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I. Instanz im Asyl-Klageverfahren dauert 58 Monate, oder: Welche Entschädigung für die Verfahrensdauer?

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Und dann – passt einigermaßen – der OVG Lüneburg, Beschl. v. 25.05.2023 – 13 FEK 496/21 – zur Frage der Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines asylrechtlichen Gerichtsverfahrens, also §§ 198, 199 GVG.

Zum Sachverhalt verweise ich auf den Volltext. Nur so viel: Das Verfahren, ein erstinstanzliches asylrechtliches Klageverfahren, lief insgesamt etwa 58 Monate. Das beklagte Land hat bereits die Verfahrensdauer im Zeitraum zwischen Juli 2019 bis November 2022, also 41 Monate, als unangemessen anerkannt und insoweit eine Entschädigung gezahlt. Es war also allein noch zu beurteilen der Zeitraum zwischen Februar 2018 und Juni 2019, also 17 Monate. Dazu sagt adas OVG: Noch keine unangemessene Verfahrensdauer. Hier der Leitsatz

Zur angemessenen Verfahrensdauer eines asylrechtlichen Klageverfahrens mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad und noch durchschnittlicher Bedeutung für die Kläger und ohne ein zu einer relevanten Verzögerung des Rechtsstreits beitragendes Prozessverhalten der Beteiligten.

 

12 Monate für Verkehrsunfallsache beim AG ist zu lang, oder: Entschädigung von 100 EUR/Monat

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Und als zweite Entscheidung dann das schon etwas ältere KG, Urt. v. 29.01.2016 – 7 EK 12/15, auf das ich neulich durch eine Diskussion in einer Facebookgruppe aufmerksam geworden bin. Das Urteil war mir bis dahin durchgegangen.

Es geht um eine Entschädigung für eine unangemessene Verfahrensdauer, also §§ 198, 199 GVG – Stichwort: Verzögerungsrüge. Dazu gibt es ja inzwischen einige Entscheidungen, darunter dann eben auch dieses KG, Urteil. Entschieden hat das KG zu einer „verschleppten/langsamen“ Verkehrsunfallsache. Die Klägerin hatte in der eine eingetretene Verzögerung von der Klageeinreichung  bzw. der Terminansetzung bis zu dem rund 15 Monate später angesetzten Verhandlungstermin, in dem auch das Urteil verkündet wurde, gerügt. Der zuständige Abteilungsrichter hatte die Verzögerungsrüge der Klägerin zurückgewiesen. Er hatte seine Überlastung und die ungenügende Maßnahmen der Gerichtsverwaltung für den langen Terminstand verantwortlich gemacht.

Das KG sagt in seiner Entscheidung: So nicht. Zu lang und dafür muss die Klägerin entschädigt werden.

„Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ist hier von einer unangemessen langen Verfahrensdauer auszugehen. Es gibt zwar keine festen Grenzen, in der ein Verfahren zeitlich bearbeitet und abgeschlossen werden muss, sondern dies ist nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zu bewerten. Hier wird nicht der Vorwurf einer oder mehrerer verzögerlichen und unsachgemäßen Einzelmaßnahmen durch den konkreten Richter erhoben, sondern es geht um die grundsätzliche Überlastung der Verkehrsabteilung des Amtsgerichts und des hierdurch verursachten langen Terminstandes. Die Verfahrensdauer bei Zivilsachen an deutschen Amtsgerichten betrug im Jahr 2011 durchschnittliche … und nur 1,2% der Verfahren waren länger als … anhängig (Zöller, ZPO, 31 .Aufl., § 198 GVG Rn. 1). Wie die Klägerin zudem unwidersprochen vorgetragen hat, betragen die Zeiträume zwischen Klageeinreichung und den ersten Termin bei den anderen Verkehrsabteilungen des Amtsgerichts … im Durchschnitt … bis … Monate. Gemessen an diesen statistischen Durchschnittswerten, auch wenn sie allein nicht zur Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer herangezogen werden können, und den besonderen Umständen des relativ einfachen Sachverhalts des zu bearbeitenden Verfahrens ohne erforderliche Beweisaufnahme ist die hier maßgebliche erstinstanzliche Verfahrensdauer von der Einreichung der Klage bis zum ersten Termin von rund … Monaten zwischen Klageeinreichung und der Urteilsverkündung als unangemessen lang anzusehen.

Soweit auch die Zeit zwischen Urteilsverkündung und Zustellung an die Klägerin mit über zweieinhalb Monaten nicht im Einklang mit der gesetzlichen Vorgabe des § 315 Abs.2 S.1 ZPO steht, bedarf dies hier keiner Entscheidung, denn, wie der Beklagte zutreffend eingewandt hat, ist die Klage darauf nicht konkret gestützt worden und damit hier nicht streitgegenständlich. Auf diesen Zeitraum hat die Klägerin ihre Klage nicht gestützt.

Der Klägerin zuzurechnende Verfahrensverzögerungen gibt es in diesem Rahmen nicht. Der vom Beklagten angeführte Umstand, dass die Klägerin erst mit Schriftsatz vom … auf den Schriftsatz des Beklagten des Ausgangsverfahrens vom … erwidert hat, ist angesichts des langen Terminstandes und des erst auf den … angesetzten Termins völlig unerheblich und hat keinerlei eigene Verfahrensverzögerung bewirkt. Dies gilt auch, soweit in der Klageschrift nicht das Aktenzeichen des vorangegangenen Prozesskostenhilfeverfahrens angegeben war und es dadurch zu einer völlig geringfügigen Verzögerung von … Tagen gekommen ist.

Es kommt für die Frage der angemessenen Verfahrensdauer zudem nicht darauf an, ob sich der zuständige Spruchkörper pflichtwidrig verhalten hat. Folglich kann sich der beklagte Staat zur Rechtfertigung der langen Dauer eines Verfahrens auch nicht auf chronische Überlastung eines Gerichts oder eine angespannte Personalsituation berufen (Zöller a.a.O. Rn 4 unter Hinweis auf Reg.E. S.19; BVerfG NZS 2011, 384). Wie sich aus dem die Verzögerungsrüge zurückweisenden Beschluss des Amtsgerichts vom … ergibt, war nach der Ansicht des zuständigen Abteilungsrichters der lange Terminstand von … Monaten der Überlastung der Abteilung, der personellen Unterdeckung und auch der Mehrbelastung der Verkehrsabteilungen gegenüber den allgemeinen Prozessabteilungen geschuldet.

Soweit der Beklagte demgegenüber einwendet, das Präsidium habe versucht, die richterlichen Personalressourcen gleichmäßig auf alle Arbeitsgebiete zu verteilen und die Frage der Entlastung von Abteilungen – insbesondere auch der … – sei insbesondere im Jahr … Gegenstand jeder Präsidiumssitzung gewesen, vermag dies nicht zu überzeugen und hier die Verfahrensdauer noch als angemessen zu bewerten. Insbesondere ist nicht konkret dargetan und nachvollziehbar, welche Maßnahmen zur Reduzierung der Belastung und des Terminstandes in der … erfolgten. Wenn, wie der Beklagte selbst vorträgt, per … der durchschnittliche Bestand einer reinen Verkehrsabteilung rund … offene Verfahren betrug, während in den reinen Zivilprozess- oder Mischabteilungen ein durchschnittlicher Bestand von nur rund … offenen Verfahren vorlag, dann spricht dies gerade nicht für eine angemessene Personalverteilung der aus Art 19 Abs.4 GG folgenden Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes, zumal hier noch hinzukommt, dass nach dem eigenen Vorbringen des Beklagten die Verkehrsabteilungen gegenüber den normalen Zivilprozessabteilungen neben der höheren Verfahrenszahl deutlich höhere Urteilszahlen (mehr als 50% der Verfahren) und vierfach mehr Beweisaufnahmen zu erledigen haben. Auch würden die Richter der Verkehrsabteilungen mit durchschnittlich … Sachen pro Jahr mehr Verfahren als nach dem Pensum (…) erledigen, während im Jahr … eine Verkehrsabteilung mit … Eingängen belastet gewesen sei. Dass dieser Entwicklung vom Präsidium des Amtsgerichts Rechnung getragen wurde, wie der Beklagte behauptet, ist weder substanziiert dargetan noch ersichtlich. Bei den dargestellten erheblichen Ungleichgewichten zwischen Verkehrsabteilungen und normalen Zivilprozessabteilungen ist nicht nachvollziehbar, was es für die konkrete Verfahrenssituation bedeutet, dass Mitte … “mehrere Proberichter” als personelle Verstärkung bewilligt wurden, dadurch “weitere Abteilungen mit Mischpensen” eröffnet werden konnten und “sämtlichen Abteilungen” um eine “kleinere Anzahl von Akten” entlastet werden konnten. Darauf, dass der Handlungsspielraum eng gewesen sei, kann sich der Beklagte, wie bereits oben ausgeführt, nicht zurückziehen. Entweder ist es nicht gelungen, die überlasteten Verkehrsabteilungen in die Lage zu setzen, dass sie die anhängigen Sachen innerhalb angemessener Fristen erledigen konnten, oder der zuständige Abteilungsrichter hat das Verfahren nicht in der ihm möglichen und gebotenen Weise gefördert. Denn insbesondere erfolgte keine Vorverlegung des hier anberaumten Termins. Wie sich aus dem Beschluss des Amtsrichters vom … ergibt, stellte diese Belastung der Verkehrsabteilungen auch keine plötzlich auftretende Akutbelastung dar, sondern ist Folge einer bereits seit längerem andauernden Entwicklung.

Und: Entschädigt wird mit 100 €/Monat

„Die Frage der Bemessung der Entschädigung für immaterielle Nachteile wird in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG durch Pauschalierung gelöst. Diese Regelung zieht zusammen mit der widerleglichen Vermutung eines solchen Nachteils die Konsequenz aus der Schwierigkeit, einen nach den Vorgaben des EGMR regelmäßig anzunehmenden immateriellen Nachteil zu beweisen und in der Höhe zu bestimmen (Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, Teil 2 A § 198 Rn. 223). § 198 Abs. 2 S. 4 GVG eröffnet zwar für Ausnahmefälle eine Abweichungsmöglichkeit von der Pauschale nach oben oder nach unten. Die Pauschalhöhe ist danach die Regel, die nicht gesondert begründet werden muss. Soweit dieser Regelsatz nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist, kann eine davon abweichende Entschädigung festgesetzt werden. Gesteigerte Anforderungen dergestalt, dass für eine Abweichung ein atypischer Sonderfall vorliegen muss, lassen sich dem Gesetz nicht entnehmen, die Unbilligkeit der Pauschale genügt. Eine Ober- und eine Untergrenze für die in Abweichung von der Pauschale festzusetzende Entschädigung enthält die Regelung nicht. Da nach Abs. 2 Satz 2 bei Vorliegen der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen eine Entschädigung für immaterielle Nachteile nur ausgeschlossen ist, wenn eine Wiedergutmachung auf andere Weise ausreicht, ist zu folgern, dass die Entschädigungshöhe nach der Ausnahmeklausel jedenfalls nicht auf Null reduziert werden darf, weil das Regelungskonzept sonst ausgehöhlt würde. Ein möglicher Höchstsatz wird sich zumindest in der Größenordnung an der vom Gesetzgeber vorgesehenen Höhe der Pauschale zu orientieren haben. Eine Abweichung von der Pauschale nach unten kommt beispielsweise bei einem Kostenfestsetzungsverfahren mit geringem Streitwert in Betracht oder beim Unterlassen einer Wiederholung der Verzögerungsrüge, wenn sich eine solche beispielsweise bei einem Richterwechsel aufgedrängt hätte (Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, Teil 2 A § 198 Rn. 227). Dass hier ein derartiger Fall vorläge, ist weder dargetan noch ersichtlich. Es bleibt daher bei der regelmäßigen Entschädigungshöhe von 100,00 EUR je Monat.“

Na, das ist doch mal wieder eine Entscheidung, mit der man der Justizverwaltung und auch den Gerichten Beine machen kann, wenn es nicht voran geht. Dazu passt dann auch das dem OLG Zweibrücken, Urt. v. 26.01.2017 – 6 SchH 1/16 EntV und dazu: Verzögerte Kostenfestsetzung, oder: Hiermit kann man der Staatskasse ggf. Beine machen.

Wie lange darf ein Strafverfahren dauern?

WaageAm 03.12.2011 ist das „Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren“ (vgl. BT-Drs. 17/3802) in Kraft getreten (vgl. dazu meinen Beitrag aus StRR 2012, 4 „Verfahrensverzögerung, überlange Gerichtsverfahren und Verzögerungsrüge – die Neuregelungen im GVG„. Jetzt liegt die erste BGH-Entscheidung vor, die sich mit der Frage der „unangemessenen Verfahrensdauer“ im Strafverfahren befasst. Der BGH stellt dazu im BGH, Urt. v.  14.11.2013 – III ZR 376/12 fest – hier die Leitsätze:

1. Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles.

2. Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist.

3. Bei der Beurteilung des Verhaltens des Gerichts darf der verfassungsrechtliche Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) nicht unberücksichtigt bleiben. Dem Gericht muss in jedem Fall eine angemessene Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen. Es benötigt einen Gestaltungsspielraum, der es ihm ermöglicht, dem Umfang und der Schwierigkeit der einzelnen Rechtssachen ausgewogen Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu erforderlich sind.“

Aus der 23 Seiten langen Entscheidung lässt sich für andere Verfahren ableiten:

  • „Gerechnet“ wird ab Einleitung des Verfahrens gegen den Beschuldigten. Die Beschuldigteneigenschaft kann aber nur durch einen Willensakt der zuständigen Strafverfolgungsbehörde begründet werden, der regelmäßig in der förmlichen Einleitung eines Ermittlungsverfahrens liegt. Vermerke der StA u.a. reichen nicht aus.
  • Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Ein weiteres bedeutsames Kriterium zur Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer ist die Verfahrensführung durch das Gericht, die unter Berücksichtigung des den Gerichten zukommen­den Gestaltungsspielraums zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug zu setzen ist.
  • Eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, ist nicht möglich.
  • Die Unangemessenheit ist im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu überprüfen, u.a. auch darauf, ob Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden, wobei sich die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förde­rung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, mit zunehmender Verfahrensdauer verdichte.
  • Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus. Vielmehr muss die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Be­rücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt.
  • Bei der Beurteilung des Verhaltens des Gerichts darf der verfassungs­rechtliche Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) nicht un­berücksichtigt bleiben. Da die zügige Erledigung eines Rechtsstreits kein Selbstzweck ist und das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tat­sächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht verlangt, muss dem Gericht in jedem Fall eine angemessene Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen.