Bild von Christian Dorn auf Pixabay
Und als zweite Entscheidung dann der OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 05.11.2021 – 2 Ws 84/21 -, den mir der Kollege Peter aus Frankfurt geschickt. Die Entscheidung ist – das schon mal vorab – leider falsch.
Das OLG geht von folgendem Sachverhalt aus:
Der Kollege, der zuvor als Wahlverteidiger mandatiert war, wurde dem zwischenzeitlich Verurteilten auf dessen Antrag hin durch Beschluss des AG vom 13.3.2019 als Pflicht-verteidiger beigeordnet. Im gleichen Beschluss wurde die bisherige Pflichtverteidigerin Rechtsanwältin D. entpflichtet. Das AG ist in seinem Beschluss vom 13.3.2019 von einer nachhaltigen Störung des Vertrauensverhältnisses des späteren Verurteilten zu seiner bisherigen Pflichtverteidigerin ausgegangen. Die bisherige Pflichtverteidigerin hatte im Schriftsatz vom 8.3.2019 angegeben, dass das Vertrauensverhältnis zwischen ihr und dem späteren Verurteilten aus ihrer Sicht im vollem Umfang bestehe und die Aufrechterhaltung ihrer Pflichtverteidigerbestellung beantragt.
In einem an das AG gerichteten Schriftsatz des Kollegen vom 12.2.2019 hatte sich dieser zuvor wie folgt geäußert: „Weiterhin wird dem Wunsch des Beschuldigten entsprochen und ein Antrag auf Pflichtverteidigerwechsel gestellt. Herr PP. möchte sich nicht mehr von Frau D. verteidigen lassen. Im Fall eines Wechsels wird der Unterzeichner sein Wahlmandat niederlegen und auf bereits entstandene Gebühren verzichten.“ Die Staatsanwaltschaft hatte dazu dahingehend Stellung genommen, dass zwar „die (hohen) Voraussetzungen für einen Widerruf der Beiordnung der Pflichtverteidigerin nach § 143 StPO … nach den bisherigen Darstellungen …. nicht vor[liegen]. Eine Stellungnahme der Pflichtverteidigerin hat die Staatsanwaltschaft bisher nicht erreicht. Sollte Einverständnis mit dem Widerruf der Beiordnung bei ihr bestehen, würde sich die Staatsanwaltschaft einem Pflichtverteidigerwechsel nicht entgegenstellen, da der neue Verteidiger einen Verzicht für die bereits bei der Pflichtverteidigerin entstandenen Gebühren (Grund- und Verfahrensgebühr) erklärt hat, sodass keine nennenswerten Mehrkosten zu erwarten sind.“
Die frühere Pflichtverteidigerin hat am 21.3.2019 ihre Tätigkeit mit 443,87 EUR gegenüber dem AG abgerechnet. Dabei sind die Gebühren Nr. 4101, 4104 VV RVG mit netto 192,00 EUR abgerechnet worden. Mit Schriftsatz vom 26.11.2020 hat er Kollege nach Verurteilung des Angeklagten seine Pflichtverteidigertätigkeit gegenüber dem LG abgerechnet. Der Rechtspfleger hat diese Gebühren abgesetzt, da sie bereits für Rechtsanwältin D. entstanden seien und mit Schreiben vom 12.2.2019 auf die bereits entstandenen Gebühren verzichtet worden sei. Auf die sofortige Beschwerde des Kollegen hat das LG diese Gebühren dann aber festgesetzt. Auf das dagegen gerichtete Rechtsmittel der Bezirksrevisorin hat das OLG die Gebührenfestsetzung des Rechtspflegers wieder hergestellt.
Begründung:
„Der Beschwerdegegner hat in seinem Schriftsatz vom 12. Februar 2019, in dem er für den inzwischen Verurteilten, den Antrag auf Pflichtverteidigerwechsel gestellt hat, erklärt, im Falle eines Wechsels sein Wahlmandat niederzulegen und auf bereits entstandene Gebühren zu verzichten. Im Hinblick hierauf hat die Staatsanwaltschaft erklärt, sich einem Pflichtverteidigerwechsel nicht entgegenzustellen. Nachdem das Amtsgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 13. März 2019 die vormalige Pflichtverteidigerin entpflichtet und den Beschwerdegegner zum Pflichtverteidiger bestellt hat, ist die Bedingung, unter der der Beschwerdegegner seinen Gebührenverzicht erklärt hat, eingetreten. Aufgrund dieses Verzichts, der nicht lediglich hilfsweise, sondern eindeutig erklärt worden ist, hat der Beschwerdegegner keinen Anspruch auf die vom Rechtspfleger abgesetzten Gebühren, die bereits bei der vormaligen Pflichtverteidigerin entstanden sind. Der Umstand, dass das Amtsgericht die Voraussetzungen für eine Entpflichtung der vormaligen Pflichtverteidigerin wegen einer Störung des Vertrauensverhältnisses zum inzwischen Verurteilten später entpflichtet hat, ist insoweit ohne Belang. Auch ist es nicht unbillig, dem Beschwerdeführer die Gebühren, auf die er zuvor wirksam verzichtet hat, gleichwohl zuzuerkennen.“
Wie gesagt: Leider – wie so vieles aus Frankfurt – falsch. Das OLG übersieht m.E., dass für einen Pflichtverteidigerwechsel unterschiedliche Gründe vorliegen können. Es kann sich um einen sog. einvernehmlichen und kostenneutralen Wechsel handeln oder um eine Entpflichtung und Umbeiordnung wegen Störung des Vertrauensverhältnisses. Legt man diese zutreffende Sicht zugrunde, hätte hier nicht auf den Verzicht des neuen Pflichtverteidigers abgestellt werden dürfen. Denn „umbeigeordnet“ worden ist wegen einer Störung des Vertrauensverhältnisses und zwar in vollem Umfang. Der Beiordnungsbeschluss des AG v. 13.03.2019 enthielt zudem auch keinerlei Einschränkungen hinsichtlich der beim neuen Pflichtverteidiger entstehenden Gebühren, so dass sich auch schon von daher die Frage stellt, ob die Gebühren Nr. 4101, 4104 VV RVG zur Recht nicht festgesetzt worden sind. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Verzicht im Antrag vom 12.02.2019. Denn der war erkennbar auf einen „einvernehmlichen“ Wechsel im Hinblick auf eine kostenneutrale Umbeiordnung erklärt und ist im Übrigen auch von der Staatsanwaltschaft, wie deren Stellungnahme zu dem Antrag vom 12.02.2019 zeigt, so verstanden worden. Alles andere macht auch keinen Sinn. Zumindest stand dieser Verzicht unter dem Vorbehalt eines „einvernehmlichen Wechsels“, zu dem es aber nicht gekommen ist. Für einen Verzicht auch für den Fall eines „gestörten Vertrauensverhältnisses“ hatte der Kollege überhaupt keinen Anlass. Die Entscheidung des OLG geht – mal wieder zu Lasten eines Verteidigers – an der Interessen- und Rechtslage vorbei.