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StGB II: Verkehrsunfall bei einer „Polizeiflucht“, oder: Körperverletzung im Amt beim Polizeibeamten?

Die zweite StGB-Entscheidung kommt vom KG. Das hat im KG, Beschl. v. 23.10.2024 – 3 ORs 28/24 – 161 SRs 9/24 – zu den Voraussetzungen pflichtwidrigen Handelns eines Polizeibeamten bei der Verfolgung eines Beschuldigten auf der Autobahn Stellung genommen. Der Beschluss ist recht umfangreich begründet, ich stelle daher hier nur die Feststellungen des LG und den Leitsatz des KG ein. Den Rest dann bitte im „Selbststudium“ lesen.

Es geht in der Entscheidung um Folgendes: Das LG hat den angeklagten Polizeibeamten vom Tatvorwurf der angeklagten (vorsätzlichen) Körperverletzung im Amt aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, nachdem das AG ihn in erster Instanz zu einer Geldstrafe wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt verurteilt hatte. Gegenstand des Verfahrens war ein Verkehrsunfall, der sich auf der Abfahrt F-straße der Autobahn 103 in Berlin nach einer etwa fünf Minuten andauernden Polizeiflucht des Nebenklägers ereignete, nachdem sich die Verfolgung bereits über Teile der Autobahnen 115 und 100 erstreckt hatte.

Das LG hat in seinem Urteil im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

„Der Angeklagte und der Zeuge PK T. befuhren am Tattag gemeinsam als erfahrene Zivilstreife im Straßenverkehrsbereich in einem PKW BMW die Autobahn 115 auf Höhe der „Avus-Tribüne“, als sie den Nebenkläger auf seinem Motorrad wahrnahmen, weil dieser sie mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit rechts überholte, eine Sperrfläche überfuhr und mit hoher Geschwindigkeit in die Kurve Richtung Autobahn 100 Süd einbog. Der Angeklagte – Fahrer des Polizeifahrzeugs – und sein Kollege nahmen deshalb die Verfolgung auf, wobei sie die Videoaufzeichnung des im Fahrzeug vorhandenen ProViDa-Verkehrsüberwachungssystems sowie zusätzlich die Tonaufzeichnung im Innenraum des PKWs aktivierten. Nach etwa drei Kilometern schaltete der Zeuge PK T. Blaulicht und Martinshorn ein, um den Nebenkläger zum Verlangsamen und Heranfahren zu veranlassen. Dieser Aufforderung, die der Nebenkläger eindeutig als ihm geltend erkannte, kam er jedoch nicht nach; vielmehr erhöhte er seine Geschwindigkeit noch und fuhr teilweise – bei um etwa 9 Uhr morgens dichtem Verkehrsaufkommen – von dem Zeugen PK T. gemessene Geschwindigkeiten von 158, 167, 194 und über 200 km/h, während er ohne Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers die Spuren wechselte, zwischen nebeneinander fahrenden PKWs auf der Fahrbahnmarkierung hindurchfuhr, dicht auf andere Verkehrsteilnehmer auffuhr und Sperrflächen querte. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug auf den befahrenen Teilen der Autobahnen zumeist 80 km/h, teilweise auch 60 km/h.

Ohne Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers bog der Nebenkläger schließlich mit einer Geschwindigkeit zwischen 150 und 160 km/h – die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt in diesem Abschnitt 60 km/h – in die zweispurige Abfahrt F-straße ein, um die Polizeistreife im Stadtverkehr abschütteln zu können. Am Ende der Abfahrt öffnet sich neben zwei Spuren – in denen jeweils zwei Fahrzeuge hintereinander hielten – eine weitere Fahrbahn für Rechtsabbieger, die zu diesem Zeitpunkt leer war. Die am Ende der Abfahrt befindliche Lichtzeichenanlage strahlte rot ab, weshalb der Nebenkläger, der nicht selbstgefährdend in den Querverkehr geraten wollte, zunächst plante anzuhalten. Der Angeklagte folgte dem Nebenkläger in die Abfahrt, auf der dieser in die rechte Spur wechselte und sein Tempo verlangsamte. Um den Nebenkläger zu stellen, seine Identität festzustellen und ihn aus Gründen der Gefahrenabwehr an einer Weiterfahrt im normalen Straßenverkehr zu hindern, fuhr der Angeklagte mit weiterhin eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn links (in der mittleren Spur) an ihm vorbei und wechselte unmittelbar vor den an der Ampel wartenden Fahrzeugen in die freie Rechtsabbiegerspur, wo er sechs Meter vor der Haltelinie am linken Fahrbahnrad der Spur zum Stehen kam. Zwischenzeitlich hatte die Lichtzeichenanlage auf grün gewechselt. Der Nebenkläger versuchte deshalb, obwohl ihm klar war, dass die Polizeistreife ihn stellen wollte und aus diesem Grund an ihm vorbeigezogen war und den Fahrstreifenwechsel vollzogen hatte, seine Flucht fortzusetzen. Da er zuvor sein Fahrzeug nicht weiter abgebremst hatte, gelang es ihm nun nicht mehr, ohne Berührung rechts an dem Polizeifahrzeug vorbeizufahren. Hierbei streifte er dieses, verlor die Kontrolle über das Motorrad und rutschte seitlich weg. Der Nebenkläger wurde von seinem Sitz geschleudert und stürzte zu Boden, wodurch er sich eine Fraktur des Brustbeins, eine Ellenbogenschleimbeutelentzündung sowie Wunden an den Knien und Füßen zuzog.

Zur Vermeidbarkeit des Unfallgeschehens hat das Landgericht festgestellt, dass der Nebenkläger dieses noch sicher hätte vermeiden können, als das Polizeifahrzeug auf der Filandastraße links an ihm vorbeizog; es hätte zu diesem Zeitpunkt noch ausreichend Zeit bestanden, das Motorrad abzubremsen und anzuhalten. Das Landgericht hat weiter festgestellt, dass der Nebenkläger mit einem Spurwechsel des Angeklagten rechnen musste, weil dieser sich bislang nicht habe abschütteln lassen und es ihm offenkundig darauf ankam, den Flüchtenden zu stoppen; es sei zudem erkennbar gewesen, dass ohne den Spurwechsel die Gefahr des Auffahrens auf die auf den zwei weiteren Spuren befindlichen Fahrzeuge bestanden hätte.

Hinsichtlich des Angeklagten hat das Landgericht festgestellt, dass dieser den Unfall dann hätte vermeiden können, wenn er den Nebenkläger nicht auf der Abfahrt Filandastraße überholt und ihn somit über die Rechtsabbiegerspur hätte entkommen lassen.

Weiter führt die Kammer aus, dass der Angeklagte durch sein Verhalten eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung durch die Schaffung einer Gefahrenlage begangen habe, die für ihn jedoch subjektiv nicht vorhersehbar gewesen sei. Durch das Verhalten des Nebenklägers sei zudem der Kausalverlauf aufgrund einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung unterbrochen worden, weshalb der Angeklagte freizusprechen gewesen sei.“

Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Nebenklägers, die beim KG keinen Erfolg hatte:

Hier der (amtliche) Leitsatz zu der Entscheidung:

Ein Polizeibeamter handelt nicht pflichtwidrig, wenn er in Erfüllung seiner hoheitlichen Aufgaben einen Beschuldigten verfolgt und an der Weiterfahrt hindert und es hierbei aufgrund des herausfordernden Verhaltens des Beschuldigten zu einem Verkehrsunfall kommt, bei dem dieser geschädigt wird.

Corona I: Rachenabstrich/Schnelltest in der Schule, oder: Keine Körperverletzung im Amt

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Nun, die Inzidenzen sinken und es scheint ein wenig Normalität einzukehren, aber: Es gibt natürlich nach wie vor Entscheidungen zu/um/mit Corona. Und zwei stelle ich heute mal wieder vor.

Bei der ersten handelt es sich um den OLG Oldenburg, Beschl. v. 10.5.2021 – 1 Ws 141/21. Ergangen ist der Beschluss in einem sog. Klageerzwingungsverfahren (§§ 172 ff. StPO). Dem Verfahren liegt nach der PM des OLG folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Mutter eines Schulkindes hat Strafanzeige gegen Mitarbeiter des Gesundheitsamtes erstattet. Das Kind der Mutter sowie Klassenkameraden seiner 4. Klasse hatten Kontakt zu einem Corona-positiv getesteten Kind. Nachdem das Gesundheitsamt hiervon Kenntnis erlangt hatte, führte es am nächsten Morgen in dieser Klasse einen Schnelltest bei allen Schülerinnen und Schülern durch.

Die Mutter hat den zuständigen Mitarbeiter des Gesundheitsamts wegen Körperverletzung im Amt angezeigt. Sie legte dazu ein Attest einer Allgemeinärztin vor, nach dem ihr Kind durch die Testung u.a. eine schwere psychische Traumatisierung erlitten haben soll. Die Staatsanwaltschaft lehnte eine Strafverfolgung ab und begründete dies damit, dass kein hinreichender Tatverdacht für eine Körperverletzung vorliege. Gegen die Einstellung des Verfahrens hat die Mutter Beschwerde zur Generalstaatsanwaltschaft eingelegt, die die Entscheidung der Staatsanwaltschaft bestätigte und ebenfalls eine Anklageerhebung gegen den Gesundheitsamtsmitarbeiter ablehnte. Dagegen hat die Mutter Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 172 StPO) gestellt. Das OLG hat den Antrag als unzulässig zurückgewiesen, dabei aber auch zur Begründetheit der Entscheidung Stellung genommen:

„Im Übrigen wäre der Antrag auch in der Sache nicht begründet. Insoweit teilt der Senat die in dem – außerhalb des Klageerzwingungsantrags zur Kenntnis genommenen – Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Aurich vom 23. Dezember 2020 geäußerte Auffassung, dass auf Grund der Beweislage ein hinreichender Tatverdacht bezüglich einer Körperverletzung im Amt nach § 340 StGB oder anderer Delikte nicht in Betracht kommt. Denn angesichts des Ermittlungsergebnisses, wonach die Gesundheitsbehörde erst am Morgen des Schultages, an welchem der Schnelltest durchgeführt wurde, Kenntnis davon erlangt hatte, dass ein Kind, mit welchem auch der Antragsteller zuvor gemeinsam den Unterricht besucht hatte, positiv auf das Coronavirus SARS-CoV-2 getestet worden war, durfte die Gesundheitsbehörde nach § 25 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 IfSG den Rachenabstrich bei dem Antragsteller unverzüglich in der Schule durchführen. Diese Maßnahme war auch geeignet (vgl. BayVGH, Beschluss vom 08.09.2020 – 20 NE 20.2001, juris Rn. 28) und verhältnismäßig (vgl. VG Augsburg, Beschluss vom 14.10.2020 – Au 9 S 20.1967, juris Rn. 21; Beschluss vom 20.05.2020 – Au 9 S 20.852, juris Rn. 28), um einer weiteren möglichen Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 entgegen zu wirken.

Dem steht auch das vom Antragsteller vorgelegte (undatierte) ärztliche Attest nicht entgegen. Denn der Beweiswert dieses Attestes ist denkbar gering, weil sich dieses fast ausschließlich in der Wiedergabe der vom Antragsteller und seiner Mutter gegenüber der Ärztin mitgeteilten Sach- und Befindlichkeitslage erschöpft, so dass es – den Anfangsverdacht des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse nach § 278 StGB begründend (vgl. Fischer, StGB68, § 278 Rn. 4 m.w.N.) – bereits mehr als fraglich erscheint, wie die ausstellende Fachärztin (für Allgemeinmedizin!) durch einen einzigen Vorstellungstermin des Antragstellers am TT. MM 2020 zur Diagnose einer „schweren psychischen Traumatisierung, depressiven Phasen (anhaltendem Weinen), aggressivem Verhalten, Schlafstörungen, Alpträumen und Unsicherheit“ gelangt sein will, die der Antragsteller „durch die Testung des Gesundheitsamts und das Verhalten der (…) Schule“ erlitten haben soll.

Aber selbst bei einer gegebenen Traumatisierung des Antragstellers wäre der durchgeführte Rachenabstrich verhältnismäßig, da im Gegensatz dazu die Schäden, die bei einer weiteren und vor allem ungebremsten Verbreitung des Virus und einem deutlichen Ansteigen der Erkrankungs- und Todeszahlen für eine sehr große Zahl von Menschen zu gewärtigen wären, von deutlich höherem Gewicht sind. Daher muss auch das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der getroffenen Untersuchungsanordnung überwiegen. Bei den widerstreitenden Grundrechten des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG hat deshalb das Individualgrundrecht der von der Untersuchungsanordnung betroffenen Einzelperson hinter dem überragenden Schutzgut der menschlichen Gesundheit im Gesamten zurückzutreten (so VG Augsburg, Beschluss vom 20.05.2020 – Au 9 S 20.852, juris Rn. 28; ebenso Beschluss vom 14.10.2020 – Au 9 S 20.1967, juris Rn. 11, 21 gerade auch unter Berücksichtigung einer Traumatisierungslage des Untersuchten).“

Eine m.E. zutreffende Entscheidung mit dem zudem mehr als deutlichen Hinweis des OLG an die Staatsanwaltschaft, gegen die Ärztin, die das im Verfahren vorgelegte Attest ausgestellt hatte, ein Verfahren wegen des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse nach § 278 StGB einzuleiten. Den erforderlichen Anfangsverdacht will das OLG offenbar bejahen.

BVerfG II: Blutentnahme unter Missachtung des Richtervorbehalts, oder: Körperverletzung im Amt?

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Bei der zweiten Entscheidung , die ich heute vorstelle, handelt es sich um den BVerfG, Beschl. v. 29.05.2019 – 2 BvR 2630/18. Mit im wird ein so.g Klageerzwingungsverfahren (§172 StPO) abgeschlossen, dem folgendes Geschehen/verfahren zugrunde gelegen hat:.

Am 06.04.2017 gegen 13:15 Uhr geriet der Beschwerdeführer als Fahrer eines PKW in eine allgemeine Verkehrskontrolle. Hierbei gab er gegenüber dem kontrollierenden Polizeiobermeister, dem Beschuldigten, an, am 04.04. 2017 gegen 23:00 Uhr einen Joint geraucht zu haben. Der mit Zustimmung des Beschwerdeführers durchgeführte Urintest reagierte positiv auf THC. Daraufhin ordnete der Beschuldigte um 13:30 Uhr gegen den Willen des Beschwerdeführers eine Blutentnahme an, ohne zuvor versucht zu haben, einen Richter oder Staatsanwalt zu erreichen. Die Blutentnahme wurde kurz darauf im Krankenhaus P. durchgeführt.

Ein gegen den Beschwerdeführer eingeleitetes Ordnungswidrigkeitenverfahren wurde gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt, da angesichts des willkürlichen Handelns bei der Entnahme der Blutprobe ein schwerer Verfahrensverstoß vorliege.

Das aufgrund der Strafanzeige des Beschwerdeführers eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten wegen Körperverletzung im Amt stellte die Staatsanwaltschaft Bayreuth mit Verfügung vom 23.07. 2018 gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. Ein Tatnachweis sei nicht zu führen, da das Vorliegen der Voraussetzungen für eine polizeiliche Anordnungskompetenz aufgrund von Gefahr im Verzug nicht auszuschließen sei. Unter Bezugnahme auf diese Einstellungsverfügung lehnte es das Polizeipräsidium Oberfranken sodann mit Schreiben vom 23.08.2018 ab, vom Beschwerdeführer geltend gemachte Amtshaftungsansprüche zu erfüllen.

Der vom Beschwerdeführer hatte weder mit seiner Beschwerde gegen die Verfügung vom 23.07.2018 noch beim OLG Bamberg mit seinem Antrag auf egrichtliche Entscheidung gegen die Entscheidung der GStA Erfolg. Das OLG hat sich darauf zurückgezogen, das die Anordnung der Blutentnahme jedenfalls nach der seit dem 24.08.2017 geltenden Rechtslage rechtmäßig und deshalb materiell-rechtlich gerechtfertigt sei. Der Richtervorbehalt für die Anordnung einer Blutentnahme bei Verdacht einer Ordnungswidrigkeit sei zwischenzeitlich entfallen (vgl. § 46 Abs. 4 Satz 2 OWiG und § 24a Abs. 2 Satz 1 StVG). Im Übrigen sei gemäß § 2 Abs. 3 StGB das mildeste Gesetz anzuwenden, wenn das bei Beendigung der Tat geltende Gesetz vor der Entscheidung geändert werde.

Die dagegen gerichtete Verfassungbeschwerde hatte dann ebenfalls keinen Erfolg. Begründung u.a.:

„b) Die Begründung des Oberlandesgerichts begegnet im Ergebnis keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

aa) Zwar dürfte die Erwägung, bei der Blutentnahme fehle es bereits an einer tatbestandlichen Körperverletzung im Sinne des § 340 Abs. 1 StGB, weil es dabei nicht um eine üble und unangemessene Behandlung gehe, die das körperliche Wohlbefinden nicht nur unerheblich beeinträchtige (vgl. etwa Paeffgen/Zabel, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, § 228 Rn. 58), nicht mehr vertretbar und daher willkürlich sein.

bb) Das kann jedoch dahinstehen, weil das Oberlandesgericht den Beschuldigten jedenfalls als gerechtfertigt angesehen hat.

Wie das Oberlandesgericht in nicht zu beanstandender Weise festgestellt hat, kann eine tatbestandliche Körperverletzung bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 81a Abs. 1 StPO prinzipiell gerechtfertigt sein (vgl. Grünewald, in: Leipziger Kommentar, StGB, Bd. 7/1, 12. Aufl. 2018, § 223 Rn. 41; Lilie, in: Leipziger Kommentar, StGB, Bd. 13, 12. Aufl. 2009, § 340 Rn. 14; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 223 Rn. 14 f.; Kudlich, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 4. Aufl. 2019, § 340 Rn. 12).

Da der Beschwerdeführer den Konsum von Cannabis eingeräumt und der Urintest positiv auf THC reagiert hatte, konnte wegen des Anfangsverdachts zumindest einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 Satz 1 StVG eine Blutentnahme angeordnet werden (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 81a Abs. 1 StPO). Dafür bedurfte es nach der seit dem 24. August 2017 geltenden Fassung des § 46 Abs. 4 Satz 2 OWiG keiner richterlichen Anordnung mehr.

Dieser Rechtfertigungsgrund kommt dem Beschuldigten auch zugute. Zwar erlaubte § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 81a Abs. 2 StPO in der zum Zeitpunkt der Tat anwendbaren Fassung eine Blutentnahme nur bei Vorliegen einer richterlichen Anordnung oder bei Gefahr im Verzug. Gemäß § 2 Abs. 3 StGB ist jedoch das mildeste Gesetz anzuwenden, wenn das bei Beendigung der Tat anwendbare Gesetz vor der Entscheidung geändert wird.

Welches Gesetz das mildeste ist, beurteilt sich nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Rechtsprechung der Fachgerichte unter Einbeziehung aller die Strafbarkeitsvoraussetzungen und die angedrohte Strafe beeinflussenden Faktoren, mithin nach dem gesamten sachlich-rechtlichen Rechtszustand (vgl. BGHSt 37, 320 <322>; BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2014 – 3 StR 167/14 -, Rn. 30; Urteil vom 24. Juli 2014 – 3 StR 314/13 -, NStZ 2014, S. 586 <587 Rn. 13>; Fischer, in: ders., StGB, 66. Aufl. 2019, § 2 Rn. 8; Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl. 2018, § 2 Rn. 4). Zu berücksichtigen sind insoweit nicht nur bestimmte Tatbestände des Besonderen Strafrechts, sondern auch Bestimmungen des Allgemeinen Strafrechts, insbesondere Rechtfertigungsgründe (vgl. BGHSt 26, 167 <171>; Hassemer/Kargl, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, § 2 Rn. 24a; Satzger, in: ders./Schluckebier/Widmaier, StGB, 4. Aufl. 2019, § 2 Rn. 22).

Zugunsten des Beschuldigten war demnach die zum Zeitpunkt der Entscheidung geltende Anordnungsbefugnis des § 46 Abs. 4 Satz 2 OWiG in der Fassung vom 24. August 2017 anzuwenden. Dies hat das Oberlandesgericht getan.

cc) Dass die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Amtshaftungsansprüche unter Verweis auf die Einstellung des Ermittlungsverfahrens abgelehnt worden sind, führt insoweit zu keiner abweichenden Beurteilung. Der Beschwerdeführer kann zur Durchsetzung von Amtshaftungsansprüchen nicht von Verfassungs wegen die strafrechtliche Verfolgung des Beschuldigten verlangen. Vielmehr enthalten das Straf- und das Staatshaftungsrecht voneinander unabhängige Regelungsregime mit unterschiedlichen Regelungszwecken.“

 

Rauch mich bloß nicht an, dann knall ich dir eine – ich darf das…

Das LG Bonn, Urt. v. 09.12.2011 – 25 Ns 555 Js 131/09 – 148/11 setzt sich mit der Frage des Notwehrrechts eines Polizeibeamten gegen einen Angreifer auseinander. Das wesentliche Tatgeschehen liest sich wie folgt:

Daraufhin „prustete“ der Nebenkläger, der zu diesem Zeitpunkt eine Zigarette rauchte, dem Angeklagten Zigarettenrauch mit spürbar feuchter, d. h. mit Spuke-Partikeln versetzte Atemluft ins Gesicht. Um zu verhindern, vom Nebenkläger weiter mit Zigarettenrauch und Spuke-Partikeln „angeprustet“ zu werden, versetzte der Angeklagte daraufhin dem Nebenkläger mit der flachen linken Hand einen heftigen und schmerzhaften Schlag gegen dessen rechte Gesichtshälfte. Dabei traf der Angeklagte mit dem Ballen seines Daumens auf das Auge des Nebenklägers. Durch den dadurch auf den Augapfel wirkenden Impuls brach der Orbitaboden der Augenhöhle, ohne jedoch merklich zu dislozieren.

Das LG ist von einer Körperverletzung im Amt ausgegangen, hat aber das Verhalten des Polizeibeamten als gerechtfertigt angesehen. Zur Notwehr:

„Er handelte jedoch nicht rechtswidrig, weil die Tat durch Notwehr gem. § 32 StGB gerechtfertigt war.

Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich abzuwenden, § 32 Abs. 2 StGB. Ist die zur Aburteilung anstehende Tat durch Notwehr geboten, so ist sie nicht rechtswidrig, § 32 Abs. 1 StGB.

1. a) Das provozierende Anrauchen mit zuvor bereits inhaliertem und damit mit Atemluft und Speichelnebel vermengtem Zigarettenrauch gegen das Gesicht des Angeklagten stellte einen rechtswidrigen Angriff nicht nur gegen die Ehre, sondern auch gegen die körperliche Unversehrtheit des Angeklagten dar. Das Anblasen mit Zigarettenrauch und Spukeanteilen gegen das Gesicht ist über die Grenze hinzunehmender Bagatellen hinaus geeignet, das körperliche Wohlbefinden und die Gesundheit zu beeinträchtigen. Die Gesundheitsbeeinträchtigung resultiert dabei sowohl aus den karzinogenen Anteilen des Zigarettenrauches als auch aus den potentiellen Viren und Bakterien in der Körperflüssigkeit „Spuke“. Zudem hat es beleidigenden Charakter.

b) Der Angriff durch den Nebenkläger war zum Zeitpunkt der Tat auch noch gegenwärtig. Denn das Anrauchen durch den Nebenkläger dauerte noch an, als der Angeklagte seinen Schlag platzierte.

c) Der Angeklagte sah sich nach seiner nicht zu widerlegenden Einlassung auch subjektiv in einer solchen objektiven Notwehrlage und hatte damit den erforderlichen Verteidigungswillen.

Der Angeklagte hatte nach den Feststellungen der Kammer auch zum Zeitpunkt seines Zusammentreffens mit dem Nebenkläger an der Tür keine Informationen darüber, dass die draußen eingesetzten Kollegen N und O die Situation als „im Griff“ einschätzten. Damit liegt für die Kammer auch im Öffnen der Türe durch den Angeklagten kein Indiz dafür, dass der Angeklagten etwa einen Konflikt mit dem Nebenkläger gesucht hätte.

d) Der Schlag des Angeklagten war in der konkreten Situation zur erfolgreichen und dauerhaften Abwehr des vorliegenden Angriffes tatsächlich erforderlich im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB.

aa) Er war zunächst geeignet. Geeignet ist eine Abwehrhandlung dann, wenn mit ihr der Angriff sofort beendet und die durch den Angriff entstandene Gefahr endgültig abgewendet werden konnte. Den Kopf und damit den Mund des Nebenklägers durch einen Schlag gegen das Gesicht des Nebenklägers zur Seite zu bringen, damit dieser den Angeklagten nicht weiter anblasen konnte beendet das Anprusten des Nebenklägers sofort und unmittelbar und beseitigte damit die körperliche Beeinträchtigung des Angeklagten endgültig.

bb) Es war in rechtlicher Hinsicht auch geboten. Geboten ist eine Rettungshandlung dann, wenn Sie – bei einer objektiven ex-ante Beurteilung – das relativ mildeste Mittel darstellt, d. h. es dürfen objektiv keine anderen Möglichkeiten zur Verfügung gestanden haben, welche genauso effektiv und ebenso wirksam den Angriff hätten beenden und die Gefahr beseitigen können (vgl. Fischer, StGB, 58 Aufl., § 32 Rz. 30 m. w. N.). Dabei findet jedoch eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter grundsätzlich nicht statt (vgl. Fischer, a.a.O. Rz. 31 m.w.N.), was vorliegend aber der Annahme eines Notwehrrechts sowieso nicht entgegenstehen würde, da hier das angegriffene Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheit des Angeklagten dem gleichen Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheit des Nebenklägers gegenüber steht.

Ein in diesem Sinne milderes, aber gleich effektives Mittel stand dem Angeklagten in der konkreten Situation an der Tür dabei nicht zur Verfügung.

Ein demütigendes Zurückweichen ist dem Angegriffenen grundsätzlich nicht zuzumuten (vgl. Fischer, a.a.O. Rz. 33 m. w. N.).

Ein Versuch, dem Nebenkläger mit der flachen Hand den Mund nur zuzuhalten ist aus Sicht der Kammer unabhängig von der Frage, ob der Angeklagte in der konkreten Situation Handschuhe übergezogen hatte oder nicht – wozu die Kammer keine Feststellungen getroffen hat – nicht genauso effektiv, die Gefahr zu beseitigen. Zum einen hätte das Zuhalten des Mundes mit der Hand möglicherweise nicht zu einem effektiven vollständigen Verschluss des Mundes geführt und zum anderen dem Nebenkläger die Möglichkeit eröffnet, nunmehr seine Zähne gegen den Angeklagten einzusetzen und in diese Hand zu beißen.

Den Nebenkläger durch einen kräftigen Stoß gegen die Brust derart weit von sich weg zu stoßen, dass der Angeklagte nicht mehr im Bereich des ausgeatmeten Rauches mit Spuke ist, stellt nach Ansicht der Kammer schon kein milderes Mittel dar. Denn damit wäre die Gefahr verbunden gewesen, dass der Nebenkläger sein Gleichgewicht verliert und womöglich ungebremst mit seinem Hinterkopf auf dem Boden aufschlägt und dadurch schwere Kopfverletzungen erleidet…..“

Man wird sehen, was das OLG Köln dazu sagen wird.