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StPO II: Urkundenverlesung nicht vom Richter, oder: Aber Staatsanwältin war/als Zeugin vom Hörensagen

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Und dann im zweiten Posting hier der BGH, Beschl. v. 17.01.2024 – 4 StR 168/23.

Das LG hatte den Angeklagten wegen Verstoßes gegen das BtMG verurteilt. Dagegen die Revieion, die unbegründet war.

„1. Die Verfahrensrügen dringen nicht durch.

a) Der Rüge, das Landgericht habe gegen § 261 StPO in Verbindung mit § 249 Abs. 1, § 250 Satz 2, § 251 Abs. 1 und 4 StPO verstoßen, indem es den Inhalt einer Urkunde verwertet habe, obwohl diese nicht nach § 249 Abs. 1 StPO verlesen worden sei, bleibt der Erfolg versagt.

aa) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Der Mittäter des Angeklagten, der gesondert verfolgte   G.  , hatte sich in dem gegen ihn geführten Verfahren eingelassen. In der hiesigen Hauptverhandlung verweigerte er als Zeuge gemäß § 55 StPO die Auskunft. Das Landgericht hörte daraufhin die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft aus dem Verfahren gegen   G.   als Zeugin. Nach deren Angaben hatte   G.   in der gegen ihn geführten Hauptverhandlung im Rahmen einer schriftlichen Einlassung unter anderem zugegeben, dass bestimmte Encrochat-Namen benutzt wurden. Diese schriftliche Einlassung wurde ausweislich der Urteilsgründe „in die hiesige Hauptverhandlung eingeführt, indem die Zeugin u. a. das Dokument verlesen hat“ (UA 19). Das Protokoll der Hauptverhandlung weist aus, dass die Zeugin Angaben zur Sache machte und „dabei“ die schriftliche Einlassung des gesondert Verfolgten G. in dem gegen ihn geführten Verfahren verlas.

bb) Bei dieser Sachlage erweist sich die Rüge als unbegründet.

Zwar wurde die schriftliche Einlassung des anderweitig verfolgten Zeugen G. als Urkunde nicht prozessordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt. Denn die Verlesung einer Urkunde gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 StPO hat durch den Vorsitzenden oder einen von ihm beauftragten beisitzenden Richter oder Ergänzungsrichter und nicht durch andere Prozessbeteiligte zu erfolgen. Eine Verlesung von Urkunden durch die Staatsanwältin ist daher rechtsfehlerhaft (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2023 – 4 StR 298/22 Rn. 13 mwN). Auch war diese Urkunde weder Gegenstand eines Selbstleseverfahrens nach § 249 Abs. 2 StPO noch wurde sie der Zeugin ‒ nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen des Beschwerdeführers – vorgehalten.

Die Angaben in der schriftlichen Erklärung des gesondert verfolgten Zeugen   G.  waren aber ausweislich der Urteilsgründe und des Hauptverhandlungsprotokolls auch Gegenstand der Bekundungen der Staatsanwältin als Zeugin vom Hörensagen. Die Formulierung im Urteil, wonach die Zeugin die schriftliche Einlassung dabei „u.a.“ auch verlas, stellt dies ebenso wenig in Frage wie der entsprechende Protokollvermerk. Die Zeugin konnte als Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung in dem gegen den Zeugen G. geführten Verfahren ohne weiteres aus eigener Wahrnehmung über den Inhalt der dort angebrachten schriftlichen Einlassung berichten. Damit ist auch der Unmittelbarkeitsgrundsatz (§ 250 StPO) nicht verletzt (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 – 4 StR 493/11 Rn. 1).“

Wie werden Messdaten in die HV eingeführt?, oder: Augenscheinseinnahme oder Urkundenverlesung

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In der Rechtsprechung der OLG ist seit einiger Zeit nicht mehr unstreitig, wie Messdaten und Messprotokolle in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Der Streit geht darum, ob das im Wege des Urkundsbeweises nach § 249 StPO zu erfolgen hat oder ob ggf. auch die Inaugenscheinnahme ausreicht. Dazu hat sich jetzt auch das OLG Stuttgart im OLG Stuttgart, Beschl. v. 19.01.2017 – 2 Ss OWi 762/16 – geäußert.

Das OLG verweist darauf, dass durch die Inaugenscheinnahme einer Urkunde regelmäßig nur das Vorhandensein und die Beschaffenheit der Urkunde, nicht aber deren Inhalt belegt wird. Diese strenge Differenzierung findet nach Ansicht des OLG jedoch dann eine Grenze, wenn sich der gedankliche Inhalt der Urkunde im Rahmen der Inaugenscheinnahme bereits durch einen Blick miterfassen lässt, was für Messdaten auf einem Messfoto der Fall sein.

Das OLG Stuttgart schließt sich damit der Auffassung des KG im KG, Beschl. v. 12. 11. 2015 – 3 Ws (B) 515/15. Anderer Ansicht ist aber die überwiegende Auffassung in der Rechtsprechung der OLG (vgl. aus neuerer Zeit den im OLG Bamberg, Beschl. v. 13.10.2014 – 2 Ss OWi 1139/14; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.01.2016 – IV- 3 RBs 132/15 und dazu: Bezugnahme auf die Daten in einem Messfoto – Geht das?; OLG Schleswig, Beschl. v. 02.04.2014 – 1 Ws OWi 59/14 und dazu Qualifizierter Rotlichtverstoß – eine Urteils-Checkliste vom OLG).

Die Auswirkungen dieses Streits sind erheblich. Sie entscheiden über Wohl und Wehe des Urteils des Amtsrichters.