Der Angeklagte ist vom LG wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. verurteilt worden. Festgestellt wird eine Tatzeit-BAK von 3,03 Promille. DA LG hat – nach Beratung durch zwei Sachverständige – festgestellt, dass der Angeklagte zur Tatzeit alkoholbedingt enthemmt, jedoch in seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit weder aufgrund des Alkoholkonsums noch aufgrund sonstiger Umstände i.S.v. § 21 StGB erheblich vermindert war. Das wird von der Revision angegriffen, aber ohne Erfolg. Der zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmte BGH, Beschl. v. 29.05.2012 – 1 StR 59/12 fasst die Rechtsprechung der BGH zu dieser Problematik zusammen und stellt fest:
Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit kommt der Blutalkoholkonzentrationumso geringere Bedeutung zu, je mehr sonstige aussagekräftige psychodiagnostische Beweisanzeichen zur Verfügung stehen.
Er ist damit eine Bestätigung und Fortführung von BGHSt 43, 66. Zur Begründung u.a.
„(3) Für die Beurteilung der Schuldfähigkeit maßgeblich ist demnach eine Gesamtschau aller wesentlichen objektiven und subjektiven Umstände, die sich auf das Erscheinungsbild des Täters vor, während und nach der Tat beziehen (grundlegend Senatsentscheidung vom 29. April 1997 – 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66 ff.; auch BGH, Beschluss vom 5. April 2000 – 3 StR 114/00; BGH, Urteil vom 22. Januar 1997 – 3 StR 516/96). Dabei kann die – regelmäßig deshalb zu bestimmende (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2012 – 5 StR 49/12; BGH, Beschluss vom 8. Oktober 1997 – 2 StR 478/97) – Blutalkoholkonzentration ein je nach den Umständen des Einzelfalls sogar gewichtiges, aber keinesfalls al-lein maßgebliches Beweisanzeichen (Indiz) sein (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2004 – 1 StR 248/04; BGH, Urteil vom 6. Juni 2002 – 1 StR 14/02; BGH, Urteil vom 3. Dezember 2002 – 1 StR 378/02; vgl. auch BGH, Urteil Welcher Beweiswert der Blutalkoholkonzentration (die weniger zur Auswirkung des Alkohols als lediglich zu dessen wirksam aufgenommener Menge aussagt) im Verhältnis zu anderen psychodiagnostischen Beweisanzeichen beizumessen ist, lässt sich nicht schematisch beantworten. Er ist umso geringer, je mehr sonstige aussagekräftige psychodiagnostische Kriterien (Überblick hierzu z.B.: Plate, Psyche, Unrecht und Schuld, 2002, S. 194 ff.; Detter, Strafzumessung, 2009, II. Teil Rn. 83) zur Verfügung stehen. So können die konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls eine erheblich vermin-derte Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung auch bei einer Blutalkoholkonzentration schon von unter 2 ‰ begründen (BGH, Beschluss vom 3. Dezember 1999 – 3 StR 481/99), umgekehrt eine solche selbst bei errechneten Maximal-werten von über 3 ‰ auch ausschließen (BGH, Urteil vom 6. Juni 2002 – 1 StR 14/02: 3,54 ‰; vgl. auch Foerster in Venzlaff/Foerster, aaO).“
Für die Verteidigung bedeutet das: Der Automatismus – hohe BAK = (verminderte/ausgeschlossene) Schuldfähigkeit = §§ 21, 20 StGB – wird in Zukunft noch weniger greifen als bisher. Man muss als Verteidiger noch mehr das Augenmerk auf die sonstigen Umstände richten, die ggf. für eine verminderte Schuldfähigkeit sprechen.