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StPO III: Bindungswirkung an Geständnis I. Instanz, oder: Zumindest Fair-Trial beim Landgericht

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Und zum Tagesschluss etwas vom OLG Naumburg. Das hat im OLG Naumburg, Beschl. v. 24.09.2024 – 1 ORs 112/24 – zur „Bindungswirkung“ an ein erstinstanzliches Geständnis in den Verständigungsfällen Stellung genommen.

„Das AG hatte den Angeklagten, gestützt auf dessen geständige Einlassung, u.a. wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Gegen dieses Urteil haben sich der Angeklagte mit zunächst unbeschränkter Berufung sowie die Staatsanwaltschaft mit einer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung gewendet. Im Berufungshauptverhandlungstermin beim LG beschränkte der Angeklagte seine Berufung ebenfalls auf den Rechtsfolgenausspruch. Daraufhin änderte das LG unter Annahme einer beiderseitigen wirksamen Beschränkung der Berufung den Rechtsfolgenausspruch des AG-Urteils ab und verurteilte den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Angeklagten. Diese hatte mit der Sachrüge Erfolg:

„Die Revision des Angeklagten hat bereits mit der Sachrüge Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils.

Die Beschränkung der Berufung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch war nicht wirksam, so dass das Landgericht nicht über alle Teile des amtsgerichtlichen Urteils entschieden hat, die seiner Prüfungskompetenz unterlagen.

Die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung hatte der Senat von Amts wegen im Freibeweis zu prüfen (vgl. KG Berlin, Urteil vom 17. August 2022 – (3) 161 Ss 129/22 (44/22) – , Rn. 14; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 16. Juni 2021 – 206 StRR 226/21 – , Rn. 4, 8; OLG Celle, Beschluss vom 23. November 2020 – 3 Ss 48/20 – , Rn. 23; jeweils zitiert nach juris; Paul in Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Auflage, § 318 Rn. 11 m. w. N).

Aufgrund der substanziierten Angaben des Angeklagten in seiner Revisionsbegründungsschrift, denen die Staatsanwaltschaft nicht entgegengetreten ist, der mit der Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft mitgeteilten Erklärung des erstinstanzlichen Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, die mit den Angaben des Angeklagten (jedenfalls soweit es die Absprache der Verhängung einer Gesamtstrafe unter Einbeziehung von Vorstrafen betrifft) in Einklang steht, sowie der im Protokoll festgehaltenen Vorgänge in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung geht der Senat davon aus, dass vor der erstinstanzlichen Hauptverhandlung zwischen dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten eine – wenn auch informelle und damit unzulässige – Verständigung jedenfalls dahingehend getroffen worden ist, dass für den Fall eines Geständnisses des Angeklagten unter Einbeziehung der Strafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Köthen vom 3. Mai 2023 und vorn 19. Oktober 2022 eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr und neun Monaten verhängt wird.

Die Staatsanwaltschaft war durch die vorangegangene Verständigung nicht an der Einlegung der Berufung gehindert (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 22. November 2017 – 111-1 RVs 79/17 -, Rn. 16; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage, vor § 312 Rn. 1e).

Jedoch hat die Staatsanwaltschaft ausweislich der Berufungsbegründung mit ihrer Berufung das Ziel verfolgt, die verhängten Einzelstrafen zu erhöhen und von der Gesamtstrafenbildung mit den erwähnten Strafen aus den vorangegangenen Urteilen abzusehen. Dieses verfolgte Ziel bedeutete für den Angeklagten in jedem Fall eine Überschreitung des Verständigungsstrafrahmens. Denn mit dem Urteil des Amtsgerichts Köthen vom 3. Mai 2023 war unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Köthen vom 19. Oktober 2022 eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verhängt worden. Selbst bei Beibehaltung der erstinstanzlich verhängten beiden Einzelstrafen von vier und fünf Monaten hätte aus diesen zwingend eine Gesamtfreiheitsstrafe gebildet werden müssen, mit der sich ohne die Bildung einer Gesamtstrafe mit den Strafen aus den genannten Vorverurteilungen die Gesamthöhe der Strafen gegenüber der nach dem Inhalt der Verständigung höchstmöglichen, aus allen Strafen gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe erhöht.

Das erstinstanzlich aufgrund einer getroffenen Verständigung erfolgte Geständnis des Angeklagten darf in der Berufungsinstanz aber jedenfalls dann nicht verwertet werden, wenn – wie hier – das Berufungsgericht den Angeklagten zu einer Strafe über der erstinstanzlich vereinbarten Strafobergrenze verurteilten will. Denn der Schutz des Angeklagten, welcher in dem Grundsatz des fairen Verfahrens (Art 6 Abs. 1 S. 1 EMRK) manifestiert ist, verlangt, dass ein verständigungsbasiertes Geständnis bei einer fehlgeschlagenen Verständigung unverwertbar ist, weil er dieses im Vertrauen auf die Einhaltung der vereinbarten Strafobergrenze abgelegt hat (BGH, Beschluss vom 17. Februar 2021 – 5 StR 484/20 BGHSt 66, 37-48, Rn. 20; OLG Hamm, Beschluss vom 22. November 2017 – 111-1 RVs 79/17 Rn. 19; OLG Naumburg, Urteil vom 16. März 2017 2 Rv 3/17 -, Rn. 7; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Oktober 2010 – 111-4 RVs 60/10 -, Rn. 12; jeweils zitiert nach juris; Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O.).

Das Verbot, das Geständnis zu verwerten, führt hier dazu, dass Schuldspruch und Rechtsfolgenausspruch rechtlich und tatsächlich nicht mehr selbstständig beurteilt werden können (vgl. OLG Hamm a. a. O. Rn. 20; OLG Naumburg a. a. O. Rn. 8; KG Berlin, Beschluss vom 7. Oktober 2020 – (4) 161 Ss 121/20 (166/20) – , Rn. 9; zitiert nach juris; Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O.). Dem fair-trial-Grundsatz widerspräche es, wenn Gericht, Staatsanwaltschaft und Angeklagter sich – sei es unter den Voraussetzungen des § 257c StPO oder im Rahmen einer unzulässigen informellen Absprache – auf einen bestimmten Strafrahmen verständigt hätten, der Angeklagte mit Rücksicht darauf ein Geständnis abgibt, das Gericht absprachegemäß verurteilt, die Staatsanwaltschaft sodann aber gegen das Urteil Rechtsmittel mit dem Ziel einer höheren Bestrafung einlegt, welche dann – letztlich auf der Grundlage des erstinstanzlichen Geständnisses – erfolgt (OLG Düsseldorf a. a. O.).

Wegen der fehlenden Trennbarkeit von Schuld- und Rechtsfolgenausspruch war daher die Beschränkung der Berufung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam.

Das Landgericht hätte daher nicht von der Wirksamkeit der Beschränkung der Berufung der Staatsanwaltschaft ausgehen dürfen und das erstinstanzliche Urteil umfassend im Schuldspruch mit eigenen Feststellungen überprüfen müssen.

Daran ändert in der vorliegenden Konstellation auch nichts, dass es in der Berufungshauptverhandlung ebenfalls zu einer – diesmal formal ordnungsgemäßen -Verständigung der Verfahrensbeteiligten nach § 257c StPO gekommen ist. Diese Verständigung hatte zum Inhalt, dass bei Beschränkung der Berufung des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen neun Monaten und einem Jahr, ausgesetzt zur Bewährung, verhängt wird, woraufhin der Angeklagte seine Berufung entsprechend beschränkt hat. Zu einem Geständnis, das zur Grundlage der Überprüfung des Schuldspruches hätte gemacht werden können, kam es aufgrund der Verständigung bereits nicht. Ferner hätte ein solches Geständnis aufgrund der vom Landgericht angenommen wirksamen Beschränkung der Berufungen auf den Rechtsfolgenausspruch auch keine Bedeutung für die Entscheidungsfindung betreffend den Schuldspruch mehr entfalten können (vgl. OLG Düsseldorf a. a. O. Rn. 15). Nur wenn das Berufungsgericht den Schuldspruch auch tatsächlich überprüft, kann eine aufgrund der neu zu treffenden Verständigung abgegebene geständige Einlassung des Angeklagten Grundlage für eine Verurteilung sein (s. a. OLG Hamm a. a. O. Rn. 22).“

Im Ergebnis richtig. Bei der Begründung ist mir nicht so ganz klar, ob das OLG auf § 257c Abs. 4 und 5 StPO abstellt, zumindest „konkludent“ 🙂 . Das wäre m.E. aber nicht richtig. Denn die vom OLG entschiedene Frage ist (zunächst) keine Problematik des § 257c Abs. 4 und 5 StPO, der die Bindungswirkung bei einer formellen Absprache regelt. Denn eine formelle Absprache nach § 257c hat hier beim AG nicht vorgelegen. Im Übrigen wäre das LG aber auch an eine solche Absprache nicht gebunden gewesen, da die Bindungswirkung nur bei dem Gericht besteht, bei dem die Absprache zustande gekommen ist. Und das war das AG. Das OLG argumentiert hier daher ja auch mit dem fair-trial-Grundsatz, was letztlich nicht zu beanstanden ist, obwohl sich das OLG nicht mit der Frage der Bindungswirkung der informellen Absprache befasst.

Und zur Bindungswirkung kann man nachlesen <<Werbemodus an“ bei vgl. Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 11. Aufl., 2025, Rn 305 ff. m.w.N.).; das Werk kann man hier bestellen. <<Werbemodus aus>>.

Rechtsmittel I: Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts, oder: Deal oder No-Deal?

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Heute, am letzten vollständigen/“richtigen“ Arbeitstag des Jahres stelle ich dann noch einmal drei Entscheidungen vor, die sich mit Fragen aus dem Rechtsmittelbereich befassen.

Zunächst kommt das der BayObLG, Beschl. v. 02.12.2020 – 202 StRR 105/20 -, der auch gestern ganz gut zu den StPO-Entscheidungen zur Verständigung gepasst hätte. Im Streit ist/war die Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts. Nach dem vom BayObLG mitgeteilten Sachverhalt ergab sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll, “ dass der Instanzverteidiger – nach Rücksprache mit dem Angeklagten und in dessen Anwesenheit – im Anschluss an die Verkündung des Berufungsurteils und nach Rechtsmittelbelehrung erklärt [hat]: “Wir nehmen das Urteil an und verzichten auf Rechtsmittel.“ Die Erklärung wurde gemäß § 273 Abs. 3 StPO vorgelesen und genehmigt. Außerdem ergibt sich aus dem Protokoll, dass diese Erklärung vom Dolmetscher vor der Genehmigung übersetzt wurde.“

Das BayObLG hat den Rechtsmittelverzicht als wirksam angesehen:

„c) Gründe, die ausnahmsweise zur Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts des Angeklagten führen könnten, liegen nicht vor.

aa) Eine die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO hindernde Verständigung nach § 257c StPO erfolgte ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls nicht. Darin ist gemäß § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO ausdrücklich vermerkt, dass Verständigungsgespräche und damit eine Verständigung nach § 257c StPO nicht stattgefunden haben. Diese Feststellung zählt zu den wesentlichen Förmlichkeiten im Sinne des § 274 Satz 1 StPO und nimmt an der Beweiskraft des Sitzungsprotokolls teil (BGH, Beschl. v. 24.07.2019 – 3 StR 214/19 a.a.O.).

bb) Auch ist von einer ebenso wirkenden informellen Verständigung nicht auszugehen, wenngleich der Angeklagte in seinem Schreiben vom 17.07.2020 geltend macht, das Gericht habe ihm „einen Deal für die 8 Fälle, daß die eingestellt werden und er die Halbstrafe“ […]; er sei auf den „Deal“. Dieser Vortrag ist nicht nur durch das Hauptverhandlungsprotokoll, sondern auch durch die dienstliche Äußerung des Vorsitzenden Richters der Berufungskammer vom 21.07.2020, der weder der Angeklagte noch dessen Verteidiger entgegengetreten sind, widerlegt. Hiernach hat der Vorsitzende zwar unter Hinweis auf die gegebenenfalls strafmildernde Wirkung die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch angeregt, das Ersuchen der Verteidigung, eine Prognose hinsichtlich der Höhe der zu erwartenden Strafe zu äußern, jedoch explizit abgelehnt. Der bloße Hinweis auf die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses stellt – ebenso wie eine hier ohnehin nicht erfolgte Offenlegung der voraussichtlichen Straferwartung – keine (informelle) Verständigung dar (vgl. BVerfG, Urt. v. 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10 = BVerfGE 133, 168; BGH, Beschl. v. 09.10.2019 – 1 StR 545/18 = NStZ 2020, 237 = NZWiSt 2020, 188).“