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Das BVerfG und die widerrufene Haftverschonung…so geht es…

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Ob das BVerfG in den nächsten Monaten noch dazu kommt, andere Fragen als die der „Euro-Rettungs-Schirms“ zu entscheiden, muss man mal sehen. Allerdings: der 2. Senat ist damit ja nicht befasst, es sei denn, er müsste den 1. Senat wegen Überlastung vertreten (habe jetzt nicht nach gesehen, ob es eine solche Regelung im BVerfGG überhaupt gibt). Vom 2. Senat stammen nun auch die Haftentscheidungen, mit denen wir es in den letzten Jahren vermehrt zu tun hatten. So auch der BVerfG, Beschl. v.11.06.2012 – 2 BvR 720/12 – – 2 BvR 835/12 -, den mir von meinem Kollege, der ihn  von dem Kollegen, der ihn erstritten hat, bekommen hat, zugegangen ist.

Es geht (mal wieder) um die an sich ausgeschriebene Frage des Widerrufs einer Haftverschonung. Damit hat sich das BVerfG in den letzten Jahren häufiger befasst. Der Beschluss bringt auf seinen 27 Seiten m.E. auch nichts wesentliche Neues, er fasst nur die Rechtsprechung des BVerfG in der Frage noch einmal schön zusammen und ist daher lesenswert. Und als Argumentationshilfe – wenn es um den Widerruf einer Haftverschonung geht – ist er immer geeignet.

Dem Beschluss könnte man etwas folgende Leitsätze voran stellen:

  1. Entscheidend für den „Widerruf“ einer Haftverschonung (§ 116 Abs. 4 StPO) ist, ob die Vertrauensgrundlage, auf die sie gestützt ist, entfallen ist.
  2. „Neu“ im Sinne des § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO sind nachträglich eingetretene oder nach Erlass des Aussetzungsbeschlusses bekannt gewordene Umstände nur dann, wenn sie die Gründe des Haftverschonungsbeschlusses in einem so we­sentlichen Punkt erschüttern, dass keine Aussetzung bewilligt worden wäre, wenn sie bei der Entscheidung bereits bekannt gewesen wären.
  3. Neu hervorgetretene Umstände können sich nicht auf den (dringen­den) Tatverdacht beziehen. Dieser ist bereits Grundvoraussetzung für Erlass und Aufrechterhaltung jeden Haftbefehls (vgl. § 112 Abs. 1 StPO).
  4. Vor der Rücknahme ist immer zu prüfen, ob nicht ggf. mildere Mittel der Verfahrenssicherung – namentlich eine Verschärfung von Auflagen – in Betracht kommen.

Also: Nichts wesentlich Neues: Aber: Der Punkt 4 ist interessant. Wenn der doch nur häufger von den Instanzgerichten beachtet würden. Die anderen natürlich auch.

 

„Kann ich mich auf dich verlassen?“ – Haftverschonung auch bei hoher Strafe…

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Das KG, Beschl. v. 02.02.2012 – 4 Ws 10/12 entscheidet noch einmal das, was in der Praxis häufig Schwierigkeiten macht: Haftverschonung (§ 116 StPO) auch bei hoher Straferwartung – ohne allerdings expressis verbis zu sagen, was denn nun eine hohe Strafe ist.

3. Der Senat ist aber der Auffassung, dass der Zweck der Untersuchungshaft auch ohne deren weiteren Vollzug erreicht werden kann. Die aus dem Entscheidungssatz ersichtlichen milderen Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO sind geeignet, diesen Zweck zu erreichen. Der Angeklagte war vor seiner Festnahme in den Verbund seiner Familie eingebunden. Dass sich die Einstellung seiner Angehörigen während der seit knapp zwei Monaten vollzogenen Untersuchungshaft entscheidend geändert hätte, ist nicht ersichtlich. Bei der Frage, ob der Senat sich auf den Angeklagten verlassen kann, ist dessen Verhalten im Verfahren von Bedeutung. Der Angeklagte hat sich dem Verfahren auch weiterhin gestellt, als dieses für ihn ungünstig verlief. Dass ihm eine Gesamtfreiheitsstrafe drohte, die vier Jahre übersteigen würde, war dem anwaltlich beratenen Beschwerdeführer jedenfalls nach der Eröffnung des Hauptverfahrens vor der Jugendkammer, der die Sache von dem Jugendschöffengericht unter Hinweis auf den Gesichtspunkt der Strafgewalt vorgelegt worden war, bereits bewusst. Er hat sich der Hauptverhandlung beanstandungsfrei gestellt, obgleich sich die Beweisaufnahme nicht seiner Hoffnung gemäß entwickelte. Am letzten Sitzungstag ist es nach den Plädoyers zu einer dreistündigen Unterbrechung der Hauptverhandlung gekommen, nach deren Ablauf sich der Angeklagte in Kenntnis der Anträge der Staatsanwaltschaft, eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten auszusprechen und einen Haftbefehl zu erlassen, abermals vor das Gericht begeben hat. Seine Wohnmöglichkeit steht ihm weiterhin zur Verfügung. Die getroffenen Maßnahmen sind hiernach geeignet zu verhindern, dass der Angeklagte dem gegebenen Fluchtanreiz nachgibt. Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft Berlin führt der Umstand, dass es einer (dem Angeklagten bisher unbekannten) Mitteilung einer sozialpädagogischen Prozessbegleiterin zufolge in den vergangenen Jahren zu Kontakten des Angeklagten mit den Geschädigten gekommen ist, hinsichtlich der Beurteilung der Fluchtgefahr zu keiner anderen Beurteilung. Ein anderer Haftgrund, für den dies von Belang sein könnte, ist bisher von keiner Seite in den Raum gestellt worden. Im Übrigen überrascht die Tatsache solcher Kontakte angesichts dessen, dass der Angeklagte sich – nicht nur mit Billigung der Kindesmutter, sondern seinem unter Beweis gestellten Vorbringen zufolge auch mit Kenntnis des Jugendamtes – oftmals in der Familienwohnung aufhielt, nicht. Allein die Höhe der hier im Raum stehenden Strafe steht einer Haftverschonung nicht entgegen (vgl. auch KG NJW 1994, 601 sowie KG, Beschlüsse vom 20. Oktober 2006 – 3 Ws 507/06 – und 20. Januar 2011 – 3 Ws 26/11 -; Senat, Beschlüsse vom 16. März 2006 – 4 Ws 40-41/06 – und 5. Dezember 2007 – 4 Ws 158/07 -).“

Schön die Formulierung: „Bei der Frage, ob der Senat sich auf den Angeklagten verlassen kann, ...“. Wollen wir es hoffen, für den Angeklagten und den Senat :-).