Im dritten „Tagesposting“ geht es auch um den Vorwurf der Rechtsbeugung (§ 339 StGB) und hier der Aussageerpressung (§ 343 StGB). Grundlage des Postings ist aber (noch) keine BGH-Entscheidung, sondern „nur“ ein LG-Urteil, und zwar das LG Kassel, Urt. v. 27.06.2017 – 11 KLs 3600 KLs 37702/09. Das habe ich allerdings auch nicht im Volltext. Ich blogge dazu nur auf der Grundlage von Pressemitteilungen. Das tue ich ja sonst nicht. Hier mache ich aber mal eine Ausnahme, weil es thematisch zum Posting betreffend die Hüttenstädter Prozessordnung passt (vgl. hier Rechtsbeugung I: Saalverhaftung nach der „Hüttenstädter Prozessordnung“ oder: Ping-Pong) und weil die Sache ebenfalls schon mal beim BGH war (vgl. BGH, Urt. v. 31.05.2012 – 2 StR 610/11; dazu Die Rechtsbeugung des Proberichters – hier ist dann der Volltext).
Das LG hatte den angeklagten Proberichter im ersten Durchgang frei gesprochen: Vorwurf – der Sachverhalt stammt aus dem BGH, Urt. v. 31.05.2012:
„Nach den Feststellungen des Landgerichts leitete der Angeklagte als Strafrichter eine Hauptverhandlung wegen exhibitionistischer Handlungen, die sich an einen Einspruch des damaligen Beschuldigten anschloss. Schon vor der Hauptverhandlung war er entschlossen, als Rechtsfolge einen Schuldspruch mit Strafvorbehalt auszusprechen und eine Therapieauflage anzuordnen. In der Hauptverhandlung bestritt der damalige Beschuldigte den Tatvorwurf. Der Angeklagte, der möglicherweise annahm, der Strafbefehl sei im Schuldspruch bereits rechtskräftig und der Einspruch auf das Strafmaß beschränkt, wirkte nun nachhaltig und zunehmend erregt und drohend auf den damaligen Beschuldigten ein, um diesen zu einem Geständnis und zur Erklärung zu veranlassen, in eine ambulante Therapie einzuwilligen. Außerdem wollte er erreichen, dass der Beschuldigte nach Urteilsverkündung sogleich auf Rechtsmittel verzichtete. Aufgrund eines Sachverständigengutachtens war ihm bekannt, dass der damals Beschuldigte wegen einer Persönlichkeitsstörung eine schwache und selbstunsichere Person war. Der Angeklagte forderte den Beschuldigten in zunehmend erregter Form auf, ein Geständnis abzulegen. Schließlich unterbrach er unvermittelt die Sitzung, sagte zum damaligen Beschuldigten: „Sie kommen jetzt mit! Ich zeige Ihnen mal, wie Ihre Zukunft aussehen kann.“, und begab sich – mit angelegter Robe – mit dem Beschuldigten und einem Wachtmeister in den Keller des Amtsgerichts, wo sich mehrere Gewahrsamszellen befanden.
Er veranlasste den vollständig verunsicherten Beschuldigten, sich in eine Zelle zu begeben, die daraufhin geschlossen wurde. Nach etwa 20 Sekunden wurde die Tür auf Veranlassung des Angeklagten wieder geöffnet. Während dieser Zeit war die Türe von dem Zeugen nicht mehr zu öffnen.
Hiernach setzte der Angeklagte die Hauptverhandlung fort, in der der damalige Beschuldigte nunmehr vollumfänglich geständig war. Der Angeklagte verurteilte ihn daraufhin zu einer Geldstrafe unter Strafvorbehalt, verbunden mit einer Therapieauflage; dies entsprach dem staatsanwaltschaftlichen Antrag. Der immer noch stark eingeschüchterte Beschuldigte und der Staatsanwalt erklärten sogleich Rechtsmittelverzicht.“
Der BGH hatte das erste LG-Urteil – den Freispruch – wegen Fehlern in der Beweiswürdigung aufgehoben. Nun hat das LG Kassel den Proberichter wegen Rechtsbeugung und Aussageerpressung zu einer einjährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Dazu aus der Tagespresse:
„Das Landgericht Kassel bewertete das Vorgehen jetzt als Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung. Es verurteilte den ehemaligen Richter am Dienstag zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung. Zwar habe er das beste Ergebnis für den Angeklagten erreicht, teilte das Gericht mit. Aber es sei eine „fürchterlich schlechte Idee“ gewesen, ihn ohne gesetzliche Grundlage in eine Zelle sperren zu lassen.“
„Fürchterlich schlechte Idee“ – „schöne“ Formulierung.
Wir werden – denke ich – von der Sache sicherlich auch noch hören. War ja erst der zweite Durchgang beim LG.