In der zweiten Entscheidung geht es um die Frage einer Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB). Dem LG Leipzig, Beschl. v. 06.04.2020 – 6 Qs 22/20 – liegt ein Verkehrsunfall zugrunde, den das AG zunächst mit einem Strafbefehl „geahndet“ hat. Zugleich ist die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen worden.
Der Strafbefehl geht von folgendem Sachverhalt aus:
„Sie befuhren am 27.09.2019 gegen 15:35 Uhr mit dem PKW Opel – Astra, amtliches Kennzeichen pp. die Bundesstraße 87 in Fahrtrichtung Richtung 04838 Doberschütz, obwohl Sie infolge Übermüdung fahruntüchtig waren. Ihre Fahruntüchtigkeit hätten Sie bei kritischer Selbstprüfung erkennen können und müssen.
Infolge Ihrer Übermüdung schliefen Sie ein, kamen vor dem Ortseingang Doberschütz (in Höhe Kilometer 0,6) nach links von der Fahrbahn ab und kollidierten mit dem im Gegenverkehr befindlichen PKW Audi A5, amtliches Kennzeichen pp. Aufgrund des drohenden Frontalzusammenstoßes brachten Sie den Fahrzeugführer des PKW Audi, pp., in die Gefahr schwerster Verletzungen. Für Sie vorhersehbar und vermeidbar erlitt der Geschädigte neben Kopfschmerzen ein HWS – Syndrom und ein Schleudertrauma.
Wegen der körperlich bemerkbaren Ermüdungsanzeichen mussten Sie mit der Möglichkeit eines von Ihnen im Zustand der Fahruntüchtigkeit verursachten Verkehrsunfalls und seiner Folgen rechnen.“
Das AG ist von einer fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung gemäß §§ 315 c Abs. 1 Nr.1 b, Abs. 3 Nr. 2, 223 Abs.1, 229, 230 Abs.1, 52, 69, 69a StGB ausgegangen. Dagegen der Einspruch der Angeklagten, zu dessen Begründung ausgeführt worden ist: „Dort führte er aus, dass die Angeklagte gegenüber den Zeugen gegenüber nicht geäußert hätte, dass sie Sekundenschlaf gehabt habe. Sie hätte gegenüber den Zeugen nach dem Unfall mitgeteilt, dass sie wahrscheinlich Sekundenschlaf gehabt habe, denn sie habe sich nicht erklären können, warum sie vor dem Ortseingang Doberschütz „kurz weg gewesen“ sei. Die Angeklagte wisse nicht, ob sie tatsächlich eingeschlafen sei oder eine kurzzeitige Ohnmacht (Synkope) gehabt habe. Sie erinnere sich nur „kurz weg gewesen“ zu sein. An dem Unfalltag habe sie einen gewöhnlichen Arbeitstag hinter sich gehabt und sei gegen 15:15 Uhr nach ihrem Dienst in Leipzig-Thekla Richtung Herzberg zu ihrem Lebenspartner gefahren. In der Nacht zuvor habe sie etwa sieben Stunden geschlafen, was ihrer gewöhnlichen Schlafdauer entsprechen würde. Sie habe sich vor Fahrantritt ausgeruht gefühlt. Ermüdungsanzeichen habe sie nicht wahrgenommen. Die Angeklagte bedaure den Unfall ganz außerordentlich, könne sich bis heute nicht erklären, wie es dazu kommen konnte. Ein vermeintliches Einschlafen als Unfallursache der Angeklagten sei eine unbewiesene Mutmaßung. Zudem würde selbst ein Einschlafen am Steuer allein nicht genügen, um einen dringenden Tatverdacht einer Straßenverkehrsgefährdung zu begründen.“
Das AG hat daraufhin den Beschluss vom 16.01.2020 über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufgehoben. Dagegen die Beschwerde der Staatsanwaltschaft. Die hatte beim LG Leipzig Erfolg.
„Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen ist auch davon auszugehen, dass die Angeklagte diesen Unfall verursacht hat, obwohl sie infolge geistiger oder körperlicher Mängel nicht in der Lage gewesen ist, dass Fahrzeug sicher zu führen, da sie am Steuer eingeschlafen ist. Der Polizeibeamte 40.110 hat in seinem Einsatzbericht vom 28.09.2019 (BI. 30 d.A.) festgehalten, dass die Angeklagte gegenüber den Zeugen pp. und pp- geäußert habe, dass sie einen Sekundenschlaf gehabt hätte. Der Zeuge pp. hat dies in seiner Vernehmung (BI. 32 d.A.) auch bestätigt. Er schilderte, dass die Angeklagte (Fahrerin des Opel – Astra) zu ihnen hinzu gestoßen sei und geäußert habe „es ist ihr peinlich und ich hatte Sekundenschlaf“.
Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Aussage besteht nach Aktenlage beim völlig unbeteiligten Unfallzeugen pp. nicht. Der Zeuge pp. (BI. 39 d.A.) bestätigte ebenfalls, dass die Angeklagte zu ihm gekommen sei, sich entschuldigt und geschildert habe, dass sie „kurz weg gewesen wäre“.
Die Angeklagte hat demnach vor Ort selbst Sekundenschlaf als Unfallursache angegeben. Eine Übermüdung kann auch einen geistigen oder körperlichen Mangel im Sinne des § 315 c Abs. 1 Nr.1b StGB darstellen. Allerdings ist ein solcher Übermüdungszustand zu verlangen, welcher für den Beschuldigten die erkennbare Erwartung eines nahen Sekundenschlafs mit sich bringt, das heißt, der Fahrer bei sorgfältiger Selbstbeobachtung die Übermüdung bemerkt hätte, oder mit ihrem Eintritt hätte rechnen müssen (vgl. BayObLG, Urteil vom 18.08.2013 St RR 67/ 03 – zitiert nach Juris). Der Bundesgerichtshof hat hierzu erkannt, dass ein Kraftfahrer, bevor er am Steuer einschläft, stets deutliche Zeichen der Übermüdung an sich wahrnimmt oder zumindest wahrnehmen kann. Dies beruhe auf den in den berufenen Fachkreisen gesicherten Erkenntnissen, dass ein gesunder, bislang hellwacher Mensch nicht plötzlich von einer Müdigkeit überfallen wird (BGH, Beschluss vom 18.11.1969, 4 StR 66/69 zitiert nach Juris).
Vor diesem Hintergrund kann die Ausführung der Angeklagten, wonach sie keine Anzeichen einer Ermüdung oder Übermüdung bemerkt und auch während der Fahrt keine Anzeichen einer Übermüdung wahrgenommen habe, den dringenden Tatverdacht nicht entkräften. Auch der Vortrag des Verteidigers der Angeklagten, dass bei der Angeklagten eine Synkope vorlegen habe, überzeugt insoweit nicht und stellt aus Sicht der Kammer lediglich eine Schutzbehauptung dar, zumal für eine Synkope über die bloße Behauptung hinaus keinerlei Anhaltspunkte vorliegen. Es sind weder medizinische Atteste vorgelegt worden, noch andere Umstände geschildert, die die Annahme einer derartig massiven körperlichen Ausfallerscheinung – die im übrigen Zweifel an der generellen Fahrtauglichkeit der Angeklagten begründen könnte – stützen könnten.
Vielmehr ist es ausgesprochen naheliegend, dass tatsächlich an einem Freitagnachmittag nach anstrengender Arbeitswoche auf einer eher ereignisarmen Landstraße, die die Angeklagte offensichtlich auch regelmäßig fährt, wenn sie ihren Lebensgefährten in Herzberg besucht, eine Ermüdung eingetreten ist, die ursächlich für den Verkehrsunfall war.
Aufgrund der erheblichen Beschädigung am Fahrzeug des Zeugen pp. ist auch davon auszugehen, dass ein bedeutender Sachschaden im Sinne des § 315 c Abs.1 StGB vorliegt. Ausweislich des DEKRA – Gutachtens vom 01.10.2019 (BI. 85 d.A.) würden die Reparaturkosten mit Mehrwertsteuer 40.150,00 EUR betragen, wobei der Restwert des PKW mit Mehrwertsteuer bei 21.100,00 EUR lag.
Hinsichtlich der Tathandlung und der daraus resultierenden Gefahr handelte die Angeklagte jeweils zumindest fahrlässig.“