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Strafvollzug I: Telefonat mit dem Verteidiger, oder: Wann ist es dringlich?

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Heute stelle ich dann drei Entscheidungen zum Strafvollzug vor. Die erste kommt aus bayern.

Im BayObLG, Beschl. v. 29.06.2020 – 204 StObWs 102/20 – hat der BayObLG über die Rechtsbeschwerde eines Strafgefangenen entschieden. Der hatte ein Telefonat mit seinem Verteidiger beantragt, nachdem ihm das BayObLG in verschiedenen Verfahren Fristen zur Gegenerklärung zum jeweiligen Antrag der in den Verfahren abgegebenen Erklärung der GStA  München gesetzt hatte. Diesen Antrag lehnte die JVA ab und verwies auf die fehlende Dringlichkeit. Der Gefangene könne eine Fristverlängerung beim BayObLG beantragen. Dagegen die – erfolglose – Gegenvorstellung. Daraufhin stellte der Strafgefangene Antrag auf gerichtliche Entscheidung und beantragte, die JVA zur Bewilligung und Durchführung eines Verteidigertelefonats zu verpflichten, hilfsweise festzustellen, die Telefonatsablehnung sei rechtswidrig gewesen. Diesen Antrag hat die StVK zurückgewiesen. Gegen den Beschluss hat der Antragsteller Rechtsbeschwerde eingelegt. Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg:

„a) Nach Art. 35 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG kann Gefangenen in dringenden Fällen gestattet werden, Ferngespräche zu führen.

Damit stellt Art. 35 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG (ebenso wie § 32 Abs. 1 StVollzG, dem Art. 35 BayStVollzG im Wesentlichen entspricht, vgl. LT-Drucks. 15/8101, Seite 57) die Erteilung einer Telefonerlaubnis in das pflichtgemäße Ermessen der Anstalt (vgl. zu § 32 StVollzG die Begründung des Regierungsentwurfs des Strafvollzugsgesetzes, BTDrucks. 7/918, Seite 61 f.; so auch BayObLÖ, Beschluss vom 18.6.2019 – 203 StObWs 897/19, nicht veröffentlicht), wobei diese nicht grundsätzlich gehindert ist, bei ihrer Entscheidung Gesichtspunkte das personellen Aufwandes für die Gewährleistung der notwendigen Sicherheit zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, BVerfGK 14, 381 = NJW 2009, 661 juris Rn. 31) und der Gefangene lediglich einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung hat (vgl. Laubenfhal, in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Stralvollzugsgesetze, 12. Aufl., Abschn. E, Rn. 100, 105; Arloth, in: BeckOK Strafvollzug Bayern, 13. Ed. 1.5.2020, BayStVollzG Art. 35 Rn. 2 m.w.N.).

Gegenüber § 32 StVollzG des Bundes und den Normen über Telefongespräche in den Strafvollzugsgesetzen der meisten Länder (außer Niedersachsen, vgl. § 33 Abs. 1 Satz. 1 NJVollzG) enthält Art. 35 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG die Einschränkung, dass den Gefangenen nur in dringenden Fällen gestattet werden kann, Telefongespräche zu führen (vgl. Laubenthal, in: Laubenthal/ Nestler/Neubächer/Verrel, a.a.O., Abschn. E, Rn. 105): Somit handelt es sich um eine Vorschrift, die auf der Tatbestandsseite den gerichtlich voll überprüfbaren, unbestimmten Rechtsbegriff des „dringenden Falles“ enthält und auf der Rechtsfolgenseite der Anstalt Ermessen einräumt (vgl. Arloth/Krä, a.a.O., Art. 35 BayStVollzG Rn. 1; so auch OLG Celle, NStZ-RR 2009, 158, Juris Rn. 9 zu § 33 Abs. 1 Satz.1 NJVollzG).

b) Das Erfordernis eines dringenden Falls gilt nach der Gesetzeslage in Bayern grundsätzlich auch für Telefongespräche des Gefangenen mit seinem Rechtsanwalt, da Art. 35 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG seinem Wortlaut nach keine Unterscheidung hinsichtlich der Gesprächspartner trifft.

aa) Demgemäß folgt ein gesetzlicher Anspruch des Gefangenen, jederzeit Telefongespräche mit seinem Rechtsanwalt oder Verteidiger zu führen, auch nicht aus Art. 35 Abs. 1 Satz 2 BayStVollzG, wonach für Telefongespräche die Vorschriften über den Besuch entsprechend gelten. Zwar sind gemäß Art. 29 Satz 1 BayStVollzG Besuche von Verteidigern (pp.) sowie von Rechtsanwälten oder Notaren in einer den Gefangenen (pp.) betreffenden Rechtssache zu gestatten. Da die Verweisung in Art. 35 Abs. 1 Satz 2 BayStVollzG auf die entsprechende Geltung der Besuchsregelungen aber nichts am grundsätzlichen Erfordernis des Vorliegens eines dringenden Falles ändert, hat sie keine Bedeutung für das „ob“ von Telefongesprächen, sondern nur für das „wie“, namentlich im Hinblick auf die bei den Besuchsvorschriften jeweils vorgesehenen Beschränkungen des Kontakts mit Personen, außerhalb der Anstalt (vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl., § 32 Rn. 2; wohl auch Schwind, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 6. Aufl., § 32 Rn. 3), hier also für die Überwachung der. Telekommunikation (vgl. Dessecker, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 7. Aufl., 9. Kap. D Rn. 15; Arloth, in: BeckOK Strafvollzug Bayern, a.a.O., Art. 35 BayStVollzG Rn. 3).

bb) Demgegenüber enthält etwa das Strafvollzugsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen eine eindeutige Verweisung auf die Gestattungspflicht für Telefongespräche des Gefangenen mit seinem Rechtsanwalt. Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 StVollzG NRW sind Besuche von Verteidigerinnen und Verteidigern sowie von Rechtsanwältinnen, Rechtsanwälten, Notarinnen und Notaren in Rechtssachen der Gefangenen zu gestatten. Nach § 26 Abs. 5 StVollzG NRW gilt unter anderem § 26 Abs. 1 Satz 1 StVollzG NRW für Telefongespräche entsprechend. Die Entscheidung hierüber steht somit nicht im Ermessen der Anstalt. Das belege – wie das Oberlandesgericht Hamm zutreffend ausführt [vgl. Beschluss vom 15.9.2015 – III-1 Vollz (Ws) 401/15, in juris] – nicht nur die Formulierung des Gesetzestextes, sondern auch die Gesetzesbegründung (LT-Drs. NW 16/5413 S. 108). Darin heißt es: „Absatz 5 stellt klar, dass auch Telefongespräche der Gefangenen mit dem in Absatz 1 Satz 1 und Absatz 4 genannten, insoweit privilegierten Personenkreis zu gestatten sind“. Könnten nach dem Gesetzeswortlaut (Telefonate „von“ Verteidigerinnen und Verteidigern etc.) noch Zweifel bestehen, ob dies nicht lediglich ankommende Telefongespräche betrifft, so mache die Gesetzesbegründung insoweit keine Einschränkung und es würde dem Schutzzweck der Regelung zuwiderläufen, gerade die besonders wichtige Möglichkeit der Kontaktaufnahme vom Gefangen zum Verteidiger als Ermessensentscheldung auszugestalten (vgl. OLG Hamm, a.a.O., juris Rn. 4).

c) Eine § 26 StVollzG NRW entsprechende Norm, die ausdrücklich die entsprechende Geltung der Regelung über die Gestattung des Besuches des Verteidigers auf Telefongespräche anordnet, enthält das Bayerische Strafvollzugsgesetz nicht. Gleichwohl sind bei der Frage, wann ein dringender fall im Sinne des Art. 36 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG anzunehmen ist, bei Telefongesprächen mit Verteidigern Besonderheiten zu beachten, so dass sich die Ermesssinsentscheidung auf einen Rechtsanspruch für Telefonate mit dem Anwalt verdichten kann.

aa) Die Vorschrift des Art. 35 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG hat – wie die Gesetzgebungsgeschichte zeigt – vorrangig die Zulässigkeit und die Reglementierung von Telefongesprächen durch Gefangene im Rahmen der Pflege allgemeiner Außenkontakte im Blick und ist nicht auf den Spezialfall des Telefonats eines Gefangenen mit seinem Verteidiger oder Rechtsanwalt zugeschnitten. Die Begründung zu Art. 35 BayStVollzG lautet wie folgt:

„Entsprechend der bayerischen Vollzugspraxis wird in Abs. 1 geregelt, dass den Gefängenen nur in dringenden Fällen gestattet werden kann, Telefongespräche zu führen. Außenkontakte sind für die Erfüllung des Behandlungsauftrags wichtig, weil sie der Wiedereingliederung der Gefangenen dienen, bedürfen aber einer gewiesen Kontrolle. Nicht nur aus Gründen der Sicherheit und Ordnung In der Anstalt, sondern auch aus behandlerischen Gründen muss die Anstalt, wissen, wann und mit welchen Personen die Gefangenen Kontakt haben. Eine unkontrollierte Kommunikation mit Außenstehenden kann daher nicht zugelassen werden. Dies gilt in besonderem Maße für Telefongespräche, da es bei dieser unmittelbaren Form der Kommunikation leichter möglich ist, dass Gefangene versuchen, das Gespräch zu unerlaubten Geschäften zu missbrauchen. Eine Kontrolle der Telefongespräche in größerem Umfang wäre personell nicht leistbar. Sie werden daherauf dringende Fälle beschrankt (LT-Drucks. 15/8101, Seite 57).

Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs ist die Beschränkung von Ferngesprächen auf dringende Fälle mit Art. 100, 101 BV. vereinbar. Unter Berücksichtigung des Spannungsverhältnisses zwischen den im Rahmen der Resozialisierung wichtigen Außenkontakten einerseits und der bei Telefongesprächen bestehenden Gefahr, dass Kontakte gepflegt werden, die mit dem Behandlungsauftrag oder den Sicherheitsinteressen der Anstalt oder der Allgemeinheit nicht zu vereinbaren sind, andererseite, sei eine intense Überwachung erforderlich. Anders als bei einem Besuch bestehe beispielsweise die Möglichkeit, dass der Gefangene mit einem unteren als dem angegebenen Telefonpartner spricht oder dass der eigentliche Partner das Gespräch an einen Dritten weiterreicht. In diesem Zusammenhang habe es dem Normgeber freigestanden, Gesichtspunkte des personellen Aufwands für die Gewährleistung der notwendigen Sicherheit in die Überlegungen einzubeziehen. Vor diesem Hintergrund sei es nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber Telefongespräche mit den Argument, eine Kontrolle in größerem Umfang wäre personell nicht zu leisten (LT-Drucks. 15/8101 Seite 57), nur in dringenden Fällen gestattet. Er habe im Übrigen dem für den Schutz der Allgemeinheit und für die Anstaltsordnung eminent wichtigen Sicherheitsaspekt den Vorrang einräumen dürfen. Dam Resozialisierungsgedanken könne auch in anderer Weise hinreichend Rechnung getragen werden (Beschluss vom 12.5.2009 – Vf, 4-VII-08, FS 2009, 267, juris Rn. 56).

bb) Weder die Gesetzesmaterialien noch der Bayerische Verfassungsgerichtshof verhalten sich zum Spezialfall von Telefongesprächen eines Gefangenen mit seinem Verteidiger oder seinem Rechtsanwalt in konkreten Rechtsangelegenheiten, bei denen die genannten Abwägungsgesichtspunkte nicht in gleicherweise greifen. Denn es geht hierbei nicht primär um die Pflege der im Rahmen der Resozialisierung wichtigen sozialen Außenkontakte, sondern um die Gewährleistung eines fairen Verfahrens durch die Form der Inanspruchnahme einer rechtlichen Beratung.

cc) Demgemäß hat der 3. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts mit Beschluss vom 18.6.2019 (203 StObWs 897/19) zur Ausübung des Ermessens der Anstalt über die Bewilligung eines Telefonats des Beschwerdeführers mit seinem Verteidiger entschieden, dass namentlich die Gestaltungsgrundsätze von § 3 StVollzG, Art. 5 BayStVollzG zu berücksichtigen seien und der hieraus resultierende Angleichungsgrundsatz und die Förderungspflicht (Art. 26 Satz 2 BayStVollzG) im Einzelfall das Recht des Gefangenen auf fehlerfreien Ermessensgebrauch zu einem Recht auf telefonischen Kontakt erstarken lassen können. Dies gelte in besonderem Maße für Telefonate des Gefangenen mit seinem Verteidiger wegen laufender Verfahren. Solche Telefonate stünden dem Strafgefangenen im Regelfall zu (unter Hinweis auf Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, a.a.O., Teil E, Rn. 100, 101).

Im zugrundeliegenden Fall hatte die Justizvollzugsanstalt den Strafgefangenen auf die Erforderlichkeit weiterer Darlegungen zur Dringlichkeit seines Antrags hingewiesen. Daraufhin hatte dieser mitgeteilt, dass in einem konkret bezeichneten Verfahren zu einem bestimmten Zeitpunkt seine Rechtsbeschwerdefrist ablaufe. Gleichwohl hatte die Anstalt nicht zeitnah vor Fristende eine. Entscheidung getroffen, um dem Strafgefangenen das beantragte Telefonat oder – im Falle einer Versagung – einen gerichtlichen Eilantrag zu endlichen. Dies sah der 3. Strafsenat als ermessensfehlerhaft an, da die Justizvollzugsanstalt durch diese Untätigkeit den Antrag des Strafgefangenen abgelehnt und im Ergebnis eine – von dieser auch so gewollte – endgültig Regelung herbeigeführt hatte. Hierbei habe sie ihr Ermessen nicht ausgeübt und euch nicht geprüft, ob möglicherweise sogar eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben war.

Der 3. Strafsenat hat jedoch nicht entschieden, unter welchen konkreten Voraussetzungen sich das Recht des Gefangen auf fehlerfreien Ermessensgebrauch einem Anspruch auf telefonischen Kontakt mit seinem Rechfsanwält verdichtet.

dd) Unabhängig von der Regelung in Art. 35 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG ist nach überwiegender und zutreffender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass Telefongespräche des Gefangenen mit seinem Verteidiger oder mit seinem Rechtsanwalt zum Zwecke der Besprechung in einer ihn betreffenden Rechtssache grundsätzlich zu ermöglichen sind [vgl. zur Untersuchungshaft: BVerfG, Kammerbeschluss vom 7.3.2012 – 2 BvR 988/10, NJW 2012, 2790; zur Sicherungsverwahrung in Nordrhein-Westfalen; BVerfG, Kammerbeschluss vom 3.12.2013 – 2 BvR 2299/13, NStZ-RR 2014, 121; zum Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen: OLG Hamm Beschluss vom 15.9.2015 – Vollz (Ws) 401/15, in juris; so auch Dessecker, in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 7. Aufl., 9. Kap. D. Rn. 4; Knauer, in Feest/Lesting/Lindemann, StVollzG, 7. Aufl., § 30 LandesR Rn. 15; Laubenthal, in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, a.a.O Abschn. E, Rn. 100; Callless/Müller-Dietz, a.a.O„§ 32 Rn. 1; and Ansicht Schwind in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 6. Aufl., § 32 Rn. 2, außer wenn zweifelsfrei feststeht, dass der telefonische Gesprächspartner auch der Verteidiger ist], Dies gilt zumal dann, wenn gesetzliche oder gerichtlich gesetzte Fristen einzuhalten sind (vgl. OLG Köln, NStZ 1990
4). Demgemäß sind auch Telefongespräche bei drohendem Fristablauf In Anwaltssachen zu gestaten (vgl. Bosch, in: BeckOK Strafvollzug Bund, 17. Ed. 1.2.2020, StVollzG § 32 Rn. 2). Insoweit wird es als es ermessensfehlerhaft angesehen Telefongespräche in dringenden Familien- oder Anwaltsangelegenheiten abzulehnen (vgl. Arloth/Krä, a.a.O., § 32 Rn. 2; Calliess/Müller-Dietz a.a.O., § 32 Rn. 1, und Laubenthal, in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, a.a.O., Abschn. E Rn. 101).

Dies steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerlchts zum telefonischen Kontakt des Beschuldigten mit seinem Verteidiger (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss, vom 7.3.2012 – 2 BvR 988/10, NJW 2012, 2790, juris Rn. 30 ff.). Maßnahmen, die den freien Kontakt zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger behindern, berühren das Recht auf ein faires Verfahren (vgl. BVerfGE 49, 24, 55), das seine Grundlage im Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsprinzip hat (vgl. BVerfGE 86, 288, 317). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass bereits die Darlegungslast, die Strafgefangenen beziehungsweise ihren Verteidigern mit der Beschränkung wechselseitigen Telefonkontakts auf besonderers zu begründende Drinlichkeitsfälle auferlegt wird, mit dem Anspruch auf Vertraulichkeit der Veteidigerkommunikation in Konflikt geraten kann und dass eine telefonische Kontaktmöglichkeit erhebliche Bedeutung für die Efffektivität des vom Recht auf ein faires Verfahren umfassten und in § 137 StPO einfachgesetzlich verankerten Rechts auf freie Wahl des Verteidigers hat (vgl. hierzu BVerfG, Kammerbeschluss vom 7.3.2012 – 2 BvR 988/10, NJW 2012, 2790, juris Rn. 36 m.w.N).

Nichts anderes kann aber in Strafvollzugssachen für den Kontakt des Gefangenen mit seinem anwaltlichen Beistand gelten (vgl. zu dessen Gleichstellung, mit dem Verteidiger Dessecker/Schwind, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 7. Aufl., 9. Kap. Abschn. B, Rn. 54; Arloth/Krä. a.a.O., § 26 Rn. 1).

d) Dies zugrunde gelegt war die Versagung der Bewilligung des vom Beschwerdeführer beantragten Telefongespräches mit seinem Rechtsanwalt ermessensfehlerhaft.

aa) Allerdings trifft es zu, dass in der Praxis der beiden für Rechtsbeschwerden in Strafvollzugssachen zuständigen Strafsenate des Bayerischen Obersten Landesgerichts Anträgen auf Fristverlängerung in solchen Fällen grundsätzlich stattgegeben wird und beide Senate mittlerwelle dazu übergegangen sind, entsprechende Stellungnahmefristen von vornherein auf zwei Wochen zu bemessen. Hierauf hat auch die Justizvollzugsanstalt Amberg in ihrer Stellungnahme vom 2.1,2020 hingewiesen.

Soweit die Strafvollstreckungskammer hieraus den Schluss zieht, dass bei richterlich gesetzten Fristen wegen der Möglichkeit der Fristverlängerung eine Dringlichkeit für Telefonate mit dem Verteidiger regelmäßig nicht vorliege, während bei richterlich nicht verlängerbaren Fristen – etwa der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde – Telefonaten des Strafgefangenen mit seinem Verfahrensbevollmächtigten regelmäßig stattzugeben sein wird, greift dies jedoch zu kurz.

bb) Die von den Strafsenaten des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafvollzugssachen mittlerweile grundsätzlich eingeräumten zweiwöchentlichen Fristen zur Erwiderung auf Anträge der Generalstaatsanwaltschaft dienen dazu, den Gefangenen ausreichend Zeit zu geben, um auf die Stellungnahme und den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft zu erwidern und hierbei gegebenenfalls Rechtsrat einzuholen, was bei den bislang eingeräumten einwöchigen Fristen angesichts des technischen und organisatorischen Ablaufe der Postbeförderung innerhalb der Justizvollzugsanstalten nicht immer ausreichend gewährleistet war. Die Verlängerung der Fristen hat nicht den Zweck, Telefongespräche des Gefangenen mit seinem Rechtsanwalt durch den Verweis auf eine schriftliche Kontaktaufnahme zu vermeiden bzw. gar überflüssig zu machen. Diese würde dem Recht des Gefangenen auf Gewährleistung eines fairen Verfahrens – hier in der Form der Inanspruchnahme rechtlicher Beratung – zuwiderlaufen. Zunächst ist darauf hinzuweisen dass ein allfälliges persönliches Beratungsgespräch des Gefangenen mit seinem Verteidiger nicht durch Schriftverkehr ersetzt werden kann. Sodann ist zu berücksichtigen dass der in Strafhaft befindliche Gefangene nicht die Möglichkeit hat, den Rechtsanwalt in seinen Geschäftsräumen zur Durchführung eines solchen Beratungsgesprächs aufzusuchen. Vielmehr müsste der Rechtsanwalt zu einem solchen Gespräch in die Anstalt kommen, was einerseits wegen des hierfür erforderlichen Zeitaufwandes zu Terminschwierigkeiten auf Anwaltsseite und andererseits zu hohen Kosten für den Gefangenen führen kann.

cc) Der vorliegende Sachverhalt gibt keinen Anlass zu einer Grundsatzentscheidung über den generellen Umfang des Rechts von Gefangenen auf Führung von Telefonaten mit ihrem Verteidiger oder ihrem Rechtsanwalt in sie betreffenden Rechtsachen. Jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden, in denen dem Gefangenen in einem Gerichtsverfahren eine Frist zur Stellungnahme gesetzt wurde, kann es dem Gefangenen nicht verwehrt werden, ein Telefongespräch mit seinem Verteidiger, dem ihm beigeordneten oder dem von ihm mandatierten Rechtsanwalt (was dieser gegebenenfalls bei der Vermittlung des Telefonats dem zuständiger Mitarbeiter der Justizvollkommen, ob es sich um eine gesetzliche oder richterlich bestimmte Frist handelt, da dem Gefangenen in beiden Fällen die Möglichkeit zu eröffnen ist, vor der Angabe der Stellungnahme entsprechenden Rechtsrat bei seinem \/erteidiger oder anwaltlichen Beistand bzw. Verfahrensbevollmächtigten einzuholen.

Die gewünschte telefonische Verbindung kann unter Nutzung der Telefonnummer, die der als solcher ausgewiesene Rechtsanwalt angegeben hat, von der Justizvollzugsanstalt selbst hergestellt werden (vgl. BVerf, Kammerbeschluss vom 7.3.2012 – 2BvR 988/10, NJW 2012, 2790, juris Rn. 35).“

Strafvollzug: Belegung und Ausgestaltung von Hafträumen, Durchgangshaftraum, Nichtraucherschutz, Taschengeld, oder: „Gemischtwarenladen

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Als zweite – etwas ältere – Entscheidung stelle ich dann den KG, Beschl. v. 07.03.2019 – 5 Ws 81/18 Vollz – vor , der sich zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen für einen Feststellungsantrag in Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz äußert.

Der Beschluss – ein wenig ein „Gemischtwarenladen“ – hat einen Umfang von 43 Seiten, lässt sich also nicht so ganz gut darstellen. Daher gibt es hier nur den Sachverhalt und die Leitsätze, den Rest bitte selbst lesen.

„Der Beschwerdeführer verbüßte bis zum 5. November 2018 eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt O. Am 27. September 2016 wurde er nach mehrtägigem Sammeltransport, der mit dem Aufenthalt in verschiedenen Justizvollzugsanstalten verbunden war, zur Wahrnehmung eines Termins beim Verwaltungsgericht Berlin am 29. September 2016 an die Justizvollzugsanstalt Moabit überstellt. Von dort wurde er am 11. Oktober 2016 in die Justizvollzugsanstalt O. zurückverlegt.

Bei seiner Ankunft in der Justizvollzugsanstalt Moabit am 28. September 2016 wurde eine mit seiner Entkleidung verbundene körperliche Kontrolle durchgeführt. Sodann wurde er in einem Haftraum untergebracht, der über einen integrierten Sanitärbereich ohne gesonderte Lüftung und ohne Schamwand verfügte und einschließlich des Sanitärbereichs eine Größe von 7,28 qm hatte. Die Tür des Haftraums war mit einem Sichtspion ausgestattet. Vor den Fenstern befanden sich Vorsatzgitter. Am 28. September 2016 beantragte der Beschwerdeführer die sofortige Rückverlegung in die Justizvollzugsanstalt O., hilfsweise die Verlegung in eine andere Justizvollzugsanstalt, da die Haftbedingungen menschenunwürdig seien. Diese Anträge lehnte die Justizvollzugsanstalt Moabit mit Bescheid vom 29. September 2016 ab.

Auf Antrag des Betroffenen wurden seinem Anstaltskonto Taschengeldbeträge in Höhe von 38,72 Euro am 5. Oktober 2016 (für September 2016) und 35,20 Euro am 7. Oktober 2016 (für Oktober 2016) gutgeschrieben.

Mit seinen Anträgen auf gerichtliche Entscheidung wandte sich der Beschwerdeführer zunächst gegen die näher bezeichneten Haftbedingungen in der Justizvollzugsanstalt Moabit, die bei seiner Ankunft durchgeführte körperliche Durchsuchung und die noch nicht erfolgte Zahlung eines Taschengeldes. Er beantragte mit Schreiben vom 29. September 2016, eingegangen am 5. Oktober 2016, die Rückverlegung in die Justizvollzugsanstalt O., hilfsweise die Verlegung in eine andere Justizvollzugsanstalt, weiterhin hilfsweise die „Herstellung menschwürdiger Haftbedingungen“ bei der Antragsgegnerin. Ferner beantragte er die Anordnung einer Vollverpflegung nach Maßgabe der Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, die dauerhafte Verschließung des Türspions, die räumliche Trennung der im Haftraum befindlichen Toilette und die Entfernung der Vorsatzgitter sowie die Feststellung, dass die körperliche Durchsuchung, die Unterbringung in dem näher bezeichneten Haftraum, die dortigen baulichen Verhältnisse (Türspion, Toilette, Vorsatzgitter) und die Verpflegung rechtswidrig seien. Darüber hinaus beantragte er, die Antragsgegnerin zur Zahlung von Taschengeld „für September und Oktober 2016“ zu verurteilen. Er beantragte ferner, das Land Berlin zur Zahlung immateriellen Schadensersatzes in Höhe von 100,00 Euro pro Hafttag zu verurteilen und die Sache insoweit an die Amtshaftungskammer zu verweisen.

Nachdem sich die Anträge durch die Rückverlegung in die Justizvollzugsanstalt O. und die Zahlung der genannten Taschengeldbeträge teilweise erledigt hatten und als neuer Umstand hinzugetreten war, dass sich der Betroffene eigenen Angaben zufolge als Nichtraucher am 11. Oktober 2016 gemeinsam mit mehreren Rauchern in einem kleinen Warteraum hatte aufhalten müssen, beantragte er mit Schreiben vom 31. Oktober 2016, eingegangen am 7. November 2016, sinngemäß

  1. festzustellen, dass die mit der Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung des Antragstellers am 28. September 2016 rechtswidrig war;
  2. festzustellen, dass die Unterbringung in dem zugewiesenen Haftraum mit den dortigen Haftbedingungen in der Zeit vom 28. September 2016 bis zum 11. Oktober 2016 rechtswidrig war;
  3. festzustellen, dass die Unterbringung in einem Warteraum mit mehreren Rauchern am 11. Oktober 2016 rechtswidrig war;
  4.  festzustellen,
  5. dass die unterlassene Auszahlung von Taschengeld bereits in der 39. Kalenderwoche 2016 rechtswidrig war;
  6. dass die Höhe des ausgezahlten Taschengeldes verfassungswidrig war, und ein angemessenes Taschengeld festzusetzen,
  7. dem Antragsteller Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren zu bewilligen;
  8. das Land Berlin zu verurteilen, wegen der menschenunwürdigen Unterbringung Schadensersatz in Höhe von 100,00 Euro pro Hafttag zu zahlen, und die Sache insoweit an die Amtshaftungskammer zu verweisen.“

Wegen der Begründung der Anträge und des weiteren Vortrags verweist der Senat auf die Schreiben vom 29. September 2016 sowie 8., 21. und 31. Oktober 2016.

Die Antragsgegnerin trug vor, die mit der Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung sei erforderlich gewesen, da sich der Antragsteller mehrere Tage auf einem Sammeltransport befunden habe und in unterschiedlichen Justizvollzugsanstalten untergebracht gewesen sei. Der Haftraum entspreche den durch die obergerichtliche Rechtsprechung entwickelten Standards. Wegen des weiteren Vorbringens verweist der Senat auf die Schriftsätze vom 21. und 27. Oktober 2016.

Das Landgericht Berlin – Strafvollstreckungskammer – hat mit Beschluss vom 17. Mai 2018, auf dessen Gründe der Senat Bezug nimmt, die Anträge auf gerichtliche Entscheidung teilweise als unzulässig (Anträge zu 2., 3. und 4.) und teilweise als unbegründet (Antrag zu 1.) zurückgewiesen, den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt und den Streitwert auf 2.000,00 Euro festgesetzt. Es hat ferner bezüglich des Antrags zu 6. die Unzuständigkeit der Strafvollstreckungskammer ausgesprochen und die insoweit beantragte Verweisung an das Landgericht – Zivilkammer – abgelehnt.“

Auf die Rechtsbeschwerde entscheidet das KG und stellt seiner Entscheidung folgende Leitsätze voran:

  1. Die Beurteilung, ob ein das Feststellungsinteresse begründender Eingriff vorliegt, hat auf der Grundlage des vom Antragsteller behaupteten Sachverhalts zu erfolgen; ob der Sachvortrag tatsächlich zutrifft, ist eine Frage der Begründetheit.
  2. Ein Feststellungsinteresse im Hinblick auf eine mögliche Verletzung der Menschenwürde ist dann zu bejahen, wenn ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG substantiiert geltend gemacht wird.
  3. Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Belegung und Ausgestaltung von Hafträumen.
  4. Für verfahrensgegenständliche Maßnahmen gilt, dass ihr Inhalt und insbesondere die die ablehnende Entscheidung tragenden Erwägungen im Beschluss der Strafvollstreckungskammer wiederzugeben sind (§ 115 Abs. 1 Satz 2 StVollzG).
  5. Die Frage, ob die Unterbringung in einem Durchgangsgruppenhaftraum gegen die Menschenwürde verstößt, ist im Rahmen einer Gesamtschau anhand der konkreten die Haftsituation bestimmenden Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Größe des Raums, der Gestaltung des Sanitärbereichs, aber auch der Dauer der Unterbringung zu beurteilen; in Fällen einer nur vorübergehenden Unterbringung ist zudem zu berücksichtigen, ob die begrenzte Dauer der Unterbringung für den Betroffenen von vornherein absehbar war.
  6. Im Justizvollzug ist ein umfassender Nichtraucherschutz zu gewährleisten, andererseits aber auch Gefangenen die Möglichkeit zum Rauchen einzuräumen, ohne zugleich die berechtigten Gesundheitsinteressen der Nichtraucher zu vernachlässigen.
  7. Die konkrete Festlegung des insbesondere von der Bedürftigkeit und der Dauer der Strafhaft abhängigen Taschengeldbetrages bei dem einzelnen Strafgefangenen stellt eine Einzelmaßnahme der Justizvollzugsanstalt dar.
  8. Die Beiordnung eines Rechtsanwaltes ist nicht veranlasst, soweit der Betroffene bereits mit seiner zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegten und begründeten Rechtsbeschwerde Erfolg hat.
  9. Bei einer Verweisung nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG hat das verweisende Gericht ? abgesehen von dem Fall des Fehlens einer Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit überhaupt ? nicht zu prüfen, ob die speziellen Prozessvoraussetzungen für das Klageverfahren vor dem zuständigen Gericht oder die materiellrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind.

Strafvollzug I: Akten im Haftraum, oder Wie viele Akten sind erlaubt?

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Die 5. KW. eröffne ich heute mit zwei Entscheidungen zum Strafvollzug. Zunächst stelle ich den OLG Hamm, Beschl. v. 18.09.2018 – 1 Vollz (Ws) 406/18 – vor. Es geht um die Frage, wie viele (Verfahrens)Akten ein Strafgefangener im Haftraum verwahren kann/darf.

Der Betroffene verbüßt eine Freiheitsstrafe in der JVA Remscheid. Er hatte bei der JVA die Herausgabe von fünf Verfahrensakten zur Verwahrung in seinem Haftraum bantragt, was unter Bezugnahme auf eine Dienstanweisung aus dem Jahr 2012, nach der jeder Gefangene höchstens drei Aktenordner im Haftraum verwahren darf, hinsichtlich zweier Ordner abgelehnt wurde. JVA und StVK haben den Antrag zurückgewiesen. Dagegen die Rechtsbeschwerde.

Das OLG Hamm hat die zugelassen und den Beschluss der StVK aufgehoben. Es moniert eine nicht ausreichende Begründung der Entscheidung der StVK:

„…. Um eine Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht zu ermöglichen, müssen die von Amts wegen zu ermittelnden (§ 120 Abs. 1 StVollzG i.V.m § 244 Abs. 2 StPO) entscheidungserheblichen Tatsachen und die tragenden rechtlichen Erwägungen wiedergegeben werden. § 115 Abs. 1 S. 2 StVollzG bestimmt deshalb, dass der Sach- und Streitstand im Beschluss jedenfalls seinem wesentlichen Inhalt nach in gedrängter Form darzustellen ist.

Diesen Anforderungen genügt der angefochtene Beschluss nicht. Denn ohne jegliche (wenn auch gestraffte) Feststellungen bzw. Ausführungen zu Zuschnitt und Ausstattung des Haftraumes des Betroffenen vermag der Senat nicht zu überprüfen, ob die Strafvollstreckungskammer § 15 Abs. 2 StVollzG zutreffend angewandt hat. Nach dieser Vorschrift dürfen Gefangene ihren Haftraum in angemessenem Umfang mit eigenen Sachen ausstatten. In Gewahrsam haben dürfen sie nur, was ihnen von der Anstalt oder mit deren Erlaubnis überlassen worden ist, aber keine Gegenstände, welche die Übersichtlichkeit des Haftraums behindern, eine unverhältnismäßige Überprüfung erfordern oder sonst die Sicherheit und Ordnung der Anstalt oder die Erreichung des Vollzugsziels gefährden können. Bei den Tatbestandsmerkmalen „angemessener      Umfang“, „Behinderung der Übersichtlichkeit“, „unverhältnismäßige Überprüfung“ u.s.w. handelt es sich jeweils um unbestimmte Rechtsbegriffe, deren richtige Anwendung gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl. OLG Hamm NStZ 1990, 151; Arloth, a.a.O., § 15 StVollzG NRW, Rn. 2 i.V.m. § 19 StVollzG, Rn. 10 m.w.N.).

Die Strafvollstreckungskammer ist der Auffassung, die Beschränkung des Besitzes von Verfahrensakten auf drei Ordner sei — auch im konkreten Fall des Betroffenen — zur Wahrung der Übersichtlichkeit des Haftraums gerechtfertigt. Sie trifft aber weder Feststellungen zu Größe, Zuschnitt und Ausstattung dieses Haftraums noch zu Art und Anzahl sonstiger Gegenstände im Gewahrsam des Betroffenen, so dass für den Senat nicht erkennbar ist, inwiefern die Bewertung, der Besitz zweier weiterer Ordner behindere die Übersichtlichkeit des Haftraums tatsächlich soweit, dass er dem Betroffenen versagt werden müsste, gerechtfertigt erscheint. Allein die Existenz der in Bezug genommenen „Dienstanweisung“ rechtfertigt die vorgenommene Beschränkung nicht, zumal auch bei Vorliegen einer abstrakt generellen — als solcher nicht anfechtbaren (vgl. OLG Hamm NStZ 1985, 354; Arloth/Krä, § 109 StVollzG Rn. 10) Regelung — die Vollzugsbehörde grundsätzlich gleichwohl zu einer individuellen Ermessensentscheidung über eine beantragte Abweichung von der Regel im Einzelfall (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06. April 2016 — 2 Ws 68/16 —, juris) verpflichtet bleibt. Hierzu fehlt es ebenfalls an Feststellungen. Soweit die Strafvollstreckungskammer ausführt, „Gründe, welche ein Absehen von der Verwaltungsvorschrift in dem konkreten Fall erfordern würden“, seien „nicht dargelegt“, ist vielmehr zu besorgen, dass sie in unzulässiger Weise ihr eigenes Ermessen anstelle desjenigen der Vollzugsbehörde gesetzt hat……“

Für die neue Entscheidung gibt es dann auch noch einen Hinweis:

„Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin. dass in der obergerichtlichen Rechtsprechung der Besitz von zwanzig Büchern und fünf Leitzordnern als zulässig angesehen wurde (OLG Koblenz, NStZ 1981, 214 F), im Falle eines laufenden Strafverfahrens sogar der Besitz von neun Stehordnern mit Kopien der Verfahrensakten (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11.04.2002 – 3 Ws 10/02 -, juris).“

Strafvollzug II: Aushändigung einer Playstation, oder: Dauerbrenner

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Die zweite Entscheidung, die ich heute vorstelle, hat thematisch einen Dauerbrenner zum Gegenstand, nämlich die Zulässigkeit der Aushändigung einer PlayStation 1 im Strfavollzug. Der Betroffene befindet sich in Strafhaft in der JVA Schwerte und wünscht die Aushändigung einer Spielekonsole Sony PlayStation 1, was seitens der JVA Schwerte mündlich abgelehnt worden war. Die  Spielekonsole war vom Betroffenen im Rahmen seines vorangehenden Aufenthaltes in der JVA Bielefeld-Brackwede nach entsprechender Genehmigung der dortigen Anstaltsleitung angeschafft worden. Auch im Rahmen einer nachfolgenden Inhaftierung in der JVA Hamm war ihm der Besitz dieser Spielekonsole nach seinem Vorbringen gestattet. Die StVK hat den Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen, das OLG Hamm gibt ihm im OLG Hamm, Beschl. v. 22.05.2018 – 1 Vollz (Ws) 137/18  – statt:

„1. Der Senat hat in Übereinstimmung mit anderweitiger obergerichtlicher Rechtsprechung bereits mehrfach ausgeführt, dass die einem Gegenstand allgemein innewohnende Gefährlichkeit die Versagung einer Genehmigung zum Besitz aus Gründen der Anstaltssicherheit zu rechtfertigen vermag, so etwa aufgrund einer etwaigen Internetfähigkeit von Geräten oder aber der (ohne weitere technischen Hilfsmittel gegebenen) Möglichkeit der Speicherung von Texten. Dabei bezog sich die Rechtsprechung des Senats jeweils auf Fallkonstellationen, in denen sich eine allgemeine abstrakte Gefährlichkeit aus den technischen Möglichkeiten des jeweiligen Gerätes selbst oder allenfalls unter Hinzuziehung vorhandener oder für den Betroffenen unschwer zu beschaffender weiterer technischer Hilfsmittel ergab, mithin ohne das Hinzutreten besonders aufwändiger oder nur mit entsprechendem Spezialwissen zu bewerkstelligender technischer Veränderungen.

Soweit die Strafvollstreckungskammer insoweit ausführt, die Behauptung des Betroffenen, es gebe derzeit kein Programm zur Speicherung von Texten auf den Memory Cards der PlayStation 1, sei unerheblich, da entsprechende Programme geschrieben werden könnten und es lediglich auf das allgemeine Gefährdungspotenzial ankomme, entspricht dies zumindest ohne nähere Erläuterungen nicht mehr dem Begriff der abstrakten Gefährlichkeit, welche für sich genommen die Annahme einer Gefährdung der Sicherheit der Anstalt zu rechtfertigen geeignet ist. Vielmehr würde eine entsprechende Auslegung dazu führen, letztlich jedem beliebigen Gegenstand durch Hinzudenken zusätzlicher Bedingungen bzw. auch eher entfernt liegender technischer Veränderungen eine abstrakte Gefährlichkeit beizumessen.

Zur Begründung einer tatsächlich abstrakten Gefährlichkeit wären insoweit weitere Erläuterungen dazu erforderlich, dass die Möglichkeit des Schreibens und Einbringens zusätzlicher Programme, welche die Speicherung von Informationen auf den Memory Cards der PlayStation 1 auch in Bezug auf die Person des Betroffenen als zumindest nicht fernliegend anzusehen ist. Hierzu fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Da sich die PlayStation 1 selbst als nicht programmierbar darstellt, wäre ein externes Schreiben eines entsprechenden Programmes und ein entsprechendes Einbringen in die Vollzugsanstalt erforderlich. Aus welchem Grund sich tatsächlich jemand die Mühe machen sollte, einen möglicherweise höheren programmiertechnischen Aufwand zu betreiben, um im Ergebnis gegebenenfalls eine unstreitig ohnehin in jedem Fall beschwerliche Eingabe von Texten in Form von Einzelbuchstaben in eine bereits seit langer Zeit nicht mehr hergestellten Spielekonsole zu ermöglichen, ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass anlässlich eines nachfolgend auch beim Senat anhängigen Verfahren (111-1 Vollz 301/15 OLG Hamm) seitens des Landgerichts Bielefeld (101 StVK 2179/14) ein Sachverständigengutachten zur Möglichkeit von Textspeicherungen auf den Memory Cards der PlayStation 1 eingeholt worden ist, welches dementsprechend als senatsbekannt anzusehen ist. Im Rahmen dieser Begutachtung kam der bestellte Sachverständige Andreas Herden in seinem schriftlichen Gutachten vom 20. April 2015 zu dem Ergebnis, dass es zumindest in dem ihm vorgelegten Exemplar der PlayStation 1 überhaupt nicht möglich war, manipulierte Texte auf die original zugehörigen Memory Cards zu speichern. Eine entsprechende Möglichkeit ergab sich erst bei entsprechenden Memorycards, welche von Drittherstellern angeboten wurden. Eine Ablichtung des Gutachtens wird seitens des Senats im Hinblick auf die weitere Bearbeitung der Angelegenheit den Akten beigefügt. Ob den auch obergerichtlich vertretenen Auffassungen, dass von einer PlayStation 1 generell keine die Versagung der Herausgabe begründende Gefahr ausgeht (vgl. dazu OLG Dresden, Beschluss vom 16. September 1999 — 2 Ws 637/98, juris ), zu folgen ist, bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, auch wenn diese Bewertung nach Maßgabe der senatsbekannten Umstände zumindest im Fall der ausschließlichen Verwendung von Originalzubehör sehr naheliegend erscheint.

Danach spricht vorläufig alles dafür, dass eine Gefährlichkeit von der vom Betroffenen begehrten Spielekonsole zumindest bei entsprechender Verplombung gerade nicht ausgeht. Eine solche Verplombung wäre zudem nach Auffassung des Senats auch geeignet, die aufgezeigten Bedenken hinsichtlich der Möglichkeit der Nutzung als Drogenversteck auszuräumen (vgl. OLG Dresden. a.a.O.). Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass eine entsprechende Problematik nahezu jedem Gegenstand innewohnt, welcher körperliche Hohlräume bildet.
Abschließend weist der Senat in diesem Zusammenhang darauf hin, dass auch die „pädagogischen“ Bedenken der Vollzugsanstalt im Hinblick auf die Überlassung der Spielekonsole deren Aushändigung aus Gründen der Gefährdung des Vollzugsziels unter dem Gesichtspunkt einer „einseitigen Fixierung auf das Erreichen bestimmter Levels“ nach Bewertung des Senats nicht zu rechtfertigen vermag (vgl. dazu auch OLG Dresden, a.a.O.).“

Das OLG moniert zudem, dass sich die Strafvollstreckungskammer nicht mit der Frage befasst hat, inwieweit dem Betroffenen wegen des „Vorbesitzes“ vertrauenswürdiger Bestandsschutz zu gewähren ist.

Strafvollzug I: Einlegung der Rechtsbeschwerde, oder: Schriftform

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Nach längerer Zeit heute dann mal wieder ein paar Entscheidungen in Strafvollzugssachen.

Zunächst eine Entscheidung zu einer formalen Frage, nämlich der KG, Beschl. v. 19.06.2018 – 2 Ws 139/17 Vollz, der sich zur Frage der Wahrung der Schriftform – bei Einlegung einer Rechtsbeschwerde durch die Vollzugsbehörde – verhält. Dazu das KG:

„Zwar ist im Strafvollzugsgesetz nicht ausdrücklich geregelt, in welcher Form die am Verfahren beteiligte Vollzugsanstalt die Rechtsbeschwerde einzulegen hat. § 118 Abs. 3 StVollzG gilt nur für den Antragsteller. Jedoch folgt aus der strukturellen Vergleichbarkeit der Rechtsbeschwerde mit der Revision, dass die Einlegung eines Rechtsmittels nach § 118 Abs. 1 Satz 1 StVollzG entsprechend der ausdrücklichen Vorgabe des § 341 Abs. 1 StPO grundsätzlich in schriftlicher Form erfolgen muss. Die Schriftform ist gewahrt, wenn der Rechtsmittelschriftsatz vom anfechtungsberechtigten Beteiligten eigenhändig unterschrieben ist. Bei Behörden genügt auch die maschinenschriftliche Wiedergabe des Namens des Verfassers, sofern dieser mit einem Beglaubigungsvermerk versehen ist (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 27. September 1996 – 4 Ws 195/96 –, juris Rn. 4). Fehlen diese Voraussetzungen, kann es zur Wahrung der Schriftform ausnahmsweise genügen, dass aus dem Schriftstück in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise ersichtlich ist, von wem die Erklärung herrührt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. April 2002 – 2 StR 63/02 –, juris Rn. 3). Das ist hier der Fall. Der maschinenschriftliche Namenszusatz am Ende des Schreibens, dem – anders als bei den übrigen im Verfahren angefallenen Schriftsätzen des Beschwerdeführers – nicht der Zusatz „Im Auftrag“ vorangestellt ist, lässt in Verbindung mit dem Briefkopf der Justizvollzugsanstalt X und der Offenlegung der vorgeschalteten Sachbearbeiter den Leiter der Vollzugsbehörde als Schlusszeichner und damit Urheber des Schreibens erkennen.“