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Körperverletzung, oder: „gemeinschaftlich mittels eines gefährlichen Werkzeugs“ ist nicht „gemeinschaftlich“

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Und als dritte verfahrensrechtliche Entscheidung dann noch eine Entscheidung vom BGH, nämlich der BGH, Beschl. v. 20.03.2018 – 2 StR 328/17. Problematik: Unterlassener eines nach § 265 StPo erforderlichen rechtlichen Hinweises. Dazu der BGH:

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der Angeklagte besuchte mit den beiden nicht revidierenden Mitangklagten S. und B. am Abend des 19. Dezember 2015 eine Geburtstagsfeier. Vom benachbarten Grundstück aus beschimpfte und beleidigte der Nachbar G. die Gäste der Feier und bewarf sie mit Gegenständen. Daraufhin beschlossen die drei Angeklagten, diesen in seinem Haus aufzusuchen und ihm eine „Lektion zu erteilen“. Um den Zugang ins Haus zu ermöglichen, durchtrennte der Angeklagte mit einem Bolzenschneider die an der Haustür angebrachte Sicherungskette. Während der Angeklagte am Hauseingang wartete, begaben sich die Mitangeklagten S. und B. zum Schlafzimmer des G. Dort schlug S. mit einer mitgeführten Eisenstange auf den mittlerweile schlafenden Geschädigten ein und traf ihn mindestens zweimal am Kopf; B. beobachtete das Geschehen von der Schlafzimmertür aus. Anschließend kehrten die drei Angeklagten zur Geburtstagsfeier zurück. Trotz des durch die Schläge erlittenen offenen Schädel-Hirn-Traumas überlebte der Geschädigte den Angriff.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB verurteilt. Da es nicht auszuschließen vermocht hat, dass der Angeklagte die Mitnahme der Eisenstange durch den Mitangeklagten S. nicht gesehen habe, ist es davon ausgegangen, dass „andere Alternativen des § 224 Abs. 1 StGB nicht in Betracht“ kämen.

II.

Der Beschwerdeführer beanstandet, das Landgericht habe die Verurteilung auf eine – gegenüber der Anklage – wesensverschiedene Begehungsform desselben Strafgesetzes gestützt, ohne dass ihm zuvor ein entsprechender Hinweis erteilt worden sei (§ 265 StPO). Die zulässig erhobene Rüge ist be-gründet.

1. Dem Angeklagten war in der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage vorgeworfen worden, den Geschädigten „gemeinschaftlich handelnd“ mit den nicht revidierenden Mitangeklagten S. und B. gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB mittels eines gefährlichen Werkzeugs körperlich misshandelt und an der Gesundheit beschädigt zu haben. Dem so gefassten Anklagesatz lässt sich der Vorwurf einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht entnehmen. Die Formulierung „gemeinschaftlich handelnd“ reicht für die sichere Annahme, die Anklage umfasse auch den Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, für sich genommen nicht aus. Sie kann ohne weiteres auch als Umschreibung von bloßer Mittäterschaft im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB verstanden werden. Für ein solches Verständnis der Anklageschrift spricht zum einen, dass die – wenngleich allein nicht maßgebliche – Liste der angewendeten Strafvorschriften § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht aufführt. Zum anderen enthält auch das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen der Anklageschrift keinen Hinweis auf diese Tatbestandsvariante.

2. Unter diesen Umständen hätte es vor der ausschließlich auf die Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB gestützten Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung eines Hinweises nach § 265 Abs. 1 StPO bedurft, der ausweislich des Protokolls nicht erteilt wurde. Ein „anderes Strafgesetz“ im Sinne der Vorschrift ist auch eine ihrem Wesen nach andersartige Begehungsform desselben Strafgesetzes (KK-StPO/Kuckein, 7. Aufl., § 265 Rn. 8 mwN). Bei den Qualifikationstatbeständen nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StGB handelt es sich um wesensverschiedene Tatvarianten (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 1984 – 4 StR 742/83, NStZ 1984, 328, 329; BGH, Beschluss vom 21. Januar 1997 – 5 StR 592/96, NStZ-RR 1997, 173).

BtM II: Drogenkonsum auf einem Spielplatz, oder: Ungehörig?

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Als zweite Entscheidung aus dem BtM-/Drogenbereich der schon ältere OLG Hamm, Beschl. v. 30.06.2017 – 1 RBs 60/17. Der kundige Leser wird wegen des Aktenzeichens – „RBs“ ist eine Bußgeldsache – stutzen und sich fragen: OWi und BtM, geht das? Ja, das geht. Gegenstand des Beschlusses ist nämlich eine § 118 OWiG betreffende Frage – mal abgesehen von der verfahrensrechtlichen Problematik. In § 118 OWiG – ich habe auch erst nachschauen müssen – ist Vornahme einer grob ungehörigen Handlung, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen, bußgeldbewehrt. Das AG hat dazu festgestellt, dass die Betroffene in der Nähe eines Kinderspielplatzes Drogen mittels einer Crack-Pfeife konsumiert habe und hat wegen eines fahrlässigen Verstoßes verurteilt. Dagegen der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, mit dem u.a. geltend gemacht worden ist, dass das AG keinen rechtlichen Hinweis erteilt habe, dass es auch wegen fahrlässiger Begehungsweise verurteilen könne/wolle. Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg:

„Entgegen der mit der Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vertretenen Auffassung handelt es sich bei der Geltendmachung des unterlassenen Hinweis gemäß der §§ 46 OWiG, 265 Abs. 1 StPO nicht lediglich um eine allgemeine Rüge der Verletzung formellen Rechts, mit welcher die Betroffene im Zulassungsverfahren nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG nicht gehört werden könnte. Vielmehr stellt sich das Unterlassen eines gebotenen rechtlichen Hinweises immer gleichzeitig auch als eine Verletzung des Grundsatzes der Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG dar, der in der Vorschrift des § 265 StPO eine (zusätzliche) einfachgesetzliche Ausprägung gefunden hat, wobei allerdings Art. 103 Abs. 1 GG eine noch darüber hinausgehende – und für die Zulassung der Rechtsbeschwerde maßgebliche – Gewährleistung enthält (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 22. Mai 2007 – 1 Ss 346/06 –, juris).

Es ist auch davon auszugehen, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht. Die Verteidigung hat hierzu vorgetragen, die Betroffene hätte im Fall eines entsprechenden Hinweises – zutreffend – geltend gemacht, dass eine fahrlässige Begehungsweise im Hinblick auf die Vorschrift des § 118 OWiG nicht möglich ist (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 14. Januar 2010 – 2 SsBs 68/09 –, juris). Es ist zumindest nicht fernliegend, dass das Amtsgericht nach entsprechendem Hinweis der Verteidigung und Überprüfung der Rechtslage dieser zutreffenden Auffassung gefolgt wäre.

Dementsprechend war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Dortmund zurückzuverweisen.

Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:

Das Verschlechterungsverbot der §§ 46 OWiG, 358 Abs. 2 S. 1 StPO stünde einer Verurteilung wegen vorsätzlicher Vornahme einer grob ungehörigen Handlung, die nach Bewertung des Senats in einem öffentlichen Drogenkonsum durchaus gesehen werden kann, nicht entgegen.

Soweit das Amtsgericht allerdings bisher die Eignung des Drogenkonsums der Betroffenen an der nicht näher beschriebenen Örtlichkeit zur Belästigung und/oder Gefährdung der Allgemeinheit vornehmlich mit der „Nähe“ zu einem Spielplatz begründet hat, dürften einerseits nähere Ausführungen zur genauen Lage der Spielplatzes und zur Einsehbarkeit des Aufenthaltsortes der Betroffenen sowie andererseits im Hinblick auf die notwendige subjektive Seite auch bezüglich einer etwaigen Kenntnis der Betroffenen von der Lage des Spielplatzes erforderlich sein.“

Rechtlicher Hinweis auf Sicherungsverwahrung?, oder: Hier mal nicht erforderlich…

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Die mit der Erforderlichkeit eines rechtlichen Hinweises (§ 265 StPO) zusammenhängenden Fragen spielen in der Praxis immer wieder eine große Rolle. Dazu hat dann jetzt auch der BGH, Beschl. v. 01.08.2017 – 4 StR 178/17 – noch einmal Stellung genommen. Der Angeklagte hatte in einem Verfahren wegen des Vorwurfs der besonders schwerer Vergewaltigung u.a. mit der Verfahrensrüge eine Verletzung des § 265 Abs. 2 StPO geltend gemacht, weil es in der Hauptverhandlung eines Hinweises auf die angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung bedurfte hätte. Der BGH hat das das anders gesehen:

1. Die eine Verletzung des § 265 Abs. 2 StPO geltend machende Verfahrensrüge ist unbegründet, weil es in der Hauptverhandlung eines Hinweises auf die angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht bedurfte.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Tatgericht unabhängig von einer eingetretenen Veränderung der Sachlage verpflichtet, den Angeklagten in der Hauptverhandlung gemäß § 265 Abs. 2 StPO förmlich auf die mögliche Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung hinzu-weisen, wenn die Maßregel in der zugelassenen Anklage keine Erwähnung gefunden hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 27. September 1951 – 3 StR 596/51, BGHSt 2, 85; vom 12. März 1963 – 1 StR 54/63, BGHSt 18, 288; Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 265 Rn. 46 mwN). In den unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklagen der Staatsanwaltschaft Magdeburg vom 25. Juli und 1. August 2016 war jeweils in der Liste der anzuwendenden Vorschriften § 66 StGB aufgeführt und anschließend vermerkt, dass „die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung erfüllt“ seien. Die wesentlichen Ermittlungsergebnisse beider Anklagen enthielten zudem die Mitteilung, dass ein Sachverständiger mit der Erstellung eines Gutachtens u.a. zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 63, 64 und 66 StGB beauftragt worden sei und das Gutachten noch ausstehe. Durch diese Angaben in den Anklageschriften waren die dem Angeklagten zur Last gelegten Taten als Voraussetzung für eine Anordnung der Unterbringung in der Siche-rungsverwahrung gekennzeichnet (vgl. BGH, Urteile vom 27. September 1951 – 3 StR 596/51 aaO; vom 12. März 1963 – 1 StR 54/63 aaO). Der Angeklagte konnte mit allen sich aus § 66 Abs. 1 bis 3 StGB ergebenden Möglichkeiten der Anordnung einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung rechnen und seine Verteidigung im Zwischen- und Hauptverfahren hierauf einrichten (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2000 – 1 StR 427/00, NStZ 2001, 162). Eine Bezeichnung des Anordnungstatbestands des § 66 Abs. 1 StGB war in den Anklagen nicht erforderlich, da es sich bei den Regelungsalternativen in § 66 Abs. 1 bis 3 StGB nicht um unterschiedliche Maßregeln der Besserung und Sicherung, sondern lediglich um verschiedene Anordnungsvoraussetzungen derselben Maßregel handelt (vgl. Radtke in Radtke/Hohmann, StPO, § 265 Rn. 51).“

Und <<Werbemodus an>>: 265 StPO ist durch das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ v. 17.08.2017 (BGBl I, S. 3202) erweitert worden. Einzelheiten dazu in meinem Ebook „StPO 2017“, das man hier bestellen kann <<Werbemodus aus>>.

Klassiker II: Mal wieder rechtlicher Hinweis nicht erteilt

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Der zweite Klassiker vom BGH ist heute der BGH, Beschl. v. 25.10.2016 – 2 StR 84/16. In der Entscheidung geht es um einen „vergessenen“ rechtlichen Hinweis nach § 265 StPO. Auch ein häufiger Fehler. Daher Klassiker und i.d.R. Selbstläufer in der Revision. Dazu der BGH – daraus erschließt sich der Sachverhalt:

„Die Rüge einer Verletzung des § 265 Abs. 1 StPO ist begründet.

a) Die unverändert zugelassene Anklage legte dem Angeklagten zur Last, H. L. getötet zu haben, um die zuvor zu ihrem Nachteil begangene gefährliche Körperverletzung zu verdecken (§ 211 Abs. 2, 3. Gruppe, Var. 2 StGB). Im Eröffnungsbeschluss wurde der Angeklagte zwar darauf hingewiesen, dass auch eine Verurteilung wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen in Betracht komme, wenn „der Angeklagte seine Lebensgefährtin tötete, weil diese sich von ihm trennen und er dies nicht akzeptieren wollte“. Ein Hinweis darauf, dass die Annahme niedriger Beweggründe – wie in den Urteilsgründen geschehen – auch darauf gestützt werden konnte, dass der Angeklagte sie töte-te, um zu verhindern, dass sie gegenüber Freunden und der Familie offenbaren könnte, dass er „ein Angeber und Lügner sei“, er mit der Tat habe verhindern wollen, dass die von ihm errichtete „Scheinwelt“ zusammenbreche, ist dem Angeklagten nicht erteilt worden. Dies ist mit § 265 Abs. 1 StPO nicht zu vereinbaren.

aa) Ein rechtlicher Hinweis ist zu erteilen, wenn der Angeklagte wegen einer andersartigen Begehungsform des in der zugelassenen Anklageschrift aufgeführten Strafgesetzes verurteilt werden soll. Dies gilt insbesondere beim Übergang vom Vorwurf des Verdeckungsmordes zu dem des Mordes aus niedrigen Beweggründen (vgl. Senat, Urteil vom 20. Februar 1974 – 2 StR 448/73, BGHSt 25, 287, 288 f.). Der rechtliche Hinweis dient dazu, den Angeklagten vor Überraschungen zu schützen und ihm Gelegenheit zu geben, sich gegenüber einem neuen Vorwurf sachgerecht zu verteidigen. Ob es sich um eine andersartige Begehungsform oder um eine gleichartige Erscheinungsform desselben Tatbestands handelt, ist nicht nach den äußeren Merkmalen, sondern nach dem Inhalt der Begehungsform zu entscheiden (Senat aaO).

bb) Der im Eröffnungsbeschluss erteilte und vom Vorsitzenden in der Hauptverhandlung ergänzend erläuterte Hinweis genügte – worauf der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zu Recht hingewiesen hat – nicht den insoweit geltenden inhaltlichen Anforderungen. Der rechtliche Hinweis muss so abgefasst sein, dass der Angeklagte erkennt, durch welche konkreten Tatsachen das Gericht das Mordmerkmal als erfüllt ansieht. Nur solchermaßen präzise abgefasst kann der Hinweis die ihm zugedachte Funktion erfüllen, den Angeklagten vor Überraschungsentscheidungen zu schützen und ihm Gelegenheit zu geben, sich gegenüber dem Tatvorwurf sachgerecht zu verteidigen (vgl. Senat, Beschluss vom 21. April 2004 – 2 StR 363/03, NStZ 2005, 111, 112; Be-schluss vom 23. März 2011 – 2 StR 584/10, NStZ 2011, 475).

cc) Das Gericht wäre bei der hier gegebenen Sachlage verpflichtet gewesen, neben dem Hinweis auf das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe auch diejenigen Tatsachen und Umstände konkret zu benennen, die dieses Mordmerkmal ausfüllen könnten. Der bloße Hinweis darauf, dass das Mordmerkmal erfüllt sein könne, wenn und soweit die Motivation zur Tat darin zu se-hen sein sollte, dass der Angeklagte „die Trennung nicht habe akzeptieren wollen“, genügte insoweit nicht. Insbesondere war diesem Hinweis nicht zu entnehmen, dass die Kammer in Erwägung ziehen könnte, anzunehmen, dass der Angeklagte seine Freundin getötet haben könne, um zu verhindern, dass sie Freunden gegenüber seine tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse aufdecke und die von ihm aufgebaute Scheinwelt einstürzen könne.“

Auf die Entscheidung komme ich noch mal zurück.

Bei Erhöhung der Geldbuße Hinweis erforderlich?

FragezeichenOb und wann bei einer vom AG geplanten Erhöhung der Geldbuße ein rechtlicher Hinweis erforderlich ist, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht eindeutig geklärt. Das OLG Hamm hat jetzt noch einmal zu der Frage Stellung genommen (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 09.08.2016 – 1 RBs 181/16). Im Bußgeldbescheid war gegen die Betroffene eine Geldbuße von 85 € festgesetzt. Das AG setzt eine Geldbuße von 90 € fest. Das beruht allerdings auf einem Irrtum, den festgesetzt werden sollte, eine Geldbuße von 65 €. Im Rahmen der Begründung des Rechtsfolgenausspruches führt das AG dazu aus, dass der bundeseinheitliche Tatbestandskatalog für eine Ordnungswidrigkeit, wie sie die Betroffene begangen habe, unter Nr. 109601 eine Regelgeldbuße i.H. v. 85 € vorsehe, aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen sei aber bei Urteilserlass versehentlich die Regelgeldbuße des Tatbestands Nr. 109607 (120 €) zugrunde gelegt worden. Zu Gunsten der Betroffenen sei berücksichtigt worden, dass nicht sicher ausgeschlossen werden könne, dass der Zeuge den Unfall möglicherweise durch eine bessere Reaktion hätte vermeiden können. Aus diesem Grund sei die zu Grunde gelegte Regelgeldbuße um 25 % von 120 auf 90 € reduziert worden. Richtigerweise hätte ein Bußgeld in Höhe von 65 € verhängt werden müssen.

Das OLG setzt dann im Rechtsbeschwerdeverfahren eine Geldbuße von 65 € fest. Es sieht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Zwar bedürfe es grundsätzlich bei der Verhängung einer höheren als im Bußgeldbescheid festgesetzten Geldbuße wohl keines Hinweises an den Betroffenen (vgl. OLG Stuttgart DAR 2010, 590 = VA 2011, 52). Etwas anderes gelte aber dann, wenn es sich bei der Erhöhung der Geldbuße um eine unzulässige Überraschungsentscheidung handelt, d.h., wenn der Betroffene ohne einen entsprechenden Hinweis des Gerichtes nicht damit rechnen muss, dass die gegen ihn im Bußgeldbescheid verhängte Regelgeldbuße erhöht werden würde (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.; OLG Jena VRS 113, 330; diesem folgend OLG Hamm DAR 2010, 99; vgl. auch noch KG VA 2014, 102). Das OLG begründet das mit dem Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), der Überraschungsentscheidungen verbiete.

Der Verteidiger sollte diese Rechtsprechung im Auge behalten und das Fehlen eines rechtlichen Hinweises mit der Verfahrensrüge geltend machen. Dabei kommt es immer darauf an, ob der Betroffene mit einer Erhöhung der Geldbuße aus dem Bußgeldbescheid rechnen musste. In dem Zusammenhang spielen dann seine Einkommensverhältnisse, ggf. vorliegende Voreintragungen sowie die Schuldform eine Rolle.