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Haft III: Überlanger Vollzug von Organisationshaft, oder: Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit

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Und als dritte Entscheidung dann noch der OLG Bremen, Beschl. v. 07.09.2023 – 1 Ws 89/23 – zur Abwägung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit mit dem Freiheitsrechten und Interessen des Verurteilten bei überlanger Organisationshaft.

Dazu hat das OLG Bremen, Beschl. v. 07.09.2023 – 1 Ws 89/23 – in einem umfangreich begründeten Beschluss Stellung genommen, von dem ich hier nur die Leitsätze einstelle, und zwar:

  1. Der überlange Vollzug von Organisationshaft zur Vorbereitung des Vollzugs einer angeordneten Maßregel begründet eine Verletzung des Freiheitsgrundrechts des Verurteilten.

  2. Ob eine festgestellte Rechtsverletzung durch einen überlangen Vollzug von Organisationshaft zu einer Entlassung aus der Haft zu führen hat, ist anhand einer Abwägung zu beurteilen, für die es maßgeblich ankommt einerseits auf die Gefährlichkeit des Verurteilten und die dadurch tangierten Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit sowie andererseits auf Ausmaß und Intensität der Rechtsgutsverletzung durch die verzögerte Sachbehandlung und überlange Dauer der Organisationshaft.

  3. Die zuständige Strafvollstreckungsbehörde hat grundsätzlich bereits ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Verurteilung Bemühungen um die Aufnahme des Verurteilten aus der Organisationshaft in den Maßregelvollzug einzuleiten und es ist nicht das Vorliegen der Akten oder der schriftlichen Urteilsgründe abzuwarten.

  4. Die Regelung des § 121 StPO hat keine auch nur indizielle Bedeutung für die Frage, ob als Ergebnis dieser Abwägungsentscheidung jedenfalls nach einem sechsmonatigen Vollzug von Organisationshaft eine Entlassung aus der Haft zu erfolgen hat.

Haft III: Zulässige Dauer der Organisationshaft, oder: Nicht in der Regel bis zu drei Monaten

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Und als letzte Entscheidung dann noch einmal etwa zur (zulässigen) Dauer der sog. Organisationshaft, und zwar den OLG München, Beschl. v. 15.03.2023 – 3 Ws 119/23.

Wegen des Verfahrensablaufs verweise ich auf den verlinkten Volltext. Das OLG hat die weitere Organisationshaft als unzulässig angesehen. Dazu der Leitsatz:

„Es gibt keinen Grundsatz, nachdem ein Vollzug von Organisationshaft bis zur Dauer von drei Monaten in der Regel rechtmäßig sei. Vielmehr ist der Vollzug von Organisationshaft nur dann rechtmäßig, wenn diese sich nicht vermeiden lässt, obwohl sich die Vollstreckungsbehörden, sobald ihnen bekannt wird, zu welchem Zeitpunkt ein Platz für den Vollzug einer Maßregel benötigt wird, unverzüglich im Rahmen des Möglichen darum bemühen, diesen Platz zu beschaffen.“

Rest dann bitte selbst lesen.

Haft II: Zulässige Dauer der sog. Organisationshaft, oder: Nach fünf Monaten ist es genug

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Die zweite Entscheidung, der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02.02.2023 – 1 Ws 97/22 – äußert sich zur zulässigen Dauer der sog. Organisationshaft.

Mit Urteil vom 12.04.2021, rechtskräftig seit 20.04. 2021, wird gegen den Verurteilten im Rahmen einer Verurteilung wegen Verstoßes gegen das BtMG nach § 64 StGB die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Der zugleich bestimmte Vorwegvollzug der Strafe von 27 Monaten war durch Anrechnung der in einer einbezogener Sache erlittenen Untersuchungshaft sowie den anschließenden Vollzug von Strafhaft  erledigt. Der Verurteilte wurde indes erst am 24. Februar 2022 — also nach mehr als neunmonatiger Organisationshaft — aus der JVA Düsseldorf zum Vollzug der Maßregel in die LVR-Klinik Bedburg-Hau überführt.

Wegen der Einzelheiten des Verfahrensablaufs und des Hin und Her verweise ich auf den verlinkten Volltext. Der Verurteilte hat am 22.10.2021 seine Entlassung eantragt, hilfsweise die umgehende gerichtliche Entscheidung über seinen Antrag, die Organisationshaft für unzulässig zu erklären und ihn aus der Haft zu entlassen. Diesen Antrag hat die kleine Strafvollstreckungskammer des LG Düsseldorf mit Beschluss v. 09.11.2021 zurückgewiesen. Dagegen hat der Verurteilte am 20.11.2021 eingelegt, die zunächst nicht zu den Akten gelangt und bis zu einer Sachstandsanfrage seines Verteidigers am 18.02.2022 — offenbar versehentlich — unbearbeitet geblieben ist. Mit Schriftsatz vom 02.03.2022 hat der Verteidiger mitgeteilt, dass er nach am 24.02.2022 erfolgter Verlegung des Verurteilten in den Maßregelvollzug die sofortige Beschwerde mit dem Begehren aufrecht erhalte, die Grundrechtswidrigkeit der Organisationshaft festzustellen.

Dem Antrag ist das OLG nachgekommen:

„Zwar ist die zunächst nach § 462 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte und — mangels förmlicher Zustellung – auch fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde durch die Verlegung des Untergebrachten in den Maßregelvollzug prozessual überholt und damit erledigt. Der Untergebrachte hat sein Rechtsmittel jedoch in zulässiger Weise in einen Feststellungsantrag umgestellt. Es besteht ein schutzwürdiges Interesse des Beschwerde-führers an der nachträglichen Feststellung, ob die gegen ihn vollzogene Organisations-haft (grund)rechtswidrig war (vgl. BVerfG NJW 2006, 427).

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (a.a.O.) darf auf der Grundlage der Maßregelanordnung für eine Übergangszeit, deren Dauer sich nach den Umständen des Einzelfalls richtet, „Organisationshaft“ vollzogen werden. Verfassungs-rechtlich geboten ist es allerdings, dass die Vollstreckungsbehörde unverzüglich und mit größtmöglicher Beschleunigung darauf hinwirkt, dass der Verurteilte in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Rechtskraft des Urteils und der Erledigung eines etwaigen Vorwegvollzuges in eine Entziehungsanstalt — gegebenenfalls auch in einem anderen Bundesland — überführt wird. Steht ein solcher Platz nicht zur Verfügung, muss der Verurteilte freigelassen werden (BVerfG, a.a.O. m.w.N.; vgl. auch OLG Hamm, Beschlüsse vom 25. November 2003 — 4 Ws 537/03, 4 Ws 569/03 und vom 7. Mai 2019 —111-1 Ws 209/19 m.w.N.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 20. September 2020 — 1 Ws 357/20 m.w.N. <jeweils juris>).

2. Gernessen an diesen Grundsätzen waren die Voraussetzungen für eine Vollstreckung der Organisationshaft seit dem 7. Oktober 2021 nicht mehr gegeben.

Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth hatte sich zunächst sehr zeitnah bereits zehn Tage nach Eintritt der Urteilsrechtskraft mit der Bitte um Amtshilfe an die Staatsanwaltschaft Düsseldorf gewandt, die ihrerseits unverzüglich den LVR als örtlich zuständige Maßregelvollzugsbehörde um Zuweisung eines Behandlungsplatzes für den Verurteilten ersucht und in der Folgezeit immer wieder mit Nachdruck auf die Dringlichkeit der Aufnahme hingewiesen hat. Auch wenn nicht sofort ein konkreter Aufnahmetermin benannt werden konnte und zudem bekannt war, dass die Organisation wegen der angespannten Belegungssituation geraume Zeit in Anspruch nehmen werde, durfte die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth zunächst auf das Freiwerden eines Therapieplatzes im zuständigen Bezirk warten, zumal der LVR immerhin ein „zeitnahes Bemühen“ in Aussicht gestellt hatte. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat der Verurteilte keinen Anspruch darauf, exakt mit Rechtskraft des zu vollstreckenden Urteils — oder wie hier mit dem Ende des Vorwegvollzuges — in eine Vollzugseinrichtung überführt zu werden, weil nicht für jeden im Vorfeld nicht vorhersehbaren Einzelfall ein freier Platz vorgehalten werden muss (BVerfG a.a.O.). Der Verurteilte hat vielmehr — jedenfalls bei unverzüglicher Anmeldung des Bedarfs durch die Vollstreckungsbehörde — eine gewisse Wartezeit hinzunehmen, deren zulässige Höchstdauer sich nach den Umständen des Einzelfalles bestimmt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. März 2021 —111-2 Ws 37/21; OLG Hamm a.a.O; OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. April 2022 — 7 Ws 51/22 <jeweils juris>). Insoweit war hier mit Blick auf die aus der Corona-Pandemie resultierenden Unwägbarkeiten und Einschränkungen bei der Planung stationärer Klinikaufenthalte einerseits sowie mit Rücksicht auf das aus der Schwere der Anlasstaten und der suchtbedingten Unzuverlässigkeit des Verurteilten folgende besondere Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit andererseits ein großzügigerer Maßstab anzulegen. Vor diesem Hintergrund begegnet es noch keinen durchgreifenden Bedenken, dass die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth nicht sogleich parallele Bemühungen um eine Unterbringung des Verurteilten in Bayern entfaltet hat. Nachdem die Staatsanwaltschaft Düsseldorf mit Telefax vom 3. August 2021 definitiv mitgeteilt hatte, dass bis zum Ablauf des 12. August 2021 — also innerhalb einer dort offenbar als zeitliche Obergrenze betrachteten Frist von drei Monaten — ein Unterbringungsplatz im zuständigen Bereich des LVR nicht zugesichert werden könne, hat die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth mit Verfügung vom 9. September 2021 eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um mit Nachdruck auf eine zeitnahe Platzbeschaffung in Bayern hinzuwirken. Den mit der Klärung diesbezüglicher Erfolgsaussichten verbundenen Zeitaufwand hatte der Verurteilte mit Rücksicht auf die Gesamtumstände noch hinzunehmen, womit er sich im Übrigen unter Rücknahme seines Entlassungsgesuchs vom 30. August 2021 auch ausdrücklich einverstanden erklärt hatte.

Ausweislich der nachfolgend zwischen den beteiligten Staatsanwaltschaften gewechselten Schreiben stand dann jedoch am 7. Oktober 2021 fest, dass auch die weiteren Bemühungen fruchtlos verlaufen waren und dem Verurteilten weder in Nordrhein-Westfalen noch in Bayern ein Therapieplatz zur Verfügung gestellt oder auch nur die realistische Erwartung einer baldigen Aufnahme eröffnet werden konnte. Nachdem es der Staatsanwaltschaft nunmehr über einen Zeitraum von knapp fünf Monaten nicht gelungen war, den Verurteilten in den Maßregelvollzug zu überführen und überdies nach wie vor nicht einmal ein konkreter. Aufnahmetermin in Aussicht stand, war ein weiteres Zuwarten auf einen freien Platz auch unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit ab diesem Zeitpunkt nicht mehr vertretbar. Allein die fehlenden Aufnahmekapazitäten der Entziehungsanstalten vermochten einen weiteren Vollzug der Organisationshaft nicht zu rechtfertigen. Denn einem eindeutigen Gesetzesbefehl darf die Gefolgschaft nicht deshalb versagt werden, weil die Exekutive nicht die zu seiner Durchführung erforderlichen Mittel bereit hält (vgl. BVerfG a.a.0; BGHSt 28, 327; OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.).“

Haft III: Zulässige Dauer der Organisationshaft, oder: Bloßes Warten auf einen Therapieplatz reicht nicht

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Und als dritte Entscheidung dann ein Beschluss aus dem Bereich der sog. Organisationshaft, und zwar der LG Mannheim, Beschl. v. 01.02.2021 – R 19 StVK 13/21 – mit folgendem Sachverhalt:

Am 5.10.2020 verurteilte das LG wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu vier Jahren Freiheitsstrafe. Zudem ordnete es die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Das Urteil ist seit dem 13.10.2020 rechtskräftig.

Bereits am 07.10.2020 hatte die Vollstreckungsabteilung der Staatsanwaltschaft beim Landgericht erbeten, die Rechtskraft des Urteils umgehend mitzuteilen. Eine entsprechende Mitteilung machte das LG dann am 15. und erneut am 20.10.2020. Am 21.10.2020 richtete die Staatsanwaltschaft eine Anfrage an die Koordinierungsstelle für Aufnahmen in eine Entziehungsanstalt in Baden-Württemberg, wann aufgenommen werden könne. Am gleichen Tag ließ die Staatsanwaltschaft über die Justizvollzugsanstalt bei pp. anfragen, ob er auch mit einer Unterbringung in einem anderen Bundesland einverstanden sei. Dieser ließ unter dem 23.10.2020 mitteilen, dass er auch mit einer Unterbringung in Schleswig-Holstein einverstanden sei.

Am 06. und am 16.11.2020 erinnerte die Staatsanwaltschaft beim Zentrum für Psychiatrie Calw an ihr Aufnahmeersuchen. Mit Schreiben vom 17.11.2020, bei der Staatsanwaltschaft eingegangen am 19.112020, erhielt die Staatsanwaltschaft die Information des ZfP Calw, dass      dort am 05.05.2021 aufgenommen werden könne. Gleiches teilte die Koordinierungsstelle mit Schreiben vom 23.11.2020 mit. Weiter bat sie die Staatsanwaltschaft um Mitteilung, falls gegen die Organisationshaft Rechtsmittel eingelegt werde und die Besorgnis bestehe, der Unterzubringende könnte auf freien Fuß kommen. In diesem Fall wolle man „nochmals prüfen [..,], ob die aktuelle Belegungssituation in einem der ZfP eine vorgezogene Aufnahmemöglichkeit zulässt.“ Schließlich wies die Koordinierungsstelle darauf hin, das „ab Frühjahr 2021 UI im ZfP Weinsberg 30 weitere Therapieplätze zur Verfügung stehen‘ werden. Man gehe daher davon aus, „dass sich der Aufnahmetermin deutlich nach vorne verschieben kann.“

Am 24.11.2020 richtete die Staatsanwaltschaft Mannheim eine (in der Vollstreckungsakte nicht dokumentierte) Anfrage an das Sozialministerium. Daran anschließend bat das Justizministerium das Sozialministeriums mit E-Mail vom 25.11.2020 „um zeitnahe Mitteilung eines akzeptablen Aufnahmetermins, um eine Freilassung wegen unverhältnismäßig langer Organisationshaft zu vermeiden.“ Noch am 25.112020 teilte das Sozialministerium mit, dass der schleswig-holsteinische Maßregelvollzug derzeit keine Patienten aus anderen Bundesländern aufnehme, der Verlegungswunsch aber vermerkt worden sei.

Mit Schreiben vom 12.01.2021 beantragte dann die Verteidigerin, pp. aus der Organisationshaft zu entlassen, hilfsweise gerichtliche Entscheidung darüber. Mit Verfügung vom 14,1.2021 hat die Staatsanwaltschaft die Entlassung abgelehnt und die Sache der Strafvollstreckungskammer zur Entscheidung vorgelegt.

Das LG hat den Verurteilten entlassen. Es meint (zusammengefasst):

Welche Dauer der sog. Organisationshaft vertretbar ist, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen, wobei die konkreten Bemühungen der Vollstreckungsbehörde um einen Platz im Maßregelvollzug zu berücksichtigen sind. Die Organisationshaft ist nicht zu rechtfertigen, wenn die Vollstreckungsbehörde die Umsetzung. des Urteils nach Rechtskraft nicht unverzüglich und beschleunigt einleitet. Sie ist auch nicht zu rechtfertigen, wenn die Umsetzung allein an fehlenden Ressourcen im Maßregelvollzug scheitert. Bloßes Warten auf einen mittel- oder langfristig freiwerdenden Therapieplatz kann die Organisationshaft nicht begründen.