Schlagwort-Archive: Rechtsbeugung

Rechtsbeugung II: Die Probehaft durch den Proberichter, oder: „Fürchterlich schlechte Idee“

entnommen wikimedia.org
Author Denis Barthel

Im dritten „Tagesposting“ geht es auch um den Vorwurf der Rechtsbeugung (§ 339 StGB) und hier der Aussageerpressung (§ 343 StGB). Grundlage des Postings ist aber (noch) keine BGH-Entscheidung, sondern „nur“ ein LG-Urteil, und zwar das LG Kassel, Urt. v. 27.06.2017 – 11 KLs 3600 KLs 37702/09. Das habe ich allerdings auch nicht im Volltext. Ich blogge dazu nur auf der Grundlage von Pressemitteilungen. Das tue ich ja sonst nicht. Hier mache ich aber mal eine Ausnahme, weil es thematisch zum Posting betreffend die Hüttenstädter Prozessordnung passt (vgl. hier Rechtsbeugung I: Saalverhaftung nach der „Hüttenstädter Prozessordnung“ oder: Ping-Pong) und weil die Sache ebenfalls schon mal beim BGH war (vgl. BGH, Urt. v. 31.05.2012 – 2 StR 610/11; dazu Die Rechtsbeugung des Proberichters – hier ist dann der Volltext).

Das LG hatte den angeklagten Proberichter im ersten Durchgang frei gesprochen: Vorwurf – der Sachverhalt stammt aus dem BGH, Urt. v. 31.05.2012:

„Nach den Feststellungen des Landgerichts leitete der Angeklagte als Strafrichter eine Hauptverhandlung wegen exhibitionistischer Handlungen, die sich an einen Einspruch des damaligen Beschuldigten anschloss. Schon vor der Hauptverhandlung war er entschlossen, als Rechtsfolge einen Schuldspruch mit Strafvorbehalt auszusprechen und eine Therapieauflage anzuordnen. In der Hauptverhandlung bestritt der damalige Beschuldigte den Tatvorwurf. Der Angeklagte, der möglicherweise annahm, der Strafbefehl sei im Schuldspruch bereits rechtskräftig und der Einspruch auf das Strafmaß beschränkt, wirkte nun nachhaltig und zunehmend erregt und drohend auf den damaligen Beschuldigten ein, um diesen zu einem Geständnis und zur Erklärung zu veranlassen, in eine ambulante Therapie einzuwilligen. Außerdem wollte er erreichen, dass der Beschuldigte nach Urteilsverkündung sogleich auf Rechtsmittel verzichtete. Aufgrund eines Sachverständigengutachtens war ihm bekannt, dass der damals Beschuldigte wegen einer Persönlichkeitsstörung eine schwache und selbstunsichere Person war. Der Angeklagte forderte den Beschuldigten in zunehmend erregter Form auf, ein Geständnis abzulegen. Schließlich unterbrach er unvermittelt die Sitzung, sagte zum damaligen Beschuldigten: „Sie kommen jetzt mit! Ich zeige Ihnen mal, wie Ihre Zukunft aussehen kann.“, und begab sich – mit angelegter Robe – mit dem Beschuldigten und einem Wachtmeister in den Keller des Amtsgerichts, wo sich mehrere Gewahrsamszellen befanden.

Er veranlasste den vollständig verunsicherten Beschuldigten, sich in eine Zelle zu begeben, die daraufhin geschlossen wurde. Nach etwa 20 Sekunden wurde die Tür auf Veranlassung des Angeklagten wieder geöffnet. Während dieser Zeit war die Türe von dem Zeugen nicht mehr zu öffnen.

Hiernach setzte der Angeklagte die Hauptverhandlung fort, in der der damalige Beschuldigte nunmehr vollumfänglich geständig war. Der Angeklagte verurteilte ihn daraufhin zu einer Geldstrafe unter Strafvorbehalt, verbunden mit einer Therapieauflage; dies entsprach dem staatsanwaltschaftlichen Antrag. Der immer noch stark eingeschüchterte Beschuldigte und der Staatsanwalt erklärten sogleich Rechtsmittelverzicht.“

Der BGH hatte das erste LG-Urteil – den Freispruch – wegen Fehlern in der Beweiswürdigung aufgehoben. Nun hat das LG Kassel den Proberichter wegen Rechtsbeugung und Aussageerpressung zu einer einjährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Dazu aus der Tagespresse:

„Das Landgericht Kassel bewertete das Vorgehen jetzt als Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung. Es verurteilte den ehemaligen Richter am Dienstag zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung. Zwar habe er das beste Ergebnis für den Angeklagten erreicht, teilte das Gericht mit. Aber es sei eine „fürchterlich schlechte Idee“ gewesen, ihn ohne gesetzliche Grundlage in eine Zelle sperren zu lassen.“

„Fürchterlich schlechte Idee“ – „schöne“ Formulierung.

Wir werden – denke ich – von der Sache sicherlich auch noch hören. War ja erst der zweite Durchgang beim LG.

Rechtsbeugung I: Saalverhaftung nach der „Hüttenstädter Prozessordnung“ oder: Ping-Pong

© canstockphoto5259235

Schon etwas länger hängt in meinem Blogordner das BGH, Urt. v. 10.05.2017 – 5 StR 19/17. Das wollte ich schon länger vorstellen, habe aber immer wieder davor zurückgeschreckt, weil sich das Urteil hier nicht so gut darstellen lässt. Es ist immerhin 24 Seiten lang, davon allein 19 Seiten Sachverhalt. Aber heute will ich es dann versuchen.

Bei dem Verfahren handelt es sich um die Geschichte mit der „Hüttenstädter Prozessordnung“. Vorwurf an den angeklagten Richter: Rechtsbeugung (§ 339 StGB) und Freiheitsberaubung (§ 239 StGB)  durch Erlass von Haftbefehlen trotz Unzuständigkeit. Dem Richter ist vorgeworfen worden – mit einer Anklage aus Sommer 2007 -, in Zusammenhang mit einem von ihm geleiteten Strafverfahren vorsätzlich zu Unrecht Haftbefehle erlassen und andere Verfahrensfehler begangen zu haben. Er ist deswegen im Juni 2009 durch das LG zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Es ging in etwa um folgenden Sachverhalt:

Der Angeklagte hatte den Vorsitz in einem Verfahren wegen Untreue am AG Eisenhüttenstadt. Anklagevorwurf dort:  Der dortige Angeklagten soll als Nachlasspfleger in sechs Nachlassverfahren Vermögen von über 430.000 € veruntreut haben. In dem Verfahren verdächtigte der Richter den Verteidiger sowie die Frau des angeklagten Mannes, an der Tat beteiligt gewesen zu sein. Dazu heißt es im BGH, Urt. v. 11.04.2013 – 5 StR 261/12, „dass Rechtsanwalt R. der Teilnahme an den Taten des A. überführt und sein Ausschluss aus dem Strafverfahren erreicht werden müsse“. Als sich der Verdacht in der Verhandlung nach Ansicht des Richters bestätigte, warf er „seine Robe nach hinten, deutete auf den Zeugen R. und rief: ‚Sie sind festgenommen!‘ (BGH, Beschl. v. 07.07.2010 – 5 StR 555/09). Als ein Justizwachtmeister dem Rechtsanwalt Handfesseln anlegen wollte und dieser erklärte, dass das nicht notwendig sei, da er nicht fliehen werde, rief er dem Wachtmeister zu: „Das volle Programm!“ Die Frau des in dem Prozess angeklagten Mannes wurde wenig später in der Kita, in der sie arbeitete, verhaftet. (zu allem auch hier). Zudem wurde die Durchsuchung der Kanzlei des Verteidigers angeordnet. Als dieser sich über die Rechtswidrigkeit der Aktion beschwerte, erklärte der angeklagte Richter, es handele sich um eine „Durchsuchung nach der HPO“, der „Hüttenstädter Prozessordnung“.

Der BGH hatte das Urteil aus Juni 2009 wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben und  zurückverwiesen (BGH, Beschl. v. 07.07.2010 – 5 StR 555/09; dazu Verurteilung eines Richters und eines Oberstaatsanwaltes wegen Rechtsbeugung).

Dann hat das LG Potsdam den Angeklagten freigesprochen. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger führten zur Aufhebung des Urteils und zur erneuten Zurückverweisung der Sache an das LG (vgl. BGH, Beschl. v. 11.04.2013 – 5 StR 261/12). In der Segelanweisung zu der Entscheidung hatte der BGH darauf hingewiesen, dass in der dritten Hauptverhandlung vor allen Dingen zu klären sei, ob sich der Angeklagte gemäß früheren Äußerungen für den Erlass zweier Haftbefehle gegen zu diesem Zeitpunkt nicht Angeklagte für zuständig hielt. Inhaltlich seien die Haftentscheidungen nicht zu beanstanden, das weitere Verhalten des Richters belege den Vorwurf der Rechtsbeugung nicht (vgl. Rechtsbeugung durch den Richter, oder: Auch bei angemaßter Zuständigkeit).

Jetzt hatten wir also den dritten Durchgang beim LG mit einem erneuten Freispruch. Der BGH meint, dass die Beweiswürdigung des LG nun in Ordnung ist. Dazu aus dem Urteil:

„Gemessen an diesen Maßstäben hält der Freispruch des Angeklagten revisionsgerichtlicher Überprüfung stand:

a) Seine Überzeugung davon, dass der Angeklagte rechtsirrig von seiner Zuständigkeit für den Erlass aller drei Haftbefehle ausging, hat das Landgericht nach umfassender Würdigung der erhobenen Beweise mit einer Vielzahl tragfähiger Argumente begründet: Die subjektive Annahme eigener Zuständigkeit sei gerade vor dem Hintergrund der engen Verflechtung aller Tatvorwürfe und der im Verfahren gegen alle drei Beteiligte durchgeführten Dursuchungen sowie die gemeinschaftlichen Verdunkelungshandlungen nachvollziehbar. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Angeklagte aus sachfremden Erwägungen die Zuständigkeit wider besseres Wissen an sich gezogen habe, um zu Lasten der von der Verhaftung betroffenen Personen eine von ihm gewünschte Entscheidung herbeizuführen, die bei Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften vo-raussichtlich nicht zu erreichen gewesen wäre. Vielmehr seien die Haftentscheidungen überzeugend begründet worden. Gegen das Vorliegen eines entsprechenden Vorsatzes spreche bereits, dass die Rechtsfrage zur Tatzeit durchaus kontrovers beurteilt worden sei, ob aus § 125 Abs. 1 StPO die gleichrangige unmittelbare Zuständigkeit jedes Richters bei dem Amtsgericht folge, in dessen Bezirk ein Gerichtsstand begründet sei.

Bei der Saalverhaftung habe es sich – auch angesichts der sonst ruhigen und besonnenen Verhandlungsführung – nicht um eine „effektheischende öffentliche Machtdemonstration“, sondern um eine unmittelbare Reaktion auf die Verdunkelungshandlungen des Nebenklägers R. während laufender Hauptverhandlung gehandelt. Das Prozedere der Verhaftung habe ähnlichen Fällen entsprochen. Der Angeklagte habe zudem keinerlei persönlichen Nutzen aus der Verhaftung gezogen, sondern angesichts der Verhaftung eines Rechtsanwalts mit einer umfangreichen rechtlichen Überprüfung seines Vorgehens rechnen müssen. Der handschriftlich abgesetzte kurze Verbindungsbeschluss erschöpfe sich sachlich darin, dass über die drei Haftbefehlsanträge einheitlich entschieden werde. Der Angeklagte habe seine Rechtsauffassung auch nach außen, etwa gegenüber dem Behördenleiter, nachdrücklich vertreten. Hinweise für eine sachfremde Motivation seien weder dem beruflichen Vorleben noch der damaligen Verfahrenssituation zu entnehmen.

b) Diese Überzeugungsbildung des Landgerichts lässt angesichts der festgestellten Besonderheiten des vom Angeklagten geführten Strafverfahrens Rechtsfehler nicht erkennen. Das Landgericht hat bei seiner Würdigung alle wesentlichen Gesichtspunkte des Falls erörtert und gegeneinander abgewogen.

Auch der Inhalt wichtiger Zeugenaussagen wie derjenigen des früheren Mitangeklagten P. ist in dem mit 175 Seiten überaus ausführlichen Urteil in ausreichendem Umfang wiedergegeben. Aus Rechtsgründen war hier keine umfangreichere Darstellung des Ergebnisses der Beweisaufnahme geboten.

c) Das weitere Prozedere des Angeklagten ist – wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 11. April 2013 bei insoweit gleichbleibenden landgerichtlichen Feststellungen näher ausgeführt hat – weder für sich noch in seiner Gesamtschau geeignet, den Vorwurf der Rechtsbeugung gegen den Angeklagten zu begründen oder das Vorgehen im Zusammenhang mit der Verhaftung in gänzlich anderem Licht erscheinen zu lassen.“

Nun ja, kann man so sehen, obwohl es mich angesichts des Sachverhaltes nicht so richtig überzeugt. Ein gewisses Unbehagen bleibt. Aber: Irgendwann ist Schluß bzw. muss Schluß sein mit diesem Ping-Pong. Und dann lieber mit einem ggf. falschen Freispruch als einer falschen Verurteilung.

Die Rechtsbeugung des Staatsanwaltes, oder: Scheinerledigung

© stokkete - Fotolia.com

© stokkete – Fotolia.com

Schon etwas länger hängt in meinem Blogordner das LG Freiburg, Urt. v. 25.02.2016 – 2 KLs 270 Js 21058/12. In dem geht es um die Verurteilung eines Freiburger Staatsanwaltes wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Strafvereitelung (§§ 258, 258a, 339 StGB). Der Staatsanwalt hatte Akten nicht bearbeitet bzw. „scheinerledigt“ (vgl. die PM des LKG Freiburg und ein Bericht aus der Stuttgarter Zeitung). Der Staatsanwalt ist zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt worden. Aus der PM:

„Nach Auffassung der Kammer konnte dem Angeklagten in den genannten sechs Fällen je­weils ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz und die Pflicht zur zeitnahen Ankla­geerhebung nachgewiesen werden, da er die entsprechenden Verfahren nicht entsprechend seiner Pflicht bearbeitet hatte. Im Hinblick auf die Zeiträume der Nichtbearbeitung wurde durch das Gericht festgehalten, dass es sich bei jedem der Fälle um besonders gravierende Verstöße gehandelt hatte. Der Angeklagte hatte demnach die betreffenden Verfahren nur zum Schein erledigt, um insoweit keiner behördlichen Kontrolle mehr zu unterliegen, den Abschluss dieser Verfahren jedoch unterlassen. Das Gericht konnte nicht feststellen, dass der Angeklagte infolge einer Arbeitsüberlastung nicht in der Lage gewesen wäre, die Verfah­ren sachgemäß und zeitnah zu erledigen. Ebenso wenig ließ sich für die Große Strafkammer feststellen, dass der Ange­klagte die Verfahren etwa aus den Augen verloren hätte, diese gleichsam versehentlich lie­gen geblieben oder ihm „durchgerutscht“ wären.“

Zwei der sechs Fälle waren übrigens verjährt, in den übrigen vier Fällen konnten die Verfahren noch durchgeführt werden. Es ging dabei um Ermittlungsverfahren u.a. wegen Betrugs, versuchten Totschlags, Körperverletzung und sexuellen Missbrauchs.

Das Urteil des LG Freiburg ist nicht rechtskräft. Vermutlich hören wir zu der Sache also noch etwas vom BGH. Bahnbrechend Neues wird es allerdingsw ahrscheinlich nicht sein, denn das LG weist zu Recht darauf hin:

„Auch ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz durch pflichtwidrige Verfahrensverzögerung kann den Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllen, insbesondere dann, wenn die Bedeutung des Beschleunigungsgebotes besonders hervorgehoben ist, wie beispielsweise in Haftsachen aufgrund Art. 2 Abs. 2 S. 2, 104 GG und Art. 5 Abs. 3, Abs. 4 MRK (vgl. BGHSt 47, 105, Rn. 11; OLG Karlsruhe, a.a.O.). Darüber hinaus gilt dies aber auch bei „Weglegen“ von Akten, unvertretbarem und sachwidrigen Hinausschieben gebotener Entscheidungen und sonstigem Unterlassen (Fischer, a.a.O., § 339 Rn. 24).“

Rechtsbeugung in Erfurt, oder: Wenn der OWi-Richter sauer ist….

© canstockphoto5259235

© canstockphoto5259235

Heute dann mal ein Tag des BVerfG, den ich mit dem BVerfG, Beschl. v. 14.07.2016 -2 BvR 661/16 – eröffne. Ergangen ist der Beschluss in dem „Rechtsbeugungsverfahren“, das mit dem BGH, Beschl. v. 24.02.2016 – 2 StR 533/15 – bei den Fachgerichten sein Ende gefunden hatte. Das ist die Sache, in der der angeklagte Amtsrichter durch das LG Erfurt, Urt. v. 15.04.2013 – 101 Js 733/12, 7 KLs – vom Vorwurf der Rechtsbeugung frei gesprochen worden war. Den Freispruch hatte dann der BGH im BGH, Beschl. v. 22.01.2014 – 2 StR 479/13 – aufgehoben. Dann hatte das LG Erfurt im Urt. v. 26.05.2015 – 101 Js 733/12 – wegen Rechtsbeugung verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision hatte der BGH mit Beschl. v. 24.02.2016 verworfen. Das Ganze ist dann noch verfassungsgerichtlich überprüft worden.

Es geht um eine Gesamtfreiheitsstrafe  von einem Jahr und drei Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung wegen Rechtsbeugung in sieben Fällen. Der Amtsrichter hatte in mehreren Bußgeldverfahren die Betroffenen – kurzerhand – freigesprochen, weil von der Straßenverkehrsbehörde weder ein Messprotokoll noch der Eichschein für das bei der Verkehrskontrolle verwendete Messgerät zur Akte genommen worden sei. Der Amtsrichter war deshalb von einem Verfahrensfehler im Verantwortungsbereich der Behörde ausgegangen, der dazu geführt habe, dass das Messergebnis für das Gericht nicht nachprüfbar und die Ordnungswidrigkeit deshalb nicht beweisbar sei. Das OLG Jena hat mehrere dieser Entscheidungen wegen Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) aufgehoben. Der Amtsrichter hat dann im zweiten Durchgang die nach seiner Ansicht fehlenden Unterlagen weiterhin nicht beigezogen, sondern die Betroffenen wiederum freigesprochen oder das Bußgeldverfahren eingestellt. Das hat dann in dem o.a. Rechtsprechungsmarathon schließlich zu einer Verurteilung wegen Rechtsbeugung geführt (§ 339 StGB) geführt.

Und dazu dann jetzt eben das BVerfG, das keine Verletzung von Art. 97 GG sieht:

„Nach diesen Maßstäben ist die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Rechtsbeugung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beschwerdeführer hat seine Entscheidungen nicht allein an Gesetz und Recht ausgerichtet.

a) Die einschränkende Auslegung des § 339 StGB, nach der sich ein Richter einer Rechtsbeugung nur schuldig mache, wenn er sich „bewusst in schwer wiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt“ (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 2014 – 2 StR 479/13 -, BGHSt 59, 144 <147 Rn. 9> m.w.N.), wahrt die Unabhängigkeit des Richters. Weil dem Richter die besondere Bedeutung der verletzten Norm für die Verwirklichung von Recht und Gesetz im Tatzeitpunkt bewusst gewesen sein muss, ist sichergestellt, dass eine Verurteilung nicht schon wegen einer – sei es auch bedingt vorsätzlichen – Rechtsverletzung erfolgt, sondern erst dann, wenn der Richter sich bei seiner Entscheidung nicht allein an Gesetz und Recht orientiert. Dies ist hier der Fall. Die Urteilsfeststellungen belegen ausreichend, dass – neben anderen Motiven – der Wunsch, die Bußgeldbehörde und die Staatsanwaltschaft zu disziplinieren, mitbestimmend für die grob fehlerhafte Rechtsanwendung des Beschwerdeführers war.

b) Die unvertretbare Rechtsanwendung des Beschwerdeführers ist auch nicht ausschließlich auf eine lang andauernde Arbeitsüberlastung zurückzuführen; nicht jedes Fehlverhalten, das sich als Reaktion auf eine chronische Überlastung erweist, wird den Rechtsbeugungstatbestand erfüllen. Die richterliche Unabhängigkeit ist als solche zwar nicht Schutzgut des § 339 StGB (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl. 2016, § 339 Rn. 2 m.w.N.). Der Rechtsbeugungstatbestand stellt sich vielmehr als Gegenstück zur richterlichen Unabhängigkeit dar; die Vorschrift zielt auf die Sicherung und Wahrung der Verantwortlichkeit des Richters und die Achtung von Recht und Gesetz auch durch den Richter selbst (vgl. Uebele, in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2014, § 339 Rn. 1 m.w.N.; zur Notwendigkeit der Einschränkung des Tatbestandes mit Blick auf Art. 97 GG siehe aber nur Fischer, StGB, 63. Aufl. 2016, § 339 Rn. 26 ff.). Die Verwirklichung dieser Zielsetzung setzt jedoch voraus, dass dem zur Entscheidung berufenen Richter ausreichend Zeit zu einer allein an Recht und Gesetz orientierten Bearbeitung des Falles zur Verfügung steht. Nur wenn dies gewährleistet ist, kann der Richter seiner persönlichen Verantwortung gerecht werden. Dabei wird stets die konkrete, subjektive Belastungssituation des Richters in den Blick zu nehmen sein. Eine Orientierung allein an vermeintlich objektiven, durchschnittlichen Bearbeitungszeiten genügt dem nicht.

Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt, dass das gegenwärtige System der Bewertung richterlicher Arbeit nicht unwesentlich nach quantitativen Gesichtspunkten erfolgt und hierdurch zusätzliche Anreize für eine möglichst rasche Verfahrenserledigung auch unter Inkaufnahme inhaltlicher Defizite schafft (vgl. BVerfGE 133, 168 <172 Rn. 3>). Ebenso hat das Bundesverfassungsgericht – jedenfalls für die Strafjustiz – festgestellt, dass die Länder steigenden Belastungen nicht durch eine entsprechende personelle und sachliche Ausstattung Rechnung getragen haben (vgl. BVerfGE 133, 168 <172 Rn. 3>). Dies kann im Einzelfall zu berücksichtigen sein, spielt aber im Falle des Beschwerdeführers keine Rolle.

Finger weg, die 2. – Heimliche “Nachbearbeitung” der Urteilsgründe…

AusrufezeichenIm vergangenen Jahr hatte ich unter Rechtsbeugung: Heimliche “Nachbearbeitung” der Urteilsgründe – Finger weg! über das BGH, Urt. v. 18.07.2013 – 4 StR 84/13 –berichtet, in dem der BGH den Freispruch eines Vorsitzenden Richters am LG Dessau(?) aufgehoben hatte. Dem war in der Anklage Rechtsbeugung in Tateinheit mit Urkundenfälschung in fünf Fällen, davon in einem Fall in weiterer Tateinheit mit Strafvereitelung im Amt, zur Last, weil er entgegen dem in § 275 Abs. 1 Satz 3 StPO normierten Verbot nach Ablauf der gesetzlich vorgesehenen Frist von fünf Wochen die Urteilsgründe geändert oder ergänzt hatte.

Dazu als Nachtrag: In der Sache hat jetzt das LG Halle neu verhandelt und ist zu einer Verurteilung und zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt gekommen. (vgl. u.a. hier). Man wird davon ausgehen können, dass es eine zweite Runde beim BGH geben wird.

 Danke an den Kollegen Garcia für den Hinweis.