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Klima II: Malen gegen „unumkehrbaren Klimawandel“, oder: „rein politisch motivierte Symboltat“, oder was?

entnommen obenclipart.org

Und als zweite Entscheidung zu der Rechtfertigungsproblematik dann der OLG Celle, Beschl. v. 29.07.2022 – 2 Ss 91/22. Schon etwas älter, aber vom OLG jetzt gerade erst versandt/veröffentlicht. Es handelt sich bei dem Beschluss, wenn ich das richtig sehe, um die erste obergerichtliche Entscheidung zu der Problematik.

Das AG hatte den Angeklagten wegen Sachbeschädigung in zwei Fällen verwarnt und sich eine Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 5,- EUR vorbehalten. Ausweislich der Feststellungen des AG habe der Angeklagte am 10.06.2021 und 07.07.2021 jeweils absichtlich die Fassade des Zentralgebäudes der XXX Universität in XXX mit Wandfarbe verunstaltet. Am 10.06.2021 habe er zudem folgende Worte auf die Fassade gesprüht: „XXX divest: Kohle aus Nord/LB“. Hiermit habe der Angeklagte auf den womöglich unumkehrbaren Klimawandel aufmerksam machen und zu sofortigem Handeln appellieren wollen. Der XXX Universität sei hierdurch ein Schaden in Höhe von 1.640,25 EUR bzw. 11.377,89 EUR für die Beseitigung der Verunstaltungen entstanden.

Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts gerügt hat. Ohne Erfolg:

„Ein näheres Eingehen auf die Urteilsgründe ist allein insoweit veranlasst, als das Amtsgericht ebenfalls zurecht angenommen hat, dass die tatbestandlich begangenen Sachbeschädigungen nicht gerechtfertigt waren.

1. Eine Rechtfertigung aufgrund Notstands gemäß § 34 StGB scheidet aufgrund einer fehlenden Geeignetheit des Handelns des Angeklagten für die von ihm bezweckte Abwehr der Gefahr eines möglicherweise unumkehrbaren Klimawandels aus. Denn die Beschädigung der Fassade der XXX Universität ist nicht in der Lage, dem Klimawandel entgegen zu wirken. Soweit die Revision hierzu sinngemäß der Auffassung ist, eine derartige einzelne Handlung könne zwar allein die Abwehr der Gefahr nicht herbeiführen, wohl aber eine Vielzahl einzelner Bemühungen, so dass die Geeignetheit dieser Vielzahl der Bemühungen auch für jede einzelne Handlung angenommen werden müsse, geht dies fehl. Denn es ist offenkundig, dass auch eine Vielzahl von Beschädigungen der Fassade von Universitätsgebäuden ebenso wenig wie eine einzelne Beschädigung durch den Angeklagten Auswirkungen auf den Klimawandel haben können. Es handelt sich stattdessen bei dem Verhalten des Angeklagten jeweils um rein politisch motivierte Symboltaten.

Zudem ist schließlich auch nicht ersichtlich, dass die Gefahr eines Klimawandels nicht anders als durch die Begehung die Begehung von Straftaten abgewendet werden könnte.

2. Die Beschädigung des Universitätsgebäudes wird auch nicht durch „zivilen Ungehorsam“ gerechtfertigt.

Unter zivilem Ungehorsam wird gemeinhin ein Verhalten verstanden, mit dem ein Bürger durch demonstrativen, zeichenhaften Protest bis hin zu aufsehenerregenden Regelverletzungen einer als verhängnisvoll oder ethisch illegitim angesehenen Entscheidung entgegentritt bzw. in einer Angelegenheit von wesentlicher allgemeiner Bedeutung, insbesondere zur Abwendung schwerer Gefahren für das Allgemeinwesen in dramatischer Weise auf den öffentlichen Meinungsbildungsprozess einwirken möchte (vgl. BVerfGE 73, 206, Rn 91).

Eine Rechtfertigung tatbestandlichen Verhaltens vor dem Hintergrund eines zivilen Ungehorsams ist jedoch ausgeschlossen.

Niemand ist berechtigt, in die Rechte anderer einzugreifen, um auf diese Weise die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erregen und eigenen Auffassungen Geltung zu verschaffen (vgl. BGHSt 23, 46, Rn 16; LK-Rönnau, Vor § 32 Rn 142; S/S-Lenckner/Perron, § 34 Rn 41a; jeweils m.w.N.). Dies ergibt sich bereits aus Art. 20 Abs.4 GG. Denn durch die Beschränkung des Rechts zum Widerstand auf eine Situation, in der die grundgesetzliche Ordnung der Bundesrepublik im Ganzen bedroht ist, besteht im Umkehrschluss eine Friedenspflicht zu allen anderen Zeiten. Wer auf den politischen Meinungsbildungsprozess einwirken möchte, kann dies daher in Wahrnehmung seiner Grundrechte aus Art.5 GG (Meinungsfreiheit), Art.8 GG (Versammlungsfreiheit), Art.17 GG (Petitionsrecht) und Art.21 Abs.1 GG (Freiheit der Bildung politischer Parteien), nicht aber durch die Begehung von Straftaten tun.

Würde die Rechtsordnung insoweit einen Rechtfertigungsgrund akzeptieren, der allein auf der Überzeugung des Handelnden von der Überlegenheit seiner eigenen Ansicht beruht, so liefe dies auf eine grundsätzliche Legalisierung von Straftaten zur Erreichung politischer Ziele hinaus, wodurch eine Selbstaufgabe von Demokratie und Rechtsfrieden durch die Rechtsordnung selbst verbunden wäre und die mit den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Rechtsordnung schlechthin unverträglich ist (BGHSt a.a.O; LK-Rönnau a.a.O.).“

Klima I: Baumhaus gegen Rodung/Hausfriedensbruch, oder: Klimaschutz und rechtfertigender Notstand

Bild von OpenClipart-Vectors auf Pixabay

Und dann: Heute geht es dann richtig auf in das Neue Jahr 2023. Zunächst noch mal allen Lesern und Leserinnen ein frohe, erfolgreiches Jahr, das hoffentlich weniger turbulent wird wie die vergangenen Jahre.

Ich starte in 2023 mit zwei „Klimaaktivisten-Entscheidungen“. Es ist schon interessant zu sehen, wie sich die Themen verschieben bzw., wie Themen in den Vordergrund rücken, mit denen man bislang wenig zu tun hatte. Das war 2020 – 2022 schon die Corona-Themati, dann hatten wir beA und ich denke, in der nächsten Zeit werden uns vermehrt: „Klimaaktivisten-Entscheidungen“ beschäftigen.

Ich hatte hier Anfang Dezember 2022 ja schon den AG Tiergarten, Beschl. v. 05.10.2022 – (303 Cs) 237 Js 2450/22 (202/22) – vorgestellt (vgl. AG II: Sind Sitzblockaden der Klimaaktivisten strafbar?, oder: Keine Nötigung/kein Widerstandleisten?). Hier habe ich dann eine weitere AG-Entscheidung, die sich – recht wortreich – mit der Problematik befasst, und zwar das AG Flensburg, Urt. v. 07.11.2022 – 440 Cs 107 Js 7252/22 -, das ebenfalls frei gesprochen hat. Ich verweise wegen der Einzelheiten auf den verlinkten Volltext und stelle hier nur die Leitsätze zu der Entscheidung ein, und zwar:

  1. Die Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands gemäß § 34 StGB sind im Licht der sich sowohl aus der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG ergebenden als auch auf die Grundrechte des Grundgesetzes stützende und damit wechselseitig normativ verstärkten Bedeutung der verfassungsrechtlichen Verpflichtung zum Klimaschutz auszulegen.

  2. Die mit den Folgen des Klimawandels verbundenen Risiken bilden aktuell eine gegenwärtige Gefahr im Sinne des § 34 StGB.

  3. Unter verfassungsrechtlich gebotener Berücksichtigung der hohen Wertigkeit des Klimaschutzes sind im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit der Handlung im Sinne des § 34 StGB sowohl hohe Anforderungen an die objektiv gleiche Eignung von Handlungsalternativen zu stellen als auch dem Täter ein begrenzter Einschätzungsspielraum bei seiner ex ante erfolgenden Beurteilung einer gleichen Eignung einzuräumen.

„Der Cannabisanbau im Wohnhaus war gerechtfertigt“, oder: Geht das?

entnommen wikimedia.org
Author H. Zell

Und den Start ins Wochenprogramm macht dann das AG Grimma, Urt. v. 08.12.2017 – 2 Ls 106 Js 18122/16, das mir der Kollege Kujus aus Leipzig hat zukommen lassen. Besten Dank an den Kollegen für dieses Schmankerl.

Und ja, die Überschrift ist richtig. Das AG hat den vom Angeklagten unternommenen Anbau von Cannabis über § 34 StGB als gerechtfertigt angesehen:

„Die einzelnen Voraussetzungen der Notstandslage, der Notstandhandlung und das subjektive Rechtfertigungselement lagen vor.

Insbesondere war im Rahmen der Notstandhandlung feststellen, dass das Verhalten des Angeklagten – das Anbauen des Cannabis zu Linderung der Krankheitssymptome seines Mitbewohners – das mildeste Mittel i.S.d. § 34 StGB war. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und nach der Einvernahme des Sachverständigen stand für das Gericht fest, dass das deutsche Gesundheitssystem der sehr individuellen Krankheitssituation des Zeugen pp. über Jahre hinweg nicht gerecht wurde und der Angeklagten und der Zeuge schlicht keinen anderen Weg als den der Selbstmedikamentation mit Cannabis gehen konnten.

Insbesondere hätte auch eine weiterreichende Diagnostik an der Charite in Berlin nicht viel bewirkt. Der Sachverständige hat insoweit nachvollziehbar bestätigt, was der Angeklagte und der Zeugen pp. selbst schon meinten: Die Chance, dass durch diese Diagnostik etwas „Theraphiebares“ herausgekommen sei. sei minimal gewesen. Der Angeklagte leidet eben nicht unter einer bekannten und „normal diagnostizierbaren“ Krankheit. Vielmehr weist er zahlreichste Krankheitssymptome auf, die – wenn überhaupt – nur zu einer Ausschlussdiagnose führen können. Bei derartigen Ausschlussdiagnosen geht es aber – so auch der Sachverständige – nur um die Linderung dieser Symptome und nicht um Heilung im klassischen Sinne. Eine weitere Diagnostik hätte daher an dem Zustand des Zeugen pp. nichts geändert. im Gegenzug hätte sie für ihn aber immenses Leid gebracht und maximale Anstrengung – sowohl körperlich als auch psychisch – erfordert. Dies gab sein Zustand aber kaum noch her.

Zudem standen nach den Ausführungen des Angeklagten und des Zeugen pp. welche wiederum vom Sachverständigen bestätigt wurden, keine Medikamente zur Verfügung, die ähnliche Linderung wie Cannabis bewirkt hätten.

Eine nach damaliger Rechtslage noch notwendige Ausnahmegenehmigung nach dem BtMG war für den Zeugen pp. real nicht zu erlangen. Er selbst schilderte nachvollziehbar, dass sich kein Arzt ansatzweise näher mit seiner Wahrnehmung, dass Cannabis ihm tatsächlich helfe, die ständigen Qualen zu überstehen, beschäftigen wollte. Der Sachverständige bestätigte dies und erklärte das damit, dass der Zeuge an keiner Krankheit leidet, die gesichert als Diagnose vorliege. Die Ausschlussdiagnose Chronic Fatigue Syndrome hat bisher keiner getroffen, was seinerseits daran läge, dass sich Ärzte sowieso grundsätzlich vor derartigen Diagnosen scheuen. Sie werden nur sehr selten gestellt. Die Folge einer fehlenden Diagnose ist aber auch, dass eine Ausnahmegenehmigung kaum zu erlangen ist. In den gesamten Jahren seit 2011 habe es nur wenige tausend Fälle gegeben, die ihrerseits nur bei diagnostizierten Krankheiten – z.B. Multiple Sklerose – ausgegeben worden seien.

Der Sachverständige hat die für den Zeugen und den Angeklagten als dessen wichtigste Bezugsperson durchlittene Zeit der Suche als Tragödie bezeichnet und als Ausweg nur den Umzug in die Niederlande gesehen.

Dass ein Umzug in die Niederlande kein milderes Mittel nach § 34 StGB sein kann, steht für das Gericht mit Blick darauf, dass die Beteiligten deutsche Staatsangehörige sind, fest. Vielmehr fasst diese Einordnung des Sachverständigen die Tragik und die ganz konkrete Hilflosigkeit der Medizin in diesem ganz konkreten Fall treffend zusammen und lässt keine Zweifel an der Erforderlichkeit des Handelns des Angeklagten i.S.d. § 34 StGB.“

Ist ein Sonderfall. Also nicht unbedingt zur Nachahmung empfohelen. Das Risiko ist groß….

„Mama gefallen“ – das kann ggf. vor einem Fahrverbot retten

AusrufezeichenImmer wieder müssen sich die OLG auch in Bußgeldsachen mit Rechtfertigungsgründen auseinander setzen. So jetzt gerade erst wieder das OLG Celle im OLG Celle, Beschl. v. 01.10.2014 – 321 SsBs 60/14. Da war der Betroffene außerorts um 46 km/h zu schnell gefahren. Er hatte gegenüber dem Anhaltebeamten angegeben, er habe es eilig gehabt, seine Mutter sei gestürzt, sein Vater sei schon ein hundertprozentiger Pflegefall und er, der Betroffene, habe seiner Mutter zu Hilfe eilen wollen, da keine anderweitige Hilfe zur Verfügung gestanden habe. Das AG hatte das Vorliegen eines rechtfertigenden Notstandes gemäß § 16 OWiG verneint, da sich der Betroffene nach seiner Einlassung zum Messzeitpunkt nur noch ca. 3 Minuten Fahrtzeit vom Hof seiner Eltern entfernt befunden habe. Das OLG fährt zweigleisig:

Es verneint ebenfalls das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes, weil nicht erkennbar/festgestellt und auch vom Betroffenen nicht vorgetragen worden sei, dass ihm kein anderes Mittel zur Abwendung der Gefahr zur Verfügung gestanden hätte. Das bedeutet: Es bleibt beim Schuldspruch.

Aber beim Fahrverbot erscheint ein „kleines Licht am Ende des Tunnels“, denn:

„2. Zum Rechtsfolgenausspruch konnte das angefochtene Urteil jedoch keinen Bestand haben. Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Betroffene gegenüber dem Anhaltebeamten angegeben hat, die Geschwindigkeit überschritten zu haben, weil er seiner gestürzten Mutter habe zu Hilfe eilen wollen, da keine anderweitige Hilfe zur Verfügung gestanden habe. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass dies allein nicht ausreicht, um eine Geschwindigkeitsüberschreitung gemäß § 16 OWiG zu rechtfertigen, ist es doch anerkannt, dass ein mit einem Rettungswillen begangener Verkehrsverstoß dazu führen kann, dass nach einer Abwägung aller relevanten Umstände sich ergibt, dass dem Fahrzeugführer dieser Verkehrsverstoß nicht als grobe Pflichtverletzung anzulasten ist (vgl. OLG Köln, a. a. O.; KG Berlin, a. a. O.). Der von dem Betroffenen für die Geschwindigkeitsüberschreitung angeführte Grund stellt, sofern der Betroffene deshalb geglaubt haben sollte, zu der Geschwindigkeitsüberschreitung berechtigt gewesen zu sein, wozu abschließend noch keine Feststellungen getroffen worden sind, allenfalls einen vermeidbaren Verbotsirrtum dar, der den Schuldspruch wegen vorsätzlichen Verstoßes unberührt lässt (vgl. dazu OLG Köln, a. a. O.). Auch ein vermeidbarer Verbotsirrtum kann die Tat aber grundsätzlich in einem milderen Licht erscheinen lassen. Selbst bei irrtümlicher Annahme eines Notstandes durch den Betroffenen ist durch das Gericht daher zu prüfen, ob nicht ausnahmsweise von der Verhängung des Regelfahrverbotes abgesehen werden kann.

 Sollte dies der Fall gewesen sein, also der Betroffene irrig angenommen haben, er dürfe sich wegen einer Gefahrenlage über die Geschwindigkeitsbeschränkungen hinwegsetzen, dann ist die vorsätzliche Begehungsweise gerade typisch für diese Konfliktsituation und würde keine erhöhte Vorwerfbarkeit begründen (vgl. dazu OLG Köln, a. a. 0.). Es war daher die Rechtsfolge nicht nur hinsichtlich der Anordnung des Fahrverbotes, sondern auch hinsichtlich der Erhöhung der Geldbuße aufzuheben.“