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Verweigerte/Verspätete Zulassung zur Anwaltschaft, oder: Anspruch auf Schadensersatz?

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Der ein oder andere wird sich vielleicht noch erinnern. Vor einigen Jahren hatte es den Streit um die Zulassung einer Referendarin zur Anwaltschaft gegeben. Die hatte am 28.08.2014 nach bestandener zweiter juristischer Staatsprüfung einen Antrag auf Zulassung zur Anwaltschaft gestellt, Mit Bescheid vom 15.05.2015 lehnte die zuständige RAK Köln den Antrag mit der Begründung ab, die Referendarin sei gemäß § 7 Nr. 5 BRAO unwürdig, zur Anwaltschaft zugelassen zu werden, da sie mit Urteil des AG Aachen vom 12.04.2013 wegen Beleidigung ihres Ausbilders in der Staatsanwaltsstation im Rahmen ihres Rechtsreferendariats zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30,00 € sowie bereits im Jahre 2008 wegen uneidlicher Falschaussage verurteilt worden war. Die gegen den Ablehnungsbescheid erhobene Klage wurde vom Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 30.10.2015 (1 AGH 25/15) abgewiesen. Der BGH lehnte den anschließenden Antrag auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 27.06.2016 (AnwZ (Brfg) 10/16) ab. Mit Beschluss vom 22.10.2017 (1 BvR 1822/16) gab das BVerfG der Verfassungsbeschwerde der Referendarin statt und stellte fest, dass die Entscheidung der Beklagten und das Urteil des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen diese in ihren Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG verletzten. Der Anwaltsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen beraumte daraufhin einen neuen Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 31.08.2018 an, in der man sich dann dahingehend verständigte, dass die RAK die Referendarin nunmehr zur Anwaltschaft zulassen wollte, was am 05.09.2018 vollzogen wurde.

Mit Schreiben vom 01.10.2020 forderte die Klägerin die Beklagte zur Zahlung von 75.000,00 € auf. Darum wird inzwischen geklagt. Das LG Köln hat mit LG Köln, Urt. v. 03.08.2021 – 5 O 341/20 – die Klage abgewiesen:

„…..

2.a) Auch hinsichtlich der Ablehnung des Zulassungsantrags kann zugunsten der Klägerin von der Verletzung einer Amtspflicht ausgegangen werden. Der Ablehnungsbescheid ist – wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat – verfassungswidrig und damit rechtswidrig. Daran ist das erkennende Gericht gebunden. Der Beklagten ist jedoch kein Verschulden vorzuwerfen. Die Entscheidung der Beklagten, der Klägerin die Zulassung zu verweigern, erfolgte nicht mindestens fahrlässig.

Zum einen verstieß die Auslegung sowohl von § 7 Nr. 5 BRAO als auch von Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG durch die Beklagte zum Bescheidungszeitpunkt nicht gegen den klaren, bestimmten, unzweideutigen Wortlaut der Vorschriften oder gegen eine eindeutige höchstrichterliche Rechtsprechung (Palandt/Sprau, BGB, § 839 Rn. 53 m.w.N.). Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich klargestellt, dass „sowohl die Rechtsanwaltskammer als auch der Anwaltsgerichtshof im Ansatz zutreffend davon ausgegangen [sind], dass eine Einschränkung der freien Berufswahl nur zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft ist“, die Beklagte bei der Normauslegung des § 7 Nr. 5 BRAO der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gefolgt ist und dass auch der richtige Prüfungsmaßstab für Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG festgelegt wurde (Beschluss vom 22.10.2017, Rn. 25). Für eine andere Beurteilung bestehen keine Anhaltspunkte. Die Beklagte hat in ihrem Bescheid auf Seite 2 den bis dato bekannten Prüfungsmaßstab korrekt dargelegt. Die in Rn. 29 der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung – ohne eine Verweisung auf bereits ergangene Entscheidungen der Obergerichte – erfolgten Ausführungen fanden sich in der bis zu diesem Beschluss ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung in dieser Eindeutigkeit noch nicht und sind im Übrigen ausweislich Rn. 26 einzelfallbezogen.

Zum anderen ist nach der sog. Kollegialgerichts-Richtlinie das Verschulden regelmäßig zu verneinen, wenn bei einer zweifelhaften, nicht einfach zu beantwortenden Rechtsfrage ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Kollegialgericht nach sorgfältiger Prüfung, aber unrichtigerweise die Rechtsmäßigkeit der Amtshandlung bejaht hat, auch wenn diese Entscheidung erst nach der Amtshandlung ergangen ist (Palandt/Sprau, BGB, § 839 Rn. 53 m.w.N.). Der Ablehnungsbescheid der Beklagten wurde sowohl durch den 1. Senat des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen, besetzt durch zwei Berufsrichter und drei Rechtsanwälte, als auch den Senat für Anwaltssachen des Bundesgerichtshofs, besetzt durch drei Berufsrichter und zwei Rechtsanwälte, nach jeweils eingehender, insbesondere nicht summarischer Prüfung über mehrere Seiten Entscheidungsgründe hinweg bestätigt.

Eine Ausnahme gälte nur dann, wenn die Gerichte in entscheidenden Punkten von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen wären oder diesen nicht erschöpfend gewürdigt hätten bzw. eine eindeutige Bestimmung handgreiflich falsch ausgelegt oder maßgebliche Fragen verkannt hätten oder das Verhalten des Amtsträgers aus anderen Rechtsgründen als dieser Bestimmung als objektiv gerechtfertigt angesehen hätten (Palandt/Sprau, BGB, § 839 Rn. 53 m.w.N.). Die Gerichte haben – wie bereits festgestellt – sowohl § 7 Nr. 5 BRAO als auch Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG richtig ausgelegt und dabei maßgebliche Fragen nicht verkannt. Ebenfalls sind die Gerichte von einem richtigen Sachverhalt ausgegangen und haben diesen erschöpfend gewürdigt. Diesbezüglich hat das Bundesverfassungsgericht in Rn. 27 seines Beschlusses ausgeführt, dass „die Würdigung der konkret herangezogenen für und gegen die Beschwerdeführerin sprechenden Umstände zur Beurteilung ihrer Gesamtpersönlichkeit“ keinen Bedenken begegne. Die Kammer schließt sich dieser Bewertung an. Insbesondere hat die Beklagte berücksichtigt, dass die Verurteilungen der Klägerin bereits einige Zeit zurück lagen. Nach Ansicht der Beklagten war aber in der Zwischenzeit ein „Wandlungsprozess […] bei Ihnen nicht feststellbar. Sie haben zudem in keiner Ihrer Aussagen zum Ausdruck gebracht, Ihre Taten zu bereuen.“ Dass die Entscheidungen letztlich „eine Prognoseentscheidung im Hinblick auf die Beeinträchtigung der einer Zulassung entgegenstehenden Interessen der Öffentlichkeit vermissen“ ließen (BVerfG, Beschluss vom 22.10.2017, Rn. 29), erfüllt keinen der oben genannten Ausnahmetatbestände.

b) Selbst wenn man zugunsten der Klägerin davon ausginge, der Bescheid der Beklagten wäre schuldhaft rechtswidrig ergangen, so ist die Beklagte jedenfalls gemäß § 214 Abs. 1 BGB wegen Eintritt der Verjährung berechtigt, die Leistung zu verweigern. Die Verjährung ist gleichsam mit Ablauf des 31.12.2018 eingetreten.

Der Amtshaftungsanspruch entsteht im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB, wenn alle Tatbestandsmerkmale des § 839 BGB erfüllt sind. Hinsichtlich des Schadens genügt es nach dem Grundsatz der Schadenseinheit, dass ein Teilschaden eines auf einer abgeschlossenen Handlung beruhenden und vorhersehbaren Gesamtschadens entstanden ist (BGH, Urteil vom 07.03.2019 – III ZR 117/18; Palandt/Ellenberger, BGB, § 199 Rn. 14 m.w.N.). Wegen des Grundsatzes der Schadenseinheit umfasst die Kenntnis eines bereits entstandenen Schadens auch die Kenntnis weiterer nachteiliger Folgen, die zwar im Zeitpunkt der Erlangung der Kenntnis noch nicht eingetreten, aber bei verständiger Würdigung voraussehbar gewesen wären (BGH, Vorlagebeschluss vom 12.10.2006 – III ZR 144/05.

Der Amtshaftungsanspruch ist – unterstellt – dem Grunde nach mit der Ablehnung des Zulassungsantrags am 15.05.2015 entstanden. Wie bereits dargelegt wurde, war der Klägerin auch die Erhebung einer Feststellungsklage zumutbar. Der Ausnahmefall der Rechtsunkenntnis des Gläubigers, der den Verjährungsbeginn hinausschieben kann, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag (vgl. nur BGH, Urteil vom 28. Oktober 2014 – XI ZR 348/13 -, BGHZ 203, 115-140, Rn. 35 m.w.N.), liegt ersichtlich nicht vor. Die Klägerin ging nach ihrem eigenen Vortrag davon aus, dass die Entscheidung der Beklagten „offenkundig“ rechtswidrig war, sodass für sie ein Anspruch nahe lag. Auch dass in Folge zwei Gerichte die Entscheidung der Beklagten bestätigten, ist insofern ohne Belang, ebenso wie der Umstand, dass die Klägerin bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht sicher wusste, ob der Bescheid tatsächlich rechtswidrig ist, denn eine solche „absolute“ Sicherheit wird von der Rechtsprechung im Rahmen des § 199 Abs. 1 BGB nicht gefordert…..“

Von der Sache werden wir sicher noch einmal hören.

VW-Abgasskandal II: Schadensersatz beim Gebrauchtwagenkauf, oder: Auswirkungen eines Software-Update

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Und als zweite Entscheidung des Tages das BGH, Urt. v. 27.07.2021 – VI ZR 698/20 – mit folgendem Sachverhalt:

Der Kläger erwarb am 0 bei einem Autohaus einen gebrauchten Audi Q 3 mit einem Dieselmotor der Baureihe EA189 EU5 zum Kaufpreis von 41.580 EUR, den er in Höhe von 5.000 EUR aus eigenen Mitteln zahlte und im Übrigen durch ein Darlehen bei der Volkswagen Bank finanzierte. In Motoren dieser Baureihe war eine vom KBA als unzulässig gewertete Abschalteinrichtung für Schadstoffemissionen eingebaut. Die Beklagte hat dann die Fahrzeuge zurückgerufen, um sie durch Aufspielen einer geänderten Software technisch zu überarbeiten. Das KBA gab diese Nachrüstung frei. Beim Fahrzeug des Klägers wurde diese Nachrüstung durchgeführt.

Das LG hat die Beklagte u.a. verurteilt, an den Kläger 9.555,56 EUR nebst Zinsen zu zahlen und den Kläger von sämtlichen Verbindlichkeiten aus dem Darlehensverhältnis freizustellen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie Abtretung sämtlicher Rechte, die dem Kläger gegen den Darlehensgeber zustehen. Das OLG hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des LG abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte Erfolg

Hier der Leitsatz zu der Entscheidung:

Die Haftung eines Automobilherstellers nach § 826 BGB gegenüber dem Käufer in einem sogenannten Dieselfall nach Verkauf eines Gebrauchtwagens entfällt nicht durch ein Software-Update.

VW-Abgasskandal I: Wieder – Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung, oder: Wusste der Vorstand davon?

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Heute dann „Kessel Buntes“. Und in dem „schwimmen“ heute zwei BGH-Entscheidungen zum VW-Abgasskandal und/oder, was damit zusammenhängt.

Zunächst hier das BGH, Urt. v. 11.05.2021 – VI ZR 154/20. Es geht um Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung, in Anspruch genommen wird VW als Hersteller.

Der Kläger hatte im Juni 2014 von einem Autohaus einen gebrauchten, von VW Touran 2.0 TDI zu einem Preis von 25.900 € erworben. In dem war die unzulässige Abschalteinrichtung installiert. Der Kläger ließ dann 2017 das Update durchführen. Im Verfahren hat er mit seiener Klafe zuletzt die Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, zudem die Zahlung von Deliktszinsen, den Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten sowie die Feststellung des Annahmeverzugs beantragt.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte beim OLG München keinen Erfolg. Der BGh hat augehoben und zurückverwiesen:

„Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nicht verneint werden.

1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen im Verhältnis zum Kläger auf der Grundlage des mangels abweichender Feststellungen revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachvortrags des Klägers als sittenwidrig zu qualifizieren (vgl. im Einzelnen Senatsurteile vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 16 ff., 21, 23; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 367/19, ZIP 2020, 1763 Rn. 12 f.; 26. Januar 2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 12 f.; Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 17). Die Untersagung der Betriebserlaubnis des Fahrzeugs musste hierfür nicht unmittelbar bevorstehen. Es genügt, dass nicht feststand, welche der rechtlich möglichen und grundsätzlich auch die Vornahme einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV umfassenden Maßnahmen die Behörden bei Aufdeckung der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung in Form der Umschaltlogik ergreifen würden (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 19, 21). Da das sittenwidrige Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen in einem aktiven Tun und nicht in einem Unterlassen liegt (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 16, 25 f., 29; Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 17), kommt es auch nicht darauf an, ob die Beklagte eine Pflicht zur Aufklärung über die verwendete Prüfstandserkennungssoftware traf (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 26).

2. Die Revision wendet sich auch mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, ein Anspruch aus § 826 BGB scheide bereits deshalb aus, weil der Kläger nicht habe beweisen können, dass der von ihm als Zeuge benannte damalige Vorstandsvorsitzende der Beklagten, dessen Handeln sich die Beklagte gemäß § 31 BGB zurechnen lassen müsste, den deliktischen Tatbestand verwirklicht habe.

a) Zwar trägt im Grundsatz derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat (vgl. Senatsurteile vom 26. Januar 2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 15; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 367/19, ZIP 2020, 1763 Rn. 15; vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 35).

Dieser Grundsatz erfährt aber eine Einschränkung, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. In diesem Fall trifft den Prozessgegner eine sekundäre Darlegungslast, im Rahmen derer es ihm auch obliegt, zumutbare Nachforschungen zu unternehmen. Genügt er seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (vgl. Senatsurteile vom 26. Januar 2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 16; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 367/19, ZIP 2020, 1763 Rn. 16; vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 37 ff. mwN).

b) Nach diesen Grundsätzen traf die Beklagte die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Fragen, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei ihr getroffen und ob ihr Vorstand hiervon Kenntnis hatte.

aa) Die Fragen, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei der Beklagten getroffen und ob der Vorstand hiervon Kenntnis hatte, betreffen unternehmensinterne Abläufe und Entscheidungsprozesse, die sich der Kenntnis und dem Einblick des Klägers entziehen. Demgegenüber war der Beklagten Vortrag hierzu möglich und zumutbar (vgl. Senatsurteile vom 26. Januar 2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 19; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 367/19, ZIP 2020, 1763 Rn. 19; vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 39 ff.).

bb) Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger seinen Vortrag hinsichtlich der gezielten Entwicklung und des Einsatzes der Prüfstandserkennungssoftware durch den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten soweit substantiieren konnte, dass sich das Berufungsgericht zunächst veranlasst sah, diesen als Zeugen zu laden.

Zum einen rügt die Revision mit Erfolg (§ 286 ZPO), dass sich der Vortrag des Klägers, der Vorstand der Beklagten habe über umfassende Kenntnis von dem Einsatz der unzulässigen Abschaltsoftware verfügt, erkennbar auf den gesamten Vorstand der Beklagten und nicht nur auf die Person ihres damaligen Vorstandsvorsitzenden bezog. Ausweislich der tatbestandlichen Feststellung im Berufungsurteil hatte der Kläger behauptet, der Vorstand der Beklagten habe nicht nur über umfassende Kenntnisse von dem Einsatz der Prüfstandserkennungssoftware verfügt, sondern auch in der Vorstellung die Herstellung und das Inverkehrbringen der mangelbehafteten Motoren veranlasst, dass diese unverändert und ohne entsprechenden Hinweis weiter veräußert würden. Allein der Umstand, dass der damalige Vorstandsvorsitzende zunächst als Zeuge geladen wurde, bevor er sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht aus § 384 Nr. 2 ZPO berief und wieder abgeladen wurde, entbindet die Beklagte daher nicht von ihrer sekundären Darlegungslast hinsichtlich des Verhaltens und der Kenntnis des Vorstands im Übrigen.

Zum anderen wäre der außerhalb des maßgeblichen Geschehens stehende Geschädigte – folgte man der Ansicht des Berufungsgerichts – schutzlos gestellt, wenn er in Bezug auf eine der handelnden Personen ausreichende Anhaltspunkte für ein (möglicherweise) strafbares Verhalten vortragen kann, diese Person jedoch naturgemäß wegen der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung als Zeuge nicht zur Verfügung steht (§ 384 Nr. 2 ZPO). Das ist mit der aus den verfassungsrechtlich geschützten Rechten auf ein faires Verfahren und auf effektiven Rechtsschutz folgenden Verpflichtung zu einer fairen Verteilung der Darlegungs- und Beweislasten (vgl. BVerfG NJW 2019, 1510 Rn. 12 ff.; BVerfG NJW 2000, 1483, 1484, juris Rn. 42) nicht zu vereinbaren und hat der Bundesgerichtshof auch in der Vergangenheit im Zusammenhang mit Sachverhalten, in denen von einer sekundären Darlegungslast ausgegangen wurde, nicht angenommen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 18. Januar 2018 – I ZR 150/15, NJW 2018, 2412 Rn. 28 ff.; zum Ganzen Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 42).

c) Mit der pauschalen Behauptung, alles Zumutbare und Mögliche getan zu haben, um die tatsächlichen Geschehnisse aufzuklären, hat die Beklagte dieser ihr obliegenden sekundären Darlegungslast erkennbar nicht genügt. Wie die Revision zu Recht rügt, bedurfte es insoweit – jenseits der Berufung auf eben die Grundsätze der sekundären Darlegungslast, die einen zentralen Berufungsangriff des Klägers darstellte – keiner näheren Ausführungen durch den Kläger, welche Aufklärungsschritte der Beklagten darüber hinaus noch zumutbar und möglich gewesen wären.

3. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann zudem der für einen Ersatzanspruch aus § 826 BGB erforderliche Schaden nicht verneint werden.

Ein Schaden im Sinne des § 826 BGB kann auch in einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung liegen (Senatsurteile vom 26. Januar 2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 21; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 367/19, ZIP 2020, 1763 Rn. 21; vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 44 ff. mwN). Der vom Kläger geltend gemachte Schaden (Abschluss des ungewollten Kaufvertrags) liegt damit nicht außerhalb des Schutzzwecks des § 826 BGB. Auf den Schutzzweck des Gebots, das Fahrzeug nicht ohne gültige EG-Übereinstimmungsbescheinigung in den Verkehr zu bringen, kommt es im Rahmen des Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht an (vgl. Senatsurteile vom 26. Januar 2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 24; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 367/19, ZIP 2020, 1763 Rn. 23 f.).

4. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht schließlich angenommen, dass sich der Schädigungsvorsatz der für die Beklagte handelnden Personen darauf beziehen müsse, dass das Kraftfahrzeug für den Kläger aufgrund der „Schummelsoftware“ wertlos geworden sei. Da der Schaden des Käufers in dem Abschluss des ungewollten Kaufvertrags liegt, reichte es für die Annahme des hierauf bezogenen Vorsatzes aus, wenn den genannten Personen bewusst war, dass in Kenntnis des Risikos einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung der betroffenen Fahrzeuge niemand – ohne einen erheblichen, dies berücksichtigenden Abschlag vom Kaufpreis – ein damit belastetes Fahrzeug erwerben würde (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 63).“

Schadensersatz nach VW-Skandal, oder: Beim Kauf eines Gebrauchwagens kein Ersatz

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Im „Kessel Buntes“ dann heute zunächst zwei Entscheidungen zum VW-Dieselskandal, sicherlich einer, wenn nicht der, zivilrechtliche Dauerbrenner der letzten Jahre.

Offen war aus dem entstandenen Fragenkomplex noch die Frage, wie es um Schadensersatzansprüche steht nach dem Kauf eines Gebrauchtwagens von VW nach Bekanntwerden des Dieselskandals. Dazu nimmt dann jetzt der BGH, Beschl. v. 09.03.2021 – VI ZR 889/20 – Stellung.

Nach dem Sachverhalt hatte der Kläger im September 2016 von VW einen gebrauchten VW Tiguan 2.0 TDI, der mit einem Dieselmotor des Typs EA189, Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet war, erworben. Der Motor war mit einer Software versehen, die erkannte, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Testbetrieb befindet, und in diesem Fall in einen Stickoxid-optimierten Modus schaltet. Es ergaben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur auf dem Prüfstand eingehalten.

Vor dem Erwerb des Fahrzeugs hatte die beklagte VW-AG in einer Ad-hoc-Mitteilung die Öffentlichkeit über Unregelmäßigkeiten der Software bei Dieselmotoren vom Typ EA189 informiert und mitgeteilt, dass sie daran arbeite, die Abweichungen zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, und dass sie hierzu mit dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Kontakt stehe. Das KBA wertete die Programmierung als unzulässige Abschalteinrichtung und verpflichtete die Beklagte, die Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge durch geeignete Maßnahmen wiederherzustellen. In der Folge stellte die VW-AG bei Fahrzeugen mit dem betroffenen Motortyp ein Software-Update bereit, das im Dezember 2016 auch bei dem Fahrzeug des Klägers aufgespielt wurde.

Der Kläger hat dann behauptet, dass mit dem Software-Update eine neue unzulässige Abschaltvorrichtung in Form eines „Thermofensters“ implementiert worden sei. Außerdem habe das Update negative Auswirkungen auf den Kraftstoffverbrauch und den Verschleiß des Fahrzeugs. Mit seiner Klage verlangt er Kläger von VW im Wesentlichen die Erstattung des gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde will der Kläger die Zulassung der Revision erreichen. Er hatte keinen Erfolg.

Dazu folgende Leitsätze des BGH – wobei der erste mit einem verfahrensrechtlichen Problem zu tun hat:

  1. War im Zeitpunkt der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde ein Zulassungsgrund gegeben und ist dieser zwischenzeitlich durch eine Entscheidung des BGH in anderer Sache entfallen, ist die Revision zuzulassen, wenn dem Rechtsmittel Erfolgsaussichten beizumessen sind.

  2. Für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB ist in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln und das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen.

  3. Zur Frage, ob das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handeln-den Personen in der gebotenen Gesamtbetrachtung als sittenwidrig zu qualifizieren ist, wenn mit dem zur Beseitigung einer unzulässigen Prüfstandserkennungssoftware entwickelten Software-Update eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems(Thermofenster) implementiert wird.

Und als zweite Entscheidung aus dem Kompex weise ich hin auf das LG Münster, Urt. v. 26.02.2021 – 8 O 208/20. Das LG hat über die Schadensersatzklage nach einem Gebrauchwagenkauf gegen einen Dritten, also nicht die VW-AG. Dazu das LG mit folgenden Leitsätzens:

1. Ein Anspruch aus § 852 BGB kommt in Fällen des sogenannten Abgasskandals (Dieselskandals) jedenfalls dann nicht gegen die Herstellerin eines Motors der Baureihe EA 189 in Betracht, wenn die klagende Partei das Fahrzeug nicht von der Herstellerin selbst, sondern von einem Dritten erworben hat und dieser Dritte nicht infolge des Verkaufs des Fahrzeugs an die klagende Partei seinerseits eine Leistung an die Herstellerin erbracht hat.

2. Im Falle einer Zahlungsklage gerichtet auf eine Zug-um-Zug-Verurteilung, bei der die Zug-um-Zug-Leistung ihrerseits in einer Geldzahlung besteht, reduziert sich der Streitwert der Zahlungsklage um eben diese Geldzahlung.

VW-Diesel-Skandal: Schadensersatzanspruch wegen Schummel-Software ja, aber: Deliktszinsen werden ggf. aufgezehrt

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Und auch das zweite Posting dient der Abrundung. Und zwar der Abrundung zur Berichterstattung über die Rechtsprechung im VW-Skandal/Diesel-Skandal/Schummel-Software.

Da liegt ja inzwischen eine weitere (abschließende) BGH-Entscheidung vor. Über die ist ja an anderen Stellen (auch) schon viel berichtet worden, so dass ich mich hier auf die Leitsätze beschränken kann/will. Der BGH sagt im BGH, Urt. v. 30.07.2020 -VI ZR 354/19:

1. Der Schadensersatzanspruch des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung versehenen Fahrzeugs kann durch die im Wege des Vorteilsausgleichs erfolgende Anrechnung gezogener Nutzungen vollständig aufgezehrt werden (Fortführung Senatsurteil vom 25. Mai 2020 -VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 64-77).

2. Deliktszinsen nach § 849 BGB können nicht verlangt werden, wenn der Ge-schädigte für die Hingabe seines Geldes im Wege des Leistungsaustauschs eine in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbare Gegenleistung erhält. In diesem Fall kompensiert die tatsächliche Nutzbarkeit der Gegenleistung die Nut-zungsmöglichkeit des Geldes.