Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren – Stand der Gesetzgebung

Wir hatten vor einiger Zeit bereits über den Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (BR-Drs. 540/10 bzw. BT-Drs. 17/3802) berichtet. Mit dem Gesetzentwurf soll der Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz in angemessener Zeit gesichert werden. Vorgesehen ist u.a. auch Entschädigungsregelung, mit der eine Lücke im Rechtsschutz geschlossen werden und den Betroffenen ein wirksames Mittel an die Hand gegeben werden soll, sich gegen überlange Prozesse zu wehren.

Im Gesetzgebungsverfahren hat inzwischen eine Sachverständigen-Anhörung stattgefunden, über die der Rechtsauschuß des BT mit einer PM berichtet hat. In der heißt es:

Berlin: (hib/rp/jbi) Bei der Anhörung am Mittwochnachmittag im Rechtsausschuss zum Thema Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren lagen die Auffassungen der Sachverständigen teilweise auseinander. Dem Ausschuss lag ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor (BT-Drucksache 17/3802), der einen Entschädigungsanspruch bei überlangen Gerichtsverfahren vorsieht. Damit soll eine Lücke im Gesetz geschlossen werden, die sowohl den Anforderungen des Grundgesetzes als auch denen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) widerspricht. Prof. Dr. Bernd Hirtz vom Deutschen Anwaltverein, Köln, verwies auf die zum Teil beträchtlichen Unterschiede in der zeitlichen Behandlung von Rechtssachen. So dauerte in der Verwaltungsgerichtsbarkeit die erste Instanz beim Verwaltungsgericht in Rheinland-Pfalz im Jahr 2008 durchschnittlich 5,1 Monate, im Land Brandenburg durchschnittlich 32,0 Monate.

Man dürfe daher von der Justizverwaltung und den für die Haushalte der Länder verantwortlichen Stellen auch erwarten, dass der im Gesetzentwurf vorgesehene Anspruch auf Entschädigung zum Anlass genommen werde, die Ressourcen der Justiz zu verbessern.

Nach Auffassung von Generalstaatsanwalt Clemens Lückemann, Bamberg, sind Verfahren mit überlanger Dauer in Deutschland eher die Ausnahme. Soweit diese Fälle auf einer Überlastung der Gerichte infolge unzureichender Personalausstattung beruhten, könnte die im Gesetzentwurf vorgesehene, der Klage auf Entschädigung vorausgehende ”Verzögerungsrüge“ allenfalls zur Folge haben, dass das betroffene Gericht die jeweilige Sache ohne sachlichen Grund bevorzugt bearbeitet und dafür die Bearbeitung anderer Verfahren, deren Beteiligte sich vielleicht weniger ungeduldig zeigen, zurückstellt. Lückemann erwartet mit der Einführung des neuen Rechtsbehelfs eine große Zahl an Verfahren.

Prof. Dr. Michael Brenner von der Rechtswissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität, Jena, sah hingegen in einer Untätigkeitsbeschwerde, wie sie auch in der Diskussion ist, gegenüber der jetzt vorgeschlagenen ”Verzögerungsrüge“ keinen sachlichen Mehrwert. Der Gesetzentwurf setze die Vorgaben der EMRK in hinreichender und praktikabler Weise um. Auch Monika Paulat, Präsidentin des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg, begrüßte die Erhebung der ”Verzögerungsrüge“ und die Möglichkeit einer Klage auf Entschädigung danach als sinnvoll und zielführend.

Dr. Ulf Kämpfer, Richter am Amtsgericht Kiel, warnte davor, das Spannungsverhältnis zwischen Schnelligkeit und Gründlichkeit einseitig zulasten der materiellen Gerechtigkeit von gerichtlichen Entscheidungen und der Gewährung rechtlichen Gehörs aufzulösen. Würde das geplante Gesetz dazu führen, dass Gerichte und Staatsanwaltschaften zur Vermeidung von Entschädigungsansprüchen gezwungen sind, die ihnen anvertrauten Verfahren ohne die gebotene Gründlichkeit zu bearbeiten, wäre dies ein nicht akzeptabler rechtspolitischer Kollateralschaden.

Prof. Dr. Christian Kirchberg, Vorsitzender des Ausschusses Verfassungsrecht der Bundesrechtsanwaltskammer, Karlsruhe, unterstellte dem Regierungsentwurf die ”unausgesprochene Erwartung oder Annahme“, die von einer überlangen Verfahrensdauer Betroffenen würden zum einen den Lauf des Ausgangsverfahrens nicht auch noch durch die parallele Erhebung einer Entschädigungsklage verzögern wollen und hätten zum andern nach Abschluss des überlangen Ausgangsverfahrens keine Lust, keine Kraft und möglicherweise auch keine finanziellen Mittel mehr, um jetzt auch noch eine Entschädigungsklage wegen unangemessener Verfahrensdauer anhängig zu machen.

Carsten Löbbert, Vizepräsident des Amtsgerichts Lübeck, kritisierte die zu allgemeinen Formulierungen des Gesetzentwurfs. Sie erlaubten es Bürgerinnen und Bürgern nicht, auch nur annähernd abzuschätzen, wann ihnen ein Anspruch zustehen könnte und wann nicht. Das Zeitempfinden der an Rechtsstreitigkeiten beteiligten Privatpersonen sei häufig völlig anders als das der professionell beteiligten Juristen. Die materiellrechtliche Regelung sollte deswegen eine konkrete Zeitdefinition des überlangen Verfahrens enthalten. Im Übrigen werde die ”Verzögerungsrüge“ die Justiz erheblich belasten. Da das Unterlassen einer Rüge den Anspruch auf Entschädigung ausschließen soll, wären Anwälte gehalten, immer vorsorglich die Rügen auszubringen, schon um nicht selbst regresspflichtig zu werden.“

11 Gedanken zu „Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren – Stand der Gesetzgebung

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  2. Xaver

    Bedeutet die Neuregelung eigentlich, daß die sog. „Vollstreckungslösung“ des BGH in Strafsachen künftig nur noch nach „Verzögerungsrüge“ im Sinne des neuen Gesetzes möglich ist, oder ist die Rüge reine Voraussetzung für die Entschädigung in Geld n e b e n der Vollstreckungslösung?

  3. Xaver

    Zur Erläuterung: Die Stellungnahme der BRAK weist ja auf die Gefahr hin, daß die Anforderungen des EGMR an eine Kompensation für überlange Verfahren schon mit der Möglichkeit einer Entschädigung erfüllt sind. Dann besteht doch die Gefahr, daß der BGH künftig anstelle einer Vollstreckungslösung /-kompensatoin auf die Möglichkeit von Schadenersatz verweist, und so letztlich immer auch in Strafsachen eine Rüge erforderlich ist, ansonsten eine Kompensation möglicherweise überhaupt nicht erfolgt. Sozusagen im Ergebnis also etwas wie ein „Strafschärfungsgrund der fahrlässigen Verletzung der Obliegenheit zur Rüge“ oder jedenfalls eine üble Regreßfalle für Rechtsanwälte.

  4. meine5cent

    Tja, und zum Jahresbeginn 2012 wird es dann gleich mal wieder geändert durch das Gesetz zur Änderung der Besetzung der Großen Strafkammern…..

  5. meine5cent

    „Weitere Änderungen betreffen das kürzlich verabschiedet Gesetz zum Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren. Privatkläger sollen vom Entschädigungsanspruch nach diesem Gesetz ausgeschlossen werden, soweit sie nicht gleichzeitig Adhäsionskläger sind. Außerdem soll für derartige Entschädigungsklagen künftig das OLG, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde, zuständig sein.“

    Quelle :
    http://www.rechtsanwaltskammer-hamm.de/neuigkeit.details.php?id=556

  6. Detlef Burhoff

    ok, die Änderung/Ergänzung in § 199 Abs. 4 GVG neu hatte ich übersehen. Wer rechnet auch damit, dass ein Gesetz schon knapp vier Wochen nach seinem Erlass wieder geändert wird, noch vor der Verkündung :-). Bei der Zuständigkeit hat sich nicht die funktionelle Zuständigkeit geändert – das war schon immer das OLG – aber die örtliche. So haben alle OLG etwas davon :-).

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