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Verkehrsrecht II: Angetrunken auf dem E-Scooter, oder: Trunkenheitsfahrt?

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Bei der zweiten Entscheidung des Tages handelt es sich um das KG, Urt. v. 10.05.2022 – (3) 121 Ss 67/21 (27/21). Auch hier stelle ich nur den Leitsatz vor, da es sich um eine bekannte Problematik handelt, zu der das KG Stellung nimmt.

Gegenstand des Verfahrens ist nämlich eine Trunkenheitsfahrt mit einem sog. E-Scooter. Das KG sagt – in Übereinstimmung mit der wohl überwiegenden Meinung der Obergerichte – § 316 StGB ist anwendbar. Hier die Leitsätze der Entscheidung:

    1. Auch bei einem Fahrzeugführer eines Elektrokleinstfahrzeugs (hier sog. Elektroscooters) ist davon auszugehen, dass er ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,10 ‰ (absolut) fahruntauglich im Sinne von §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 lit. a), 316 Abs. 1 StGB ist.
    2. Bei der Bemessung der Tagessatzhöhe ist dem Tatgericht ein weites Ermessen eingeräumt. Aufwendungen für die Berufsausbildung können, müssen aber nicht zwingend berücksichtigt werden.

Das KG äußert sich übrigens auch zum BGH, Beschl. v. 02.03.2021 – 4 StR 366/20:

„Dem steht die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 2. März 2021 (- 4 StR 366/20 -, juris), von dessen Existenz das Amtsgericht keine Kenntnis haben konnte, nicht entgegen. Denn abweichend von den vorliegenden Feststellungen enthielten die dem Bundesgerichtshof zur Überprüfung gestellten Urteilsgründe nicht die erforderlichen Feststellungen zur fahrzeugtechnischen Einordnung des bei den Fahrten verwendeten Elektrorollers. Soweit für den vorliegenden Fall von Belang, wird lediglich dargelegt, dass der Angeklagte u.a. mehrere Fahrten alkoholisiert – in zwei Fällen lag die BAK höher als 1,1, ‰ – mit einem Elektroroller „Sunny E-Bike“ unternommen habe. Dieser Roller habe über ein Versicherungskennzeichen verfügt und ohne Muskelkraft eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h erreichen können. Allein daraus lassen sich nach Auffassung des Bundesgerichtshofes noch keine hinreichend präzisen Schlüsse auf die rechtliche Einordnung des geführten Fahrzeugs ziehen. Zudem geht aus den der dortigen Entscheidung zugrunde liegenden Feststellungen – anders als im vorliegenden Fall – noch nicht einmal hervor, ob es sich um ein Elektrokleinstfahrzeug nach der eKFV oder um ein E-Bike und damit um ein Leichtmofa im Sinne der Leichtmofaausnahmeverordnung (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 46. Aufl., § 2 FZV Rdn. 14)  gehandelt hat.“

Und so dann auch der KG, Beschl. v. 31.05.2022 – 3 Ss 13/22 – mit den Leitsätzen:

1. Der für Führer von Kraftfahrzeugen anerkannte so genannte Beweisgrenzwert, ab dem die alkoholbedingte Fahrunsicherheit unwiderleglich („absolut“) besteht, gilt auch für Fahrer von Elektrokleinstfahrzeugen, namentlich für Nutzer von E-Scootern.
2. Bei einem Regelfall kann die sonst erforderliche Gesamtabwägung der für oder gegen die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen sprechenden Umstände unterbleiben, und die tatrichterliche Prüfung kann sich darauf beschränken, ob ausnahmsweise besondere Umstände vorliegen, die der Katalogtat die Indizwirkung nehmen könnten.
3. Auch gegen einen alkoholbedingt fahrunsicheren Fahrer eines E-Scooters können die Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet werden.

 

Verkehr III: Trunkenheitsfahrt nach „Mischkonsum“, oder: mischkonsumtypische Fahrfehler?

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Und zum Schluss des Tages dann noch der LG Köln, Beschl. v. 25.02.2022 – 117 Qs 25/22. Das AG hatte nach einer „Trunkenheitsfahrt“ – es wurde beim Beschuldigten Alkoholkonsum und Btm-Konsum festgestellt – die (vorläufige) Entziehung der Faherlaubnis abgelehnt. Dagegen die Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die das LG zurückgewiesen hat:

„Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen besteht kein dringender Tatverdacht dafür, dass der Beschuldigte am 28.11.2021 gegen 00:50 Uhr in Bergisch-Gladbach unter anderem im Bereich der Straße Rosenhecke im Straßenverkehr ein Kfz führte, obgleich er infolge des Genusses alkoholischer Getränke und Benzodiazepam (für ihn erkennbar) nicht dazu in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen.

1. Dafür, dass jemand infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage ist, ein Fahrzeug sicher zu führen, besteht die unwiderlegliche Annahme, wenn er zur Tatzeit einen Blutalkoholkonzentrationswert von 1,1 Promille oder höher aufwies. Im Falle eines BAK-Wertes von bis zu 1,1 Promille bedarf es grundsätzlich zusätzlicher äußerlich erkennbarer alkoholtypischer Ausfallerscheinungen, die auf eine Fahruntüchtigkeit schließen lassen. Dabei ist zu beachten, dass desto geringere Anforderungen an den Nachweis der Fahruntüchtigkeit durch weitere Umstände zu stellen sind, je höher die Blutalkoholkonzentration ist (Fischer, StGB, 68. Auflage, 2021, § 316 Rn. 35). Die Annahme relativer Fahruntüchtigkeit setzt stets die Feststellung irgendwelcher körperlicher Ausfallerscheinungen oder Fahrfehler voraus. Dabei ist zu beachten, dass nicht jeder Fahrfehler ohne weiteres auf relative Fahruntüchtigkeit schließen lässt.

Im Falle von Betäubungsmittelkonsum ist die Frage der Fahruntüchtigkeit ggf. anhand einer umfassenden Würdigung der Beweisanzeichen vorzunehmen, dabei ist die konsumierte Substanz sowie deren Eignung zur Verursachung fahrsicherheitsmindernder Wirkungen festzustellen, bei unklaren oder Misch-Intoxikationen können auch Rückschlüsse aus dem Erscheinungsbild ausreichen, wenn nur die sichere Feststellung möglich ist, dass zur Zeit der Tat eine aktuelle Rauschmittelwirkung vorlag (vgl. Fischer, aaO, Rn. 39a).

2. Nach diesem Maßstab lässt sich nach Aktenlage eine Fahruntüchtigkeit des Beschuldigten nicht mit dringender Wahrscheinlichkeit annehmen.

a) Die bei dem Beschuldigten am 28.11.2021 uni 01:38 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Alkoholkonzentration von 0,83 Promille auf (BI. 30 der Akte), wobei — basierend auf der Angabe des Beschuldigten, er habe am Vorabend gegen 18:00 Uhr / 18:30 Uhr letztmalig Alkohol konsumiert (BI. 5 der Akte) — nach Rückrechnung im Zeit-punkt der mutmaßlichen Tat von etwa rund 0,93 Promille Blutalkohol auszugehen ist. Eine alkoholbedingte absolute Fahruntüchtigkeit kann demnach nicht angenommen werden.

b) Auch für eine (relative) Fahruntüchtigkeit infolge von Alkohol- und Drogen- bzw. Medikamentenkonsum bestehen keine hinreichenden Anzeichen.

Zwar ist im Blut des Beschuldigten— zusätzlich zum Alkoholeinfluss — Benzodiazepam nachgewiesen worden (vgl. Ergebnismitteilung BI. 29 der Akte).

Nach Aktenlage gibt es jedoch weder alkohol- bzw. benzodiazepam- bzw. mischkons-umstypische Fahrfehler noch hinreichende körperliche Ausfallerscheinungen, die eine Fahruntüchtigkeit dringend nahelegen.

Insoweit hat der Beschuldigte zwar offensichtlich mit seinem Fahrzeug eine Bordstein-kante touchiert, wie sich aus den polizelichen Feststellungen sowie der anwaltlichen Einlassung ergibt (BI. 1ff, 36ff der Akte). Hinzu kommt ein Geschwindigkeitsverstoß. Auch bei Annahme eines dringenden Tatverdachts für einen — bestrittenen — Rotlicht-verstoß kann jedoch nicht auf eine Fahruntüchtigkeit geschlossen werden. Denn aus diesem Geschehen als solchem kann — wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat — nicht geschlossen werden, dass dies auf dem Substanzeinfluss beruht, weil es viele Ursachen haben kann, die nicht substanzbezogen sind. Ein für Substanzkonsum typi-scher Fahrfehler wie Schlangenliniennfahren, Abkommen von der Straße in spitzem Winkel o. A. (vgl. Kasuistik bei Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 316 Rn. 36f, 40f) ist nicht erkennbar.

Auch abseits von Fahrfehlern zeigte der Beschuldigte ausweislich der ärztlichen (BI. 12 der Akte) und polizeilichen Feststellungen (vgl. insbesondere sog. Torkelbogen, BI. 14 der Akte) keine körperlichen Beeinträchtigungen von einem Ausmaß, die für sich oder kumuliert die Annahme einer relativen Fahruntüchtigkeit trügen. Im sog. Torkelbogen ist von der Polizei zwar niedergelegt, dass der Beschuldigte unruhig gewesen sei und eine wechselnde Stimmung an den Tag gelegt habe, sowie dass seine Binde-häute wässrig/gerötet und seine Augen glänzend sowie glasig/wässrig gewesen seien. All dies kann auf Müdigkeit, Nervosität angesichts der Situation etc. zurückzuführen sein, konkrete Rückschlüsse auf die Fahrtauglichkeit lassen sich daraus nicht ziehen. Gleiches gilt für die polizeiliche Feststellung, der Beschuldigte habe gefroren und nach einer Jacke gefragt, obwohl die Raumtemperatur 22 Grad betragen habe und die Oberbekleidung angemessen gewesen sei (BI. 5 der Akte). Anlässlich der ärztlichen Untersuchung sind ebenfalls nur wenige Auffälligkeiten vermerkt, der berichtende Arzt hat zudem angegeben, es sei nur ein „leichter“ Einfluss von Alkohol und Medikamenten bemerkbar gewesen.“

Verkehrsrecht III: Nochmals Fahrt mit Elektro-Roller, oder: Entziehung der Fahrerlaubnis?

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Und zum Schluss des Tages habe ich dann noch zwei Entscheidungen zur (Trunkenheits)Fahrt mit einem Elektro-RollerScooter (§ 316 StGB).

Der Beschuldigte befuhr am 30.10.2021 gegen 02:08 Uhr, mit einem Elektrokleinstfahrzeug mit Lenk- oder Haltestange (E-Roller) der Marke Bott Cl u.a. in Solingen. Ihm kam zwei Polizeibeamten in einem Funkstreifenwagen entgegen. Die Beamten entschieden sich, den Beschuldigten zu kontrollieren, wendeten ihren Streifenwagen und hielten den Beschuldigten an. Da bei der Kontrolle starker Alkoholgeruch wahrgenommen wurde, wurde eine freiwillige Atemalkoholmessung durchgeführt, die einen Wert von 0,7mg/l ergab. Die um 04:08 freiwillig abgegebene Blutprobe ergab eine mittlere BAK von 1,55 %.

Die Staatsanwaltschaft hat dann die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis beantragt (§ 111a StPO). Das AG Wuppertal hat das mit dem AG Wuppertal, Beschl. v. 17.12.2021 – 22 Gs 47/21 (922 Js 3738/21) – abgelehnt: Begründung:  Wie ein Gericht in der Hauptsache in der strittigen Frage um die Einordnung dieser Fahrzeuge entscheide, sei nicht vorhersehbar, zumal es noch keine obergerichtliche Entscheidung aus dem dortigen Gerichtsbezirk gebe. Daher keine Entziehung der Fahrerlaubnis.

Dagegen dann die Beschwerde der Staatsanwaltschaft, über die das LG Wuppertal mit dem LG Wuppertal, Beschl. v. 02.02.2022 – 25 Qs 63/21 (922 Js 3738/21) – entschieden hat. Das LG hat dem Antrag der StA statt gegeben und die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen.

Das man das, was das LG ausführt so alles schon einmal gelesen hat, hier nur (mein) Leitsatz zu der Entscheidung:

Der für Kraftfahrer ermittelte Grenzwert für die Anwendung des § 316 StGB ist auch auf Führer von E-Scootern anzuwenden.

Verkehrsrecht III: Relative Fahruntüchtigkeit, oder: Niedrige BAK und Uneinsichtigkeit reichen nicht

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Und dann zum Tagesschluss dann noch ein weiterer Beschluss zu § 111a StPO. Im LG Koblenz, Beschl. v. 12 Qs 72/21 – geht es aber nicht so sehr u^m die Voraussetzungen des § 111a StPO, sondern mehr um die Frage, ob überhaupt eine Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) bzw. relative Fahruntüchtigkeit vorgelegen hat. Das hat as LG verneint:

„Mit dem Beschluss vom 29.09.2021, dem Beschuldigten zugestellt am 01.10.2021, hat das Amtsgericht Koblenz entschieden, dass die Fahrerlaubnis des Beschuldigten vorläufig entzogen und die Beschlagnahme des Führerscheins bestätigt wird. Nach der Begründung des Beschlusses werde sich der Beschuldigte wegen Trunkenheit im Verkehr nach § 316 Abs. 1 StGB zu verantworten haben, weil er am 16.09.2021 gegen 21:45 Uhr auf einer vierspurigen Bundesstraße gewendet habe, um als „Geisterfahrer“ zurück zur Autobahnauffahrt zu fahren, und um 22:46 Uhr eine Blutalkoholkonzentration von 0,37 %o festgestellt worden sei (BI. 28 d. A.).

Gegen den Beschluss hat der Beschuldigte durch seinen Verteidiger mit Schreiben vom 26.10.2021, eingegangen beim Amtsgericht Koblenz am 26.10.2021, Beschwerde eingelegt (BI. 47 d. A.). Die Beschwerde ist damit begründet worden, dass der Beschuldigte falsch gewendet habe und aus Versehen in entgegengesetzter Fahrtrichtung gefahren sei. Er habe lediglich wenden wollen.

…..

Die Beschwerde des Beschuldigten ist statthaft und auch sonst zulässig, §§ 304, 306 Abs. 1 StPO und hat in der Sache Erfolg, da die Entziehung der Fahrerlaubnis sowie die Bestätigung der Beschlagnahme des Führerscheins zu Unrecht ergangen ist.

1. Nach § 111a Abs. 1 S.1 StPO kann der Richter dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen wird. Gemäß § 69 Abs. 1 StGB entzieht das Gericht dem Angeklagten die Fahrerlaubnis, wenn dieser wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt ist und, wenn sich aus der Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist.

a) Nach Würdigung der Akte liegt aus rechtlichen Gesichtspunkten kein dringender Grund für eine Entziehung der Fahrerlaubnis im Sinne des § 69 StGB vor.

aa) Ein dringender Tatverdacht im Hinblick auf § 316 Abs. 1 StGB ist nach Aktenlage nicht gegeben. Hiernach macht sich derjenige strafbar, der im Verkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er insbesondere infolge alkoholischer Getränke nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. Eine solche Fahruntüchtigkeit ergibt sich ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 % oder unterhalb einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 %0 bei vorhandenen alkoholbedingten Ausfallerscheinungen.

Vorliegend hatte der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt eine BAK von 0,37 %o (BI. 36 d. A.). Gemäß der Sachverhaltsdarstellung des PHK pp. sei der Beschuldigte auf einer vierspurigen und durch eine Mittelleitplanke getrennte Bundesstraße entgegen der Fahrtrichtung gefahren. Nachdem der Beschuldigte darauf angesprochen worden sei, habe er geäußert, die Autobahnauffahrt verpasst zu haben, weswegen er gewendet habe, um zurück zur Autobahnauffahrt zufahren. Er sei uneinsichtig gewesen und habe versucht sein Verhalten zu verharmlosen (BI. 4ff. d. A.). Dieses Verhalten stellt nach einer Gesamtbetrachtung nach Aktenlage keinen alkoholbedingten Umstand dar, der auf eine Fahruntüchtigkeit hinweist.

Voraussetzung für den Schluss aus Fehlverhaltensweisen auf eine alkoholbedingte Fahrunsicherheit ist die sichere Feststellung, dass sie Folgen des Alkoholgenusses sind. Bei der Beurteilung kommt es wesentlich darauf an, ob es sich um einen alkoholtypischen Fahrfehler handelt, also um einen solchen, der in symptomatischer Weise auf die nach Alkoholgenuss typischerweise auftretenden physiologischen (z. B. Verlängerung der Reaktionszeit; Beeinträchtigung des Gleichgewichtssinns; Einengung des Gesichtsfelds; Müdigkeit) und psychische (z. B. Kritiklosigkeit, erhöhte Risikobereitschaft und Selbstüberschätzung) Folgen hinweist (Fischer, StGB, 68. Aufl., § 316, Rn. 34, 35). Je weiter die festgestellte Blutalkoholkonzentration von der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit (1,1 %o) entfernt ist, desto höher sind die Anforderungen an die für das Vorliegen einer relativen Fahruntüchtigkeit festzustellenden alkoholbedingten Ausfallerscheinungen (LG Darmstadt Beschl. v. 12.3.2018 — 3 Qs 112/18, BeckRS 2018, 3959 Rn. 3).

Anzeichen für physiologische Folgen des Alkoholgenusses sind nach Aktenlage nicht ersichtlich. Nach Würdigung des Akteninhalts kann eine sichere Feststellung der psychischen Folgen des Alkoholgenusses nicht getroffen werden. Das Fahren entgegen der Fahrtrichtung für mehrere 100 m ist grundsätzlich eine besonders leichtsinnige Fahrweise. Dennoch stellt selbst ein aggressives und verkehrswidriges Fahrverhalten nur dann ein Fahruntauglichkeitsindiz dar, wenn es sich dabei um typische Fahrweisen alkoholisierter Kraftfahrer im Straßenverkehr handelt. Einen Erfahrungssatz, dass rücksichtsloses Fahren oder Überholen eine Folge genossenen Alkohols sei, gibt es dagegen nicht (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 12. November 1990 — 1 Ss 164/90 —, Rn. 11, mwN.). Weiter enthält der ärztliche Untersuchungsbericht keine Indizien für alkoholbedingte Ausfallerscheinungen. Zwar sei der Beschuldigte gegenüber den Polizisten uneinsichtig gewesen und habe versucht sein Verhalten zu verharmlosen (BI. 5 d. A.), was für eine alkoholbedingte Enthemmung sprechen kann, jedoch stellt dies eine eigene Wertung des Polizisten dar. Der konkrete Wortlaut des Beschuldigten wird für eine eigene gerichtliche Wertung nicht wiedergeben. Selbst bei einer solchen Annahme durch die Kammer kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Kritiklosigkeit eine altersbedingte Folge des 1948 geborenen Angeklagten ist.

Aber alleine aus dieser Uneinsichtigkeit sowie dem Verharmlosen in Verbindung mit der festgestellten BAK von 0,37 %o kann nicht der sichere Schluss gezogen werden, dass der Beschuldigte alkoholbedingt fahruntüchtig mit seinem Fahrzeug entgegen der Fahrtrichtung gefahren ist. Da die festgestellte Blutalkoholkonzentration nicht nah an der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit liegt, bestehen seitens der Kammer erhebliche Zweifel an einer alkoholbedingten Ausfallerscheinung. Dennoch kann aufgrund dieses besonders leichtsinnigen Fahrverhaltens sowie des Nachverhaltens der Schluss gezogen werden, dass der Beschuldigte nicht die charakterliche Eignung im Sinne des § 2 Abs. 4 S. 1 StVG, § 11 Abs. 1 S. 3 FeV innehat, was indes für eine Strafbarkeit nach § 316 Abs. 1 StGB nicht ausreicht.“

Verkehrsrecht III: Das Schieben eines Fahrrades, oder: Wer seine Fahrerlaubnis liebt, der schiebt ….

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Und als letzte Entscheidung des Tages dann hier noch das LG Freiburg (Breisgau), Urt. v. 26.10.2021 – 11/21 10 Ns 530 Js 30832/20 – zur Frage: Ist das bloße Schieben eines Fahrrades  Führen i.S. des § 316 StGB – also eine Trunkenheitsfahrt?

Das LG hat das verneint und den Angeklagten wird freigesprochen.

„Die Staatsanwaltschaft Freiburg legte dem Angeklagten mit dem am 12.10.2020 vom Amtsgericht pp. erlassenen Strafbefehl zur Last, am 09.08.2020 gegen 6.30 Uhr mit dem Fahrrad auf der Straße pp. in pp. gefahren zu sein, obwohl er aufgrund vorangegangenen Alkoholkonsums fahruntüchtig gewesen sei. Daher sei er auf die Fahrbahn gestürzt. Eine am selben Tag um 07.34 Uhr entnommene Blutprobe habe eine Blutalkoholkonzentration von 2,3 Promille im Mittelwert ergeben. Er habe sich hiermit der fahrlässigen Trunkenheit im Straßenverkehr gem. § 316 Abs. 1 und 2 StGB strafbar gemacht.

Das Amtsgericht verurteilte am 18.03.2021 den Angeklagten nach Beweisaufnahme entsprechend dieses Tatvorwurfs zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen à 35,- €. Die fristgerecht und mit dem Ziel eines Freispruchs eingelegte Berufung des Angeklagten wurde durch Beschluss der Berufungsstrafkammer vom 10.08.2021 angenommen. Die Berufung hatte Erfolg.

II.

Der Angeklagte besuchte am Abend des 08.08.2020 eine private Feier, die im Vereinshaus des Sportvereins pp. ausgerichtet wurde. Hierbei trank er alkoholische Getränke im Übermaß, was dazu führte, dass er noch am 09.08.2020 um 07.34 Uhr eine Blutalkoholkonzentration von 2,3 Promille aufwies. In den frühen Morgenstunden des 09.08.2020 wollte er mit dem Fahrrad nachhause fahren. Zu diesem Zweck zog er das Rad aus dem Fahrradständer und schloss es auf. Bereits hierbei fiel er mit dem Fahrrad zu Boden. Er bemerkte, dass er zu betrunken war, um auf das Fahrrad aufzusteigen, und wollte das Fahrrad daher die ca. 3 bis 4 km bis zu seinem Wohnort schieben. Hierbei stieß er wegen seiner alkoholbedingten Gleichgewichtsstörungen noch einmal an einer Brücke gegen das Brückengeländer. Einige hundert Meter weiter geriet er, das Fahrrad schiebend, nach links vom Weg ab. Dort fiel er mit seinem Fahrrad in die Böschung. Das Fahrrad ließ er dort liegen und ging dann noch wenige Meter weiter, bevor er alkoholbedingt stürzte bzw. sich zum Schlafen auf der Straße niederließ. Jedenfalls lag er gegen 6.28 Uhr bewusstlos auf der kleinen Straße, wo er von einem zufällig auf privatem Weg befindlichen Polizeibeamten aufgefunden wurde. Dieser verständigte über Notruf Polizei und Rettungsdienst. Nachdem diese gegen 6.40 Uhr eingetroffen waren, wachte der Angeklagte langsam auf. Auf die Frage des Zeugen POM …, was geschehen sei, antwortete der Angeklagte, er sei vom Fahrrad gefallen.

III.

Diese Feststellungen entsprechen im Wesentlichen der nicht widerlegten Einlassung des Angeklagten. Die Strafkammer konnte sich nicht davon überzeugen, dass der Angeklagte auf dem Weg vom Vereinsheim bis zu der Stelle, an der er bewusstlos aufgefunden wurde, zu irgendeinem Zeitpunkt mit dem Fahrrad gefahren ist. (pp.)

IV.

Der Angeklagte hat somit sein Fahrrad nicht geführt im Sinne des § 316 StGB. Zwar bedient der Schiebende sich dafür in aller Regel des Lenkers (s. BayObLG VRS 75 127, 128), so dass das Zweirad unter eigenverantwortlicher Handhabung einer seiner wesentlichen technischen Vorrichtungen durch den öffentlichen Verkehrsraum geleitet wird. Dennoch geht die herrschende Meinung, der die Strafkammer sich anschließt, davon aus, dass das Schieben eines Fahrrads nicht als Führen im Sinne des § 316 StGB angesehen werden kann (König in Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 13. Aufl. 2021, § 315 c Rn. 14; zweifelnd Fischer, StGB, 68. Aufl., 2021, § 315c Rn. 3a). Die Gefahrenlage ist so viel geringer, dass es sachgerecht erscheint, einschlägige Verhaltensweisen im Wege der teleologischen Reduktion aus dem Tatbestand zu eliminieren. Dafür kann stützend die Wertung der StVO, so z. B. § 25 Abs. 2 StVO, herangezogen werden, wonach die genannten Phänomene wesentlichen Regelungen des Fußgängerverkehrs unterworfen sind (König, a.a.O.).

Sich betrunken zu Fuß im öffentlichen Verkehrsraum zu bewegen, ist somit auch dann nicht strafbar, wenn hierbei ein Fahrrad geschoben wird.

Der Angeklagte war daher aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen freizusprechen.