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Wann/wie haftet ein 8-jähriges Kind für einen Fahrradunfall, oder: Aufsichtspflichtverletzung?

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt vom OLG Celle. Das hatte über eine Klage zu entscheiden, mit der die Klägerin von der minderjährigen Beklagten und ihren Eltern, Schadensatz, Schmerzensgeld und die Feststellung der Einstandspflicht für künftige Schäden aus einem Unfallgeschehen vom 04.10.2016 am Gardasee in Italien verlangt.

Das OLG geht im OLG Celle, Urt. v. 19.02.2020 – 14 U 69/19 – von folgendem Sachverhalt aus:

„Die Klägerin war am Unfalltag als Fußgängerin auf der Promenade des Gardasees in R./Italien mit ihrer Freundin, der Zeugin W., unterwegs. Die 2008 geborene, am Unfalltag achtjährige Beklagte zu 1) fuhr mit ihrem Fahrrad in entgegengesetzter Richtung auf der Promenade. Während der Vorwärtsfahrt drehte sich die Beklagte zu 1) eine Zeitlang zu ihren Eltern, den Beklagten zu 2) und 3) um, die einige Meter hinter ihr in Sicht- und Rufweite folgten und dabei ihre mitgeführten Fahrräder schoben. Dabei verlor sie unbemerkt ihre Fahrspur und näherte sich der an der Uferpromenade stehenden Klägerin und ihrer Freundin, der Zeugin W. Als die Eltern den Kursverlust ihrer Tochter bemerkten, versuchte die Beklagte zu 2) noch, ihre Tochter zu warnen, die eine Vollbremsung einleitete. Die Klägerin geriet indes ins Straucheln, verlor das Gleichgewicht und stürzte von der Uferpromenade auf einen ca. einen Meter darunterliegenden Betonsteg und von dort aus ins Hafenbecken. Die Zeugin W., die unmittelbar vor dem Unfall etwas schräg versetzt vor der Klägerin stand, konnte noch seitlich ausweichen.

Die Klägerin erlitt bei ihrem Sturz eine Sprunggelenkfraktur links mit Syndesmosensprengung, eine Delta-Band-Ruptur, eine Kapselruptur und ausgeprägte Hämatombildung medial/lateral sowie einen Ausriss der Peronealsehnenscheide und Hautabschürfungen am Fußrücken. Mit einem Rettungswagen wurde die Klägerin zunächst in ein Krankenhaus in Italien gebracht, sie entschied sich jedoch zu einer Operation in M. Vom 5. bis 13. Oktober 2016 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung in der S. Klinik in M. Es folgten Nachsorgetermine bei ihrem Hausarzt, Krankengymnastik und eine weitere Operation in der S. Klinik in M., bei der die eingesetzten Schrauben entfernt wurden.

Die Klägerin hat erstinstanzlich behauptet, die Beklagte zu 1) sei mit ihrem Kinderrad zunächst „sehr zügig“ in der Mitte der Promenade gefahren. Plötzlich habe ihre Freundin, die Zeugin W., einen Sprung nach links gemacht, sie habe jedoch nicht mehr reagieren können und sei von der Beklagten zu 1) angefahren worden. Durch die Berührung mit dem Lenker der Beklagten zu 1) habe sie ihr Gleichgewicht verloren und sei gestürzt.“

Das LG hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es sei nicht erwiesen, dass der Sturz und die daraus resultierenden Verletzungen und Schäden auf einer Verletzungshandlung der Beklagten zu 1) beruhten. Eine Haftung der Beklagten zu 2) und 3) scheide bereits wegen fehlender Verletzung der Aufsichtspflicht aus. Denn die Beklagte zu 1) habe Fahrrad fahren gekonnt und in dem Bereich der Uferpromenade, in dem kein Autoverkehr geherrscht habe, auch ohne unmittelbare Eingreifmöglichkeit der Eltern fahren dürfen. Kinder müssten an die Teilnahme am öffentlichen Verkehr herangeführt werden, wofür sich die Promenade angeboten habe. Zudem fehle es an einer Ursächlichkeit zwischen der vermeintlichen Aufsichtspflichtverletzung und den behaupteten Schäden, da eine Kollision zwischen der Beklagten zu 1) und der Klägerin gerade nicht bewiesen sei.

Die dagegen eingelegte Berufung der Klägerin hatte teilweise Erfolg.

Das OLG bejaht im OLG Celle, Urt. v. 19.02.2020 – 14 U 69/19  – eine Haftung der minderjährigen Beklagten aus. §§ 823 Abs. 1, 828 Abs. 3, 253 Abs. 2 BGB. Der Leitsatz der Entscheidung lautet:

„Einem altersgerecht entwickeltem achtjährigem Kind, das bereits seit seinem fünften Lebensjahr im Straßenverkehr Fahrrad fährt, muss bewusst sein, dass eine länger andauernde Vorwärtsfahrt mit dem Fahrrad, während der Kopf rückwärtsgewandt und damit das Blickfeld vom Fahrweg abgewandt ist, gefahrenträchtig ist.“

Und: Das OLG verneint aber eine Haftung der beklagten Eltern:

2) Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagten zu 2) und 3) gem. § 832 BGB. Danach ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit (…) der Beaufsichtigung bedarf und einem Dritten widerrechtlich Schaden zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn er seiner Aufsichtspflicht genügt (…). Diese Voraussetzung liegt vor.

Die Beklagte zu 2) und 3) haben ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt, die ihnen über die Beklagten zu 1) obliegt. Grundsätzlich richtet sich das Maß der gebotenen Aufsicht über Minderjährige zum einen nach deren Alter, Eigenart und Charakter, wobei sich die Grenze der erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen nach ständiger Rechtsprechung danach bestimmt, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen tun müssen, um Schädigungen Dritter durch ihr Kind zu verhindern. Zum anderen kommt es auf die Gefährlichkeit des jeweiligen Verhaltens und die Schadensgeneigtheit des jeweiligen Umfeldes an, also auf das Ausmaß der vorhersehbaren Gefahren, die von der konkreten Situation für Dritte ausgehen. Kinder müssen dabei über die Gefahren des Straßenverkehrs frühzeitig belehrt werden. Sie müssen, insbesondere was das Radfahren betrifft, behutsam in den Straßenverkehr hineingeführt werden. Eltern müssen ihre Kinder langsam daran gewöhnen, sich auf die vielfältigen Gefahren einzustellen und ihr Verhalten danach zu steuern. Das betrifft sowohl die Verkehrsregeln als auch die Fahrtechnik. Beides muss eingeübt werden. Die sinnvolle Hinführung des Kindes zu einem selbstständigen, verantwortungsbewussten und umsichtigen Verhalten im Verkehr ist allerdings nur möglich, wenn ein Kind andererseits auch altersgerecht angepasste Gelegenheiten bekommt, sich ohne ständige Beobachtung, Kontrolle und Anleitung selbst im Verkehr zu bewähren (vgl. Wellenhofer, in: BeckOGK, Stand: 1.11.2019, BGB, § 832 Rn. 63 m.w.N.; vgl. BGH, Urteil vom 07. Juli 1987 – VI ZR 176/86 -, Rn. 12; OLG Koblenz, Beschluss vom 21. Januar 2009 – 12 U 1299/08 -, Rn. 1, beide zitiert nach juris). Denn die Erziehung der Kinder zu verantwortungsbewussten Verkehrsteilnehmern liegt auch im Gemeinschaftsinteresse, und sie ist insoweit nicht in dem Sinn der Alleinverantwortung der Eltern unterworfen, dass diese stets „für ihre Kinder“ haften müssen (OLG Koblenz, Beschluss vom 21. Januar 2009 – 12 U 1299/08 -, Rn. 3, juris).

Nach diesen Maßstäben ist es aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden, dass die Beklagten zu 2) und 3) die Beklagte zu 1) in der Situation vor dem Unfall auf der Hafenpromenade mit dem Fahrrad fahren ließen, während sie selbst – ihre Fahrräder schiebend – in einigem Abstand folgten. Die Beklagte zu 1) war mit den Verkehrsregeln vertraut und bewegte sich bereits nach eigenen Aussagen seit ihrem fünften Lebensjahr mit dem Fahrrad im Straßenverkehr. Die Beklagten zu 2) und 3) hielten Sicht- und Rufkontakt zur Beklagten zu 1), der befahrene Weg war ausreichend breit, motorisierter Verkehr war nicht zu erwarten. Es handelte sich um eine sehr übersichtliche Gesamtsituation, die von wenigen Fußgängern geprägt war. Unter diesen Umständen war die Entscheidung der Beklagten zu 2) und 3), die Beklagte zu 1) mit dem Fahrrad vorfahren zu lassen, nicht zu beanstanden. Denn ein altersgerecht entwickeltes Kind braucht gewisse Freiräume pädagogisch vertretbarer Maßnahmen, die sich aus den Erziehungszielen der §§ 1631 Abs. 1 und 1626 Abs. 2 BGB ergeben (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 16. September 1999 – 6 U 92/99 -, Rn. 16, juris).“

Fahrradunfall eines Achtjährigen, oder: Aufsichtspflichtverletzung?

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Die zweiten Entscheidung, das LG Osnabrück, Urt. v. 28.02.2019 – 4 S 172/18, über das Kollege Gratz auch schon berichtet hat, behandelt eine Aufsichtspflichtverletzung (§ 832 BGB). Beklagte sind die Eltern eines Jungen, der zum Zeitpunkt des Unfalls, der hier eine Rolle spielt, acht Jahre alt war. Der Junge war allein mit seinem Fahrrad unterwegs und hatte beim Herumfahren das Fahrzeug der Klägerin beschädigt. Die meinte, man könne/dürfe einen Achtjährigen nicht allein mit dem Fahrrad herumfahren lassen und die Eltern in Anspruch genommen.

Das LG Osnabrück hat das in der Berufung anders gesehen:

„1. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Zahlung von 802,05 € aus abgetretenem Recht gegen die Beklagten aus § 832 BGB zu. Nach § 832 Abs. 1 Satz 1 BGB ist, wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustands der Beaufsichtigung bedarf, zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den diese Person einem Dritten widerrechtlich zufügt. Nach § 832 Abs. 1 Satz 2 BGB tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn er seiner Aufsichtspflicht genügt oder wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde.

Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Beklagten ihrer ihnen gemäß §§ 1626, 1631 BGB grundsätzlich bestehenden Aufsichtspflicht ordnungsgemäß nachgekommen sind. Die Beklagten haben ihre Aufsichtspflicht jedenfalls nicht dadurch verletzt, dass sie ihren Sohn unbegleitet mit dem Fahrrad im öffentlichen Straßenverkehr haben fahren lassen.

Das Maß der gebotenen Aufsicht über Minderjährige richtet sich zum einen nach deren Alter, Eigenart und Charakter, wobei sich die Grenze der erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen danach bestimmt, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen tun müssen, um Schädigungen Dritter durch ihr Kind zu verhindern; zum anderen kommt es auf die Gefährlichkeit des jeweiligen Verhaltens und die Schadensgeneigtheit des jeweiligen Umfeldes an, also auf das Ausmaß der vorhersehbaren Gefahren, die von der konkreten Situation für Dritte ausgehen (BGH, Urteil vom 10.07.1984 – VI ZR 273/82 in NJW 1984, 2574, beck-online; BeckOGK/Wellenhofer, 1.11.2018, BGB § 832 Rn. 43).

Auch im Bereich des Straßenverkehrs ist dabei zu berücksichtigen, dass die gesetzliche Aufsichtspflicht darauf gerichtet ist, das Kind zu einem selbständigen und verantwortungsbewussten Verhalten hinzuführen. Ein solches selbständiges Verhalten kann gerade nicht durch eine ständige Kontrolle erlernt werden. Daher muss den Aufsichtspflichtigen unter Berücksichtigung der Eigenart und der Fähigkeiten des jeweiligen Kindes die Möglichkeit eingeräumt werden, ihr Kind im Straßenverkehr ohne unmittelbare Beaufsichtigung eigenverantwortlich agieren zu lassen (vgl. AG Wetzlar, Urteil vom 28.04.2005 – 39 C 1820/04).

Bei Kindern in der Altersstufe zwischen 6 bis 10 Jahren, die in der Regel den Schulweg bereits alleine zurücklegen, muss es im Allgemeinen genügen, dass die Eltern sich über das Tun und Treiben in großen Zügen einen Überblick verschaffen, sofern nicht konkreter Anlass zu besonderer Aufsicht besteht; andernfalls würde jede vernünftige Entwicklung des Kindes, insbesondere der Lernprozess im Umgang mit Gefahren, gehemmt werden (vgl. BGH, Urteil vom 24.03.2009 – VI ZR 199/08NJW 2009, 1954, beck-online). Es entspricht gesicherter Rechtsprechung, dass jedenfalls ein achtjähriges Kind, das ein Fahrrad hinreichend sicher zu fahren vermag, über Verkehrsregeln eindringlich unterrichtet worden ist und sich über eine gewisse Zeit im Verkehr bewährt hat, auch ohne eine Überwachung durch die aufsichtspflichtigen Eltern mit dem Fahrrad am Straßenverkehr teilnehmen kann, beispielsweise um zur Schule zu fahren oder einen sonst bekannten bzw. geläufigen Weg zurückzulegen (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 04.11.2004 – 1 U 73/04, juris; LG Osnabrück, Urteil vom 02.07.2008 – 2 S 201/08, juris; hinsichtlich schulpflichtigen Kindern: Palandt, BGB, 77. Auflage 2018, § 832, Rn.11).

Das Gericht ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Sohn der Beklagten zum Zeitpunkt des Unfallereignisses nach seinen Fähigkeiten grundsätzlich in der Lage war, mit dem Fahrrad hinreichend sicher zu fahren und den von ihm befahrenen Weg alleine, ohne Begleitung der Eltern oder anderer Aufsichtspersonen zurückzulegen. Ebenso ist das Gericht davon überzeugt, dass er über die Verkehrsregeln durch die Beklagten hinreichend unterrichtet worden ist.

Die Anhörung der Beklagten hat ergeben, dass ihr Sohn bereits vor dem Unfall längere Zeit ohne Auftreten ähnlicher Vorfälle alleine mit dem Fahrrad gefahren ist und zuvor durch die Beklagten auch auf das Verhalten im Straßenverkehr und die damit verbundenen Verkehrsregeln hingewiesen worden ist. Das Gericht darf die Angaben der Beklagten im Rahmen der persönlichen Anhörung bei der freien Beweiswürdigung im Sinne des § 286 ZPO berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 27.09.2017 – XII ZR 48/17 in NJW-RR 2018, 249, beck-online). Die Beklagten haben insoweit glaubhaft und widerspruchsfrei bekundet, dass das Radfahren zunächst auf dem Parkplatz der Spielbank geübt worden sei und die Verkehrsregeln unter anderem auch auf längeren Radtouren beigebracht worden seien. Darüber hinaus habe der Sohn in der Schule einzelne Verkehrsregeln gelernt. Der Weg auf dem sich der Unfall ereignet habe, entspreche dem Schulweg des Sohnes, den er bereits seit der zweiten Klasse regelmäßig alleine befahre, nachdem er in der ersten Klasse durch die Beklagten begleitet worden sei. Einen Verkehrsunfall unter der Beteiligung des Sohnes habe es vorher nicht gegeben. Die Kammer sieht keine Gründe an diesen lebensnahen Ausführungen zu zweifeln. Die Ausführungen werden zudem durch die Angaben der Zeugin S. im Wesentlichen bestätigt.

Die Zeugin S. hat nach Überzeugung der Kammer glaubwürdig bekundet, dass der Sohn der Beklagten vor dem Unfall regelmäßig alleine mit dem Fahrrad zur Schule gefahren ist. Sie hat wiederholt ausgesagt, dass der Sohn vor dem Unfall regelmäßig mit dem Fahrrad zur Schule oder auch zu seinem Freund gefahren sei. Die Beklagten hätten ihrem Sohn zudem – wie auch die Zeugin selbst, wenn sie mit ihm unterwegs gewesen sei – die Verkehrsregeln beigebracht. Auch hat die Zeugin nach Vorlage der Anlagen B2 bekundet, dass die Schule dort sei, wo sie in der Anlage eingezeichnet sei und dass der Sohn immer diesen direktesten Weg zur Schule nehme.

An der Glaubwürdigkeit der Zeugin S. hat die Kammer keine Zweifel. Die Zeugin hat auf die Kammer einen insgesamt glaubwürdigen Eindruck gemacht und die ihr gestellten Fragen schlüssig und in sich widerspruchsfrei beantwortet. Insbesondere hat die Zeugin bei kritischen Nachfragen des Gerichts oder der Parteivertreter nach Auffassung der Kammer nicht leichtfertig die Antworten wiederholt, sondern erneut über die Beantwortung nachgedacht und dabei auch bereitwillig angegeben, dass sie bestimmte Dinge nicht mehr sicher wisse. So hat die Zeugin beispielsweise ausgesagt, dass sie nicht mehr so genau wisse, wie lange der Sohn zuvor mit dem Fahrrad alleine gefahren sei und ob der Sohn in der Schule Verkehrsunterricht gehabt habe. Insgesamt ist die Kammer davon überzeugt, dass die Zeugin aus eigener Wahrnehmung wusste, dass der Sohn der Beklagten bereits längere Zeit vor dem Unfall ohne Begleitung zur Schule oder zu seinem Freund gefahren ist.

Auch der Widerspruch mit der Aussage des Zeugen D., der ausgesagt hat, dass der Sohn ganz sicher keinen Helm getragen habe – worauf es in rechtlicher Hinsicht mangels einer geregelten Helmpflicht nicht ankommt – ist nach Überzeugung der Kammer nicht geeignet, die grundsätzliche Glaubwürdigkeit der Zeugin S., die im Gegensatz dazu ausdrücklich angegeben hat, dass der Sohn den Helm schon aufgehabt habe, als er das Haus verlassen habe und auch noch aufgehabt habe, als der Zeuge D. ihn vorbeigebracht habe, nicht erschüttern. Die Aussage der Zeugin S. bleibt in sich widerspruchsfrei und nachvollziehbar.

Die Kammer berücksichtigt im Rahmen der Aufsichtspflichtverletzung auch, dass es sich bei dem vom Sohn konkret befahrenen Weg um einen für ihn bekannten Weg gehandelt hat. Unter Berücksichtigung der Anlage B2, deren Richtigkeit sowohl vom Beklagten, als auch von der Zeugin S. bestätigt worden ist, gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass es sich bei dem zum Unfallzeitpunkt gefahrenen Weg um einen für den Sohn bekannten Weg gehandelt hat. Davon abgesehen, dass sich der Unfall ohnehin im unmittelbarem Nahbereich des Wohnhauses der Beklagten ereignet hat, ist die Kammer jedenfalls auch nach Vorlage der Schulbescheinigung durch die Beklagten, die von der Grundschule B. ausgestellt worden ist, davon überzeugt, dass sich der Unfall auf dem Weg ereignet hat, der dem Schulweg des Sohnes entspricht. An der Bekanntheit des Weges bestehen daher für die Kammer keine Zweifel.

Auch bestehen keine Anhaltspunkte dafür, die der glaubhaften Aussage der Beklagten entgegenstehen, dass es vor dem Unfall keinen ähnlichen Vorfall beziehungsweise Verkehrsunfall gegeben hat.“

Fahrradunfall: Der eine ohne Licht, der andere plötzlich auf der Straße, oder: Haftungsquote?

Das Unfallgeschehen, das dem OLG Hamburg, Beschl. v. 26.07.2017 – 14 U 208/16 – zugrunde gelegen hat, hat sich in Hamburg ereignet. Die – allerdings nur knappen – Angaben des OLG – würdem aber sicherlich auch gut nach Münster passen, der Weltstadt des Fahrrades.

Entschieden hat das OLG nämlich einen Fahrradunfall, an dem zwei Fahrradfahrer beteiligt waren. Der Beklagte hatte bei Dunkelheit ohne Licht – § 17 Abs. 1 StVO lässt grüßen – eine Straße in Hamburg befahren. Es kam zum Zusammenstoß mit dem Kläger, wobei aus dem Beschluss nicht ganz klar wird, bei welcher Aktion. Das OLG erwähnt den in der Dunkelheit plötzlich auftauchenden Beklagten, bei dessen Auftauchen der Kläger stürzte, ohne dass es aber zu einer Berührung der beiden Fahrräder gekommen war. Nimmt man hinzu, dass das beim Kläger OLG Ausführungen zu § 10 StVO und die Sorgfalt beim Einfahren in den fließenden Verkehr macht, spricht einiges dafür, dass der Kläger aus einem Grundstück, einer anderen Straße kam oder vom Gehweg aus die vom Beklagten befahrene Straße überqueren wollte.

Jedenfalls kommt das OLG in seinem 522-er-Beschluss zu einer überwiegenden Haftung des Beklagten, nämlich zu 70 %:

„Die Berufung des Beklagten ist offensichtlich unbegründet.

1. Die vom Landgericht ausgeurteilte Haftungsquote von 30% zu seinen Lasten ist nicht zu beanstanden. Der Sorgfaltsverstoß des Beklagten liegt darin begründet, dass er am 26.06.2015 entgegen § 17 Abs. 1 Satz 1 StVO bei Dunkelheit mit seinem unbeleuchteten Fahrrad die K. G. Straße in Hamburg befuhr. Die Beleuchtungspflicht dient nicht nur dem eigenen Schutz des Radfahrers, sondern ebenfalls demjenigen anderer Verkehrsteilnehmer und der Vorbeugung von Kollisionen. Auf die Beachtung der Beleuchtungspflicht darf der Verkehr bei Dunkelheit vertrauen. Kommt es wegen eines Verstoßes gegen die Beleuchtungspflicht zu einem Verkehrsunfall, so entfällt die Haftung nicht schon deshalb, weil es an einer Berührung der beteiligten Personen oder Fahrzeuge fehlt oder der Schaden auf einer Fehlreaktion des Unfallgegners beruht, die sich bei objektiver Betrachtung als nicht erforderlich erweist (vgl. BGH-Urteil vom 26.04.2005 – Az.: VI ZR 168/04, NJW 2005, 2081 f. m.w.N. zum Tatbestandsmerkmal „bei dem Betrieb“ in § 7 Abs. 1 StVG). Der Pflichtenverstoß muss sich nur unfallursächlich ausgewirkt und das Schadensgeschehen insgesamt mitgeprägt haben.

Das ist vorliegend der Fall und ergibt sich bereits aus der eigenen Sachverhaltsschilderung des Beklagten selbst am Unfallort („Er sah mich, erschrak und stürzte“) sowie im Rahmen seiner erstinstanzlichen Anhörung (vgl. Sitzungsprotokoll vom 23.08.2016, Seite 6 oben). Der Sturz des Klägers ereignete sich in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Auftauchen des nicht beleuchteten Beklagten aus der Dunkelheit. Nicht entscheidungserheblich sind dabei die zwischen den Parteien streitigen Umstände, in welcher konkreten Entfernung sich der Beklagte zum Zeitpunkt des Sturzes befand, mit welcher Geschwindigkeit er sich näherte und wo er schließlich anhielt. Es kommt auch nicht entscheidend darauf an, ob der Beklagte mittig die Straße befuhr, wie der Kläger behauptet hat, und ob es bei dessen Fortsetzung der Fahrt überhaupt zu einer Kollision der beiden Fahrräder gekommen wäre. Denn auf der Hand liegt trotz intakter Straßenbeleuchtung, dass der sich nähernde Beklagte bei ordnungsgemäßer Beleuchtung seines Fahrrades sehr viel früher von dem Kläger wahrgenommen worden wäre und dieser sich nicht infolge seines plötzlichen Auftauchens aus der Dunkelheit erschreckt hätte, wie es beide Parteien in Übereinstimmung mit dem Zeugen W. geschildert haben.

2. Bei der gemäß § 254 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Haftungsabwägung hat das Landgericht zu Recht den Mitverantwortungsanteil des Klägers, der beim Einfahren in den fließenden Verkehr gemäß § 10 Satz 1 StVO die größtmögliche Sorgfaltspflicht einzuhalten hatte, mit 70% sehr viel schwerer bewertet als das Fehlverhalten des Beklagten. Ein vollständiges Zurücktreten des von dem Beklagten ausgehenden Verursachungsbeitrages hält der Senat im Hinblick auf dessen Gefährlichkeit und das unstreitige Verschulden in Übereinstimmung mit der ersten Instanz allerdings nicht für gerechtfertigt.“

Kreuzender Hund, oder: Wenn ein Fahrradfahrer über einen entwichenen Hund stürzt

Im „Kessel Buntes“ „kocht“ dann heute zunächst das KG, Urt. v. 09.07.2015 – 22 U 186/14. Schon etwas älter 🙂 , aber das Urteil ist mir erst vor ein paar Tagen, nachdem das Revisionsverfahren beim BGH beendet ist, übersandt worden (BGH VI ZR 448/15 ). Es geht um einen den Fahrweg einer Radfahrerin kreuzenden Hund. Die Klägerin hat gegen die Beklagten Ansprüche wegen der von ihr im Juni 2008 bei einem Sturz vom Fahrrad erlittenen Verletzungen auf materiellen Schadensersatz und Schmerzensgeld geltend gemacht. Der Sturz war durch den Hund der Beklagten zu 1) verursacht worden, der beim Aussteigen aus dem von dem Beklagten zu 3) gehaltenen und bei der Beklagten zu 4) haftpflichtversicherten Kraftfahrzeug gesprungen und auf den Fahrradweg gelaufen war. Dazu musste der Hund einen zwei Meter breiten Grünstreifen, der die Parkbucht von dem Fahrradweg trennte, überwinden. Fahrerin des Fahrzeugs war die Beklagte zu 2). Das LG hat die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Klage wegen fehlenden Verschuldens abgewiesen und die Beklagte zu 1) wegen Tierhalterhaftung sowie die Beklagten zu 3) und 4) wegen Gefährdungshaftung verurteilt. Dagegen u.a. die Berufung der Klägerin und der Beklagten zu 3 und 4.

Zur Haftung der Beklagten zu 2 – Fahrerin – , der Beklagten zu 3 – Halterin des Pkw – und der Beklagten zu 4 – Haftzpflichtversicherer – führt das KG aus:

„…..Weder der Beklagte zu 3) als Halter noch die Beklagte zu 2) als Fahrerin haften für die geltend gemachten Schäden. Daher scheidet auch eine Inanspruchnahme der Beklagten zu 4) als Haftpflichtversicherer aus.

a) Eine Haftung des Beklagten zu 3) kommt nur dann in Betracht, wenn die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG gegeben sind. Dies ist auch auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu verneinen.

Voraussetzung des § 7 Abs. 1 StVG ist, dass eines der dort genannten Rechtsgüter „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges“ verletzt bzw. beschädigt worden ist……..

Danach steht der vom Landgericht angenommenen Haftung der Beklagten zu 3) und 4) zwar nicht die Tatsache entgegen, dass das von dem Beklagten zu 3) gehaltene Fahrzeug bereits geparkt war. Dies folgt schon aus der Regelung des § 14 StVO, der dem Fahrzeuginsassen besondere Pflichten beim Einsteigen in das oder Aussteigen aus dem Fahrzeug auferlegt. Entgegen der Auffassung der Beklagten zu 3) und 4) steht dem auch nicht entgegen, dass das Fahrzeug in einer allgemein zur Verfügung stehenden Parkbucht geparkt war (Bl. 50/IV). Denn damit hat sich das Fahrzeug noch nicht außerhalb des öffentlichen Verkehrs befunden, weil insoweit für die Frage der Öffentlichkeit eine tatsächliche Öffentlichkeit ausreicht, die zur Anwendung der StVO führt (vgl. Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 1 StVO Rdn. 14 mwN). Es fehlt aber an dem notwendigen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs. Dem steht nicht der Hinweis der Klägerin entgegen, der Unfall habe sich im Zusammenhang gerade mit dem Aussteigen ereignet. Dies rechtfertigt zwar dann die Annahme, der Unfall habe sich bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ereignet, wenn der Unfall im Zusammenhang mit dem Öffnen der Beifahrertür zum Aussteigen stünde, weil dieser Vorgang dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zuzurechnen wäre (vgl. dazu etwa KG, Beschluss vom 20. Sepember 2010, 12 U 216/09SVR 2011, 147 = RuS 2011, 174). So liegt der Fall hier aber nicht. Der Hund war zwar, wie sich aus den bindenden Feststellungen des Landgerichts ergibt, in nahem zeitlichem Zusammenhang mit dem Aussteigen aus dem Auto auf den Fahrradweg gelaufen. Dieser lag aber ungefähr zwei Meter neben dem Fahrzeug. Dass die Klägerin gestürzt wäre, weil sie dem aus dem Wagen springenden Hunde oder der sich öffnenden Fahrertür ausweichen wollte, hat sie nicht behauptet. Ebenfalls nicht geltend gemacht wurde, dass der Hund nur aufgrund der Besonderheiten der Betriebseinrichtung aus dem Auto entweichen konnte. Der Unfall hat sich damit nicht im Zusammenhang mit der räumlichen Präsenz des Fahrzeugs ereignet, sondern ist davon unabhängig eingetreten. Dem steht auch nicht die Entscheidung des BGH vom 9. Februar 1988 entgegen (vgl. Urt. vom 9. Februar 1988, VI ZR 168/87). Denn dort war der auf der Autobahn laufende Hund nur aufgrund des Unfalls, der den notwendigen Betriebsvorgang darstellte und die Zurechnung rechtfertigt, auf die Straße gekommen. Dass das Verhalten des Hundes der Beklagten zu 1) durch die Autofahrt beeinflusst war, ist weder dargelegt noch ersichtlich. Eine Zurechnung kommt hier auch nicht deshalb in Betracht, weil das Kraftfahrzeug gleichsam als Tiertransporter eingesetzt worden ist. Hieraus auf einen Zurechnungszusammenhang zu schließen, führte zu einem endlosen Haftungsbereich. Jeder Unfall, der sich mit einer Person oder einem Tier ereignet, dass sich mit dem Kraftfahrzeug an die Unfallstelle bewegt hat, wäre erfasst. Dies wird den Schutzzwecken des § 7 Abs. 1 StVG nicht gerechnet. Mit den typischen Gefahren eines Tiertransports steht der Unfall nicht im Zusammenhang. Dem Ergebnis steht schließlich nicht entgegen, dass das Aussteigen der Beteiligten nicht vollständig abgeschlossen war und nicht alle Türen des Fahrzeugs wieder geschlossen waren. Denn dies hatte auf den Verlauf keinen Einfluss. Insoweit kann nicht auf das Gesamtgeschehen abgestellt werden.

b) Auch die Abweisung der Klage gegen die Beklagte zu 2) ist nicht zu beanstanden. Eine Haftung nach § 18 Abs. 1 Satz 1 StVG in Verbindung mit § 7 Abs. 1 StVG scheidet aus. Denn diese setzt eine Schädigung im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs voraus, die hier nicht gegeben ist. Auf die Frage, inwieweit ein Fahrer für ein Verhalten des Beifahrers verantwortlich ist (vgl. dazu OLG Hamm, Urteil vom 20. August 1999 – 9 U 9/99 –, juris Rdn. 38f., NZV 2000, 126; OLG München, Urteil vom 28. Oktober 1994 – 10 U 4858/93 –, VersR 1996, 1036), kommt es daher nicht an. Die Beklagte zu 2) ist nicht die Halterin im Sinne des § 833 Satz 1 BGB des den Unfall verursachenden Hundes. Die Voraussetzungen des § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 229 StGB sind nicht gegeben. Denn der Beklagten zu 2) kann allenfalls ein Unterlassen vorgeworfen werden. Insoweit fehlt es aber an der notwendigen Garantenpflicht. Allein der Transport des Hundes in dem von ihr gefahrenen Wagen lässt eine Garantenpflicht nicht entstehen. Sie endete zudem spätestens mit dem Ende der Fahrt.

„Fahrradhelm – mit oder ohne? “ Wenn ohne: Mitverschulden?

FahrradhelmFür mich als Münsteraner ist das OLG Celle, Urt. v. 12. 2. 2014 – 14 U 113/13 – von Bedeutung, Daher mal außer der Reihe in der Woche Zivilrecht. Warum? Nun, es geht in dem Urteil um eine Frage, die für Fahrradfahrer von erheblicher Bedeutung ist, und davon haben wir in Münster ja eine Menge. Im Streit war die noch immer nicht geklärte Frage: Trifft den Fahrradfahrer, der keinen Fahrradhelm getragen hat, bei einem Unfall ein Mitverschulden hinsichtlich erlittener Verletzungen? Die Frage ist ja im vorigen Jahr im Sommer vom OLG Schleswig im OLG Schleswig, Urt. v. 05.06.2013 – 7 U 11/12 – bejaht worden (vgl. dazu: “Helmpflicht durch die Hintertür”? – das OLG Schleswig und der Fahrradhelm…). Das OLG Celle sieht es jetzt für den „normalen Radfahrer“ anders:

„d) Nicht zu folgen vermag der Senat auch der Auffassung des Erstgerichts, den Kläger treffe an der Entstehung der unfallbedingt eingetretenen Verletzungen wegen Nichttragens eines Fahrradhelms ein Mitverschulden im Sinne von § 254 BGB, durch das sich seine Ersatzforderung mindere.

aa) Diesem vom Landgericht nur im Rahmen des Schmerzensgeldanspruchs berücksichtigten Mitverschuldensgesichtspunkt, der – wenn er zu bejahen wäre – bei allen Schadenspositionen, bei denen sich das Unterlassen des Tragens eines Helms ausgewirkt hätte, zu berücksichtigen wäre, steht entgegen, dass jedenfalls die noch immer vorherrschende Auffassung in der Rechtsprechung (OLG Hamm, NZV 2001, 86 sowie NZV 2002, 129; OLG Stuttgart, VRS 1997, 15; OLG Nürnberg, DAR 1991, 173; OLG Karlsruhe, NZV 1991, 25; OLG Saarbrücken, NZV 2008, 202, 203) eine Obliegenheit zum Tragen eines Schutzhelms durch einen Fahrradfahrer im Straßenverkehr jedenfalls dann nicht annimmt, wenn dieser weder zu schnell, noch den herrschenden Straßenbedingungen unangepasst gefahren ist, sich lediglich auf einer Trainingsfahrt befunden hat und dabei völlig unauffällig gefahren ist, ohne besondere Risiken einzugehen.

Unter dieser Maßgabe ist ein Radfahrer aus Eigenschutzgesichtspunkten daher nur gehalten, einen Schutzhelm zu tragen, wenn er sich als sportlich ambitionierter Fahrer auch außerhalb von Rennsportveranstaltungen besonderen Risiken aussetzt oder infolge seiner persönlichen Disposition – etwa aufgrund von Unerfahrenheit im Umgang mit dem Rad oder den Gefahren des Straßenverkehrs – ein gesteigertes Gefährdungspotential besteht (Saarländische OLG, Urteil vom 9. Oktober 2007 – 4 U 80/07; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12. Februar 2007, NJW 2007, 3075 ff.).

Hieran vermag nach Auffassung des Senats auch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig vom 5. Juni 2013 (Az. 7 U 11/12) nichts zu ändern. Zutreffend ist zwar, dass – wie dort ausgeführt – Radfahrer heutzutage auch im täglichen Straßenverkehr vielfältigen Gefahren ausgesetzt sind. Der vorliegende Fall belegt jedoch geradezu exemplarisch, dass entsprechend schwerwiegende Verletzungen auch unabhängig von der Dichte des Straßenverkehrs auf vergleichsweise ruhigen Seitenstraßen eintreten können, sodass mithin die Zunahme der Verkehrsdichte allein nicht als Argument für einen Sorgfaltspflichtverstoß gegen sich selbst für den Fall des Unterlassens des Tragens eines Schutzhelms herangezogen werden kann.

Richtig ist auch, worauf das Oberlandesgericht Schleswig ebenfalls abstellt, dass die von der bisherigen Rechtsprechung, insbesondere des Oberlandesgerichts Düsseldorf ( a. a. O.), vorgenommene Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Radfahrern – nämlich denjenigen das Fahrrad lediglich als Fortbewegungsmittel nutzenden einerseits sowie den sportlich ambitionierten Fahrern andererseits – durchaus Abgrenzungsschwierigkeiten bereiten kann, zumal aufgrund der technischen Entwicklung auch mit solchen Fahrrädern, bei denen es sich nicht um Rennräder handelt, hohe Geschwindigkeiten erzielt werden können. Gleichwohl vermag jedoch eine solche Differenzierung, die auf eine Einzelfallbetrachtung hinausläuft, den tatsächlichen Verhältnissen im Straßenverkehr am besten gerecht zu werden.

Dabei mag, wie das Oberlandesgericht Schleswig ausführt, zwar das Tragen von Sturzhelmen bei Fahrradfahrern heutzutage bereits mehr verbreitet sein als noch vor einigen Jahren. Eine solche allgemeine Verkehrsauffassung hat der 50. Deutsche Verkehrsgerichtstag allerdings noch 2012 nicht festzustellen vermocht (Scholten, Aktuelles und Bekanntes zum Mitverschulden im Straßenverkehr, DAR Extra 2013, 748, 749 unter Verweis auf Verhandlungen des 50. Verkehrsgerichtstages, AK II, Hamburg 2012). Nach den regelmäßigen Erhebungen der Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST) waren im Jahr 2011 lediglich 11 % und im Jahr 2012 13 % der Fahrradfahrer innerorts mit Helm unterwegs (Scholten, a. a. O., unter Verweis auf BAST, Forschung kompakt, Nr. 06/13: Gurte, Kindersitze, Helme und Schutzkleidung – 2012). Mithin zeigt sich gerade im täglichen Straßenbild, dass die weit überwiegende Zahl von Fahrradfahrern – und dies dürften insbesondere die weniger dem sportlich ambitionierten Personenkreis, als mehr dem der „Alltagsfahrer“, die das Fahrrad als schlichtes Fortbewegungsmittel benutzen, zuzurechnenden sein – eben keinen Helm benutzen. Diesen Personen grundsätzlich im Fall einer Kopfverletzung ein Mitverschulden ausschließlich infolge des Nichttragens eines Helms anzulasten, ohne dass sie durch ihre Fahrweise zu dem Unfall Anlass gegeben hätten, erscheint dem Senat unangemessen. Hierauf würde allerdings die vom Oberlandesgericht Schleswig vertretene Auffassung hinauslaufen, obwohl auch weiterhin keine gesetzlich geregelte und bußgeldbewehrte Verpflichtung für Fahrradfahrer, selbst für Nutzer bestimmter Arten von E-Bikes, die nicht der Bestimmung des § 21 a Abs. 2 S. 1 StVO unterfallen, zur Nutzung eines Sturzhelms besteht.

Das OLG Celle hat die Revision zugelassen. Vielleicht bekommen wir in der Frage ja dann jetzt bald eine Entscheidung des BGH. Die Helmhersteller wird es vielleicht freuen 🙂 .