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Zwei Jahre sind zu lang – erstes Urteil wegen überlanger Verfahrensdauer

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Der LTO-Nachrichtenüberblick weist gerade auf das erste Gerichtsurteil zur überlangen Verfahrensdauer, also zu den neuen §§ 198, 199 GVG, hin (vgl. dazu hier). Es ist das OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 25.07.2012 – 7 KE 1/11. Danach sind – für das Verwaltungsverfahren – zwei Jahre vom Klageeingang bis Verfahrensabschluss zu lang. In der Meldung heißt es:

Im Ausgangsverfahren hatte das Verwaltungsgericht (VG) Halle über die Versetzung einer Polizeibeamtin in ein anderes Revierkommissariat zu entscheiden. Das Verfahren wurde erst zwei Jahre nach Klageeingang abgeschlossen.

Der 7. Senat des Oberverwaltungsgerichts (OVG) befand nun, dass angesichts der geringen Schwierigkeit bzw. Komplexität des Verfahrens eine Dauer von über zwei Jahren nicht mehr angemessen im Sinne des § 198 Abs. 1 S. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) sei. Das Gesetz verpflichtet den Staat, Gerichtsverfahren in einer den Umständen entsprechend angemessenen Zeit abzuschließen. Die Richter sprachen der Beamtin eine Entschädigung zu (Urt. v. 25.06.2012, Az. 7 KE 1/11).

Den Volltext der Entscheidung habe ich leider noch nicht. Aber die Leitsätze, und zwar von der Homepage des OVG Sachsen-Anhalt. Sie lauten:

„Die Angemessenheit der Dauer eines gerichtlichen Verfahrens richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und der Bedeutung für den Kläger sowie des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten.

Eine lediglich pauschalisierte zeitliche Würdigung der Dauer des Gesamtverfahrens reicht nicht aus; vielmehr muss eine konkrete Betrachtung einzelner Verfahrensabschnitte erfolgen.

Die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, ergibt sich aus der ihm gemäß Art. 2 Abs.1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 1 EMRK obliegenden Justizgewährleistungspflicht.

Das Bestehen von Entschädigungsansprüchen gegen den Staat gem. § 198 GVG setzt kein individuelles schuldhaftes Fehlverhalten einzelner Richterinnen oder Richter voraus.

Der Entschädigungsanspruch gem. § 198 Abs. 1 S. 1 GVG ist nicht einem Schadenersatzanspruch gem. § 249 BGB gleichzustellen.

Die Gewährung einer Entschädigung für immaterielle Nachteile gem. § 198 Abs. 2 GVG kann gem. § 198 Abs. 2 S. 2, Abs. 4 GVG ausgeschlossen sein, wenn die Feststellung der Verfahrensverzögerung allein eine hinreichende Entschädigung darstellt.“

Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer – bei bereits abgeschlossenen Verfahren nur bedingt

Die Neuregelungen der §§ 198, 199 GVG finden ggf. auch auf bereits abgeschlossene Verfahren (noch) Anwendung. Allerdings ist insoweit Art. 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zu beachten. Dazu der OLG Celle, Beschl. v. 09.05.2012 – 23 SchH 6/12, mit dem ein Antrag auf PKH zurückgewiesen worden ist:

a)       Der Antragstellerin steht ein Anspruch aus § 199 i. V. m. § 198 GVG wegen unangemessener Dauer eines Strafverfahrens nicht zu. Diese Anspruchsgrundlage kommt gemäß Art. 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zwar auch bei ab Inkraft­treten des Gesetzes am 3. Dezember 2011 abgeschlossenen Verfahren in Betracht. Voraussetzung ist jedoch, dass die Dauer des Verfahrens beim Inkrafttreten des Gesetzes Gegenstand einer anhängigen Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist oder noch werden kann. Dies ist hier nicht der Fall. Das von der Antragstellerin angestrengte Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist mit dessen Entscheidung vom 3. März 2011 abgeschlossen und kann nach Art. 35 Abs. 2 EMRK auch nicht mehr anhängig gemacht werden. Zwar hat die Antragstellerin in dem genannten Verfahren keine Entschädigung geltend gemacht, weshalb auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte keine Veranlassung gesehen hat, der Antragstellerin diesbezüglich einen Geldbetrag zuzusprechen (vgl. Ziffer 41 des Urteils des EGMR vom 3. März 2011). Eine solche Entschädigung hätte die Antragstellerin gemäß Art. 60 Abs. 1 VerfO innerhalb des Schriftsatzes über die Begründetheit geltend machen müssen (vgl. NK?EMRK, 2. Aufl. 2006, Art. 41 Rdnr. 33). Im Übrigen war die Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gemäß Art. 35 Abs. 1 EMRK nur innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung in zulässiger Weise möglich gewesen. Diese Frist ist ebenfalls versäumt. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Fristbeginn war nämlich die das nationale Verfahren abschließende Entscheidung des Landgerichts Hannover vom 9. Januar 2009. Auf einen späteren Zeitpunkt, nämlich die Abweisung einer auf nationaler Ebene erhobenen Amtshaftungsklage, wie sie die Antragstellerin in ihrem Prozesskostenhilfegesuch vom 14. November 2011 angekündigt hat, kann nicht abgestellt werden. Insoweit hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung vom 8. Juni 2006 (NJW 2006, 2389) bereits festgestellt, dass eine mögliche Amtshaftungsklage nicht geeignet ist, Ersatz für Nichtvermögensschäden infolge überlanger Verfahrensdauer zu begründen. Der Einwand der Antragstellerin, zum Zeitpunkt der Beschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte am 11. August 2008 eine Höhe der zu gewährenden Entschädigung zu beantragen, sei ihr deswegen nicht möglich gewesen, weil das nationale Verfahren zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen gewesen sei, greift ebenfalls nicht durch. Zwischen dem Abschluss des nationalen Verfahrens und der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte lagen mehr als zwei Jahre, in denen die Antragstellerin einen bereits im Schriftsatz über die Begründetheit enthaltenen entsprechenden Entschädigungsantrag ohne Weiteres hätte beziffern und näher ausführen können.

 

Endlich: Entschädigung für überlange Gerichtsverfahren – Achtung: Übergangsregelung beachten!!!

Am vergangenen Freitag ist nun endlich das „Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011“ im BGBL verkündet worden (vgl. hier). Das Gesetz ist damit am 03.12.2011 in Kraft getreten. Das Gesetz bringt die Möglichkeit, in allen Gerichtsverfahren bei überlanger dauer eine Entschädigung zu verlangen. Allerdings ist dazu eine sog. Verzögerungsrüge im verfahren erforderlich. Wir werden über die Einzelheiten in VRR und StRR 01/2012 berichten.

Hier aber schon mal der Hinweis auf die Übergangsregelung in Art. 22 des Gesetzes. Ich zitiere aus dem Manuskript meiner Beiträge:

Art 22 des Gesetzes sieht folgende Übergangsregelung vor:

  • Die Neuregelung gilt nach Satz 1 auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten bereits anhängig waren, sowie für abgeschlossene Verfahren, deren Dauer bei seinem Inkrafttreten Gegenstand von anhängigen Beschwerden beim EGMR ist oder noch werden kann. Auf abgeschlossene Verfahren, die noch zu einer Beschwerde beim EGMR führen können, ist nach Art. 22 Satz 4 des Gesetzes § 198 Abs. 3 und 5 GVG nicht anzuwenden.
  • Für anhängige Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten schon verzögert sind, gilt nach Art. 22 Satz 2 des Gesetzes § 198 Abs. 3 GVG mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich (§ 121 BGB) nach Inkrafttreten erhoben werden muss. In diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge auch einen Anspruch nach § 198 GVG für den vorausgehenden Zeitraum.
  • Ist bei einem noch anhängigen Verfahren die Verzögerung in einer schon abgeschlossenen Instanz erfolgt, also z.B. im landgerichtlichen Verfahren, bedarf es keiner Verzögerungsrüge.
  • Die Klage (s. oben III, 5) kann bei abgeschlossenen Verfahren sofort erhoben werden und muss spätestens am 03. Juni 2012 erhoben sein.“

Es ist also an der ein oder anderen Stelle Eile geboten.

 

 

Aus dem Bundestag: Rechtsschutz gegen überlange Gerichtsverfahren beschlossen

Neben der „Eurorettung“ (?) hat der Bundestag gestern auch noch andere Dinge beraten/beschlossen. Wir hatten hier ja vor einiger Zeit schon über den Gesetzesentwurf gegen überlange Gerichtsverfahren berichtet (vgl. hier und hier). Der ist nur gestern beschlossen worden. In der PM des BMJ heißt es dazu.

Bundestag beschließt Rechtsschutz gegen überlange Gerichtsverfahren

Zum Beschluss des Deutschen Bundestages zum verbesserten Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren erklärt Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger:

Der von mir vorgeschlagene Rechtsschutz gegen überlange Gerichtsverfahren ist heute mit breiter Mehrheit vom Deutschen Bundestag beschlossen worden. Betroffene sollen eine angemessene Entschädigung erhalten, wenn ein Prozess zu lange dauert. Wir stärken den Rechtsschutz und verhindern unangemessen lange Verfahren.

In den letzten zehn Jahren wurde immer wieder ergebnislos über den Rechtsschutz bei überlangen Verfahren diskutiert. Vor meiner Amtszeit gab es mehrere Anläufe der Länder, der Anwaltschaft und meiner Amtsvorgängerin, die alle ohne Erfolg blieben. Jetzt können endlich die Versprechen eingelöst werden, die Grundgesetz und Menschenrechtskonvention schon lange geben. Jeder hat Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit – dieser Satz kann jetzt mit Leben gefüllt werden.

Die zwei Stufen meines Vorschlags verhindern, dass die Justiz unnötig belastet wird. Betroffene müssen immer erst auf die drohende Verzögerung hinweisen, damit das Verfahren möglichst doch noch rechtzeitig abgeschlossen wird. Erst wenn die Rüge ungehört bleibt und es wirklich zu lange dauert, gibt es auf der zweiten Stufe eine angemessene Entschädigung. Ich bin zuversichtlich, dass der Bundesrat dem Gesetz zustimmen wird, nachdem viele Anregungen der Länder in das Gesetz aufgenommen wurden. Die Mahnungen des EGMR müssen endlich gesetzgeberische Folgen haben.
Zum Hintergrund:
Das neue Gesetz sieht eine angemessene Entschädigung vor, wenn gerichtliche Verfahren zu lange dauern.
Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) beanstandet seit vielen Jahren das Fehlen eines besonderen Rechtsschutzes bei unangemessen langen Verfahren in Deutschland. Die erste Verurteilung Deutschlands durch den EGMR erfolgte im Jahr 2006. Da der Rechtsschutz in Deutschland trotz zahlreicher weiterer EGMR-Urteile nicht verbessert wurde, hat der EGMR ein sogenanntes „Piloturteil“ gegen Deutschland erlassen und eine Frist bis Dezember 2011 zur Schließung der Rechtsschutzlücke gesetzt.

Die Bundesjustizministerin hat daher unmittelbar nach Amtsantritt einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der Betroffenen die Möglichkeit gibt, sich in zwei Stufen gegen überlange Gerichtsverfahren zu wehren.

  • Auf der ersten Stufe müssen die Betroffenen das Gericht, das nach ihrer Ansicht zu langsam arbeitet, mit einer Rüge auf die Verzögerung hinweisen. Das hilft, überlange Verfahren von vornherein zu vermeiden. Die Richter erhalten durch die Verzögerungsrüge die Möglichkeit, Abhilfe zu schaffen. Das bedeutet: Man kann einem Verfahren nicht einfach seinen langen Lauf lassen und später eine Entschädigung fordern.
  • Wenn sich das Verfahren trotz der Rüge weiter verzögert, kann auf der zweiten Stufe eine Entschädigungsklage erhoben werden. In diesem Entschädigungsverfahren bekommen die betroffenen Bürgerinnen und Bürger für die sog. immateriellen Nachteile – zum Beispiel für seelische und körperliche Belastungen durch das lange Verfahren – in der Regel 1200 Euro für jedes Jahr, soweit eine Wiedergutmachung auf andere Weise nicht ausreichend ist. Neben dem Ausgleich für die immateriellen Nachteile ist zusätzlich eine angemessene Entschädigung für materielle Nachteile vorgesehen, etwa wenn die unangemessene Verfahrensdauer zur Insolvenz eines Unternehmens führt.

Der neue Entschädigungsanspruch hängt nicht von einem Verschulden ab. Es kommt also nicht darauf an, ob den Richtern ein Vorwurf zu machen ist. Neben der neuen Entschädigung sind zusätzlich – wie bisher schon – Amtshaftungsansprüche denkbar, wenn die Verzögerung auf einer schuldhaften Amtspflichtverletzung beruht. Dann kann umfassend Schadensersatz verlangt werden, etwa auch der Ersatz von entgangenem Gewinn.
Der Schutz vor überlangen Verfahren wird positive Effekte für die Justiz insgesamt bringen. Wo viele berechtigte Klagen wegen der Verfahrensdauer erfolgen, werden die Verantwortlichen über Verbesserung bei Ausstattung, Geschäftsverteilung und Organisation nachdenken müssen. Der Gesetzentwurf stärkt somit nicht nur den Rechtschutz vor deutschen Gerichten, sondern auch die deutschen Gerichte selbst.

Der Deutsche Bundestag hat das Gesetz am 29. September 2011 beschlossen. Es bedarf noch der Zustimmung des Bundesrates.

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Na ja, da muss man mal schauen, was daraus wird. Wir haben also jetzt im Verfahren eine neue Rüge der Verzögerung…… Schauen wir mal.