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Strafzumessung: Art der Tatausführung muss vorwerfbar sein

Zum Wochenende dann mal wieder ein wenig Strafzumessung, und zwar aus dem BGH, Beschl. v.29.11.2011 – 3 StR 375/11 –:

Der Angeklagte ist wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren 6 Monaten verurteilt worden.  Das LG trifft u.a. folgende Feststellungen:

Der Angeklagte „verlor die Kontrolle“. Um Frau S. zu töten, fügte er ihr unter Verwendung zweier (vorgefundener) Messer zwölf Stichverletzungen zu, davon zehn im zentralen Bauchbereich, die teilweise die Bauchhöhle eröffneten und innere Organe verletzten. Anschließend versetzte er ihr mit einem Hammer zwei Schläge gegen den Kopf; jedenfalls beim zweiten Schlag lag Frau S. bereits auf dem Boden. Infolge der Bauchverletzungen verblutete sie nach wenigen Minuten. Die Hammerschläge verursachten Impressionsfrakturen mit Eröffnung der Hirnhaut, waren aber für sich nicht tödlich. Infolge einer tiefgre-fenden Bewusstseinsstörung „in Gestalt affektiver Entladung“, verbunden mit einem „extrem aggressiven Impulsdurchbruch“, war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt erheblich vermindert. „

Bei der Bemessung der Strafe hat das LG zu Lasten des Angeklagten den „brutalen Tathergang“ berücksichtigt. Der Angeklagte habe „über den eigentlichen Tötungsakt hinaus“ in erheblichem Maße Gewalt angewandt, indem er seinem Opfer zunächst eine Vielzahl schwerer Stichverletzungen und sodann, auch als es bereits am Boden lag, noch erhebliche Kopfverletzungen beigebracht habe.

Der BGH sagt: Geht hier so nicht:

Diese Erwägung begegnet unter den hier gegebenen Umständen durch-greifenden rechtlichen Bedenken; denn die Art der Tatausführung darf einem Angeklagten nur dann strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie vorwerfbar ist, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht zu vertretenen geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2000 – 1 StR 223/00, StV 2001, 615; Urteil vom 17. Juli 2003 – 4 StR 105/03, NStZ-RR 2003, 294; Beschluss vom 8. Oktober 2002 – 5 StR 365/02, NStZ-RR 2003, 104; Beschluss vom 16. Juli 2003 – 1 StR 251/03, NStZ-RR 2003, 362). Damit, ob dem Angeklagten die ihm vorgeworfene „Brutalität“ seines Vorge-hens trotz des affektbedingten „extrem aggressiven Impulsdurchbruchs“ unein-geschränkt vorwerfbar ist, setzt sich das Urteil indes nicht auseinander. „

Für Bagatelldelikte auch Bagatellstrafen…..

Strafzumessung bei Bagatelldelikten ist nicht einfach. Das zeigt einmal mehr der OLG Naumburg, Beschl. v. 28.06.2011 – 2 Ss 68/11. Das OLG hat eine landgerichtliche Entscheidung wegen nicht ausreichender Feststellungen des AG zum Einfluss von Persönlichkeitsstörungen auf die Schuldfähigkeit des Angeklagten aufgehoben und dann in einer „Segelanweisung“ zur Strafzumessung Stellung genommen. Das AG hatte die mehrfach, zum Teil einschlägig vorbestrafte und nach Aussetzung einer Restfreiheitsstrafe von ca. 10 Monaten unter Bewährung stehende Angeklagte wegen Diebstahls und Erschleichens von Leistungen in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. FDas LG hatte die Berufung der Angeklagten verworfen.

Das OLG führt u.a. aus:

…… Sowohl bei den Leistungserschleichungen als auch im Falle des Diebstahls überwiegen die für die Angeklagte sprechenden Umstände. Dennoch gelangt das Landgericht zu kurzen Freiheitsstrafen zwischen zwei und vier Monaten und zwar gestützt auf die Vorstrafen, die sich hieraus ergebende Bewährung, die Rückfälligkeit und das zwangsläufig damit einher gehende Bewährungsversagen. Diese Momente können zweifelsohne die Schuld erhöhen. Sie dürfen aber nicht dazu führen, die konkrete Tat aus dem Blick zu verlieren und ohne Herstellung eines Zusammenhangs zwischen Vorstrafen und erneutem Straffälligwerden den Vorstrafen das Primat bei der Strafzumessung einzuräumen. Ist die Tatschuld gering, können auch einschlägige Vorstrafen ohne weitergehende besondere erschwerende Umstände nicht zu einem wesentlich höheren Unrechtsgehalt der Tat führen (OLG Braunschweig NStZ-RR 2002, 75; OLG Stuttgart NJW 2007, 37, 38; OLG Hamm, Beschluss vom 18. November 2002, 2 Ss 768/02 – zitiert in juris; Beschluss vom 10. Januar 2008, 3 Ss 491/07 – zitiert in juris). Die auf die konkrete Tat bezogene Schuld hat limitierende Funktion. Es ist nicht zulässig, die schuldangemessene Strafe aus spezial- oder generalpräventiven Gründen heraus zu überschreiten. Deshalb verbietet sich ein Automatismus, wonach einschlägige Vorstrafen selbst bei geringsten Taten stets zu einer erhöhten Strafe führen. Das Urteil des Landgerichts lässt aber genau diesen tatunabhängigen Effekt der Vorstrafen der Angeklagten und damit eine fehlerhafte Rechtsanwendung (vgl. Schönke/Schröder/Kinzig/Stree, § 46 Rdn. 65 m.w.N.) besorgen. Es ist im Einzelfall natürlich nicht ausgeschlossen, eine erhöhte persönliche Schuld festzustellen und daher eine Freiheitsstrafe zu verhängen (BGH NJW 2008, 672 f. [BGH 15.11.2007 – 4 StR 400/07]; BayObLG NJW 2003, 2926, 2927 m.w.N.; OLG Celle NStZ-RR 2004, 142; OLG Hamburg NStZ-RR 2004, 72, 73; OLG Nürnberg, Beschluss vom 25. Oktober 2005, 2 St OLG Ss 150/05 – zitiert in juris). Zu beachten bleiben aber der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das verfassungsrechtliche Übermaßverbot, welche sich in ihrer Strafe begrenzenden Wirkung mit dem Schuldprinzip decken (BVerfG NJW 1979, 1039, 1040 [BVerfG 17.01.1979 – 2 BvL 12/77]; Beschluss vom 7. Januar 1999, 2 BvR 2178/98). Wird die schuldangemessene Strafe überschritten, ist das Übermaßverbot verletzt (OLG Hamburg aaO.). Der Tatrichter muss deshalb in Fällen wie diesem – Persönlichkeitsdefizite der Angeklagten und Bagatellschäden – zu erkennen geben, dem Übermaßverbot und dem Vorrang der Tatschuld Rechnung getragen zu haben. …….“

 

Wir rücken immer weiter zusammen: Ausländische Vorstrafen dürfen berücksichtigt werden

Mit zwei interessanten Aspekten befasst sich der BGH, Beschl. v. 19. 10. 2011 – 4 StR 425/11, nämlich einmal mit der Frage, ob ausländische Vorstrafen bei der Strafzumessung berücksichtigt werden dürfen und, wenn ja, welche Feststellungen zu treffen sind. Die Antworten des BGh auf diese Fragen lasse sie wie folgt zusammenfassen:

Im Rahmen der Strafzumessung können rechtskräftige ausländische Vorstrafen berücksichtigt werden, wenn die Tat nach deutschem Recht strafbar wäre. Stammt die Vorstrafe aus einem Mitgliedsstaat der EU, so sind diese unabhängig von ihrer tatsächlichen Eintragung nach § 54 BZRG zu berücksichtigen. Allerdings muss der Tatrichter, will er die ausländische Vorstrafe zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigen, im Urteil ausreichende Feststellungen zur nicht eingetretenen Tilgungsreife der Vorstrafe treffen.

Wir rücken also mit anderen Staaten auch straf(verfahrens)rechtlich immer näher zusammen.

All dies hat sich aber nur zu Gunsten des Angeklagten ausgewirkt…

Mit der Passage: „All dies hat sich aber nur zu Gunsten des Angeklagten ausgewirkt.“ endet der BGH, Beschl. v. 13.10.2011 – 1 StR 407/11. Das bedeutet: Der BGH hat einen Rechtsfehler festgestellt, der sich aber auf die vom Angeklagten eingelegte Revision nicht auswirkt, da es ein Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten war. Das ist – so hier auch – bei Strafzumessungsfehlern nicht selten. Es ging hier um den Klassiker „U-Haft“. Dazu der BGH:

6. Die Strafkammer hält es im Rahmen der Strafzumessung für „positiv“, dass gegen den Angeklagten – mehrere Monate lang auch vollzogene – Untersuchungshaft angeordnet werden musste. Dieser offenbar als stets strafmildernd angesehene Gesichtspunkt falle hier „umso stärker“ ins Gewicht, als es dem erstmals inhaftierten Angeklagten aus nicht konkret genannten Gesundheitsgründen dabei „nicht gut ging“. Untersuchungshaft ist jedoch, jedenfalls bei Verhängung einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe, kein Strafmilderungsgrund (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 2010 – 2 StR 102/10, NStZ 2011, 100; Urteil vom 19. Dezember 2002 – 3 StR 401/02, NStZ-RR 2003, 110; zusammenfassend Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., Rn. 434 jew. mwN). Erstmaliger Vollzug von Untersuchungshaft (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 21. Dezember 1993 – 5 StR 683/93, NStZ 1994, 198; BGH, Urteil vom 14. Juni 2006 – 2 StR 34/06, NJW 2006, 2645) oder Krankheit während der Untersuchungshaft (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 25. November 1983 – 2 StR 717/83, StV 1984, 151 <Haftpsychose>) können allenfalls dann strafmildernd sein, wenn damit ungewöhnliche, über die üblichen deutlich hinausgehende Beschwernisse verbunden sind (zusammenfassend Fischer, StGB, 58. Aufl., § 46 Rn. 72, 73 mwN). Allein der Hinweis auf ein eingeschränktes Wohlbefinden belegt dies nicht. All dies hat sich aber nur zu Gunsten des Angeklagten ausgewirkt.“

Zuvor hat der Senat auch die Frage der Berücksichtigung „ausländerrechtlicher Folgen“ behandelt. Da war das Urteil nach seiner Ansicht aber ok.

Strafzumessung: Strafschärfende fehlende Einsicht

Mich erstaunt bei der Auswertung der BGH-Entscheidungen auf der Homepage des BGH dann doch immer wieder, welche (Anfänger)Fehler doch bei der Strafzumessung gemacht werden. Ein Beispiel ist der BGH, Beschl. v. 20.10.2011 –  1 StR 354/11, in dem es heißt:

Die Ausführungen in den Urteilsgründen, zu Lasten des überwiegend bestreitenden Angeklagten sei dessen fehlende „Einsicht darin, dass er Fehler gemacht hat“ zu berücksichtigen (UA S. 178), lassen besorgen, dass prozessual zulässiges Verteidigungsverhalten zu Unrecht strafschärfend berück-sichtigt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 4. August 2010 – 3 StR 192/10; BGH, Beschluss vom 9. Mai 2007 – 1 StR 199/07 jew. mwN). Zwar kann ein Verhalten des Täters nach der Tat strafschärfend wirken, wenn es trotz der ihm zustehenden Verteidigungsfreiheit auf Rechtsfeindschaft, seine Gefährlichkeit oder die Gefahr künftiger Rechtsbrüche hinweist oder andere mit der Tat zusammenhängende ungünstige Schlüsse auf seine Persönlichkeit zulässt (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1981 – 3 StR 61/81; BGH, Urteil vom 24. Juli 1985 – 3 StR 127/85) oder wenn die Grenzen angemessener Verteidigung eindeutig überschritten sind und das Vorbringen des Angeklagten eine selbständige Rechtsgutsverletzung enthält (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 2004 – 4 StR 576/03; zum Ganzen auch Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl.,  § 46 Rn. 41 mwN; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., Rn. 378 ff.). Dafür ist hier jedoch nichts dargetan oder ersichtlich.

So etwas sollte einer Strafkammer nicht passieren.