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StGB I: „Niedriger Beweggrund“ bei Trennung, oder: „Herr Lehrer, ich weiß was…..“

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Urheber Photo: Andreas Praefcke

Und dann heute noch einmal – zum letzten Mal in 2022 – StGB-Entscheidungen.

Ich eröffne den Reigen mit dem BGH, Beschl. v. 06.12.2022 – 5 StR 479/22. Das LG hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung  verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die das BGH nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet veriwrft. Aber: Der BGH meint, sich „ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts“ äußern zu müssen:

„Nach den Feststellungen des Landgerichts versuchte der Angeklagte am 10. Dezember 2021, seine frühere Freundin mit mehreren Messerstichen heimtückisch zu töten und verletzte sie dabei schwer, wobei seine Steuerungsfähigkeit aufgrund des Zusammenwirkens einer Persönlichkeitsstörung und erheblicher Alkoholisierung erheblich vermindert war. Das (weitere) Mordmerkmal eines Handelns aus niedrigen Beweggründen hat das Landgericht unter Hinweis auf zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2019 – 1 StR 150/19, NStZ 2019, 518; vom 15. Mai 2003 – 3 StR 149/03, NStZ 2004, 334) unter anderem mit folgender Erwägung abgelehnt: „Dies gilt umso mehr, als die Trennung von der Geschädigten ausgegangen war, die dem Angeklagten zuletzt unmissverständlich deutlich gemacht hatte, dass ihre Beziehung zu Ende sei (‚Es ist aus und vorbei!‘), was als Indiz weiterhin gegen die Annahme niedriger Beweggründe spricht.“

Dieser Erwägung vermag der Senat nicht zu folgen. Niedrig ist ein Beweggrund, der nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt. Gefühlsregungen wie Wut, Zorn, Ärger, Hass und Rachsucht kommen als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 13. November 2019 – 5 StR 466/19, NStZ-RR 2020, 40 mwN).

Ergibt sich das Tötungsmotiv aus einer Trennung vom Ehe-, Lebens- oder Intimpartner, kann für einen niedrigen Beweggrund sprechen, dass der Täter dem anderen Teil aus übersteigertem Besitzdenken das Lebensrecht abspricht (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 2020 – 5 StR 124/20, NStZ 2021, 226 mwN), den berechtigten Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben bestrafen will (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2020 – 5 StR 543/19, NStZ 2020, 617 mwN) oder dass er handelt, weil er die Trennung nicht akzeptiert und eifersüchtig ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2017 – 2 StR 656/13, NStZ 2018, 527). Gegen das Vorliegen eines niedrigen Beweggrundes kann dagegen sprechen, dass die Trennung zu tatbestimmenden und tatauslösenden Gefühlen der Verzweiflung und inneren Ausweglosigkeit geführt hat (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 2006 – 5 StR 97/06, NStZ-RR 2006, 340, 342 mwN). Zu bedenken kann dabei auch sein, dass nicht selten – wie auch hier – der Täter die Trennung selbst maßgeblich zu verantworten hat (vgl. näher MüKo-StGB/Schneider, 4. Aufl., § 211 Rn. 105; ders., NStZ 2022, 543, 544, jeweils mwN).

Der Umstand, dass die Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, stellt entgegen der Auffassung des Landgerichts für sich gesehen kein gegen die Annahme niedriger Beweggründe sprechendes Indiz dar. Mit dem Menschenbild des Grundgesetzes und den Werten des durchweg auf Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und gegenseitige personelle Achtung angelegten deutschen Rechts (vgl. zur Relevanz bei der Bewertung eines Tötungsmotivs BGH, Urteil vom 13. November 2019 – 5 StR 466/19, NStZ-RR 2020, 40) ist es aus Sicht des Senats unvereinbar, der legitimen Inanspruchnahme des Rechts auf ein selbstbestimmtes Leben eine derartige Relevanz für die sozialethische Bewertung des Tötungsmotivs zuzusprechen.

Dass das Landgericht mit teilweise rechtsfehlerhafter Begründung die Annahme niedriger Beweggründe abgelehnt hat, beschwert den Angeklagten indes nicht.“

Mir erschließen sich solche Entscheidungen nicht. Revisionsgericht hin oder her. Aber: Was soll das? Will man dem LG zeigen, dass es etwas falsch gemacht hat. Warum? Wenn es darauf nicht ankommt. Mein Vorsitzender während der Erprobung beim OLG Hamm hätte mir die Akten um die Ohren gehauen, bei einer solchen: „Herr Lehrer, ich weiß was, Entscheidung“.