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Pflichti I: Vollstreckung in Frankreich steht im Raum, dann gibt es einen Pflichtverteidiger

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So, heute dann mal wieder ein paar Entscheidungen zur Pflichtverteidigerbestellung. Zunächst zum Auftakt den LG Beschluss, Beschl. v. 02.02.2018 – 8 KLs 46 Js 244/15 – 24/17 – ergangen im Vollstreckungsverfahren. Kurz und zackig sagt das LG:

„…. als Pflichtverteidiger beigeordnet, soweit es die laufenden Verfahren auf Gewährung von Strafaufschub und auf Übertragung der Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil der Kammer vom 10.07.2017 auf die Französische Republik betrifft.

Gründe:

Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers ist erforderlich, weil nicht gewährleistet ist, dass die Verurteilte, die mit den gesetzlichen Regelungen über einen Strafaufschub sowie über die Vollstreckung eines deutschen Strafurteils im Ausland kaum vertraut sein wird, ihre Rechte trotz Schwangerschaftskomplikationen und sprachlicher Defizite auch ohne anwaltliche Hilfe sachgemäß wahrnehmen kann. Bei dieser Sachlage ist eine Pflichtverteidigerbestellung im Vollstreckungsverfahren zulässig und geboten, § 140 Abs. 2 StPO analog (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. 2017, § 140 Rn. 33). Jedoch war die Beiordnung auf den gegenwärtigen Vollstreckungsabschnitt zu beschränken (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 140 Rn. 33a).“

 

ihre Rechte trotz Schwangerschaftskomplikationen und sprachlicher Defizite auch ohne anwaltliche Hilfe sachgemäß wahrnehmen kann..“ ist wohl anders gemeint 🙂 .

Unfallmanipulation? – die Daten des Electronic Data Recorders sprechen (auch) dafür

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Das LG Bochum, Urt. v. 17.10.2016 – I 5 O 291/15 – behandelt (mal wieder) einen Fall der Unfallschadenmanipulation (um Kommentare zu vermeiden, nehme ich nicht den „getürkten Unfall“ 🙂 ). Die macht im Rahmen einer fiktiven Abrechnung Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall geltend. Hierzu behauptete sie, dass ihr am Straßenrand abgestelltes – hochwertiges – Kfz vom Typ Audi A-7 durch den Beklagten mit einem Fahrzeug beschädigt worden sein soll, welches dieser angemietet hatte. Der Beklagte hat angegeben, dass er in der Nähe vom Unfallort nicht gehalten, sondern gleich in die Straße des Kollisionsortes eingebogen wäre. Bei starkem Regen wäre dann überraschend die Fahrzeugelektronik ausgefallen und dies wäre die Ursache für ein Abkommen nach rechts von der Fahrbahn gewesen.

Das LG geht von einem manipulierten Unfall aus. Insoweit nichts Neues, wenn es ausführt:

„Auf das Vorliegen eines manipulierten Unfallereignisses kann bereits dann geschlossen werden, wenn ein solches nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann, jedoch hinreichend starke Indizien dafür sprechen, dass eine Absprache der Beteiligten vorliegt (vgl. OLG Hamm, Beschl v. 25.6.2014 -Az. 20 U 66/14). Entscheidend ist dabei eine Gesamtschau aller Umstände, nicht die isolierte Würdigung einzelner Aspekte des Sachverhalts (KG, Urt. v. 6.2.2006 -12 U 4/04).“

Auch die herangezogenen Indizien sind dann nicht neu: Hochwertiges Fahrzeug wird durch ein gemietetes Fahrzeug beschädigt, Abrechnung auf der Grundlage fiktiver Reparaturkosten,  zeitnaher Verkauf des geschädigten Fahrzeugs, vermeintlich klare Haftungslage.

Aber ein Kriterium ist dann doch „neu“ bzw. macht die Entscheidunge berichtenswert. Nämlich:

„Neben der Vielzahl der dargestellten Indizien spricht jedoch insbesondere das auf der Auswertung des „Electronic Data Recorder“ basierende Gutachten für einen gestellten Verkehrsunfall. Aus den insgesamt gut nachvollziehbaren Ausführungen – ¬denen die Klägerin ebenfalls nicht entgegengetreten ist – ergibt sich ein Unfallhergang, der vollständig von den Schilderungen des Beklagten zu 1) abweicht. Hiernach stand das Fahrzeug fünf Sekunden vor der Kollision und wurde dann relativ stark auf eine Geschwindigkeit von 34 km/h beschleunigt. Das Lenkrad war dabei nach links gedreht. Anschließend folgte eine leichte Lenkbewegung nach rechts sowie ein leichtes Abbremsen. Sodann kam es zu der Kollision. Dies weicht erheblich von den Schilderungen des Beklagten zu 1) ab und stellt kein plausibles und nachvollziehbares Fahrmanöver dar.

Es besteht zudem kein Grund an dem Parteigutachten, das durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen erstattet wurde, zu zweifeln. Insbesondere besteht kein Grund zu der Vermutung, dass die vom „Electronic Data Recorder“ zur Verfügung gestellten Daten durch einen etwaigen Ausfall der Elektronik beeinflusst worden sind. Dies ergibt sich ebenfalls aus dem Gutachten. Wäre es zu einem solchen Ausfall gekommen, hätte der „Electronic Data Recorder“ andere oder ggf. gar keine Daten aufgezeichnet.

Es bestehen im Hinblick auf die Auswertung dieser Daten auch keine datenschutzrechtlichen Bedenken. Bei den Aufzeichnungen des Electronic Data Recorder dürfte es sich um personenbezogene Daten im Sinne des BDSG handeln, da dieser Begriff weit auszulegen ist und keine gesteigerte Persönlichkeitsrelevanz oder Eingriffsintensität voraussetzt (Tager/Gabel-Buchner, BDSG, § 3 Rn. 11). Die Datenverarbeitung ist jedoch nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG zulässig, da sie zur Wahrung berechtigter Interessen erforderlich ist und keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen des Betroffenen ersichtlich sind. Im Rahmen der erforderlichen Abwägung überwiegt das Interesse an der Aufklärung des Geschehensablaufs das Interesse des Betroffenen am Schutz der personenbezogenen Daten, zumal diese hier nahezu keine Rückschlüsse auf persönlichkeitsrelevante Merkmale erlauben (vgl. Pötters/Wybitul, NJW 2014, 2074, 2076 ff.).“

VW-Abgasskandal: Hier dann LG Bochum/LG Münster zur „VW-Schummelsoftware“

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Heute dann außer der Reihe mal an einem Donnerstag Verkehrszivilrecht, na ja: Vielleicht doch nicht ganz, sondern – zumindest im Hintergrund – auch ein wenig Strafrecht? Nun, es geht um den VW-Abgasskandal – das Dieselgate – und die ersten landgerichtlichen Urteile zur „VW-Schummel-Software“, nämlich das LG Bochum, Urt. v. 16.03.2016 – I-2 O 425/15 und das LG Münster, Urt. v. 14.03.2016 – 11 O 341/15.

Der VW-Konzern und die VW-Händler werden sich über beide Entscheidungen freuen, denn beide LG haben die Klagen auf  Rückabwicklung der Kaufverträge wegen der in den Fahrzeugen verbauten „Schummelsoftware“ abgewiesen. Die LG gehen zwar von einem Mangel aus – na, das ist doch schon mal was, aber: Der Mangel liegt unterhalb der sog. Erheblichkeitsschwelle, sodass ein Anspruch auf Rücktritt verneint worden ist. Dabei gehen die LG von Kosten der Mängelbeseitigung aus, die im Verhältnis zum Kaufpreis geringfügig sind/sein sollen/werden.

Und: Beide LG stellen darauf ab, dass den Verkäufern die Nacherfüllung erst möglich ist, wenn die Nachbesserungsmaßnahmen konkret durch den Hersteller zur Verfügung gestellt werden. Den Käufern sei zuzumuten, abzuwarten, bis der Hersteller einen Vorschlag unterbreitet, der mit dem Kraftfahrtbundesamt abgestimmt ist. Schön und gut, man fragt sich allerdings, wie lange das noch dauern soll.

Nun, ich denke, die angesprochenen Fragen werden sicherlich durch die beiden LG nicht abschließend behandelt worden sein. Das letzte Wort wird im Zweifel der BGH sprechen.

Und hier dann noch einmal: VRR_11_2015_Abgas_VW_Blitzausgabe_1

Tod eines nahen Angehörigen – 20.000 € Schmerzensgeld für jedes Familienmitglied

buch_paragraphenzeichen_BGB_01Beim LG Bochum ist vor einiger Zeit um Schadensersatz und ein Schmerzensgeld und dessen Höhe für Angehörige gestritten worden, das diese nach einem Tötungsdelikt auf einer Klassenfahrt, auf der der Sohn bzw. der Bruder duch den Beklagten durch Messerstiche getötet worden ist, vom Beklagten verlangt haben.

Das LG Bochum hat im LG Bochum, Urt. v. 29.10.2015 – I-2 O 574/12 – den Eltern des Getöteten einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld aus übergegangenem Recht ihres getöteten Sohnes i. H. v. 50.000 € gemäß §§ 823 Abs. 1 BGB, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 212, 223, 224 StGB, 253 Abs. 2 BGB, 1922 BGB, zuerkannt, Schadensersatz nach § 844 BGB zugesprochen und den Eltern und auch der Schwester des Getöteten ein Schmerzensgeld von jeweils 20.000 € aus eigenem Recht zuerkannt. Dazu führt das LG in seinem doch recht umfangreichen Urteil u.a. aus: Ein Schmerzensgeld für nahe Angehörige sei jedenfalls dann zuzuerkennen, wenn eine pathologisch fassbare Gesundheitsbeeinträchtigung von einigem Gewicht und einiger Dauer festzustellen ist, die über den üblicherweise mit dem Tod eines nahen Angehörigen einhergehenden seelischen Schmerz hinausgehe. Dies ist nach Auffassusng des LG der Fall, wenn alle Familienmitglieder nach fehlgeschlagener intensivmedizinischer Behandlung des Opfers den Tod des Sohnes/Bruders miterleben mussten, seitdem unter depressiven Episoden und posttraumatischen Belastungsstörungen leiden und dadurch in ihrer Lebensführung und Lebensfreude beeinträchtigt sind. Ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 € pro Person sei daher angemessen.

Nachtrag: Leider scheint es heute (16.01.2016) wieder beim Provider ein Problem zu geben, so dass der Volltext nicht abrufbar ist. Der Support ist natürlich nicht erreichbar – und meldet sich übrigens auch nicht am nächsten Werktag. Ich kann nur davor warnen, bei Domianbox zu hosten.

Ganz interessant – Bußgeldrecht meets Insolvenzrecht

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Eine in meinen Augen ganz interessante Frage behandelt der LG Bochum, Beschl. v. 04.12.2012 – 9 Qs 86/12 -, nämlich die Frage, ob während des Insolvenzverfahrens und des Restschuldbefreiungsverfahrens die Anordnung von Erzwingungshaft zur Erzwingung der Zahlung einer Geldbuße nach § 96 OWiG zulässig ist oder nicht. Das LG Bochum hat das – in Fortschreibung seiner bisherigen Rechtsprechung und in Übereinstimmung mit einigen anderen LG, aber auch in Abweichungen von anderen LG verneint. Begründung: Auch die Anordnung von Erzwingungshaft sei beine unzulässige Maßnahme der Einzelzwangsvollstreckung im Sinne der §§ 89, 294 InsO.