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Rechtsbeugung: Heimliche „Nachbearbeitung“ der Urteilsgründe – Finger weg!

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Das LG Halle hat einen Angeklagten, einen Vorsitzenden Richter am LG, vom Vorwurf der Rechtsbeugung in Tateinheit mit Urkundenfälschung und Strafvereitelung im Amt freigesprochen. Ihm waren Nachbearbeitungen der Urteilsgründe nach Ablauf der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO zur Last gelegt worden (wegen der Einzelheiten des umfangreichen Sachverhalts s. das BGH, Urt. v. 18.07.2013 – 4 StR 84/13). Nach Auffassung des LG erfüllten die festgestellten Tathandlungen nicht den Straftatbestand der Rechtsbeugung nach § 339 StGB. Der Angeklagte habe zwar in erheblicher Weise gegen zwingendes Verfahrensrecht verstoßen. Die heimliche Nachbearbeitung der Urteilsgründe nach Ablauf der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO habe auch in jedem der festgestellten Fälle den Tatbestand der Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB erfüllt. Der Angeklagte habe jedoch nicht gehandelt, um die Revisionsführer zu benachteiligen, sonern um den Anschein eigener Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten und weiteren Disziplinarmaßnahmen wegen zögerlicher Aktenbearbeitung zu entgehen. Ein „elementarer Rechtsverstoß“ oder ein „offensichtlicher Willkürakt“ im Sinne der Rechtsprechung des BGH sei darin nicht zu erkennen. Da der Angeklagte die Urkundenfälschung „bei der Leitung einer Rechtssache“ im Sinne des § 339 StGB begangen habe, ohne sich zugleich der Rechtsbeugung strafbar gemacht zu haben, greife zu seinen Gunsten die Sperrwirkung des § 339 StGB. Der BGH hebt auf:

b) Der Angeklagte hat auch in elementarer Weise gegen Recht und Gesetz verstoßen. Nicht jede unrichtige Rechtsanwendung stellt eine Beugung des Rechts dar. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, dass der Tatbestand nicht in unangemessener Weise ausgedehnt werden darf. Zweck der Vorschrift ist es, den Rechtsbruch als elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege unter Strafe zu stellen. Die Einordnung der Rechtsbeugung als Verbrechenstatbestand indiziert die Schwere des Unwerturteils und führt in der Regel im Falle der rechtskräftigen Verurteilung kraft Gesetzes zur Beendigung des Richterverhältnisses (§ 24 Nr. 1 DRiG). Mit dieser gesetzlichen Zweckbestimmung wäre es nicht zu vereinbaren, jede unrichtige Rechtsanwendung und jeden Ermessensfehler in den Schutzbereich der Norm einzubeziehen.

Dies gilt auch bei der Rechtsbeugung durch Beugung des Verfahrens-rechts (st. Rspr., u.a. BGH, Urteil vom 27. Mai 1987 – 3 StR 112/87, NStZ 1988, 218; Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, 383 mwN; Urteil vom 5. Dezember 1996 – 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343, 346, 351; Urteil vom 4. September 2001 – 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 109 mwN; Beschluss vom 24. Juni 2009 – 1 StR 201/09, NStZ 2010, 92; Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09 Rn. 29, StV 2011, 463, 466). Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften stellt nur dann einen Rechtsbruch im Sinne des § 339 StGB dar, wenn darin allein oder unter Berücksichtigung des Motivs des Täters ein elementarer Rechtsverstoß gesehen werden kann.

Der Angeklagte hat in den verfahrensgegenständlichen Fällen gegen die Vorschrift des § 275 Abs. 1 Satz 3 StPO verstoßen. Nach Fertigstellung ist eine sachliche Änderung oder Ergänzung der Urteilsgründe nur dann zulässig, wenn die Frist nach § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO noch nicht abgelaufen ist. War der Eingangsvermerk der Geschäftsstelle nach § 275 Abs. 1 Satz 5 StPO bereits an-gebracht, so hat die Geschäftsstelle auch den Zeitpunkt der Änderung zu vermerken. Der Angeklagte hat die Urteile nach Fristablauf geändert und ergänzt, ohne dies in den Akten erkennbar zu machen oder der Geschäftsstelle mitzuteilen. Die Verletzung des § 275 StPO war hier gravierend und ist als elementarer Rechtsverstoß anzusehen. Zum einen hat der Angeklagte in erheblichem Umfang wesentliche Urteilsbestandteile ergänzt. Die vor Fristablauf zur Geschäftsstelle gelangten Urteile enthielten keine auch nur entfernt ausreichenden Feststellungen zur Sache und keine Beweiswürdigung, vermochten also einem selbst nur mit der allgemeinen Sachrüge ausgeführten Revisionsangriff nicht standzuhalten. Zum anderen hat der Angeklagte durch sein heimliches Vorgehen den Verfahrensbeteiligten und dem Revisionsgericht eine Aufdeckung der Manipulation unmöglich gemacht. Die Schwere des Verstoßes zeigt sich insoweit darin, dass sein Verhalten als solches den Tatbestand der Urkundenfälschung sogar in der Alternative des § 267 Abs. 3Satz 2 Nr. 4 StGB erfüllt hat…

Wenn man den Sachverhalt liest, wird man ihn sicherlich als einen Sonderfall ansehen können. Aber allgemein wird man m.e. ebenso „sicherlich“ sagen können: Finger weg von den Urteilsgründen, wenn die Fristen des § 275 StPO abgelaufen sind.

Rechtsbeugung durch den Richter, oder: Auch bei angemaßter Zuständigkeit

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An verschiedenen Stellen ist ja schon über ein Entscheidungsmarathon in einer Rechtsbeugungssache berichtet worden, der nun sein vorläufiges Ende beim BGH gefunden hat. Die nächste Runde ist aber eingeleitet, weil der BGH den Freispruch betreffend einen Angeklagten aufgehoben hat. Sachverhalt kurz wie folgt:

Eine zunächst ergangene Verurteilung eines einen 45 Jahre alten Richter und eines 55 Jahre alten Oberstaatsanwalts zu Bewährungsstrafen von zwei Jahren bzw. einem Jahr und acht Monaten hatte der BGH wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben (vgl. BGH, Beschl. v. 07.10.2010 – 5 StR 555/09 (vgl. dazu Verurteilung eines Richters und eines Oberstaatsanwaltes wegen Rechtsbeugung). Das Landgericht Potsdam hat dann im neuen Anlauf auf der Grundlage anderer Feststellungen den Richter und den Oberstaatsanwalt vom Vorwurf der Rechtsbeugung in Tateinheit mit schwerer Freiheitsberaubung freigesprochen. Das LG ist in diesem neuen Urteil zu dem Ergebnis gekommen, dass die Angeklagten zwar erhebliche Verfahrensverstöße begangen, den Rechtsbeugungstatbestand aber gleichwohl nicht verwirklicht hätten, da ausreichende Anhaltspunkte für eine den Verfahrensfehlern zugrunde liegende sachwidrige Motivation und die Gefahr einer falschen Entscheidung zum Nachteil der Betroffenen nicht gegeben seien. Bei dieser Bewertung ist das LG davon ausgegangen, dass die in erster Linie in Frage stehenden Entscheidungen – die Beantragung bzw. der Erlass von Haftbefehlen durch die Angeklagten – inhaltlich zumindest vertretbar gewesen seien.

Der 5. Strafsenat des BGH hat mit BGH, Urt. v. 11.04.2013 – 5 StR 261/12 – den Freispruch gegen den Richter aufgehoben, weil bei ihm eine sachwidrige Motivation bei den Haftentscheidungen nicht rechtsfehlerfrei verneint wurde. Zwar seien die Haftentscheidungen inhaltlich nicht unvertretbar; die Zuständigkeit des angeklagten Richters für den Erlass der Haftbefehle sei hingegen unter keinem Gesichtspunkt gegeben gewesen. Der Freispruch gegen den angeklagten Oberstaatsanwalt hatte hingegen Bestand, weil dieser nach den getroffenen Feststellungen des Landgerichts von der Zuständigkeit des Richters ausging.

Aus dem umfangreichen Urteil – es ist 30 Seiten lang – :

aa) Die bei einem Verstoß gegen Verfahrensrecht für den Rechtsbeugungstatbestand notwendige konkrete Gefahr einer „falschen“ Entscheidung zum Vor- oder Nachteil einer Partei ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Richter aus sachfremden Erwägungen die Zuständigkeit an sich zieht, um zu Gunsten oder zu Lasten einer Prozesspartei eine von ihm gewünschte Entscheidung herbeizuführen, die bei Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften voraussichtlich nicht zu erreichen gewesen wäre (BGH, Urteile vom 5. Dezember 1996 – 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343, vom 20. September 2000 – 2 StR 276/00, BGHR StGB § 339 Rechtsbeugung 6, und vom 29. Okto-ber 2009 – 4 StR 97/09, NStZ-RR 2010, 310). Diese Voraussetzungen sind bereits dann als erfüllt anzusehen, wenn eine in mit sachwidriger Motivation angemaßter Zuständigkeit getroffene Entscheidung vom zuständigen Richter aufgrund abweichender Sachverhaltseinschätzung, anderer Bewertung eines Beurteilungsspielraums oder abweichender Ermessensausübung anders hät-te getroffen werden können, wie der unzuständige Richter weiß.

Die Rechtsbeugung des Proberichters – hier ist dann der Volltext

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Ende Mai 2012 hatte u.a. auch die Blogs das BGH, Urt. v. 31.05.2012 – 2 StR 610/11 – beschäftigt. Das was/ist der Fall des Freispruchs eines Proberichters vom Vorwurf der Rechtsbeugung in Tateinheit mit Aussageerpressung.Nochmal zum Sachverhalt – entnommen der PM des BGH v. 31.05.2012:

„Nach den Feststellungen des Landgerichts leitete der Angeklagte als Strafrichter eine Hauptverhandlung wegen exhibitionistischer Handlungen, die sich an einen Einspruch des damaligen Beschuldigten anschloss. Schon vor der Hauptverhandlung war er entschlossen, als Rechtsfolge einen Schuldspruch mit Strafvorbehalt auszusprechen und eine Therapieauflage anzuordnen. In der Hauptverhandlung bestritt der damalige Beschuldigte den Tatvorwurf. Der Angeklagte, der möglicherweise annahm, der Strafbefehl sei im Schuldspruch bereits rechtskräftig und der Einspruch auf das Strafmaß beschränkt, wirkte nun nachhaltig und zunehmend erregt und drohend auf den damaligen Beschuldigten ein, um diesen zu einem Geständnis und zur Erklärung zu veranlassen, in eine ambulante Therapie einzuwilligen. Außerdem wollte er erreichen, dass der Beschuldigte nach Urteilsverkündung sogleich auf Rechtsmittel verzichtete. Aufgrund eines Sachverständigengutachtens war ihm bekannt, dass der damals Beschuldigte wegen einer Persönlichkeitsstörung eine schwache und selbstunsichere Person war. Der Angeklagte forderte den Beschuldigten in zunehmend erregter Form auf, ein Geständnis abzulegen. Schließlich unterbrach er unvermittelt die Sitzung, sagte zum damaligen Beschuldigten: „Sie kommen jetzt mit! Ich zeige Ihnen mal, wie Ihre Zukunft aussehen kann.“, und begab sich – mit angelegter Robe – mit dem Beschuldigten und einem Wachtmeister in den Keller des Amtsgerichts, wo sich mehrere Gewahrsamszellen befanden.

Er veranlasste den vollständig verunsicherten Beschuldigten, sich in eine Zelle zu begeben, die daraufhin geschlossen wurde. Nach etwa 20 Sekunden wurde die Tür auf Veranlassung des Angeklagten wieder geöffnet. Während dieser Zeit war die Türe von dem Zeugen nicht mehr zu öffnen.

Hiernach setzte der Angeklagte die Hauptverhandlung fort, in der der damalige Beschuldigte nunmehr vollumfänglich geständig war. Der Angeklagte verurteilte ihn daraufhin zu einer Geldstrafe unter Strafvorbehalt, verbunden mit einer Therapieauflage; dies entsprach dem staatsanwaltschaftlichen Antrag. Der immer noch stark eingeschüchterte Beschuldigte und der Staatsanwalt erklärten sogleich Rechtsmittelverzicht.“

Die Strafkammer hatte den Proberichter frei gesprochen und dabei den Rechtsbeugungsvorsatz verneint. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat der BGH aufgehoben. Er sieht einen Verstoß gegen § 261 StPO und rügt die mangelhaft Beweiswürdigung der Strafkammer:

Es mag dahinstehen, ob dies schon deshalb der Fall ist, weil der Tatrichter – worauf der Generalbundesanwalt vor allem in seiner Begründung des Rechtsmittels abstellt – bei seiner Annahme, der Angeklagte sei von einem beschränkten Einspruch des D. ausgegangen und habe deshalb mit der Erzwingung des Geständnisses keinen unrechtmäßigen prozessualen Nachteil für diesen herbeiführen wollen, keine erschöpfende (und widerspruchsfreie) Würdigung der Beweise vorgenommen hat. Jedenfalls fehlt es an jeglicher Auseinandersetzung mit der nach den Feststellungen in Betracht kommenden Möglichkeit, der Angeklagte habe nicht nur ein Geständnis des D. , sondern auch einen Rechtsmittelverzicht sowie eine Einwilligung in eine Therapieweisung und insoweit die konkrete Gefahr eines unrechtmäßigen Nachteils an-gestrebt und damit vorsätzlich gehandelt.

Damit darf sich dann jetzt das LG Kassel noch einmal befassen.

Massenfreisprüche aus Herford – Strafanzeigen wegen Rechtsbeugung

Die sog. „Massenfreisprüche“ aus Herford (vgl. u.a. hier und hier) beschäftigen die Justiz dann demnächst nicht nur, was absehbar gewesen sein dürfte, aufgrund der voraussichtlichen Rechtsbeschwerden der StA, beim OLG, sondern auch noch eine andere Abteilung bei der StA Bielefeld. T-online meldet nämlich unter dem Titel „Bürger zeigen Richter Gaspedal an„, dass zwei Bürger – auch das war zu erwarten – gegen den Kollegen Knöner Strafanzeige wegen Rechtsbeugung erstattet haben. Na ja, m.E. werden auch die Verfahren nicht zum Erfolg führen. Man mag (zu Recht oder zu Unrecht, was hier dahinstehen soll) anderer Auffassung als der Kollege sein und seinen Ansatz kreativ finden: Aber Rechtsbeugung ist es m.E. nicht.

Mehrfach vom BVerfG zu hören: „Nicht nachvollziehbar“… ist nicht schön

Das BVerfG hat jetzt in seinem Beschl. v. 16.09.2010 – 2 BvR 2394/08 zum zweiten Mal in einem Klageerzwingungsverfahren einen Beschluss des OLG Köln aufgehoben. Nachdem es im Verfahren 2 BvR 967/07 beanstandet hatt, dass das OLG den Antrag als unzulässig verworfen hatte (vgl. hier), hat es jetzt auch/wieder den neuen Beschluss des OLG Köln aufgehoben. Dieses Mal hatte das OLG gesagt: Zwar zulässig, aber unbegründet. In dem Verfahren geht es um den Vorwurf der Rechtsbeugung. Das OLG hat die Zurückweisung des Antrags damit begründet, dass Vorsatz nicht vorliege, sondern ggf. nur Fahrlässigkeit.

Das BVerfG hat in der Begründung des OLG eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör gesehen. Vorgeworfen wird dem Richter, dass er weder über Befangenheitsantrag eines Sachverständigen in einer Disziplinarsache entschieden noch den daraufhin gegen ihn gerichteten Befangenheitsantrag weitergeleitet hat. Das BVerfG sagt, dass dann, wenn Kern des Vortrages zur Klageerzwingung gerade der Umstand ist, dass der Richter trotz mehrfacher und mit einschlägiger Rechtsprechung untermauerter Hinweise seiner Weiterleitungsverpflichtung nicht nachgekommen ist, ein bedingter Vorsatz nicht mit der Begründung abgelehnt werden könne, es handele sich um einen in solchen Sachen unerfahrenen Richter.

Na ja, zweimal vom BVerfG in derselben Sache gerügt werden, ist nicht so schön. Vor allem, wenn in der Entscheidung mehrfach auftaucht: „Es ist „nicht nachvollziehbar“…