Schlagwort-Archive: Polizeibeamter

„Mit/ohne“ Blaulicht bei „Rot“ über die Kreuzung, oder: Unfall mit dem Polizeifahrzeug

© Bildgigant - Fotolia.com

© Bildgigant – Fotolia.com

Das VG Münster hat im VG Münster, Urt. v. 05.09.2016 – 4 K 1534/15 – die Frage entschieden, ob ein Polizist, der bei einem Einsatz mit dem Dienstfahrzeug mit verspätet eingeschaltetem Blaulicht und ohne eingeschaltetes Martinshorn bei „Rot“ zeigender Ampel in eine Straßenkreuzung einfährt, grob fahrlässig handelt und deshalb dem Land im Fall eines Unfalls den am Dienstfahrzeug entstandenen Schaden ersetzen muss.

Nach dem Sachverhalt des Urteils war der Kläger im Rahmen eines Einsatzes mit dem Streifenwagen mit aktivierter Rundumbeleuchtung („Blaulicht“), jedoch ohne Martinshorn, in eine Straßenkreuzung eingefahren, die zu diesem Zeitpunkt für seine Fahrtrichtung Rotlicht gezeigt hatte. Im Kreuzungsbereich war es sodann zur Kollision mit einem von links kommenden Fahrzeug gekommen, das ungebremst in die Fahrerseite des Polizeifahrzeugs gefahren war. Das Land NRW hatte den Kläger aufgefordert, den durch den Verkehrsunfall entstandenen Schaden an dem Funkstreifenwagen – rund 19.000 € –  zu ersetzen. Dagegen hatte der Kläger geklagt. Und er hat beim VG verloren. Das hat dem Land NRW Recht gegeben.

Grundlage des vom Kläger angefochtenen Bescheides war § 81 LBG NRW in Verbindung mit § 48 Satz 1 BeamtStG. Danach hat ein Beamter, der vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihm obliegenden Pflichten verletzt, dem Dienstherrn, dessen Aufgaben er wahrgenommen hat, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Dazu sagt das VG:

Der Kläger hat den Unfall bei seinem Einsatz grob fahrlässig verursacht:

Gemessen an diesem Maßstab war es in objektiver Hinsicht grob fahrlässig, dass der Kläger ohne Einschalten des Signalhorns und zu spätem Aktivieren des Blaulichts in die für ihn durch Rotlicht gesperrte Kreuzung eingefahren ist. Selbst wenn man davon ausginge, dass das ausschließliche, versehentliche Verfehlen des Einschaltknopfs für das Signalhorn im Wege eines Augenblicksversagens noch als (einfach) fahrlässig zu werten sein könnte, so stellt dieses Unterlassen in Verbindung mit dem verspäteten Einschalten des Blaulichts einen schweren Sorgfaltspflichtverstoß dar. Damit hat der Kläger dem Querverkehr jegliche Möglichkeit genommen, auf sein herannahendes Fahrzeug noch angemessen zu reagieren. Dies hätte dem Kläger auch bewusst sein müssen. Bereits das Überfahren einer roten Ampel unter ordnungsgemäßer Einschaltung der Sondersignale birgt hohe Gefahren. Unterlässt der Beamte die rechtzeitige Warnung des Verkehrs, steigert sich diese Gefahr nochmals. Hinzu kommt, dass auch der Kläger von einer aufgrund der Bebauung nur schwer einsehbaren Kreuzung ausging, und die Dunkelheit die Sicht zusätzlich erschwerte.

Der Kläger hat auch in subjektiver Hinsicht grob fahrlässig gehandelt. Er hätte ohne Weiteres erkennen können und müssen, dass er ohne Einschalten des Signalhorns und bei zu spätem Aktivieren des Blaulichts nicht in eine für ihn mit Rotlicht gesperrte Kreuzung hätte einfahren dürfen. Der Maßstab für den Grad des Verschuldens kann insoweit nicht mit Rücksicht auf eine mögliche Stresssituation des Klägers herabgesetzt werden. Der Kläger ist ein erfahrener Polizeibeamter, der zur Einschätzung und Bewältigung einer Verfolgungssituation, zumal in dem Fall einer vermutlichen Trunkenheits- und Rotlichtfahrt eines Kleinkraftradfahrers, in der Lage sein muss. Beachtet er in einer solchen Situation die Voraussetzungen für ein Einfahren in die Kreuzung bei Rotlicht nicht, so lässt er eine gesteigerte Risikobereitschaft erkennen, die angesichts des Ausmaßes möglicher Schäden den Vorwurf grober Fahrlässigkeit rechtfertigt. In der gegebenen Verkehrslage bestand eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass Fahrzeuge aus der Querrichtung das Herannahen des Polizeifahrzeugs nicht rechtzeitig wahrnehmen würden. Es war jederzeit damit zu rechnen, dass diese Fahrzeuge in den Kreuzungsbereich einfahren würden. Im Falle einer Kollision lagen dann nicht nur bedeutende Sachschäden, sondern auch Personenschäden nahe. Es konnte nicht zweifelhaft sein, dass dies bei der gebotenen Güterabwägung den Ausschlag geben musste. Wenn der Kläger gleichwohl so selbstverständliche Vorsichtsmaßnahmen wie das Einschalten der Sonderzeichen zu spät bzw. gar nicht vornimmt, zeigt dies ein besonderes Maß an Leichtfertigkeit. Ihn entlastet nicht, dass er angesichts fehlenden (sichtbaren) Querverkehrs davon ausgegangen ist, das Wegerecht nach § 38 StVO nicht in Anspruch nehmen zu müssen. Dieser Vortrag stimmt schon nicht mit seinem Unfallbericht vom 2. November 2014 überein, wonach er Sonder- und Wegerechte (Unterstreichung durch das Gericht) in Anspruch genommen hat. Abgesehen davon entbindet ihn die fehlende eigene Sichtung eines Querverkehrs nicht von den Warnpflichten bei Inanspruchnahme der polizeilichen Sonderrechte. Ebenso wenig entlastet den Kläger, dass Vorfahrtsrechtsverletzungen zu den häufigsten Unfallursachen gehören. Diese Tatsache ist im Zusammenhang mit dem Maß der Fahrlässigkeit unerheblich. Für die Unterscheidung von einfacher und grober Fahrlässigkeit ist nicht die Häufigkeit eines Verstoßes, sondern das Gewicht der Sorgfaltspflichtverletzung entscheidend.“

 

Hooligan hält Polizeibeamten 15 bis 20 Sekunden im Würgegriff – versuchter Totschlag

© Dan Race Fotolia .com

© Dan Race Fotolia .com

Als ich am 23.05.2016 auf die PM 90/2106 des BGH gestoßen bin – überschrieben mit: „BGH: Urteil des Landgerichts Essen wegen versuchter Tötung eines Polizeibeamten bei einem Regionalliga-Fußballspiel ist rechtskräftig“ – habe ich die im Hinblick auf die bevorstehende Fußball-EM abgespeichert. Die Entscheidung , habe ich gedacht, passt ganz gut, also warte den Volltext ab. Der liegt nun mit dem BGH, Beschl. v. 23.05.2016 – 4 StR 474/15 – vor. Aber den hätte ich nicht abwarten müssen. Denn m.E. steht zur Tat, dem Urteil des LG Essen zugrunde gelegen hat, mehr in der PM als in dem Urteil. Zur Tat lässt sich der nämlich (nur) der PM entnehmen, dass der Angeklagte „den Nebenkläger [offenabr der Polizeibeamte] während der Vornahme einer Diensthandlung über einen Zeitraum von 15 bis 20 Sekunden mit voller Kraft mit beiden Armen im Würgegriff hielt“. Das LG ist von einem bedingten Tötungsvorsatz ausgegangen und hat u.a. wegen versuchten Totschlags verurteilt. Der BGH hat das (kurz) bestätigt:

„Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrüge hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Dies gilt insbesondere für die Wer-tung des Landgerichts, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt (zum bedingten Tötungsvorsatz vgl. nur BGH, Beschluss vom 27. Okto-ber 2011 – 3 StR 351/11, NStZ 2012, 151 mwN).“

Kann ein Polizeibeamter das „Recht beugen“, oder: Amtsträger?

© rcx - Fotolia.com

© rcx – Fotolia.com

Für mich gehört der Fall, auf den mich in der vergangenen Woche der Kollege, der den Beschuldigten verteidigt hat, aufmerksam gemacht hat, in die Rubrik der Kuriositäten. Jedenfalls m.E. außergewöhnlich, was sich die Staatsanwaltschaft da überlegt und zur Anklage gebracht hatte. Ich nehme dann mal den Anklagesatz der Anklageschrift vom 23.11.2015 – 105 Js 24586/15 -, in dem es heißt:

Die Staatsanwaltschaft legt aufgrund ihrer Ermittlungen dem Angeschuldigten folgen­den Sachverhalt zur Last:

Am 13.06.2015 ereignete sich zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt vor 12 Uhr auf der Bun­desstraße 20, Abschnitt 2330 – km 0.100, auf Höhe des Deschlbergtunnels, 93473 Arnschwang, ein Verkehrsunfall. PPPP. kam mit seinem Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen PPPPP. mit Anhänger mit dem amtlichen Kennzeichen PPPPP. von der Fahrband ab und durchbrach die Leitplanke. Während der Aufnahme des Unfalls kam der Angeschuldigte zu PHM PPPP. und bat diesen den Sachverhalt so aufzunehmen, dass Fahrer des Wagens nicht PPPPP., sondern sein Bruder ist. Der Grund dafür war, dass der Bruder eine Versi­cherung für diese Art von Unfällen habe. Der Angeschuldigte wollte durch seine Einwirkung PHM PPPPP. dazu bewegen, dass er die Unfallanzeige entsprechend aufnimmt. PHM PPPPP. änder­te den Sachverhalt nicht ab.

Der Angeschuldigte wird daher beschuldigt,

einen anderen Amtsträger dazu zu bestimmen versucht zu haben, sich bei der Leitung oder Ent­scheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig zu machen

strafbar als versuchte Anstiftung zur Rechtsbeugung gern. §§ 339, 30 Abs. 1, 26 StGB.“

Ja, da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich: Versuchte Anstriftung zur Rechtsbeugung? Ja ist der Polizeibeamte denn „Amtsträger“ i.S. des § 339 StGB. Nun, das hat dann auch das zuständige AG Cham im Eröffnungsverfahren geprüft und das m.E. richtige Ergebnis gefunden. Das hat dann zum AG Cham, Beschl. v. 21.01.2016 – 2 Ds 105 3s 24586/15 – geführt, in dem es nur ganz kurz heißt:

In dem Strafverfahren

gegen pp.

wegen Rechtsbeugung

erlässt das Amtsgericht Cham durch den Richter am Amtsgericht am 22.01.2016 folgenden

Beschluss

  1. Die Eröffnung des Hauptverfahrens wird aus rechtlichen Gründen abgelehnt.
  2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten trägt die Staats-kasse.

Gründe:

Dem Angeschuldigten wird mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Regensburg vom 23.11.2015 eine versuchte Anstiftung zur Rechtsbeugung gemäß §§ 339, 30 I, 26 StGB zur Last gelegt. Auf die Anklageschrift wird insoweit Bezug genommen.

Der Polizeibeamte PHM PPPP. wurde im vorliegenden Fall nicht im Rahmen der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache tätig. Er ist somit kein geeigneter Täter einer Rechtsbeugung. Entsprechend scheidet auch eine versuchte Anstiftung seitens des Angeschuldigten aus. Im Hinblick auf einen denkbaren Versuch des Versicherungsbetrugs handelt es sich bei der tatgegenständlichen Bitte des Angeschuldigten, der Zeuge PHM PPPP. solle den Sachverhalt so aufnehmen, dass der Fahrer des Wagens sein Bruder sei, allenfalls um eine straflose Vorbereitungshandlung. Das Versuchsstadium war insoweit noch nicht erreicht.

Die Eröffnung des Hauptverfahrens war daher abzulehnen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 StPO.“

Für mich: Ohne Worte bzw. nur: Vielleicht doch mal einen Blick in den Kommentar? Ich habe jedenfalls nichts gefunden, was die Ansicht der Anklage stützen könnte. Der Amtsrichter wohl auch nicht.

Als Polizeikommissar sollte man nicht „saufen“/trinken….und dann fahren

© ExQuisine - Fotolia.com

© ExQuisine – Fotolia.com

Zunächst mal mit einem „blauen Auge“ davon gekommen ist ein angehender Polizeikommissar beim OVG Lüneburg. Der Polizeikommissar hatte auf einer Feier in erheblichem Umfang alkoholische Getränke konsumiert und war dann mit seinem PKW nach Hause gefahren. Auf der Fahrt wurde er von Kollegen angehalten. Der Polizeikommissar in spe weigerte sich, denen die Fahrzeugpapiere auszuhändigen. Er gab Vollgas. Ein Polizeibeamter musste zur Seite springen, damit er nicht von dem Fahrzeug des Kollegen erfasst wurde. Der angehende Polizeikommissar setzte seine Fahrt dann mit ca. 150 km/h fort, kam mehrfach von der Fahrbahn ab, überfuhr eine Verkehrsinsel, ein Verkehrsschild sowie eine Straßenlaterne. Schließlich landete er mit seinem Fahrzeug in einem Grabe. Als Kollegen ihn aus dem Fahrzeug ziehen wollten, versuchte er, sich dem zu entziehen. Folge: Er musste fixiert werden. Eine Blutentnahme ergab dann einen BAK von von 2,03 o/oo.

Der angehende Polizeikommissar wurde aus dem Beamtenverhältnis auf Probe entlassen. Sein Dienstherr ordnete die sofortige Vollziehung dieser Verfügung an. Dagegen ging der Polizeibeamte mit einem Antrag an das VG vor, der dann jetzt beim OVG Erfolg hatte. Das OVG Lüneburg führt im OVG Niedersachsen, Beschl. v. 12.11.2014 – 5 ME 153/14 aus, dass grds. aus einem Trunkenheitsdelikt auf mangelnde charakterliche Eignung für den Beruf des Polizeibeamten geschlossen werden kann. Aber: Es können noch nicht abschließend bewertet werden, ob die dem Antragsteller vorgeworfenen Verhaltensweisen gleichwohl deshalb nicht als Indiz für eine mangelnde charakterliche Eignung angesehen werden können, weil er sich möglicherweise bei Begehung der Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit im Sinne von § 20 StGB befunden hat.

„Denn der Antragsteller hat im Beschwerdeverfahren ein im Strafverfahren eingeholtes psychiatrisches Gutachten des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Prof. Dr. F. vom 26. August 2014 (Bl. 146 ff., 167 ff. GA) vorgelegt, das dem Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung noch nicht bekannt war. In diesem Gutachten kommt Prof. Dr. F. zu dem Ergebnis, dass betreffend das dem Antragsteller vorgeworfene Verhalten am 16. Dezember 2012 die Voraussetzungen des § 21 StGB sicher gegeben waren und dass die Voraussetzungen für die Anwendung des § 20 StGB nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden können (Seiten 24 und 25 des Gutachtens, Bl. 164, 165 GA).

Die von der Antragsgegnerin vorgetragenen Bedenken gegen das Gutachten vermögen bei der im vorliegenden Verfahren nur gebotenen summarischen Prüfung letztendlich noch nicht durchzugreifen. Dass Prof. Dr. F. die Aussagen des Antragstellers gewürdigt hat, ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Zutreffend trägt die Antragsgegnerin allerdings im Beschwerdeverfahren vor und hat auch das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass eine Blutalkoholkonzentration ab 1,6 Promille auf deutlich abweichende Trinkgewohnheiten und eine ungewöhnliche Giftfestigkeit hinweist (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.5.2008 – BVerwG 3 C 32.07 -, juris; siehe auch Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, gültig ab 1. Mai 2014, Seite 72). Prof. Dr. F. setzt sich hiermit in seinem Gutachten nicht auseinander. Er hat ausgeführt (Seite 23 des Gutachtens, Bl. 163 GA), dass bei Verwendung der üblichen Rückrechnungsmethode für die Zeit von etwa 1.15 Uhr von einer Blutalkoholkonzentration von 2,6 Promille auszugehen sei. Dabei handele es sich um einen Wert, der bei nicht alkoholtoleranten Menschen (und hierzu sei der Antragsteller zu zählen) bereits zu erheblichen Ausfallerscheinungen führen könne. Dem lässt sich zumindest entnehmen, dass der Gutachter davon ausgeht, dass derartig hohe Promillewerte auch von nicht alkoholgewöhnten Personen erreicht werden können. Angesichts dessen, dass die oben genannten Begutachtungsleitlinien lediglich Grundsätze für Fahreignungsbegutachtungen vorgeben, hält der Senat die Einschätzung des Gutachters im Rahmen der Prüfung der Frage der Schuldfähigkeit im vorliegenden Einzelfall jedenfalls nicht von vornherein für unrichtig, die der Gutachter damit erklärt (Seite 20 des Gutachtens, Bl. 171 GA), dass „die biografische Entwicklung des Antragstellers keinerlei Hinweise auf das Vorliegen einer psychischen Störung einschließlich einer Alkohol- oder Drogenabhängigkeit bzw. auch nicht im Hinblick auf einen sogenannten schädlichen Gebrauch (von Alkohol)“ aufweise. Ein Widerspruch zu dieser Einschätzung lässt sich auch nicht von vornherein der Aussage des Antragstellers gegenüber dem Gutachter entnehmen, wonach er seit April 2013 regelmäßig zu einem Beratungsinstitut gehe und sich dort in kritischer Weise mit seinem persönlichen Alkoholkonsum auseinandersetze (Seite 16 des Gutachtens, Bl. 167 GA). Die Antragsgegnerin trägt selbst vor, hierbei handele es sich vermutlich um eine sog. „Verkehrstherapie“, die regelmäßig empfohlen werde, um sich auf die Medizinisch-Psychologische Untersuchung vorzubereiten, die immer dann angeordnet werde, wenn eine Alkoholfahrt mit mehr als 1,6 Promille vorliege. Auf eine Alkoholgewöhnung lässt die Teilnahme an einer solchen „Verkehrstherapie“ demnach nicht ohne weiteres schließen.“

Na ja, ob es letztlich helfen wird, wage ich zu bezweifeln. Und 2,03 bzw. 2,6 o/oo ist ja schon was.

Nicht unverzüglich vor den Richter – ggf. Freiheitsberaubung durch Unterlassen….

© Dan Race - Fotolia.com

© Dan Race – Fotolia.com

Durch das BGH, Urt. v. 04.09.2014 – 4 StR 473/13 – hat das Verfahren betreffend den Tod Quri Jallow vor einigen Wochen sein Ende gefunden. Das Verfahren hat die Justiz über einen längeren Zeitraum beschäftigt. Gegenstand des Verfahrens war der Tod des 22-jährigen aus Sierra-Leone stammenden Ouri Jallow in einer Gewahrsamszelle des Polizeireviers Dessau am 07.01.2005. Angeklagt wegen fahrlässiger Tötung war der zu diesem Zeitpunkt in dem Polizeirevier als verantwortlicher Dienstgruppenleiter tätige Polizeibeamte. Nach den Feststellungen des LG ist Ouri Jallow an einem inhalativen Hitzeschock verstorben nachdem er die Matratze in Brand gesetzt hatte, auf der er fixiert war. Dabei verwendete er ein Feuerzeug, das entweder zuvor bei seiner Durchsuchung übersehen worden war oder ein Polizeibeamter in der Gewahrsamszelle verloren hatte. Ouri Jallow war zu diesem Zeitpunkt hochgradig alkoholisiert. Er wies bei seiner Festnahme eine BAK von fast drei Promille auf. Seine Fixierung war auf Empfehlung eines Arztes erfolgt, weil er bei Aufnahme in den Gewahrsam Selbstverletzungsversuche unternommen hatte.

In einem ersten „Anlauf“ hatte das LG Dessau-Roßlau den Angeklagten im Dezember  2008 nach einer an 58 Tagen durchgeführten Hauptverhandlung vom Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge im Amt freigesprochen. Der BGH hatte dieses Urteil aufgehoben, Das LG Magdeburg hatte dann im zweiten Durchgang uim Dezember 2012 nach 67-tägiger Hauptverhandlung wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Begründung: Er habe es zugelassen habe, dass der Gewahrsam des Ouri Jallow ohne ständige optische Überwachung vollzogen worden sei.

Der BGH hat dann jetzt diese Verurteilung bestätigt. Er hat – so die PM des BGH – in Übereinstimmung mit dem LG einen Sorgfaltsverstoß des Angeklagten bejaht, weil er als zuständiger Dienstgruppenleiter nicht für eine ständige optische Überwachung des späteren Todesopfers gesorgt habe. Eine solche Überwachungsmaßnahme sei wegen der besonderen Umstände des Gewahrsamsvollzugs (starke Alkoholisierung, Gefahr weiterer Selbstverletzungen, eingeschränkte Selbstschutzmöglichkeiten infolge der Fixierung) geboten gewesen. Durch die unzureichende Überwachung des Ouri Jallow sei dessen Tod auch mitverursacht worden.

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger hat der BGH ebenfalls verworfen und hat damit das LG bestätigt, dass den Angeklagten nicht wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge schuldig gesprochen hat. Zwar habe es der Angeklagte gesetzeswidrig unterlassen, eine richterliche Entscheidung über die Freiheitsentziehung des Ouri Jallow herbeizuführen. Dieses Unterlassen sei aber für den Tod von Ouri Jallow nicht ursächlich geworden, weil – auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ – davon auszugehen sei, dass der zuständige Richter im Falle seiner Einschaltung wegen des selbstgefährdenden Verhaltens des Ouri Jallow und seiner hochgradigen Alkoholisierung den Gewahrsam zum Schutz vor Selbstverletzung für zulässig erklärt und dessen Fortdauer angeordnet hätte. Ouri Jallow wäre deshalb auch bei ordnungsgemäßem Vorgehen des Angeklagten nicht freigekommen.

Insgesamt begründet der BGH auf 43 Seiten, was man hier schlecht darstellen kann. Daher will ich mich mit den Leitsätzen begnügen, der sich auf die Revisionen von StA und Nebenkläger bezieht:

1. Hat es der hierfür verantwortliche Polizeibeamte unterlassen, nach einer ohne richterliche Entscheidung erfolgten Ingewahrsamnahme oder Festnahme, an der er selbst nicht beteiligt war, die für die Fortdauer der Freiheitsentziehung erforderliche unverzügliche Vorführung beim Richter vorzunehmen bzw. die für sie gebotene richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen, ist dies geeignet, den Vorwurf der Freiheitsberaubung durch Unterlassen zu begründen.

2. Jedoch entfällt die Kausalität eines solchen Unterlassens jedenfalls dann, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der zuständige Richter bei unverzüglicher Vorführung und rechtmäßiger Entscheidung – unter Ausschöpfung ihm zustehender Beurteilungsspielräume zugunsten des Angeklagten – die Fortdauer der Freiheitsentziehung angeordnet hätte.

Die Entscheidung ist übrigens für BGHSt bestimmt.