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Nachträgliche Pflichtverteidigerbestellung, oder: Geht doch

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In der Praxis gibt es immer wieder Streit um die Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung eines Pflichtverteidigers, insbesondere nach Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO. Die OLG lehnen das i.d.R. ab. In meinen Augen eine „heilige Kuh“ in ihrer Rechtsprechung, mit der nicht selten die Praxis der Instanzgerichte sanktioniert wird, die Entscheidung über einen rechtzeitig gestellten Beiordnungsantrag „hinaus zu schieben“, dann das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO einzustellen und dann dem Verteidiger zu sagen: Jetzt kann ich dich nicht mehr beiordnen, denn das Verfahren ist rechtskräftig abgeschlossen.

So ähnlich war das AG Magdeburg verfahren und hat sich dafür eine Aufhebung durch das LG Magdeburg eingefangen. Das führt im LG Magdeburg, Beschl. v. 11.10.2016 – 23 Qs 354 Js 13052/16 (18/16) – dazu kurz und knapp aus:

„Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Die Beschwerde gegen die Zurückweisung der Beiordnung ist trotz des Abschlusses des Verfahrens zulässig, weil es sich bei der Entscheidung über die Beiordnung um eine der Sicherung des Verfahrens dienende Anordnung handelt, die generell und unabhängig vom Verfahrensstadium beschwerdefähig ist, weil die angegriffene beschwerdende Anordnung auch nach Abschluss des Verfahrens bezüglich der Kostenerstattung fortwirkt (vgl. Landgericht Magdeburg, Beschluss vom 15.04.2007, Az.: 22 Qs 336 Js 24294/06). Die Kammer vertritt diese Auffassung in Übereinstimmung mit der neueren Rechtsprechung vieler Landgerichte und hält die rückwirkende Bestellung für zulässig (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Auflage, § 141 Rd. 8)………..“

Auch hier: Geht doch 🙂 . Das LG Magdeburg ist mit seiner Auffassung übrigens nicht allein. M.E. ist es die h.M. der lG, die so verfährt.

Haftentlassung – keine automatische Entlassung des „Pflichti“

© pedrolieb -Fotolia.com

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Etwas vorschnell hatte nach Auffassung des LG Magdeburg im LG Magdeburg, Beschl. v. 13.06.2016 – 25 Qs 34/16 – den nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO bestellten Pflichtverteidiger entpflichtet. Das AG hatte ihn beigeordnet, weil sich der Angeschuldigte länger als drei Monate in Haft befand bzw. voraussichtlich bis zur Hauptverhandlung befinden werde.  Dem AG wurde dann mitgetielt, dass der Angeschuldigte aus der Haft entlassen worden sei; es hob die Beiordnung des Pflichtverteidigers auf. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO nicht vorlägen und weder die Schwere der Tat noch die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Beiordnung eines Verteidigers geboten erscheinen ließen. Ferner seien auch die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 StPO nicht gegeben, da der Angeschuldigte aus der Haft entlassen worden sei. Dagegen die Beschwerde, die Erfolg hatte:

„Gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO ist die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig, wenn der Beschuldigte (Angeschuldigte) sich mindestens drei Monate aufgrund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befunden hat und nicht mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung entlassen wird. Daraus folgt, dass die Bestellung nicht per Gesetz automatisch in Wegfall gerät, wenn der Beschuldigte (Angeschuldigte) mindestens zwei Wochen vor der Hauptverhandlung aus der Verwahrung entlassen wird und die Verteidigung nicht aus einem anderen Grund notwendig Ist. Das Gericht muss dabei stets prüfen, ob die Beiordnung des Verteidigers aufrechtzuerhalten ist, weil die auf der Freiheitsentziehung beruhende Behinderung trotz der Freilassung nachwirkt, was in der Regel der Fall sein wird (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 140 Rn. 36). Ferner muss die Aufhebung der Bestellung durch eine mit Gründen zu versehene Entscheidung getroffen werden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.). Zwar hat das Amtsgericht den angefochtenen Beschluss vom 3. Mai 2016 mit Gründen versehen, jedoch erschöpfen sich diese in formelhaften Ausführungen. Die Entscheidung lässt nicht erkennen, dass sich das Amtsgericht seines Ermessensspielraumes bewusst gewesen ist und setzt sich nicht mit der Frage auseinander, ob die auf der vorangegangenen Freiheitsentziehung beruhende Behinderung trotz der Freilassung des Angeschuldigten nachwirkt. Vielmehr lässt die Entscheidung erkennen, dass das Amtsgericht von einem bloßen Automatismus hinsichtlich der Aufhebung der Beiordnung ausgegangen ist, wenn der Angeschuldigte sich innerhalb des von § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO gesetzten Zeitraumes nicht mehr in Haft befindet. Daher wird das Amtsgericht Magdeburg erneut über die Aufhebung der zuvor erfolgten Beiordnung von Rechtsanwalt Funck als notwendigen Verteidiger zu entscheiden haben.“

Der vom LG festgestellte Fehler ist häufig….es gibt eben an der Stelle keinen Automatismus….

Besuchsüberwachung, oder: Keine Verdachtsüberwachung

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Der Beschuldigte befindet sich u.a. wegen des (schweren) sexuellen Missbrauch eines Kindes gem. § 176 Abs. 2 Nr. 1 StGB und § 176 Abs. 4 Nr. StGB in U-Haft. Das AG hat gem. § 119 StPO angeorndet, dass Besuche und die Telekommunikation der Erlaubnis bedürfen und diese sowie der Schrift- und Paketverkehr zu überwachen sei. Begründung: Es bestehe die Gefahr , dass der Beschuldigte Verdunklungshandlungen durch Einwirken auf Zeugen vornehme, da eine hohe Straferwartung gegeben sei.

Das LG Magdeburg hat im LG Magdeburg, Beschl. v. 04.07.2016 – 22 Qs 143 Js 14979/16 (29/16)  – die Beschränkungen – wie zu erwarten – aufgehoben. Begründung:

„Für die angeordneten Beschränkungen nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StPO fehlt es jedenfalls im jetzigen Verfahrensstadium an einer Grundlage, weshalb sie aufzuheben waren.

Jede über die Inhaftierung hinausgehende Beschränkung der Freiheitsrechte des Beschuldigten muss in Umsetzung mit der Unschuldsvermutung und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einzeln auf ihre konkrete Erforderlichkeit geprüft und ausdrücklich angeordnet sowie begründet werden. Die Nichtanordnung von Beschränkungen nach § 119 Abs. 1 ist also der Regelfall, die Beschränkung nach eingehender Einzelfallprüfung die Ausnahme [vgl. Gärtner in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., (Nachtrag), § 119 Rn. 4, 11 m. w. N. Die Anordnung, dass die Telekommunikation und der Empfang von Besuchen der Erlaubnis bedürfen und Besuche, Telekommunikation sowie Schrift- und Paketverkehr zu überwachen sind, ist nur zulässig, wenn im Einzelfall aufgrund konkreter Anhaltspunkte durch den unkontrollierten Kontakt des Untersuchungsgefangenen mit der Außenwelt eine reale Gefahr für die darin genannten Haftzwecke (Flucht-, Verdunklungs- oder Wiederholungsgefahr) besteht, während die bloße Möglichkeit, dass ein Untersuchungsgefangener seine Freiheiten missbrauchen könnte, nicht genügt (vgl. BVerfG StV 2009, 253; OLG Düsseldorf StV 2011, 746; KG StV 2015, 306; OLG Hamm NStZ-RR 2010, 292). Der vom Amtsgericht genannte Aspekt, dass zu befürchten sei, dass der Beschuldigte zu der Geschädigten gegebenenfalls auch über Dritte Kontakt aufnimmt, um diese in ihrem Aussageverhalten zu beeinflussen, ist nicht geeignet, eine solche reale Gefahr für einen Haftzweck zu belegen. Die bloße Möglichkeit eines Missbrauchs rechtfertigt noch keine Haftbeschränkung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 59. Aufl., StPO, § 119 Rn. 6 m. w. N.). Anhaltspunkte dafür, dass der Beschuldigte auf die Geschädigte einwirken würde, sind bisher nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass die Geschädigte mit dem Beschuldigten bis zu dessen Inhaftierung offenbar eine „Liebesbeziehung“ geführt hat, spricht noch nicht für das Vorliegen einer realen Gefahr, zumal sich der Beschuldigte bisher im Rahmen des Ermittlungsverfahrens geständig gezeigt hat. Hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ohne Beschränkungen der Haftzweck real gefährdet wäre, lassen sich dem Beschluss des Amtsgerichts Magdeburg vom 31. Mai 2016 ansonsten nicht entnehmen und sind auch im Übrigen nicht ersichtlich.“

Nichts wesentlich Neues, aber der Beschluss ruft noch einmal ins Gedächtnis: Ohne konkrete Anhaltspunkte für Missbrauch gibt es keine Überwachung, oder: Eine Verdachtsüberwachung ist nicht zulässig.

Wenn der Steuerfiskus schläft…, oder: Dinglicher Arrest wird aufgehoben

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Dingliche Arreste nehmen in der Praxis auch in Strafverfahrne zu. Das zeigt die veröffentlichte Rechtsprechung. In dem Zusammenhang von Interesse kann der LG Magdeburg, Beschl. v. 11.07.2016 – 24 Qs 66/16 – sein. Er behandelt nämlich zwei Fragen, die in der Praxis eine große Rolle spielen, und zwar einmal die der Anordnungsvoraussetzungen und dann die Verhältnismäßigkeit. Es ging um einen dinglichen Arrest, der zur Sicherung des staatlichen Anspruchs auf Verfall des Wertersatzes in Höhe von 12.000,– EUR in das Vermögen des Beschuldigten beim Vorwurf eines Steuerdelikts angeordnet worden war. Das LG hat aufgehoben und beanstandet zwei Punkte:

„Die Voraussetzungen des angeordneten dinglichen Arrestes liegen nicht vor, da jedenfalls ein Arrestgrund nicht ausreichend ersichtlich ist. Der angefochtene Beschluss bezieht sich insoweit allein auf den gegen den Beschuldigten bestehenden Verdacht der Begehung einer gewerbsmäßigen Steuerhehlerei, der auf eine Gesinnung schließen lasse, dass er versuchen werde, das Erlangte zu behalten. Diese Erwägung, mit der sich so gut wie in allen Fällen einer Steuerhehlerei, Steuerhinterziehung und sonstiger auf Täuschung und Heimlichkeit basierender Straftaten ein dinglicher Arrest begründen ließe, reicht allein nicht aus. Erforderlich sind über den Tatverdacht hinausgehende konkrete Umstände, die besorgen lassen, dass ohne eine Arrestanordnung der Rückforderungsanspruch des Fiskus ernstlich gefährdet ist (OLG Oldenburg, Beschluss vom 26. November 2007, Az.: 1 Ws 554/07, zitiert nach juris). Solche Umstände sind gegenwärtig nicht ersichtlich. insbesondere gibt es keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Beschuldigte sein Vermögen ins Ausland verschieben oder sonst verheimlichen oder verschleudern werde.

Darüber hinaus ist der angeordnete Arrest — jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt – auch unverhältnismäßig. Seit der Anordnung des Arrestes sind zwischenzeitlich ein Jahr und drei Monate vergangen, ohne dass eine Anklageerhebung unmittelbar bevor steht Dazu kommt, dass die strafprozessuale Sicherungsmaßnahme zugunsten des Steuerfiskus ergangen ist. Der Steuerfiskus hat von der Möglichkeit, selbst einen dinglichen Arrest nach § 324 AO zu erlassen, abgesehen. Daraus lässt sich mindestens auf eine erhebliche Reduzierung des Sicherungsbedürfnisses schließen. Strafprozessuale     Arrestanordnungen zur Rückgewinnungshilfe sollen dem Tatverletzten nicht eigene Arbeit und Mühe abnehmen, sondern ihn nur insoweit unterstützen, wie dies zur Durchsetzung der Ansprüche erforderlich ist. Sieht ein Geschädigter, der — wie hier der Steuerfiskus — sich selbst einen Arresttitel ausstellen kann, hiervon ab, so zeigt sich darin ein fehlendes oder jedenfalls stark eingeschränktes Sicherungsbedürfnis, das in der vorliegenden Abwägung zwischen der Beeinträchtigung des Eigentumsrechts des Betroffenen und dem Sicherstellungsbedürfnis des Fiskus in einer Gesamtschau — auch unter Berücksichtigung des zeitlichen Ablaufes — zur Annahme der Unverhältnismäßigkeit führt.“

Pflichti III- Steuerstrafverfahren mit vier Wertgutachten sind schwierig

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Und zum Abschluss des kleinen Pflichtverteidigermarathons dann noch den LG Magedebugr, Beschl. v. 20.04.2016 – 24 Qs 37/16 (vgl. vorhergehend den KG, Beschl. v. 09.02.2016 – (4) 121 Ss 231/15 (5/16) – dazu Pflichti I: Rechtsfragen aus Bereichen außerhalb des Kernstrafrechts –   und  den KG, Beschl. v. 10.02.2016 – 4 Ws 10/16. – dazu Pflichti II: Der „Verdrängler“ wird nicht beigeordnet).

Er behandelt dann noch mal die Beiordnung wegen Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage, und zwar in einem Steuerstrafverfahren. Dazu das LG:

„Ob allein der Umstand, dass hier die Begehung einer Steuerstraftat im Raum steht, die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage begründet, ist zweifelhaft. Sie muss allerdings schon deswegen nicht beantwortet werden, weil jedenfalls die konkrete Sachgestaltung eine solche Schwierigkeit i.S.v. § 140 Abs. 2 StPO begründet.

Für die Frage, ob eine Steuerverkürzung im vorgeworfenen Umfang tatsächlich eingetreten, ist, die wiederum auf einer Falschangabe durch den Angeklagten beruht, ist maßgeblich, welchen Entnahmewert das Grundstück pp. hatte. Denn dieser bedingt den Gewinn aus Gewerbebetrieb und damit letztlich das im Jahr 2008 zu versteuernde Einkommen des Angeklagten.

Letztlich sind im Besteuerungsverfahren vier Wertgutachten zu den Akten gelangt (vgl. Beiheft Nr. 2), wobei jeweils zwei durch den Angeklagten und zwei von Seiten des Finanzamtes beigebracht wurden. Diese unterscheiden sich inhaltlich in erheblichem Maße. Vom Angeklagten kann in Anbetracht der Sachlage nicht verlangt werden, dass er sich ohne anwaltliche Zuhilfenahme der (nunmehr) strafrechtlichen Anknüpfung der aus den Gutachten folgenden unterschiedlichen Wertbemessung aussetzen muss. Zudem gebiete es der Grundsatz des fairen Verfahrens, dem Angeklagten umfassende Aktenkenntnis durch Akteneinsicht durch einen Verteidiger zu gewähren.“