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Strafzumessung modern/aktuell (?): Strafzumessungskriterium A.Merkel

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Mein „Lieblings-Urteils-Hinweisgeber O.Garcia vom Blog „de Legisbus“ hat mich auf einen Bericht aus der Welt hingewiesen, der schon etwas zurückliegt, aber sicherlich immer noch von Interesse ist. Überschrift dieses Berichts: „Richter straft Schleuser wegen Regierungspolitik milde„. Und weiter heißt es da: „Ein Richter in Passau hat einen Schleuser zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Als Grund, keine schärfere Strafe zu verhängen, nannte er die Willkommenspolitik der Bundesregierung.

Und weiter:

„Das Amtsgericht Passau hat bei einem Urteil gegen einen 43-jährigen Schleuser aus Serbien vor der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung kapituliert. Vor dem Hintergrund, dass sich die Politik nicht einige, reiche hier eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung aus, heißt es in der Urteilsbegründung des Richters vom 5. November, der der „Welt am Sonntag“ vorliegt.

Das Strafmaß wurde nicht voll ausgeschöpft. Der Richter begründete dies so: „Angesichts der Zustände an den Grenzen ist die Rechtsordnung von der deutschen Politik ausgesetzt, deshalb wird keine unbedingte Haftstrafe erteilt. Asylsuchende werden von der deutschen Bundeskanzlerin eingeladen.“

Ich habe das Urteil natürlich sofort beim AG Passau angefordert, mal sehen, wann es kommt. Dann stelle ich den Volltext ein. Dieses ist also nur eine „Vorabmeldung“. Ich denke, das Urteil könnte ggf. für Strafverteidiger eine praktisch wichtige Handreichung sein. Im September war die Rede von 800 Schleuser, die in Bayern in Unterhaftungshaft sind. Es dürften also Hunderte von Verteidiger an solchen Fällen arbeiten.

Strafzumessung: Drohende berufsrechtliche Maßnahmen sollte man nicht übersehen….

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Bei der Bemessung der Strafe im Rahmen der Verurteilung eines Steuerberaters wegen Untreue (§ 266 StGB) hatte das LG im Urteil offenbar nicht klar genug zum Ausdruck gebracht, dass dem Angeklagten nach § 90 StBerG berufsgerichtliche Maßnahmen drohen (ich hätte auch schreiben können: hatte das LG offenbar § 90 StBerG übersehen….). Der BGH hebt daher im BGH, Beschl. v. 29.01.2015 – 1 StR 412/15 – den Gesamtstrafenausspruch auf:

Dagegen hat der Strafausspruch, soweit die Bildung der Gesamtstrafe betroffen ist, keinen Bestand (§ 349 Abs. 4 StPO). Die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts lassen nicht erkennen, ob es bei der Festsetzung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe die drohenden berufsgerichtlichen Maßnahmen gemäß § 90 StBerG berücksichtigt hat. Die Nebenwirkungen einer strafrechtlichen Verurteilung auf das Leben des Täters sind jedenfalls dann zu berücksichtigen, wenn dieser durch sie seine berufliche oder wirtschaftliche Basis verliert (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. April 1986 – 3 StR 89/86, NStZ 1987, 133, 134; vom 27. August 1987 – 1 StR 412/87, NStZ 1987, 550; vom 13. Februar 1991 – 3 StR 13/91, StV 1991, 207; vom 2. Februar 2010 – 4 StR 514/09, StV 2010, 479 f. und vom 24. Juli 2014 – 2 StR 221/14, NStZ 2015, 277, 278; vgl. auch Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46 Rn. 9 mwN).

Der Senat kann angesichts der sehr maßvollen Einzelstrafen, die entweder sechs oder neun Monate betragen, im Hinblick auf den jeweils eingetretenen Schaden zwar ausschließen, dass das Landgericht noch niedrigere Freiheitsstrafen verhängt hätte, wenn es dies bedacht hätte. Er kann aber angesichts einer die Einsatzstrafen deutlich übersteigenden Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten nicht mit Sicherheit ausschließen, dass das Landgericht eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte, wenn es die möglichen standesrechtlichen Auswirkungen für den Angeklagten berücksichtigt hätte.“

Ein Fehler/Übersehen, der/das häufiger festzustellen ist.

Strafzumessung, wenn es zu lange dauert, muss die Strafe geringer sein

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Ein nicht unwesentlicher Strafzumessungsgesichtspunkt ist ggf. die Verfahrensdauer, und zwar, wie der BGH, Beschl. v. 29.09.2015 – 2 StR 128/15 zeigt, in doppelter Hinsicht. Und zwar einmal der zeitliche Abstand zwischen Tat und Verurteilung und dann die eigentlichen Verfahrensdauer. Zu beiden Fragen hatte das LG Gießen bei einer Verurteilung wegen Untreue (§ 266 STGB) nicht Stellung genommen. Ergebnis: Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs:

„Der Strafausspruch hat keinen Bestand, denn die Ausführungen des Landgerichts lassen besorgen, dass es bei der für die Bemessung der Strafen erforderlichen Gesamtwürdigung aller für die Wertung der Taten und des Täters in Betracht kommender Umstände wesentliche mildernde Gesichtspunkte nicht berücksichtigt hat.

Die Strafkammer hatte schon nicht im Blick, dass zwischen den abgeur-teilten Taten und dem Urteil sieben bzw. neun Jahre vergangen sind und dass eine solch lange Zeitspanne zwischen Begehung der Tat und ihrer Aburteilung einen wesentlichen Strafmilderungsgrund darstellt (vgl. Senat, Urteil vom 20. Dezember 1995 – 2 StR 468/95, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Zeitablauf 1 mwN). Daneben hätte das Tatgericht hier strafmildernd zu bedenken gehabt, dass auch einer überdurchschnittlich langen Verfahrensdauer eine eigenständige strafmildernde Bedeutung zukommt, wenn sie für den Angeklagten mit be-sonderen Belastungen verbunden ist (BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2009 – 3 StR 173/09, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 20; vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 142). Ein großer zeitlicher Ab-stand zwischen Tat und Aburteilung sowie eine lange Verfahrensdauer und ihre nachteiligen Auswirkungen auf den Angeklagten stellen regelmäßig selbst dann gewichtige Milderungsgründe dar, wenn diese sachlich bedingt waren (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 – 2 StR 344/10, NStZ 2011, 651 mwN).

Das Schweigen der Urteilsgründe hierzu legt nahe, dass das Tatgericht diese bestimmenden Milderungsgründe im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO in seiner Bedeutung verkannt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 16. März 2011 – 5 StR 585/10, NStZ-RR 2011, 171).“

Strafzumessung: Milderungsgründe bei der ehelichen Vergewaltigung

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Ich habe länger kein Posting mehr zur Strafzumessung gebracht – die Schluss Redaktion am neuen Handbuch, Nachsorge, war dann doch aufwendiger als erwartet – aber heute kann ich dann ein Beispiel aus meinem Blog-Ordner, das schon etwas älter ist, bringen. Es geht um die Strafzumessung bei der ehelichen Vergewaltigung.

Das LG hatte den angeklagten Ehemann u.a. wegen Vergewaltigung zu einer Gesamt(freiheits)strafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Grundlage waren folgende Feststellungen des LG: Es „bestanden zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau schon kurz nach der Eheschließung erhebliche Streitigkeiten, aufgrund derer diese dem Angeklagten alsbald mitteilte, sie wolle sich dauerhaft wieder von ihm trennen. Es kam, ausgehend von dem Vorwurf des Angeklagten, seine Ehefrau habe einen Liebhaber, in der noch gemeinsam bewohnten Wohnung zu einer Auseinandersetzung. In deren Verlauf schlug der Angeklagte seiner Ehefrau mehrfach mit den Fäusten auf den Kopf und die schützend erhobenen Arme, fasste sie fest am Hals und rammte sein Knie so heftig in deren Bauch, dass sie zusammensackte. Kurze Zeit später schlug er weiter auf sie ein, so dass sie im Bereich der Küche auf den Boden fiel. Mit den Worten, er werde sich nunmehr „sein eheliches Recht“ nehmen, zog er der sich wehrenden Frau die Jogginghose und den Slip bis zu den Fußgelenken herunter, legte sich auf sie und steckte ihr gegen den heftigen Widerstand zumindest einen Finger für mehrere Sekunden in die Scheide und stieß dabei jedenfalls zweimal nach. Dabei äußerte er: „Mag Dein Neuer es denn auch so?“ Dann zog der Angeklagte den Finger wieder aus der Scheide und fragte: „Oder steht Dein Neuer eher darauf?“, was die Zeugin dahingehend verstand, als wollte der Angeklagte den Finger nun anal bei ihr einführen. In diesem Moment schrie die gemeinsame halbjährige Tochter, worauf der Angeklagte von seiner Frau abließ und zu dem Kind lief. Diese konnte daraufhin die Wohnung verlassen und zu den Nachbarn laufen.

Dazu die Strafzumessungserwägungen des BGH im BGH, Beschl. v. 21.07.2015 – 3 StR 217/15:

Das Landgericht hat hierfür aus dem Strafrahmen des § 177 Abs. 2 eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verhängt. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Zwar ist die Strafkammer zu Recht davon ausgegangen, dass der Angeklagte das Regelbeispiel nach § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB verwirklicht hat. Nach ständiger Rechtsprechung kann jedoch gleichwohl eine Ausnahme von der Regelwirkung in Betracht kommen, wenn ein Regelbeispiel mit gewichtigen Milderungsgründen zusammentrifft. Der Bestrafung kann dann ausnahmsweise der Normalstrafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB zugrunde gelegt werden (BGH, Beschluss vom 10. Februar 2004 – 4 StR 2/04, juris Rn. 5). Ob solche gewichtigen Milderungsgründe vorlagen, hat das Landgericht nicht erörtert, obwohl sich dies hier aufgedrängt hat: Es handelte sich um eine Beziehungstat zwischen Eheleuten, bei der der Angeklagte lediglich kurzzeitig mit dem Finger in die Scheide seiner Frau eingedrungen war. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer – hätte sie diese Überlegungen angestellt – eine geringere Freiheitsstrafe verhängt hätte.“

Na ja, mal so, mal so.

Strafzumessung: Der strafschärfende Verdacht weiterer Straftat, oder: Entweder oder…

FragezeichenAuch so ein Punkt, der mich immer erstaunt: Die Verwertung weiterer – nicht abgeurteilter – Straftaten bei der Strafzumessung. Mit der Frage hatte es der BGH, Beschl. v. 22.07.2015 – 2 StR 214/15 – zu tun bei einer Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. Das LG hatte bei der Prüfung und Verneinung der Frage, ob ein minder schwerer Fall nach § 176a Abs. 4 StGB vorläge, als auch bei der Zumessung sämtlicher Einzelstra-fen berücksichtigt, dass „über die konkretisierbaren vier Taten hinaus weitere sexuelle Handlungen stattgefunden haben“; andererseits hate es den Angeklagten hinsichtlich dreizehn weiterer angeklagter Fälle aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, weil sich die Strafkammer „nicht mit dem erforderlichen Maß an Gewissheit davon überzeugen (konnte), dass die Taten so, wie sie durch die Anklage konkretisiert worden sind, stattgefunden haben“.

Das geht so nicht bzw.: Entweder oder:

„Zwar ist es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht unzulässig, bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, dass der Angeklagte noch weitere – bisher nicht abgeurteilte – Straftaten begangen hat (vgl. BGH, Be-schluss vom 9. April 1991 – 4 StR 138/91, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 14 mwN). Allerdings müssen solche Taten – wie jeder für die Strafzumessung erhebliche Umstand – prozessordnungsgemäß und damit hinreichend bestimmt festgestellt werden und zur Überzeugung des Tatrichters feststehen (Senat, Urteil vom 5. Juni 2014 – 2 StR 381/13, juris Rn. 23; Beschluss vom 18. März 2015 – 2 StR 54/15, NStZ-RR 2015, 207; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46 Rn. 40 f. mwN).

Hier hat das Landgericht bereits selbst erklärt, dass es sich nicht von weiteren angeklagten Straftaten überzeugen konnte; es bleibt demnach offen, ob, welche und wie viele Straftaten der Angeklagte über die hier abgeurteilten vier Taten hinaus noch begangen haben soll. Dies lässt eine unzulässige Berücksichtigung des bloßen Verdachts weiterer Straftaten besorgen.“

Und in eigener Sache: Die nächsten Tage wird es etwas ruhiger :-). Ich sitze über den rund 1.700 Blatt Korrekturfahnen vom „Handbuch für die strafverfahrensrechtliche Nachsorge“, das im Dezember noch erscheinen soll. Es ist nicht so ganz einfach die Ausführungen eines Teams von rund 20 Autoren zu „vereinheitlichen“, d.h.: Sie sollen aussehen, als ob nur einer geschrieben hat. Das kostet Zeit. Daher muss das Bloggen ein wenig zurückstehen. Aber danach geht es wieder „unruhig“ weiter 🙂 .