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„Time ist money“, oder: Was daraus wurde, wenn der Polizeibeamte nicht wartet….

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Ich hatte heute morgen über das AG Oldenburg i.H, Urt. v. 07.03.2013 – 7 Cs 752 Js 28302/12 (504/12), das den Angeklagten wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung verurteilt hat, berichtet (vgl. hier “Time is money”, oder: Halbes Stündchen warten muss der Polizeibeamter nicht). Die Sache ist nicht rechtskräftig geworden, sondern ist beim OLG Schleswig gelandet. Das hat im OLG Schleswig, Beschl. v. 25.06.2013 – 1 Ss 60/13 (87/13) – das AG-Urteil aufgehoben. Aber nicht wegen der § 81a StPO-Problematik. Dazu merkt das OLG nur an:

„Dabei ist nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht seine Überzeugung, der Angeklagte habe das fragliche Fahrzeug zur Tatzeit gelenkt, nachdem er zuvor so viel Alkohol zu sich genommen hatte, dass die ihm entnommen Blutprobe 2,93 Promille Alkohol enthielt, auf das schriftliche Gutachten der Staatlichten Blutalkohol- Untersuchungsstelle in Kiel vom 1. Juni 2012 gestützt hat. Das Untersuchungsergebnis unterliegt keinem Beweisverwertungsverbot. Das Amtsgericht hat mit ausführlicher und überzeugender Begründung dargelegt, dass der Polizeibeamte zunächst versuchte, eine richterliche Entscheidung zu erlangen und dass nach der ihm erteilten Auskunft ein Richter frühestens in einer halben Stunde erreichbar gewesen sei. Der Beamte durfte angesichts der Unsicherheit, ob der zuständige Richter tatsächlich nach Ablauf einer halben Stunde erreichbar sein würde, die Entnahme der Blutprobe selbst anordnen. Jedenfalls – worauf das Amtsgericht zutreffend hingewiesen hat, war die Entscheidung des Polizeibeamten in dieser Situation keinesfalls willkürlich.“

Aber nicht gefallen haben dem OLG die Ausführungen des AG zur verminderten Schuldfähigkeit:

„Die Erwägungen, mit denen das Amtsgericht eine erhebliche Verminderung oder einen Ausschluss der Steuerungsfähigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB ausgeschlossen hat, begegnet jedoch durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Amtsgericht ist zugunsten des Angeklagten von einer maximalen Blutalkoholkonzentration von 3,5 Promille oder sogar noch knapp darüber ausgegangen. Das Amtsgericht führt aus, dass der Angeklagte aber trotz seiner hohen Alkoholisierung keine deutlichen Ausfallerscheinungen gezeigt habe. Denn er sei bis zum Unfall noch in der Lage gewesen, einen Pkw zu führen. Gegen den am Tatort eingesetzten Polizeibeamten habe er keine deutlichen alkoholbedingten Auffälligkeiten gezeigt. Er sei in der Lage gewesen, ein geordnetes Gespräch mit den Polizeibeamten zu führen und die Entscheidung über eine freiwillige Entnahme einer Blutprobe zu treffen. Der Polizeibeamte habe nach seinem Eindruck keinen volltrunkenen Angeklagten angetroffen. Bei seiner Zeugenaussage habe er lediglich überlegt, ob der Angeklagte mittelgradig oder stark alkoholisiert gewesen sei, woran er sich nicht mehr sicher erinnert habe. Dies sowie der Grad der Alkoholisierung zur Mittagszeit spreche dafür, dass der Angeklagte erheblich Alkohol gewohnt sei und daher trotz seiner erheblichen Alkoholisierung in der Lage gewesen sei, das Unrecht seines Handelns zu erkennen und nach dieser Einsicht zu handeln.

Mit diesen Ausführungen verkennt das Amtsgericht die an seine Überzeugungsbildung zu stellenden Anforderungen. Zwar ist im Ausgangspunkt die Annahme des Amtsgerichts zutreffend, dass es nach der neueren gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keinen Rechts- oder Erfahrungssatz gibt, der es gebietet, ohne Rücksicht auf die im konkreten Fall feststellbaren psychodiagnostischen Kriterien ab einer bestimmten Höhe der Blutalkoholkonzentration regelmäßig von erheblich verminderter Schuldfähigkeit auszugehen, und dass für die Beurteilung der Schuldfähigkeit, eine Gesamtschau aller wesentlichen objektiven und subjektiven Umstände maßgeblich ist, die sich auch auf das Erscheinungsbild des Täters vor, während und nach der Tat beziehen (vgl. BGH Urteil vom 29 Mai 2012 — m. w N. zitiert nach juris). Die Erwägungen, die das Amtsgericht dazu veranlassten, trotz der erheblichen Alkoholisierung von voller Verantwortlichkeit des Angeklagten auszugehen, sind aber lückenhaft und zum Teil widersprüchlich. Hinsichtlich des Erscheinungsbilds des An- geklagten hat das Amtsgericht allein die Aussage des Polizeibeamten herangezogen, wonach der Angeklagte nach seinem Eindruck nicht volltrunken, sondern lediglich mittelgradig oder möglicherweise auch stark alkoholisiert war. Hierbei handelt es sich lediglich um Wertungen des Polizeibeamten, die so nicht nachvollziehbar sind. Hier hätte es der Mitteilung bedurft, ob und ggf. welche alkoholbedingten Ausfallerscheinungen der Polizeibeamte wahrnahm und bei welchen Ausfallerscheinungen er von einem „volltrunkenen“ Angeklagten einerseits und einem „stark alkoholisierten“ Täter ausgeht. Auch bleibt offenen, woher der Tatrichter die Erkenntnis nimmt, dass der Angeklagte bis zu dem Unfall in der Lage war, einen Pkw zu führen. Das Urteil enthält keinerlei Feststellungen über das Fahrverhalten des Angeklagten bis zum Unfall, insbesondere nicht dazu, ob der Angeklagte grundlos möglicherweise wechselnde Geschwindigkeiten oder Schlangenlinien fuhr oder Verkehrszeichen missachtete.

 

„Helmpflicht durch die Hintertür“? – das OLG Schleswig und der Fahrradhelm…

Der Blätterwald rauscht seit einigen Tagen und auch in den Blogs geht es hin und her. Berichtet wird über das OLG Schleswig, Urt. v. 05.06.2013 – 7 U 11/12 – zum Mitverschulden eines Fahrradfahrers, der keinen Fahrradhelm getragen hat. Ist m.E. schon ganz schön mutig, ein Mitverschulden anzunehmen, obwohl es eine Helmpflicht für Radfahrer nach wie vor nicht gibt. Ich wollte aber, da ich meine nur noch rudminetär vorhandenen zivilrechtlichen Kenntnisse nicht übermäßig strapazieren will, über das Thema an sich nicht weiter berichten, um mich nicht auf „vermintes Gelände zu begeben“.

Aber: Nun doch, und zwar einmal um auf den Volltext hinzuweisen (vgl. hier: OLG Schleswig. Urt. v. 05.06.2013 – 7 U 11/12) und um auf einen Kommentar bei LTO aufmerksam zu machen. Dort hat sich Prof. Dieter Müller kritisch zu dem Urteil geäußert, nachzulesen hier unter: „OLG Schleswig-Holstein zur Radfahrerhaftung – Helmpflicht durch die Hintertür„.

Die Fachzeitschriften werden sicherlich in den nächsten Monaten von weiteren klugen Stellungnahmen zu dem Urteil voll sein – so füllen wir das Sommerloch. Ich bin mal gespannt, ob und wie die Politik reagieren wird. Noch haben wir aus Berlin von P. Ramsauer nichts gehört. Aber der hat im Moment sicherlich auch mehr mit seiner Punkterefom zu tun, die er am kommenden Freitag (27.06.2013) durch den Vermittlungsausschuss des Bundesrates bringen muss. In der Vergangenheit hat die Politik der Helmpflicht eher ablehnend gegenüber gestanden (vgl. Helmpflicht für Radfahrer – kommt sie? Wohl eher nicht….).

Eltern aufgepasst – die Aufsichtspflicht beim Feuerwerk in der Silvesternacht

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Das Ende des Jahres naht und damit die Silvesterknallerei. Wer Kinder hat/hatte, weiß um den Reiz, den das Feuerwerk und die Feuerwerkskörper und die Silvesterknallerei ausmachen. Daher zur Warnung/Mahnung an alle Eltern, die heute mit ihren Kindern an einem Feuerwerk teilnehmen bzw. das selbst veranstalten wollen, der Hinweis auf das OLG Schleswig, Urt. v. 12.11.1998 – 5 U 123/97, das sich mit der Aufsichtspflicht aus § 832 BGB befasst.

Die Leitsätze

1. Einem 7 1/2-jährigen Jungen das selbständige Abbrennen von Feuerwerkskörpern zu gestatten, begründet eine Verletzung der Aufsichtspflicht und eine Haftung der Eltern nach § 832 BGB.

2. Bei der Teilnahme am Feuerwerk in der Silvesternacht dürfen die aufsichtspflichtigen Eltern ein Kind dieses Alters nicht aus den Augen lassen und haben in Rechnung zu stellen und zu verhindern, daß Blindgänger gesucht und erneut gezündet werden.

Nicht Rosen, sondern Haftung für den Staatsanwalt?

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Mit einem (Sonder)Problem, dass in der Praxis m.E. noch nicht an vielen Stellen behandelt ist, befasst sich das OLG Schleswig, Urt. v. 14.08.2012 – 11 U 128/10, nämlich der Frage der Amtspflichten der StA im Ermittlungsverfahren und der weiteren Frage nach Entschädigung, wenn die der StA obliegenden Amtspflichten verletzt worden sind. Es ging/geht offenbar – leider hat das Urteil keinen Tatbestand – um die Pflichten in Zusammenhang mit der Durchführung und Einstellung eines Ermittlungsverfahrens.

Dazu das LG in den amtlichen Leitsätzen:

1. Im Amtshaftungsprozess ist die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, nicht auf ihre „Richtigkeit“, sondern allein daraufhin zu überprüfen, ob sie vertretbar ist. Die Vertretbarkeit darf nur dann verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege die Einleitung der Ermittlungen gegen den Beschuldigten nicht mehr verständlich ist.

2. Die zum Zwecke der Akteneinsicht im Disziplinarverfahren übersandte Ermittlungsakte einer Staatsanwaltschaft ist als Übersendung an eine andere Justizbehörde im Sinne von § 474 Abs. 1 StPO zu qualifizieren. Weil es nicht der Staatsanwaltschaft obliegt, die Erforderlichkeit der Akteneinsicht für das Disziplinarverfahren zu überprüfen, sondern allein der beantragenden Justizbehörde selbst, stellt sich die Übersendung auch nicht als Amtspflichtverletzung dar.

Die Gebührenberechnung der verstorbenen Rechtsanwältin

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§ 1o RVG schreibt vor, dass der Rechtsanwalt seine Gebühren gegenüber dem Auftraggeber entsprechenden den Vorgaben des § 10 RVG berechnen muss, sonst kann er die Gebühren nicht „einfordern“. Eine ordnungsgemäße Berechnung setzt – verkürzt ausgedrückt – voraus, dass der Rechtsanwalt in seiner Berechnung deutlich macht, was der Mandant aus welchem Grudn zahlen muss. Der Rechtsanwalt muss die Berechnung unterschreiben und damit die Verantwortung übernehmen (§ 352 StGB !!).

Das ist natürlich schwierig, wenn der Rechtsanwalt verstorben ist. Frage: Muss ein Abwickler bestellt werden? Nein, sagt das OLG Schleswig, Urt. v. 19.04.2012 – 11 U 63/11 – und bringt ein wenig Entlastung:

Die vorstehend zitierten Regelungen fordern als zwingende Voraussetzung zur Geltendmachung einer Gebührenforderung die Unterschrift des Rechtsanwalts. Mit der Unterschrift übernimmt der Rechtsanwalt die strafrechtliche (§ 352 StGB), zivilrechtliche und auch berufsrechtliche Verantwortung für den Inhalt der Berechnung (Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert-Madert, aaO., Rz. 6; Riedel/Sußbauer-Fraunholz, Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung, 8. Auflage 2000, § 18, Rz. 10; Schneider/Wolf-Schneider, aaO., Rz. 48; Schneider AnwBl. 2004, 510 [511]). Zu Recht wird die Unterzeichnung durch den Rechtsanwalt deshalb nicht als wertloser Formalakt aufgefasst (Riedel/Sußbauer-Fraunholz, aaO.). Gleichwohl sind in der Rechtsprechung verschiedene Konstellationen bereits behandelt worden, in denen die Anforderungen an eine eigenhändige Unterschrift durch den abrechnenden Rechtsanwalt aufgelockert wurden. Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung vom 02.07.1998 zwar noch offen gelassen, ob eine § 18 BRAGO entsprechende Mitteilung der Berechnung vorgenommen worden ist, wenn die von einem anderen Rechtsanwalt unterzeichnete Klageschrift auf die beigefügte „vorläufige“ Kostenrechnung Bezug nimmt (BGH vom 02.07.1998, IX ZR 63/97, Rz. 37 bei Juris), doch lässt sich aus anderen Entscheidungen entnehmen, dass die Unterzeichnung durch einen Prozessbevollmächtigten des Rechtsanwalts jedenfalls dann als ausreichend angesehen wird, wenn der Rechtsanwalt nicht mehr in seinem Beruf tätig werden darf (OLG Düsseldorf MDR 2000, 360, Rz. 20 bei Juris). Diese Rechtsprechung ist auf die vorliegende Fallkonstellation zu übertragen. Die seinerzeit tätige, inzwischen verstorbene, Rechtsanwältin Dr. G. ist ebenfalls nicht mehr in der Lage, die Gebührenrechnung zu unterzeichnen. Der Zweck der Unterzeichnung der Gebührenrechnung, nämlich die Übernahme der inhaltlichen Verantwortung, erfordert es nicht, dass nur zum Zwecke der Unterzeichnung der bereits erstellten Gebührenrechnung ein Abwickler für die bereits aufgelöste Rechtsanwaltskanzlei der verstorbenen Rechtsanwältin Dr. G. gemäß § 53 BRAO bestellt wird. Vielmehr reicht es zur Übernahme der strafrechtlichen, zivilrechtlichen und standesrechtlichen Verantwortung für die Rechnung aus, wenn der Prozessbevollmächtigte des Rechtsnachfolgers der verstorbenen Rechtsanwältin die Gebührenrechnung nicht nur erarbeitet, sondern auch unterschreibt.