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Das radfahrende Kind – die Aufsichtspflicht der Eltern

entnommen wikimedia.org

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Schon ein wenig länger hängt in meinem Blogordner das LG Saarbrücken, Urt. v. 13.02.2015 – 13 S 153/14. Das passt heute ganz gut zu dem frühlingshaften Wetter. Denn: Es behandelt das „radfahrende Kind“ bzw. die Aufsichtspflicht der Eltern. Im Streit waren die Kosten aus einem Verkehrsunfall, an dem der zum Unfallzeitpunkt acht Jahre alte Sohn der beklagten mit seinem Fahrrad beteiligt war. Seine Eltern wurde auf Schadensersatz nach §§ 823, 832 BGB in Anspruch genommen. Vom AG sind sie verurteilt worden, das LG hat das Urteil aufgehoben.

Das LG sieht keine Verletzung der Aufsichtspflichtverletzung der Eltern:

„Entsprechend dieser Grundsätze dürfen sich schulpflichtige Kinder grundsätzlich bereits ab dem 6. Lebensjahr allein im Straßenverkehr bewegen, wenn keine speziellen Gefahrenquellen entgegenstehen. Denn zum Erlernen eines selbstständigen und umsichtigen Verhaltens im Straßenverkehr gehört die Möglichkeit, sich ohne ständige direkte Kontrolle und Anleitung im Verkehr zu bewähren (vgl. OLG Koblenz, Schaden-Praxis 2009, 280; Staudinger/Belling, BGB, Neubearbeitung 2012, § 832 Rn. 137; Lang, jurisPR-VerkR 19/2014 Anm. 2; ders., 51. Deutscher Verkehrsgerichtstag 2013, S. 61, 82, jew. m.w.N.). Beherrscht ein Kind das Radfahren in technischer Hinsicht, setzt die Erfüllung der Aufsicht der Eltern dann voraus, dass das Kind über Regeln und Gefahren der Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr mit dem Fahrrad belehrt wurde (vgl. OLG Koblenz aaO; Staudinger aaO; Kuhn, 51. Deutscher Verkehrsgerichtstag 2013, S. 43, 52). Daneben kommt es für die Beurteilung der Frage, ob in der konkreten Verkehrssituation eine Verletzung der Aufsichtspflicht der Eltern dadurch, dass sie nicht präsent waren, darauf an, ob das Kind mit der Wegstrecke vertraut war (OLG Koblenz aaO mit Verweis auf BGH, Urt. v. 07.07.1987 – VI ZR 176/86, VersR 1988, 83).

c) Hiervon ausgehend haben die Beklagten vorliegend den Entlastungsnachweis erbracht. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass das Kind von den Beklagten nicht im Einzelnen über das in einer entsprechenden Verkehrssituation gebotene Verhalten aufgeklärt worden ist. Unter den hier gegebenen Umständen genügte indes die von der Zweitbeklagten plausibel bekundete und auch von dem Kind bestätigte allgemeine Belehrung, wonach langsam zu fahren und auf das „Vorrecht“ von Autos zu achten ist, den Anforderungen an eine entsprechende Belehrung.
aa) Wie weit die Belehrungs- und Unterrichtungspflicht der Aufsichtspflichtigen über die Regeln und Gefahren im Straßenverkehr gegenüber radfahrenden Kindern reicht, hängt maßgeblich davon ab, auf welchen Strecken sich das Kind im Einverständnis mit den Aufsichtspflichtigen im Straßenverkehr bewegt. Die Belehrung und Unterrichtung von radfahrenden Kindern über die einzuhaltenden Verkehrsregeln und die Gefahren muss daher umso eingehender und nachhaltiger sein, je gefahrenträchtiger die befahrene Wegstrecke ist.
bb) Vorliegend handelt es sich bei dem gesamten Bereich, in dem der Sohn der Beklagten geradelt ist, um einen verkehrsberuhigten Bereich in unmittelbarer Nähe zur elterlichen Wohnung. In solchen Bereichen dürfen Eltern ihren Kindern gerade wegen der Funktion der Verkehrsberuhigung größere Freiheiten lassen als in „normalen“ Straßen. Deshalb ist auch eine unbeaufsichtigte Teilnahme am Straßenverkehr durch fahrradfahrende Kinder in verkehrsberuhigten Zonen – wie hier – ohne weiteres zulässig (Staudinger aaO Rn. 137; Kuhn, 51. Deutscher Verkehrsgerichtstag 2013, Schriftenreihe, S. 43, 53), da nur in diesen Verkehrsbereichen die Defizite der Kinder durch entsprechend vorsichtiges und verantwortungsbewusstes Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer ausgeglichen werden (Staudinger aaO Rn. 137; vgl. für eine Sackgasse auch LG Coburg, Hinweisbeschluss vom 21.08.2008 – 33 S 66/08, Pressemitteilung vom 26.09.2008 Nr. 386/08, abgedruckt in juris). Für den Umfang der Belehrungs- und Unterrichtungspflicht der Aufsichtspflichtigen folgt hieraus, dass die Aufsichtspflichtigen das Kind beim Radfahren in verkehrsberuhigten Bereichen nicht mit einzelnen Verkehrsregeln vertraut machen und deren Beherrschung gar überprüfen müssen. Vielmehr genügt es beim Befahren von verkehrsberuhigten Bereichen, die nicht zum fließenden Verkehr gehören (vgl. Kammer, Urt. v. 20.07.2007 – 13 A S 13/07, DAR 2008, 216), wenn das Kind – wie hier – über allgemeine Gefahren des Straßenverkehrs und den im ruhenden Verkehr maßgeblichen Grundsatz der gegenseitigen Rücksichtnahme (vgl. nur Kammer, Urt. v. 19.07.2013 – 13 S 61/13, ZfS 2013, 564 m.w.N.) auch im Verhältnis zu Autofahrern aufgeklärt und zu dessen Beachtung angehalten worden ist.
cc) Die Kammer ist schließlich davon überzeugt, dass der Sohn der Beklagten im Übrigen in der Lage war, ohne weitere Unterrichtung oder gar Beaufsichtigung den verkehrsberuhigten Bereich im Umfeld der elterlichen Wohnung, mithin in einem ihm ohne weiteres bekannten Bereich, allein mit seinem Rad zu befahren. Denn er war – wie sich aus der Anhörung der Zweitbeklagten und der Vernehmung des Kindes nachvollziehbar ergibt – im Radfahren geübt und hatte bis zum streitigen Vorfall durch seine Fahrweise keinen Anlass gegeben, ihn „engmaschiger“ zu überwachen (vgl. hierzu auch LG Coburg, Hinweisbeschluss vom 21.08.2008 – 33 S 66/08, Pressemitteilung vom 26.09.2008 Nr. 386/08, abgedruckt in juris).“

Der 8-jährige und der Silvesterknaller

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Die Parteien haben – zuletzt beim OLG Celle –  um Schadensersatzansprüche aufgrund eines Brandschadens gestritten, den der zur Tatzeit acht Jahre alte Sohn A. der Beklagten am 24.4.2003 verursacht hatte, als er in einer dem Kläger gehörenden Scheune beim Spielen ein Bündel Stroh mit einem Feuerzeug angesteckt und damit die Scheune in Brand gesetzt hat. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der zur Tatzeit achtjährige Sohn A. der Beklagten, der an einer Chromosomenanomalie – Trisomie 8 – leide, sei in seiner Entwicklung erheblich verzögert gewesen; zur Tatzeit sei von einer etwa dreijährigen Entwicklungsverzögerung auszugehen. Der Sohn A. der Beklagten hätte deshalb einer besonderen Beaufsichtigung und Überwachung bedurft. Den entsprechenden Anforderungen seien die Beklagten nicht gerecht geworden. Sie hätten ihre Aufsichtspflicht gegenüber ihrem Sohn A. vernachlässigt und seien deshalb gem. § 832 BGB verpflichtet, dem Kläger den ihm entstandenen Sachschaden zu ersetzen, soweit er nicht von seiner Versicherung getragen worden ist.

Das OLG Celle sagt im OLG Celle, Urt. v. 13.12.2006 – 4 U 99/06 – nein, auch ein achtjähriges Kind muss nicht dauernd beaufsichtigt werden. Und zwar auch dann nicht, wenn dem Kind in einer Silvesternacht das Zünden von Knallkörpern erlaubt worden ist:

Keine Bedeutung misst der Senat den Feststellungen des LG zu den Vorkommnissen der Silvesternacht 2002/2003 oder 2003/2004 – die Angaben variieren im Verlauf des Verfahrens, ohne dass das Ereignis zeitlich eindeutig fixiert werden kann – bei. Egal, ob sich das Ereignis in der Silvesternacht unmittelbar vor dem Brand oder schon etwas früher zugetragen hat, bei dem A. selbst Feuerwerkskörper geworfen haben soll, ist auch dieses Ereignis aus der Sicht des Senats nichts Ungewöhnliches. Vielmehr gehört es dazu, dass einem Kind Silvester unter Aufsicht erlaubt wird, kleinere Feuerwerkskörper zu zünden, wenn dies in der Familie üblich ist. Ein besonders sorgloser Umgang im Zusammenhang mit Feuerwerk und Feuer selbst ist darin nicht zu sehen. Dass aus einem solchen Ereignis etwa zu folgern wäre, die Beklagten hätten ihrem Sohn zu verstehen gegeben, dass ein laxer Umgang mit Feuer nichts „Schlimmes“ sei, ist abwegig und fernliegend. Es handelt sich um einen normalen Vorgang. Der Senat lässt es deshalb auch dahingestellt, zu welchem Zeitpunkt sich das Ganze genau abgespielt hat.

Wie sicher kann der sechsjährige Conrad Fahrrad fahren?

Der OLG Hamm, Beschl. v. 08.02.2103 – 9 U 202/12 – ein nach § 522 ZPO ergangener Hinweisbeschluss – setzt sich mit der Aufsichtspflicht von Eltern  für einen 6 Jahre und einen Monat alten Jungen, der mit einem Kinderrad den vor dem elterlichen Haus gelegenen öffentlichen Gehsteig befährt, auseinander. Dem Verfahren liegt ein Fahrradunfall zugrunde, bei dem die bei der Klägerin versicherte Frau C durch den Sohn der Beklagten widerrechtlich verletzt worden ist. Der Sohn der Beklagten war bei der Ausfahrt von dem Hofgelände mit seinem Fahrrad auf den unmittelbar an den Gehweg angrenzenden Radweg geraten und dort mit der geschädigten Radfahrerin Frau C kollidiert, wodurch diese zu Schaden gekommen ist.

Das OLG hat eine Aufsichtspflichtverletzung der Eltern verneint.

Mangels anderweitiger Feststellungen des Landgerichts ist für die Prüfung des Maßes der Aufsichtspflicht in der Person Conrads von einem normal entwickelten Kind im Alter von 6 Jahren und einem Monat auszugehen.

Die elterlichen Pflichten umfassen auch die sinnvolle Hinführung des Kindes zu einem selbstständigen, verantwortungsbewussten und umsichtigen Verhalten im Straßenverkehr. Das ist jedoch nur möglich, wenn das Kind auch altersgerecht Gelegenheit erhält, sich ohne ständige Beobachtung, Kontrolle und Anleitung selbst im Verkehr zu bewähren. Allein die Tatsache, dass D ohne ständige Beaufsichtigung durch die Beklagten den vor dem elterlichen Haus gelegenen Gehsteig mit seinem Kinderfahrrad benutzt hat, vermag eine Aufsichtspflichtverletzung nicht zu begründen. Denn die Beklagte zu 1) hat bei ihrer persönlichen Anhörung gem. § 141 ZPO in erster Instanz zur Überzeugung des erkennenden Richters dargelegt, dass D das von ihm seit ca. 3 Jahren benutzte Fahrrad sicher habe fahren können. D sei auch entsprechend angewiesen worden, ausschließlich den Gehsteig zu benutzen und dem Radweg und der Straße fernzubleiben. Davon, dass D sich an die ihm erteilten Anweisungen gehalten habe, habe sie sich überzeugen können, wenn D seine „Touren“ gemacht habe, was ca. 6 mal täglich vorgekommen sei, insbesondere an Samstagen. Soweit die Klägerin mutmaßt, Kinder in Conrads Alter neigten grundsätzlich dazu, Kurven großzügig zu nehmen, bleibt dies eine Mutmaßung, die durch das Ergebnis der Anhörung der Beklagten zu 1) widerlegt ist.

Über das zu keiner Beanstandung Anlass gebende Fahrverhalten ihres Sohnes konnte sich die Beklagte zu 1) auch anlässlich der gemeinsamen Fahrten zum Kindergarten einen zuverlässigen Überblick verschaffen. Auch in diesem Zusammenhang habe die Beklagte zu 1) D stets ermahnt, Kurven vorsichtig zu durchfahren. Dass die Beklagte zu 1) D auf dem Weg zum Kindergarten beleitet hat, gibt entgegen der Ansicht der Klägerin keinen Anlass zu der Vermutung, D beherrsche sein Fahrrad im Straßenverkehr nicht sicher. Die Begleitung durch die Beklagte zu 1) ist nicht Ausdruck einer zwingend erforderlichen ständigen Begleitung. Abgesehen davon, dass nicht bekannt ist, ob D auf dem Weg zum Kindergarten Straßen – gegebenenfalls an besonders gefährlichen Stellen – überqueren oder sonstige für Kinder in seinem Alter nicht oder nur schwierig zu überschauende Verkehrssituationen meistern musste, entspricht die Begleitung eines 6-jährigen Kindes zum Kindergarten durch die Mutter der Üblichkeit und diente der weiteren Schulung des Kindes. Demgegenüber sind die Verhältnisse vor dem elterlichen Haus übersichtlich und D seit Jahren bekannt. Eine gesteigerte Aufsichtspflicht ergibt sich auch nicht – wie die Klägerin meint – daraus, dass nach ihrer Auffassung die Hofeinfahrt für den Verkehr auf dem Radweg nicht erkennbar ist und daher Radfahrer nicht mit aus der Hofeinfahrt kommenden Fahrzeugen rechneten.

Ach so: Der Fall spielt in Münster 😉 :-).

 

Eltern aufgepasst – die Aufsichtspflicht beim Feuerwerk in der Silvesternacht

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Das Ende des Jahres naht und damit die Silvesterknallerei. Wer Kinder hat/hatte, weiß um den Reiz, den das Feuerwerk und die Feuerwerkskörper und die Silvesterknallerei ausmachen. Daher zur Warnung/Mahnung an alle Eltern, die heute mit ihren Kindern an einem Feuerwerk teilnehmen bzw. das selbst veranstalten wollen, der Hinweis auf das OLG Schleswig, Urt. v. 12.11.1998 – 5 U 123/97, das sich mit der Aufsichtspflicht aus § 832 BGB befasst.

Die Leitsätze

1. Einem 7 1/2-jährigen Jungen das selbständige Abbrennen von Feuerwerkskörpern zu gestatten, begründet eine Verletzung der Aufsichtspflicht und eine Haftung der Eltern nach § 832 BGB.

2. Bei der Teilnahme am Feuerwerk in der Silvesternacht dürfen die aufsichtspflichtigen Eltern ein Kind dieses Alters nicht aus den Augen lassen und haben in Rechnung zu stellen und zu verhindern, daß Blindgänger gesucht und erneut gezündet werden.