freigesprochen worden ist – durch die lange Gesamtverfahrensdauer besonders belastet war, hat das Landgericht ausdrücklich strafmildernd berücksichtigt.“

Also: Einmal berücksichtigt reicht…

Verzögert ist verzögert, einmal kompensiert, immer kompensiert

Wird ein Strafverfahren verzögert, kann bei rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung ein Teil der Strafe als bereits vollstreckt erklärt werden. So die sog. Vollstreckungslösung des BGH.

Das OLG Celle hat jetzt in OLG Celle, Beschl. v. 22.12.2011 – 32 Ss 116/11 festgestellt, dass das in §§ 358 Abs. 2 Satz 1, 321 Abs. 1 StPO kodifizierte Verbot der Schlechterstellung auch für einen im angefochtenen Urteil enthaltenen Kompensationsausspruch wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung gilt.

Das in §§ 358 Abs. 2 Satz 1, 321 Abs. 1 StPO kodifizierte Verbot der Schlechterstellung trägt dem Grundsatz Rechnung, dass ein Angeklagter bei seiner Entscheidung über die Einlegung eines Rechtsmittels nicht durch die Besorgnis beeinträchtigt werden soll, es könne ihm dadurch ein Nachteil entstehen (BGHSt 7, 86; BGHSt 25, 38; vgl. auch Meyer Goßner, StPO, 54. Aufl., § 331 Rdnr. 1). Dem Angeklagten sollen die durch das angefochtene Urteil erlangten Vorteile belassen werden, und dies selbst dann, wenn sie gegen das sachliche Recht verstoßen (Meyer Goßner a. a. O.).

Um einen solchen Vorteil handelt es sich auch bei der Kompensation von Verfahrensverzögerungen im Strafausspruch, denn auch der nachträgliche Wegfall einer durch das Tatgericht angeordneten Kompensation würde durch den längeren Vollzug im Ergebnis eine härtere Bestrafung für den Angeklagten bedeuten. Die zu verbüßende Strafe kann deshalb im Rechtsmittelverfahren nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden (vgl. auch BGH, NStZ RR 2008, 168 und StV 2008, 400). „

Also: Einmal kompensiert, immer kompensiert

Verfahrensverzögerung – was wird daraus?

Der BGH, Beschl. v. 25.10.2011 – 3 StR 206/11 nimmt zur Verfahrensverzögerung Stellung und führt aus:

„3. Die Kompensationsentscheidung wird von der Teilaufhebung des Urteils nicht erfasst (BGH, Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135). Der Angeklagte ist durch die rechtsfehlerhaft überhöhte Entschädigung – acht Monate Freiheitsstrafe bei einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von zwei Jahren und drei Monaten – nicht beschwert. Mit Blick auf die Aus-führungen der Revision und des Generalbundesanwalts weist der Senat ergänzend darauf hin, dass die Höhe der im Falle einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zu gewährenden Entschädigung sich nicht nach der Höhe der Strafe richtet, auf die das Tatgericht erkannt hat. Die im Wege des sog. Vollstreckungsmodells vorzunehmende Kompensation koppelt den Ausgleich für das erlittene Verfahrensunrecht vielmehr von vornherein von Fragen des Tatunrechts, der Schuld und der Strafhöhe ab. Der Ausgleich für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung stellt eine rein am Entschädigungsgedanken orientierte eigene Rechtsfolge neben der Strafzumessung dar. Das Gewicht der Tat und das Maß der Schuld spielen weder für die Frage, ob das Verfahren rechtsstaatswidrig verzögert worden ist, noch für Art und Umfang der zu gewährenden Kompensation eine Rolle (vgl. schon BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 138; s. auch BGH, Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 250/09, aaO, 138).“

M.E. nicht ganz deckungsgleich mit dem neuen § 198 GVG, in dem es hießt:

§ 198.
(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

Die Fragen dürften interessant werden, wenn es um eine andere Wiedergutmachung i.S. des § 198 Abs. 4, 199 GVG geht. M.E. wird man nur dann über § 198 Abs. 4 GVG eine Entschädigung ablehnen können, wenn das, was man vergleicht, auch gleich ist bzw. auf den gleichen Grundlagen beruht. Das scheint mir so nicht der Fall zu sein.

Was bringen sechs Monate Verfahrensverzögerung beim BGH?

Tja, was bringen denn nun sechs Monate Verfahrensverzögerung beim BGH. Antwort: Nicht viel, wenn man den BGH, Beschl. v.07.09.2011 2 StR 600/10 liest. Da musste eine unwirksame Urteilszustellung wiederholt werden. Darüber gingen sechs Monate ins Land. Dazu dann der BGH:

„Auf der Grundlage der Vollstreckungslösung (BGH NJW 2008, 860) stellt der Senat fest, dass von der verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten ein Monat Freiheitsstrafe als Entschädigung für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als vollstreckt gilt“

Ist also nicht so ganz doll.

 

 

Verfahrensverzögerung im Ausland – keine Beachtung im Inland

Sachverhalt wie folgt: Das Ermittlungsverfahren wird zunächst in Österreich geführt. Dort kommt es zu Verfahrensverzögerungen. Das Verfahren wird dann an die Bundesrepublik Deutschland abgegeben. Hier wird rechtsstaatswidriuge Verfahrensverzögerung geltend gemacht, die von der entscheidenden Jugendkammer auch kompensiert wird. Dem BGH hat das wohl nicht gefallen und er macht dazu Ausführungen, obwohl es auf die Frage nicht ankam, da es ein Rechtsfehler zugunsten der Angeklagten war (nun ja, das macht der 1. Strafsenat ja gerne). Im BGH, Beschl. v. 23.08.2011 – 1 StR 153/11 heißt es im Leitsatz dazu:

„Nach Übernahme eines Ermittlungsverfahrens durch die Bundesrepublik Deutsch-land ist eine in dem abgebenden Vertragsstaat der MRK bereits einge-tretene rechts- staatswidrige Verfahrensverzögerung nicht zu kompensieren.“

Und „natürlich“ vorgesehen für BGHSt