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Mord III: Beihilfestrafbarkeit einer KZ-Sekretärin, oder: Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen

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Und im dritten Posting dann der Hinweis auf das BGH, Urt. v.  20.08.2024 – 5 StR 326/23. Die Entscheidung ist vor allem zeitgeschichtlich bzw. historisch von Interesse. Bei der Entscheidung handelt es sich um die Revisionsentscheidung zu einem Urteil des LG Itzehoe, das im Dezember 20233  eine ehemalige Zivilangestellte im Konzentrationslager Stutthof wegen Beihilfe zum Mord verurteilt hat.

Wegen der Einzelheiten der Entscheidung verweise ich auf den verlinkten Volltext. Ich stelle hier zur ersten Information nur die PM des BGH ein:

„Der in Leipzig ansässige 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision einer 99 Jahre alten ehemaligen Zivilangestellten der SS verworfen, die sich gegen ihre Verurteilung durch das Landgericht Itzehoe wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen und versuchtem Mord in fünf Fällen zu einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe von zwei Jahren gewandt hatte (vgl. Pressemitteilung 18/2024).

Nach den Urteilsfeststellungen war die im Tatzeitraum 18 und 19 Jahre alte Beschwerdeführerin vom 1. Juni 1943 bis zum 1. April 1945 als einzige Stenotypistin in der Kommandantur des von der SS betriebenen Konzentrationslagers Stutthof beschäftigt. Das Landgericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass die Angeklagte durch die Erledigung von Schreibarbeit in der Kommandantur die Haupttäter willentlich dabei unterstützt habe, Gefangene durch Vergasungen, durch die Schaffung lebensfeindlicher Bedingungen im Lager, durch Transporte in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und durch Verschickung auf sogenannte Todesmärsche grausam zu töten oder dies versucht zu haben. Ihre Arbeit sei für die Organisation des Lagers und die Durchführung der grausamen, systematischen Tötungshandlungen notwendig gewesen.

Der 5. Strafsenat hat nach mehrstündiger Hauptverhandlung am 31. Juli 2024 (vgl. Pressemitteilung 156/2024) durch Urteil vom heutigen Tage die mit der Sachrüge geführte Revision der Angeklagten verworfen. Dabei hat er sich auf die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Beihilfehandlungen im Zusammenhang mit staatlich organisierten Massenverbrechen gestützt und diese fortgeführt (BGH, Beschluss vom 20. September 2016 – 3 StR 49/16 zu einem Wachmann im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, vgl. Pressemitteilung 213/2016). In solchen Konstellationen sind einerseits an jeder einzelnen begangenen Mordtat eine Vielzahl von Personen in politisch, verwaltungstechnisch oder militärisch-hierarchisch verantwortlicher Position ohne eigenhändige Ausführung einer Tötungshandlung beteiligt. Andererseits wirken aber auch eine Mehrzahl von Personen in Befolgung hoheitlicher Anordnungen und im Rahmen einer hierarchischen Befehlskette unmittelbar an der Durchführung der einzelnen Tötungen mit. Deshalb ist eingehend zu prüfen, ob die dem Gehilfen vorgeworfenen Handlungen die Tathandlung zumindest eines der an dem Mord Mitwirkenden im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB gefördert haben.

Nach der rechtsfehlerfreien Würdigung des Landgerichts war dies bei der Angeklagten der Fall. Sie half durch ihre Schreibarbeit dem Lagerkommandanten und dessen Adjutanten, mit denen sie vertrauensvoll zusammenarbeitete, nicht nur physisch. Sie unterstützte diese durch ihre Einordnung in den Lagerbetrieb als zuverlässige und gehorsame Untergebene auch psychisch bei der Begehung der 10.505 vollendeten und fünf versuchten grausamen Morde, die das Landgericht ihr zugerechnet hat. Ihre Tätigkeit als einzige Stenotypistin war für den durchweg bürokratisch organisierten Lagerbetrieb von zentraler Bedeutung. Insoweit kam es nicht entscheidend darauf an, dass die Strafkammer nicht hat ausschließen können, dass einzelne Schreiben auch von anderen erstellt worden sein könnten.

Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Straffreiheit von berufstypisch neutralen Handlungen mit „Alltagscharakter“ stehen der Verurteilung der Angeklagten schon deshalb nicht entgegen, weil sie von dem verbrecherischen Handeln der von ihr unterstützten Haupttäter positive Kenntnis hatte und sich durch ihre dennoch erbrachten Dienste gleichsam mit ihnen solidarisierte, wodurch ihr Tun jeglichen „Alltagscharakter“ verlor.“

Mord II: Nochmals „Mordmerkmal Heimtücke“, oder: Bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit

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Als zweite Entscheidung dann das BGH, Urt. v. 20.06.2024 – 4 StR 15/24 -, über das ich schon einmal in anderem Zusammenhang berichtet habe (siehe Verkehrsrecht I: Begriff des Unfalls bei der Unfallflucht, oder: Verkehrstypische Gefahr realisiert?). 

Wegen des Sachverhalts verweise ich auf das frühere Posting. Hier geht es jetzt um die Frage, ob das LG zu Recht das Mordmerkmal „Heim

„Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat durchgreifende Rechtsfehler sowohl zum Nachteil als auch zum Vorteil (§ 301 StPO) des Angeklagten ergeben.

1. Die Begründung, mit der das Landgericht das Mordmerkmal der Heimtücke verneint hat, hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Ausführungen zum fehlenden Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten sind widersprüchlich und lückenhaft.

a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet. Ohne Bedeutung ist dabei, ob das Opfer die Gefährlichkeit des drohenden Angriffs in ihrer vollen Tragweite überblickt (vgl. BGH, Urteil vom 1. Februar 2024 – 4 StR 287/23 Rn. 12 mwN; Beschluss vom 10. Januar 1989 – 1 StR 732/88, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 7). Das Opfer kann auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 2023 – 1 StR 104/23; Urteil vom 16. August 2005 – 4 StR 168/05, NStZ 2006, 167, 169; Urteil vom 4. Juni 1991 – 5 StR 122/91, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 15 mwN).

Für das bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 4. Februar 2021 – 4 StR 403/20 Rn. 26 mwN; Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 65/11 Rn. 9 mwN). Das Ausnutzungsbewusstsein kann bereits aus dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt. Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat. Denn bei erhaltener Einsichtsfähigkeit ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (vgl. BGH, Urteile vom 9. Oktober 2019 – 5 StR 299/19 Rn. 10 mwN und vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14 Rn. 7 mwN).

b) Dem werden die Erwägungen im angefochtenen Urteil nicht gerecht. Zur Begründung der Ablehnung des Ausnutzungsbewusstseins hat die Jugendkammer angeführt, dass der Angeklagte wegen der Fahrt „mit aufheulendem Motor und durchgehend angeschaltetem Licht“ damit rechnen „musste“, dass die Geschädigten das sich nähernde Fahrzeug wahrnehmen würden. Damit hat das Landgericht auf Umstände abgestellt, die lediglich die Wahrnehmungssituation der Tatopfer betreffen, und zwar, obwohl es ebenfalls angenommen hat, dass diese das Fahrzeug als ihnen drohende Gefahr für Leib und Leben vor der Kollision nicht erkannt haben. Denn nach den Urteilsgründen ging der Geschädigte I.     von einem Fahrzeug auf Parkplatzsuche aus. Ebenso sah die Geschädigte H.     in dem wahrgenommenen Motorengeräusch keinen Anlass, sich nach hinten umzudrehen. Aber auch im Falle eines dahingehenden Vorstellungsbildes des Angeklagten ließen die vorgenannten Umstände die Arglosigkeit dann nicht entfallen, wenn die verbleibende Zeitspanne zu kurz gewesen wäre, um der erkannten Gefahr zu begegnen. Insoweit geht die Jugendkammer im Rahmen der Ausführungen zum bedingten Tötungsvorsatz selbst davon aus, dass die Wahrnehmbarkeit des vom Angeklagten durchgeführten Fahrmanövers aufgrund der sehr kurzen Phase vom Anfahren bis zur Kollision von nur knapp sechs Sekunden für die Geschädigten stark eingeschränkt war. Stattdessen legen die festgestellten äußeren Umstände ein Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten nahe. Danach fuhr er mit einem Pkw plötzlich und überfallartig von hinten auf einem Gehweg auf sein anvisiertes Tatopfer zu, welches in der kurzen Phase der Annährung hierauf keinerlei Reaktion zeigte, die auf ein Erkennen des Angriffs hindeutete. Anhaltspunkte, weshalb der Angeklagte, der sich selbst dahin eingelassen hat, der Geschädigte habe sich bei der Zufahrt von hinten nicht umgedreht, diese Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt nicht erfasst haben könnte, benennt die Jugendkammer nicht. Eine hierfür in Betracht kommende psychische Ausnahmesituation mit Auswirkungen auf die Erkenntnisfähigkeit hat sie nicht festgestellt.“

Rechtsfolge I: Mildere Strafe bei versuchtem Mord, oder: Keine Strafmilderung nur bei Erschwerungen

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Und heute dann am letzten Tag im April – vier Monate des Jahres 2024 liegen also schon hinter uns – einige Entscheidungen zu Rechfolgen. Das war schon länger nicht mehr Thema.

Ich eröffne den Reigen mit dem BGH, Urt. v. 01.02.2024 – 4 StR 287/23, über das ich schon einmal berichtet habe (StGB II: Hat der Angeklagte „heimtückisch“ gehandelt?, oder: Überraschen in einer hilflosen Lage). Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Dagegen die  Revision des Angeklagten, der u.a. auch die Strafzumessung beanstandet. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft ist auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und macht Erörterungsmängel im Rahmen der Strafzumessung und Maßregelanordnung geltend. Beide Rechtsmittel waren unbegründet:

„….

2. Entgegen der Auffassung der Revision weist die Strafzumessung keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Zwar ist im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne nicht ausdrücklich strafmildernd aufgeführt, dass der Angeklagte sich zur Tat aufgrund der vorangegangenen „Provokation“ durch den Geschädigten entschloss. Der Senat schließt unter den hier gegebenen Umständen jedoch aus, dass dem Tatgericht dieser in den Urteilsgründen mehrfach erwähnte Gesichtspunkt im Rahmen der Strafzumessung aus dem Blick geraten sein könnte. Anderenfalls wäre die mit vier Jahren und neun Monaten eher milde bemessene Freiheitsstrafe nicht verständlich.

III.

Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg. Strafzumessung und Maßregelanordnung weisen weder einen den Angeklagten begünstigenden noch einen ihn beschwerenden (vgl. § 301 StPO) Rechtsfehler auf.

1. Die Strafrahmenwahl begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht den Strafrahmen des § 211 Abs. 1 StGB gemäß § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB zugunsten des Angeklagten gemildert hat, halten einer rechtlichen Nachprüfung stand. Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft liegt ein den Bestand des Strafausspruchs gefährdender Erörterungsmangel nicht vor.

a) Nach § 23 Abs. 2 StGB kann der Versuch milder bestraft werden als die vollendete Tat. Ob eine Strafrahmenverschiebung wegen Versuchs gemäß § 23 Abs. 2 StGB in Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB in Betracht kommt, ist vom Tatgericht auf der Grundlage einer Gesamtschau aller Tatumstände und der Persönlichkeit des Täters zu entscheiden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 2. August 2023 ‒ 4 StR 98/23 Rn. 5; Urteil vom 25. Januar 2023 ‒ 1 StR 284/22 Rn. 16; Beschluss vom 22. Oktober 2019 ‒ 5 StR 449/19 Rn. 8). Dabei ist zu beachten, dass das Vorliegen des vertypten Milderungsgrunds regelmäßig eine geringere Schuld indiziert (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 922). Eine Versagung der Strafmilderung setzt deshalb erschwerende Umstände voraus, die in den Urteilsgründen im Einzelnen festgestellt und dargelegt werden müssen. Den wesentlichen versuchsbezogenen Umständen (Nähe der Tatvollendung, Gefährlichkeit des Versuchs und aufgewandte kriminelle Energie) kommt im Rahmen der erforderlichen Gesamtschau aller tat- und täterbezogenen Umstände besonderes Gewicht zu (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 15. September 1988 ‒ 4 StR 352/88, BGHSt 35, 347, 355). Eine sorgfältige Abwägung und umfassende Begründung ist insbesondere in Fällen geboten, in denen die Versagung der Strafmilderung wegen Versuchs die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Folge hat (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2023 ‒ 4 StR 286/23 Rn. 12; Urteil vom 25. Januar 2023 ‒ 1 StR 284/22 Rn. 16; Beschluss vom 22. Oktober 2019 ‒ 5 StR 449/19 Rn. 8; Urteil vom 15. Juni 2004 ‒ 1 StR 39/04).

b) Den sich hieraus ergebenden Darlegungsanforderungen ist das Schwurgericht mit dem knappen, aber tragfähigen Hinweis auf die fehlende Vollendungsnähe gerecht geworden. Die hiergegen von der Revision erhobenen Einwände verfangen nicht. Eine weitere Begründung war unter den hier gegebenen Umständen von Rechts wegen nicht geboten.

2. Die Strafzumessung im engeren Sinne weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf. Insbesondere vermag der Senat den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, dass das Landgericht ‒ rechtlich bedenklich ‒ die erlittene Untersuchungshaft strafmildernd berücksichtigt hat. Es hat vielmehr zugunsten des Angeklagten bedacht, dass er als Erstverbüßer besonders haftempfindlich ist. Dies begegnet keinen rechtlichen Bedenken (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 2021 ‒ 4 StR 457/20 Rn. 12).“

StGB II: Hat der Angeklagte „heimtückisch“ gehandelt?, oder: Überraschen in einer hilflosen Lage

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Und dann als zweite Entscheidung des Tages das BGH, Urt. v. 01.02.2024 – 4 StR 287/23 – zum Mordmerkmal „Heimtücke“.

Das LG hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die sich u.a. gegen die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke wendet. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Feststellungen verweise ich auf den verlinkten Volltext. Zusammengefasst geht es um die Geschehnisse in Zusammenhang mit einem Cannabisankauf. Der Angeklagte war wegen des Ankaufs von dem Geschädigten angesprochen worden. Diese hatte ihn gebeten, ihm ein Gramm Cannabis zu verkaufen. Der Angeklagte sagte die spätere Lieferung des Rauschgifts durch einen Dritten zu. Der Geschädigte, der das Cannabis sofort konsumieren wollte und die Reaktion des Angeklagten als überheblich empfand, geriet in Wut. Es entwickelte sich ein auch handgreiflicher Streit, der damit endete, dass der Geschädigte In dem Bewusstsein, aus dem inzwischen von Passanten beobachteten „Kräftemessen“ mit dem Angeklagten als Sieger hervorgegangen zu sein, erklärte, der Angeklagte sei schon immer ein räudiger Hund gewesen und werde dies auch bleiben; dabei trat er abschließend demonstrativ die geöffnete Fahrertür mit dem Fuß zu, wandte sich um und entfernte sich.

Der Angeklagte folgte dem Geschädigten mit seinem Pkw. Dieses sah das. Er  hielt es für möglich, dass der Angeklagte ihm mit dem Fahrzeug folgen könnte, um ihn zur Rede zu stellen oder ihm Angst einzujagen. Da er sich nicht einschüchtern lassen und keine Blöße zeigen wollte, setzte seinen Weg fort; mit einer körperlichen Auseinandersetzung oder gar dem Einsatz des Kraftfahrzeugs als Waffe rechnete er aber nicht.

Der Angeklagte gab dann Vollgas und beschleunigte sein Fahrzeug massiv mit dem Ziel, den Geschädigten auf dem Gehweg mit einer möglichst hohen Geschwindigkeit zu erfassen. Dabei rechnete er damit, den Geschädigten durch die Wucht des Aufpralls tödlich zu verletzen; er fand sich jedoch angesichts der vorangegangenen Kränkung mit einem tödlichen Ausgang ab. In diesem Zusammenhang nahm er auch wahr, dass der Geschädigte den Gehweg in seiner Fahrtrichtung beschritt, ihm den Rücken zuwandte und keine Anstalten machte, die Flucht zu ergreifen. Diese Situation nutzte der Angeklagte bewusst aus, um den Geschädigten von hinten zu überfahren. Er lenkte sein Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von rund 50 km/h gezielt nach rechts auf den Gehweg. Tatplangemäß erfasste der Angeklagte den Geschädigten dort mit der vorderen rechten Motorhaube im Bereich der rechten Körperpartie rückseitig. Der Geschädigte wurde durch den Aufprall erheblich verletzt. Der Angeklagte nahm an, ihn getötet zu haben, lenkte sein Fahrzeug auf die Straße zurück und floh.

Das Schwurgericht hat die Tat ‒ auch ‒ als versuchten Mord im Sinne der § 211 Abs. 2, §§ 22, 23 StGB gewertet. Es ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz und unter Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Geschädigten handelte. Der BGh hat das „gehalten“.

„Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg. Das Urteil weist weder zum Schuld- noch zum Straf- oder Maßregelausspruch einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Der Erörterung bedarf nur das Folgende:

1. Die auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen tragen die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB.

a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet. Ohne Bedeutung ist dabei, ob das Opfer die Gefährlichkeit des drohenden Angriffs in ihrer vollen Tragweite überblickt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Februar 2022 ‒ 4 StR 491/21, NStZ 2022, 364, 365; Beschluss vom 10. Januar 1989 ‒ 1 StR 732/88, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 7). Arg- und Wehrlosigkeit können auch gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Opfer aber gleichwohl in der Tatsituation nicht (mehr) mit einem erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit rechnet (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2005 ‒ 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691; Urteil vom 12. Februar 2003 ‒ 1 StR 403/02, BGHSt 48, 207, 210; siehe auch BGH, Urteil vom 30. August 2012 ‒ 4 StR 84/12, NStZ 2013, 337, 338 mwN). Entscheidend ist auch hier, dass der Täter sein keinen Angriff erwartendes Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn zumindest zu erschweren (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 30. März 2023 ‒ 4 StR 234/22, NStZ-RR 2023, 245, 246; Urteil vom 4. Februar 2021 − 4 StR 403/20, NStZ 2023, 232, 234; Urteil vom 20. Oktober 1993 – 5 StR 473/93, BGHSt 39, 353, 368 f.; Urteil vom 26. November 1986 – 3 StR 372/86, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2 mwN). Das Opfer kann auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 2023 – 1 StR 104/23; Urteil vom 16. August 2005 – 4 StR 168/05, NStZ 2006, 167, 169; Urteil vom 4. Juni 1991 – 5 StR 122/91, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 15 mwN). Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist schließlich, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 15. Februar 2022 ‒ 4 StR 491/21, NStZ 2022, 364, 365; Urteil vom 23. Juli 2020 ‒ 3 StR 77/20 Rn. 9).

b) Gemessen hieran ist heimtückisches Handeln des Angeklagten festgestellt und tragfähig belegt.

aa) Zwar ging dem Tatgeschehen eine verbal und körperlich geführte Auseinandersetzung voraus; im Rahmen dieser Auseinandersetzung verhielt sich der Angeklagte aber zurückhaltend, passiv und ängstlich. Der Geschädigte erwartete nach der aus seiner Sicht beendeten Auseinandersetzung keinen erheblichen Angriff gegen seine körperliche Integrität, sondern rechnete allenfalls damit, dass der ihm körperlich unterlegene Angeklagte ihn angesichts seines vorangegangenen Verhaltens zur Rede stellen oder ihm „Angst einjagen“ könne. Den Urteilsfeststellungen ist daher mit der erforderlichen Klarheit zu entnehmen, dass das Tatopfer nicht mit einem Angriff auf sein Leben oder mit einem erheblichen Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit rechnete. Dass es sich unmittelbar vor der Kollision umwandte und den Angriff daher in letzter Minute wahrnahm, stellt ‒ worauf das Landgericht zutreffend hingewiesen hat ‒ seine Arglosigkeit nicht in Frage, weil die verbleibende Zeitspanne zu kurz war, um der nunmehr erkannten Gefahr zu begegnen.

bb) Die Feststellungen sind auch tragfähig belegt. Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang rechtsfehlerfrei darauf abgestellt, dass der Geschädigte dem Angeklagten den Rücken zuwandte und seinen Weg unbeirrt fortsetzte, ohne die Möglichkeit zur Flucht zu ergreifen. Einen rechtlich erheblichen Erörterungsmangel (zum revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstab vgl. nur BGH, Urteil vom 30. März 2023 ‒ 4 StR 234/22, NStZ-RR 2023, 245, 246) zeigt die Revision nicht auf. Die tatgerichtlichen Schlussfolgerungen sind möglich; zwingend müssen sie nicht sein.

cc) Auch die Annahme eines Ausnutzungsbewusstseins beruht auf einer tragfähigen Beweisgrundlage. Dabei hat das Landgericht neben der anschaulichen Höchstgefährlichkeit der Angriffsweise auch die Umstände, die indiziell gegen ein Ausnutzungsbewusstsein sprechen können (vorangegangene Auseinandersetzung, spontaner Tatentschluss, Erregung und Wut des Angeklagten), ausdrücklich in den Blick genommen. Seine Überzeugung beruht auf einer Gesamtschau aller Beweisanzeichen und ist daher rechtsfehlerfrei.

StGB I: „Niedriger Beweggrund“ bei Trennung, oder: „Herr Lehrer, ich weiß was…..“

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Und dann heute noch einmal – zum letzten Mal in 2022 – StGB-Entscheidungen.

Ich eröffne den Reigen mit dem BGH, Beschl. v. 06.12.2022 – 5 StR 479/22. Das LG hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung  verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die das BGH nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet veriwrft. Aber: Der BGH meint, sich „ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts“ äußern zu müssen:

„Nach den Feststellungen des Landgerichts versuchte der Angeklagte am 10. Dezember 2021, seine frühere Freundin mit mehreren Messerstichen heimtückisch zu töten und verletzte sie dabei schwer, wobei seine Steuerungsfähigkeit aufgrund des Zusammenwirkens einer Persönlichkeitsstörung und erheblicher Alkoholisierung erheblich vermindert war. Das (weitere) Mordmerkmal eines Handelns aus niedrigen Beweggründen hat das Landgericht unter Hinweis auf zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2019 – 1 StR 150/19, NStZ 2019, 518; vom 15. Mai 2003 – 3 StR 149/03, NStZ 2004, 334) unter anderem mit folgender Erwägung abgelehnt: „Dies gilt umso mehr, als die Trennung von der Geschädigten ausgegangen war, die dem Angeklagten zuletzt unmissverständlich deutlich gemacht hatte, dass ihre Beziehung zu Ende sei (‚Es ist aus und vorbei!‘), was als Indiz weiterhin gegen die Annahme niedriger Beweggründe spricht.“

Dieser Erwägung vermag der Senat nicht zu folgen. Niedrig ist ein Beweggrund, der nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt. Gefühlsregungen wie Wut, Zorn, Ärger, Hass und Rachsucht kommen als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 13. November 2019 – 5 StR 466/19, NStZ-RR 2020, 40 mwN).

Ergibt sich das Tötungsmotiv aus einer Trennung vom Ehe-, Lebens- oder Intimpartner, kann für einen niedrigen Beweggrund sprechen, dass der Täter dem anderen Teil aus übersteigertem Besitzdenken das Lebensrecht abspricht (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 2020 – 5 StR 124/20, NStZ 2021, 226 mwN), den berechtigten Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben bestrafen will (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2020 – 5 StR 543/19, NStZ 2020, 617 mwN) oder dass er handelt, weil er die Trennung nicht akzeptiert und eifersüchtig ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2017 – 2 StR 656/13, NStZ 2018, 527). Gegen das Vorliegen eines niedrigen Beweggrundes kann dagegen sprechen, dass die Trennung zu tatbestimmenden und tatauslösenden Gefühlen der Verzweiflung und inneren Ausweglosigkeit geführt hat (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 2006 – 5 StR 97/06, NStZ-RR 2006, 340, 342 mwN). Zu bedenken kann dabei auch sein, dass nicht selten – wie auch hier – der Täter die Trennung selbst maßgeblich zu verantworten hat (vgl. näher MüKo-StGB/Schneider, 4. Aufl., § 211 Rn. 105; ders., NStZ 2022, 543, 544, jeweils mwN).

Der Umstand, dass die Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, stellt entgegen der Auffassung des Landgerichts für sich gesehen kein gegen die Annahme niedriger Beweggründe sprechendes Indiz dar. Mit dem Menschenbild des Grundgesetzes und den Werten des durchweg auf Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und gegenseitige personelle Achtung angelegten deutschen Rechts (vgl. zur Relevanz bei der Bewertung eines Tötungsmotivs BGH, Urteil vom 13. November 2019 – 5 StR 466/19, NStZ-RR 2020, 40) ist es aus Sicht des Senats unvereinbar, der legitimen Inanspruchnahme des Rechts auf ein selbstbestimmtes Leben eine derartige Relevanz für die sozialethische Bewertung des Tötungsmotivs zuzusprechen.

Dass das Landgericht mit teilweise rechtsfehlerhafter Begründung die Annahme niedriger Beweggründe abgelehnt hat, beschwert den Angeklagten indes nicht.“

Mir erschließen sich solche Entscheidungen nicht. Revisionsgericht hin oder her. Aber: Was soll das? Will man dem LG zeigen, dass es etwas falsch gemacht hat. Warum? Wenn es darauf nicht ankommt. Mein Vorsitzender während der Erprobung beim OLG Hamm hätte mir die Akten um die Ohren gehauen, bei einer solchen: „Herr Lehrer, ich weiß was, Entscheidung“.