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OWi I: Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse, oder: Nur auf „Autobahnen“ i.e.S.

By Hubert Berberich (HubiB) – Own work, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=79336627

Und dann auf in den Dienstag und an dem gibt es heute (endlich) mal wieder OWi-Enscheidungen. Ein paar haben sich angesammelt.

Ich starte mit dem BayObLG, Beschl. v. 26.09.2023 – 201 ObOWi 971/23. Das AG hatte den Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen § 11 Abs. 2 StVO verurteilt, begangen worden sein sollte der Verstoß auf einer innerörtlichen Straße, die autobahnänhlich ausgebaut war.

Das geht nicht, sagt das BayObLG:

„1. Die Urteilsfeststellungen tragen die Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen §§ 11 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 11 StVO nicht, da auch bei Befahren einer autobahnähnlich ausgebauten Straße innerorts der Tatbestand nicht erfüllt ist.

a) Maßgebend für die Auslegung einer Norm ist in erster Linie der Wortlaut (vgl. BGH, Urt. v. 31.10.1986 – 2 StR 33/86 = BGHSt 34, 211 = NJW 1987, 1280 = NStZ 1987, 323 = StV 1987, 151), wobei der Wortsinn einerseits die Grenze der Auslegung bestimmt, andererseits aber bei der Auslegung zwischen den möglichen Wortbedeutungen bis zur „äußersten sprachlichen Sinngrenze“ gewählt werden darf, jenseits dieser beginnt der Bereich der Analogie (vgl. KK-OWiG/Rogall 5. Aufl. § 3 Rn. 76, 53 m.w.N.). Eine verfassungsrechtlich unzulässige richterliche Rechtsfortbildung ist dadurch gekennzeichnet, dass sie, ausgehend von einer teleologischen Interpretation, den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, ihren Widerhall nicht im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder – bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke – stillschweigend gebilligt wird. Richterliche Rechtsfortbildung überschreitet die verfassungsrechtlichen Grenzen, wenn sie deutlich erkennbare, möglicherweise sogar ausdrücklich im Wortlaut dokumentierte gesetzliche Entscheidungen abändert oder ohne ausreichende Rückbindung an gesetzliche Aussagen neue Regelungen schafft (BVerfG NJW 2012, 669, 671 m.w.N.). Dies gilt für die Auslegung von Verordnungen in gleicher Weise (vgl. BayObLG, Beschl. v. 10.1.2022 – 201 ObOWi 1507/21, BeckRS 2022, 149 = NStZ 2022, 495 = DAR 2022, 156).

b) Die Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse gilt dem eindeutigen Wortlaut des § 11 Abs. 2 StVO nach nicht für den innerstädtischen Verkehr auf einer Bundesstraße (vgl. auch LG Hamburg, Urt. v. 18.02.2022 – 306 O 471/20 = BeckRS 2022, 3593). Der autobahnähnliche Ausbau ändert daran nichts.

§ 11 Abs. 2 StVO benennt lediglich Autobahnen sowie Außerortsstraßen mit mindestens zwei Fahrstreifen für eine Richtung. Eine Autobahn kann zwar auch innerstädtisch verlaufen, dies ist hier aber nicht festgestellt. Die Eigenschaft einer Straße als Autobahn wird nicht durch begriffliche Merkmale oder ihren Ausbau, sondern durch die rechtsgestaltende Wirkung des Verkehrszeichens Z 330.1 der Anlage 3 zur StVO begründet (Heß in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl. § 18 StVO Rn. 1 unter Verweis auf OLG Hamm VRS 48, 65 und OLG Karlsruhe VRS 60, 227). Hier handelte es sich nach den Feststellungen bei der von dem Betroffenen befahrenen Straße um eine Bundesstraße mit baulich getrennten, zweistreifigen Richtungsfahrbahnen im Bereich einer geschlossenen Ortschaft. Damit lag weder das Befahren einer Autobahn noch einer Außerortsstraße vor.

c) Für dieses Ergebnis sprechen auch Sinn und Zweck der Regelung des § 11 Abs. 2 StVO. Die Vorschrift des § 11 Abs. 2 StVO dient dazu, bei Unfällen auf der Autobahn oder Außerortsstraßen den Sicherungs- und Rettungskräften einen schnellen und möglichst sicheren Zugang zu ermöglichen, um einerseits schneller bei Verletzungen tätig werden zu können und andererseits auch sicherzustellen, dass der Unfall und seine Auswirkungen auf den Verkehr schnell beseitigt werden können (Müther in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl. § 11 StVO Rn. 8). Der Seitenstreifen außerorts muss für Pannenfahrzeuge freigehalten werden und ist teilweise zu schmal für Einsatzfahrzeuge. Innerorts und auf einspurigen Straßen wird für die Rettungs- und Polizeifahrzeuge die Fahrt regelmäßig dadurch geschaffen, dass die Fahrzeuge an den rechten Rand fahren (Müther a.a.O. Rn. 19). Somit gebietet es auch der Zweck des § 11 Abs. 2 StVO nicht, die Bildung einer Rettungsgasse innerorts verpflichtend anzunehmen.

d) Soweit das Tatgericht darauf abgestellt hat, dass eine Rettungsgasse auch innerorts auf einer autobahnähnlich ausgebauten Kraftfahrstraße zu bilden sei, überschreitet eine derartige Auslegung des § 11 Abs. 2 StVO die Grenze des möglichen Wortsinns, so dass ein Verstoß gegen den in Art. 103 Abs. 2 GG und § 3 OWiG geregelten Bestimmtheitsgrundsatz bzw. gegen das Analogieverbot (vgl. BeckOK-OWiG/Gerhold [39. Ed.-Stand: 01.07.2023] § 3 Rn. 30) durch die bußgeldrechtliche Ahndung vorliegt.“

Aber:

„2. Nachdem im Urteil festgestellt ist, dass der Betroffene ein aufgrund eines Verkehrsunfalls zum Einsatz gekommenes Polizeifahrzeug für mindestens fünf Minuten an der Weiterfahrt gehindert hat, kommt aber die Begehung einer Ordnungswidrigkeit des Betroffenen nach §§ 38 Abs. 1 Satz 2, 49 Abs. 3 Nr. 3 StVO in Betracht. Dazu, ob das Einsatzfahrzeug mit blauem Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn fuhr, und zum konkreten Verhalten des Betroffenen zum Zeitpunkt der Wahrnehmung des Einsatzfahrzeugs im Sinne eines ‚sofort freie Bahn-Schaffens‘ nach § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO, verhält sich das Urteil nicht. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, da in der neuen Verhandlung ergänzende Feststellungen zu dieser Frage zu treffen sein werden, ebenso dazu, ob der Betroffene noch die Möglichkeit gehabt hätte, sein Fahrzeug so zu stellen, dass eine sofortige freie Durchfahrt durch das Einsatzfahrzeug möglich gewesen wäre.“

OWi I: Unzulässiges Befahren einer Rettungsgasse, oder: Erforderliche/ausreichende Urteilsfeststellungen

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Ich stelle heute dann mal wieder OWi-Entscheidungen vor. In den Tag starte ich mit dem KG, Beschl. v. 15.03.2023 – 3 Orbs 43/23 – zu den erforderlichen Urteilsfeststellungen bei § 11 Abs. 2 StVO – Stichwort: „Rettungsgasse“. Dazu führt das KG in einem Zusatz aus:

2. Die Urteilsfeststellungen tragen die Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen §§ 11 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 11 StVO. Zwar ist den Feststellungen nicht unmittelbar zu entnehmen, dass Fahrzeuge „mit Schrittgeschwindigkeit“ fuhren oder „sich die Fahrzeuge im Stillstand“ befanden (§ 11 Abs. 2 StVO). Jedoch beschreiben sie, dass sich eine „Rettungsgasse“ gebildet habe. Bei verständiger Würdigung ist dieser Terminus nicht anders zu verstehen, als dass die Fahrzeuge, wie es § 11 Abs. 2 StVO erfordert, standen oder langsam fuhren.

Die Bewertung des Rechtsmittels, der Betroffene habe nur „rechtsseitig überholt“ (RB S. 3), ist nicht mit der vom Amtsgericht für glaubhaft gehaltenen (UA S. 3) Bekundung des polizeilichen Zeugen in Einklang zu bringen, der Betroffene sei „mindestens die 500 Meter seines Sichtbereichs“ in der Gasse gefahren (UA S. 3).

Ohne dass es darauf ankommt, dürfte § 11 Abs. 2 StVO ohnehin die gegenüber § 5 Abs. 1 StVO (Verbot des Rechtsüberholens) speziellere Norm sein, so dass ein Überholen unter den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 StVO immer eine Verwirklichung dieser Norm bedeutet und die Regelvermutung des zugehörigen Rechtsfolgentatbestands der BKatV auslöst.“

OWi II: Überlegen beim Bilden einer Rettungsgasse?, oder: Nein, „sobald“ heißt „sofort, wenn…“

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Der zweite Beschluss des Tages stammt auch vom OLG Oldenburg. Er hat aber mal keine Geschwindigkeitsmessung zum Gegenstand, sondern befasst sich mit der Problematik „Bildung einer Rettungsgasse“

Das AG hat den Betroffenen fahrlässigen Nichtbildens einer Rettungsgasse (§ 11 Abs. 2 StVO) zu einer Geldbuße von 230 EUR verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Er hält es für klärungsbedürftig, ab welchem Zeitpunkt des Stillstandes oder des nur in Schrittgeschwindigkeit fließenden Verkehrs, eine Rettungsgasse gebildet werden müsse. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, dann aber im OLG Oldenburg, Beschl. v. 20.09.2022 – 2 Ss(OWi) 137/22 – als unbegründet verworfen:

„Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

Das Amtsgericht hat zunächst folgende Feststellungen getroffen:

Am TT.MM.2021 befuhr der Betroffene pp. die Bundesautobahn 1 in Richtung Ort1 bei Ort2 in Höhe Kilometer (pp.). Der Verkehr auf der dreispurigen Autobahn war baubaustellenbedingt ins Stocken geraten und teilweise zum Erliegen gekommen. Der Betroffene befuhr die dreispurige Autobahn auf der mittleren Fahrspur und hielt sich dabei linksseitig, während die hinter ihm befindlichen Fahrzeuge sowie zumindest ein vor ihm befindliches Fahrzeug auf der mittleren Spur sich so weit wie möglich rechts und sämtliche Fahrzeuge auf der linken Spur sich so weit wie möglich links orientiert hatten.

Der Rechtsbeschwerde ist zunächst zuzugeben, dass die Bildung einer Rettungsgasse gemäß § 11 Abs. 2 StVO nicht bereits bei stockendem Verkehr, sondern erst dann erforderlich ist, sobald Fahrzeuge mit Schrittgeschwindigkeit fahren oder sich die Fahrzeuge im Stillstand befinden.

Den Urteilsfeststellungen lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, dass sich die Fahrzeuge nur mit Schrittgeschwindigkeit bewegt haben. Hiergegen spricht bereits, dass die Zeugin BB bekundet hat, das Fahrzeug des Betroffenen über 3 km fast 10 Minuten lang beobachtet zu haben, was auf eine Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 18 km hindeutet, die sich noch dadurch erhöht, weil es nach der Aussage der Zeugin auch Phasen des Stillstandes gegeben habe.

Zuzugeben ist der Rechtsbeschwerde weiterhin, dass sich aus dem Lichtbild Blatt 6 der Verwaltungsakte nicht ergibt, ob sich das Fahrzeug des Betroffenen zum Zeitpunkt der Aufnahme bewegt hat oder nicht.

Gleichwohl hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg.

Nach der Aussage des Zeugen CC, die das Amtsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, sei der Betroffene „ziemlich penetrant“ auch dann in der Rettungsgasse geblieben, als der Verkehr gänzlich zum Stehen gekommen sei.

Zwar finden sich im Urteil keine Feststellungen dazu, wie lange diese Phasen des Stillstandes gedauert haben. Dies ist jedoch unschädlich.

Die Rettungsgasse ist nämlich zu bilden „sobald Fahrzeuge… mit Schrittgeschwindigkeit fahren oder sich die Fahrzeuge im Stillstand befinden.“ Soweit das Amtsgericht Tübingen (DAR 2021, 406) die Auffassung vertreten hat, der Verstoß gegen § 11 Abs. 2 StVO setze eine gewisse zeitliche Komponente des Stillstandes oder der Schrittgeschwindigkeit voraus, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Der Wortlaut des §11 Abs. 2 StVO ist eindeutig. Laut duden.de bedeutet das Wort sobald „in dem Augenblick, da…“ bzw. „gleich wenn“. Damit wird hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass eine Überlegungsfrist nicht besteht, die Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse vielmehr sofort eingreift, nachdem die in § 11 Abs. 2 StVO beschriebene Verkehrssituation eingetreten ist.

Dies gilt hier umso mehr, als der Betroffene wegen des stop-and-go–Verkehrs damit rechnen musste, dass die Phasen des Stillstandes auch länger andauern könnten. Würde man einem Fahrzeugführer, in einer Situation, in der der vor ihm befindliche Verkehr zum Erliegen gekommen ist, eine Überlegungsfrist zubilligen, während derer er zunächst noch die Rettungsgasse blockieren dürfte, hätte dies zur Konsequenz, dass er nach Erkennen der Verkehrssituation und Ablauf einer Überlegungsfrist erst noch möglicherweise zeitaufwendig rangieren müsste, um die Rettungsgasse freizugeben. Eine solches Rangiermanöver – dort mit Behinderung des Einsatzfahrzeuges – war im Übrigen bereits Gegenstand der Entscheidung des Senats 2 Ss (OWi) 34/22.“

Gestern im BGBl., oder: Teures Handy, teure Rettungsgasse, teure Gesichtsverhüllung

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So, dann ist es/sind sie jetzt „amtlich“, die Änderungen in der StVO durch die 53. VO zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften. Diese VO v. 06.10.2017 ist nämlich, nachdem sie gestern im BGBL – vgl. BGBl I, S. 3549 – verkündet worden ist, heute, also am 19.10.2017, in Kraft getreten.

Ich habe ja schon ein paar Mal auf die Änderungen hingewiesen. Die wesentlichen will ich hier dann och einmal wiederholen:

  • An der Spitze steht die Änderung/Neufassung des „Handyverbots“ am Steuer in § 23 Abs. 1a StVO auf der Grundlage der BR-Drucks. 556/17 und der BR-Drucks. 556/1/17), und zwar wie folgt:
    • § 23 Abs. 1a StVO hat eine „technikoffene Formulierung“ erhalten, die beschreibt, welche Geräte jetzt und in Zukunft zulässig sind oder nicht. Dadurch soll erreicht werden, dass sich Fahrzeugführer während der Fahrt grundsätzlich nicht durch Informations-, Kommunikations- und Unterhaltungsmittel ablenken lassen. Die Bedienung der Geräte mit Sprachsteuerung und Vorlesefunktion ist weiterhin zulässig. Ebenso deren sekundenschnelle Nutzung – es kommt jetzt also auf die Sekunde an. Ich bin gespannt, wie lange es dauert, bis wir dazu die ersten Entscheidungen aus der Praxis haben.
    • Massiv angehoben worden sind die Bußgelder. Die verbotene Nutzung kostet den Kraftfahrer jetzt 100 € und den Radfahrer 55 €. Bei Gefährdung und Sachbeschädigung steigen die Geldbußen beim Kraftfahrer auf 150 € bzw. 200 €. Daneben droht dann ein einmonatiges Fahrverbot. Ob damit das Ziel erreicht wird, die Nutzung des „Handy“ im Straßenverkehr einzudämmen? Ich wage es, das zu bezweifeln.
  • In § 38 Abs. 1 StVO ist bestimmt, dass einem Einsatzfahrzeug, das blaues Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn verwendet, sofort freie Bahn zu schaffen ist. Das ist die „Rettungsgasse“. Dieses Gebot ist jetzt bußgeldbewehrt. Es werden, wenn im Straßenverkehr bei Unfällen usw. keine Rettungsgasse gebildet wird, fällig im Grudntatbestand eine Geldbuße von 240 € rechnen. Kommt es darüber hinaus zu einer weiteren Behinderung, Gefährdung oder Sachbeschädigung, kann die Geldbuße 280 € oder 320 € betragen. Außerdem droht jeweils ein einmonatiges Fahrverbot.
  • Und schließlich: In § 23 Abs. 4 StVO ist jetzt vorgeschrieben, dass derjenige, der ein Kraftfahrzeug führt, sein Gesicht nicht so verhüllen oder verdecken darf, dass er nicht mehr erkennbar ist. Bei Zuwiderhandlung droht eine Geldbuße von 60 €.

Die unheilvolle Begegnung auf dem Seitenstreifen der BAB mit einem Polizeifahrzeug: Alleinhaftung

entnommen wikimedia.org Author Achim Engel

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Author Achim Engel

Die Konstellation, die das OLG Frankfurt im OLG Frankfurt, Urt. v.  14.03.2016 – 1 U 248/13 – entschieden hat, wird in der Praxis wahrscheinlich häufiger anzutreffen sein, nämlich: Nach einem Verkehrsunfall auf einer BAB bilden die Autofahrer dort eine sog. Rettungsgasse. Der der Sohn der Klägerin wechselt mit dem Pkw seiner Mutter von der mittleren auf die rechte Fahrspur und überfährt dabei die durchgezogene Linie des Standstreifens. Dabei kollidiert er mit einem dort fahrenden Polizeieinsatzfahrzeug, das mit einer mäßigen Geschwindigkeit von 45-50 km/h und Blaulicht fährt. Mutter meint, die Polizei hätte die Rettungsgasse nutzen müssen und verlangt Schadensersatz vom beklagten Land. Das OLG Frankfurt erteilt dem eine Absage und sagt: Mutter haftet allein, Begründung:

„aa) Der Sohn der Klägerin hat den Unfall dadurch allein verursacht, dass er beim Wechsel von dem mittleren auf den rechten Fahrstreifen mit dem von ihm geführten Fahrzeug über die Begrenzungslinie hinaus auf den Seitenstreifen geraten ist. Damit hat er gegen das Gebot der Fahrbahnbenutzung nach 2 Abs. 1 Satz 1 StVO verstoßen, weil der durch das Zeichen 295 der Anlage 2 lfd. Nr. 68 zu § 41 Abs. 1 StVO („durchgehende Linie“) getrennte Seitenstreifen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 StVO nicht Bestandteil der Fahrbahn ist und außerdem die durchgehende Linie nicht gemäß Anlage 2 lfd. Nr. 68 Spalte 3 Nr. 1. a) überfahren werden darf. Denn diese darf nur in den in der Anlage 2 lfd. Nr. 68 Spalte 3 zu § 41 Abs. 1 StVO normierten Ausnahmen überfahren werden, die hier jedoch nicht vorliegen.

bb) Die Berufung kann demgegenüber nicht geltend machen, der Sohn der Klägerin habe nicht mit einem von hinten auf dem Standstreifen herannahenden Einsatzfahrzeug rechnen müssen. Denn die Beamten haben, als sie unter Einsatz von blauem Blinklicht den Seitentreifen befuhren, nicht gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen. Entgegen der von der Berufung vertretenen Ansicht mussten die Beamten für ihre Einsatzfahrt nicht etwaig gebildete Rettungsgassen benutzen. Die Fahrt auf dem Seitenstreifen als solche wirkt nicht haftungsbegründend, da sie keinen rechtswidrigen Verstoß gegen Vorschriften der StVO darstellt. Die Beamten waren bei ihrer Einsatzfahrt gemäß 35 Abs. 1 StVO von den Vorschriften dieser Verordnung befreit. ….Dabei tritt die Befreiung von den Vorschriften der StVO auch dann ein, wenn das Sonderrechtsfahrzeug weder Einsatzhorn noch Blaulicht führt oder diese zwar vorhanden sind, aber nicht betätigt werden. Nach § 38 Abs. 2 StVO darf bei Einsatzfahrten – wie hier – auch blaues Blinklicht allein verwendet werden (m.w.N. KG, Urteil vom 20. März 2003 – 12 U 199/01 – Rn. 25, juris)….

dd) Demgegenüber kann nicht festgestellt werden, dass der Fahrer des Einsatzfahrzeuges bei Wahrnehmung des Sonderrechts auf dem Seitenstreifen gegen die ihm hierbei obliegenden besonderen Sorgfaltspflichten verstoßen hätte.

Auch wenn Polizeibeamte berechtigt die Sonderrechte nach § 35 Abs. 1 StVO in Anspruch nehmen, kann eine Sorgfaltsverletzung darin liegen, dass sie bei der Wahrnehmung der Sonderrechte sorgfaltswidrig gehandelt haben. § 35 Abs. 8 StVO bestimmt, dass die Sonderrechte nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden dürfen. Den Erfordernissen der Verkehrssicherheit kommt stets Vorrang gegenüber dem Interesse des Einsatzfahrzeuges am raschen Vorwärtskommen zu (Burmann/Heß/Hühnermann/ Jahnke/Janker a.a.O. Rn. 17). Je mehr der Sonderrechtsfahrer von Verkehrsregeln abweicht, umso höhere Anforderungen sind an seine Sorgfalt zu stellen (Hentschel/König/Dauer a.a.O. Rn. 8).

Dass sich die Beamten nicht dementsprechend verhalten hätten, kann nicht festgestellt werden. …

ee) Eine erhöhte Betriebsgefahr des Einsatzfahrzeuges kann ebenfalls nicht festgestellt werden. Das Einsatzfahrzeug hat den Seitenstreifen mit mäßiger Geschwindigkeit befahren, wobei dies zusätzlich zur Warnung der Verkehrsteilnehmer unter Einsatz von blauem Blinklicht geschah. Schon das Setzen eines Blaulichts ist für den übrigen Verkehr ein hinreichend deutliches Warnzeichen dafür, dass nicht von einem normalen Verkehrsablauf ausgegangen werden kann (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 05. Januar 2004 – 12 U 1352/02 – juris).

b) Bei der danach vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verschuldens- und Verursachungsbeiträge tritt die nicht erhöhte Betriebsgefahr des Einsatzfahrzeuges vollständig hinter dem Verschulden des Sohnes der Klägerin und der durch dessen Fahrfehler erhöhten Betriebsgefahr des von ihm gelenkten Fahrzeuges zurück.“