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Strafe II: Strafaussetzung beim „Bewährungsversager“, oder: Günstige Sozialprognose nicht ausgeschlossen

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Als zweite Entscheidung des Tages kommt hier der der OLG Rostock, Beschl. v. 23.07.2024 – 1 Ss 35/24 – zur günstigen Sozialprognose beim sog. Bewährungsversager.

Der Angeklagte ist vom AG Rostock wegen vorsätzlicher Körperverletzung  zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Dagegen die Berufung, die beim LG keinen Erfolg hatte. Das OLG hat dann aber auf die Revision die Entscheidung betreffend die Bewährung aufgehoben und zurückverwiesen:

„Allerdings ist die Entscheidung der Berufungskammer hinsichtlich der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung rechtsfehlerhaft ergangen.

Die Begründung der Strafkammer genügt den rechtlichen Anforderungen des § 56 Abs. 1 StGB nicht in vollem Umfang.

Nach § 56 Abs. 1 StGB ist eine Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn zu erwarten ist, dass der Angeklagte sich schon die Verurteilung selbst zur Warnung dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Grundlage der Prognose des Tatgerichts müssen dabei sämtliche Umstände sein, die Rückschlüsse auf die künftige Straflosigkeit des Angeklagten ohne Einwirkung des Strafvollzugs zulassen, insbesondere die in § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB „namentlich“ aufgeführten. Dabei ist für die günstige Prognose keine sichere Erwartung eines straffreien Lebens erforderlich. Es reicht schon die durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit aus, dass der Angeklagte künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (vgl. OLG Braunschweig, Urteil vom 22. März 2023 —1 Ss 40/22 —, Rn. 39 – 40, m.w.N.- juris).

Der Umstand, dass der Angeklagte die abgeurteilte Tat während laufender Bewährung, die eine nicht einschlägige Straftat betraf, begangen hat, steht einer günstigen Sozialprognose nicht ohne Weiteres entgegen. Auch die Tatbegehung während des Laufs einer Bewährungszeit schließt die erneute Strafaussetzung zur Bewährung nicht grundsätzlich aus (BGH, Urteil vom 10. November 2004 -1 StR 339/04, NStZ-RR 2005, 38). Vielmehr ist jedoch bei der zu treffenden Prognoseentscheidung eine Gesamtwürdigung vorzunehmen, bei der namentlich die Persönlichkeit des Täters, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen sind, die von der Strafaussetzung für ihn zu erwarten sind (§ 56 Abs. 1 Satz 2 StGB; vgl. BGH Beschl. v. 10.7.2014 — 3 StR 232/14, BeckRS 2014, 17004 Rn. 5, 6, beck-online). Dem Urteil kann indes nicht entnommen werden, ob das Landgericht nach der gebotenen Gesamtwürdigung aller wesentlichen negativen sowie positiven Prognosekriterien eine günstige Sozialprognose verneint hat. Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, dass auch die aktuellen Lebensverhältnisse – hierbei insbesondere die Umstände, dass sich der Angeklagte nach dem Tod seiner Mutter um den Haushalt seines Vaters kümmert, in einem Arbeitsverhältnis steht und trotz der Vielzahl der begangenen Straßenverkehrsdelikte nunmehr offenbar wieder über einen Führerschein verfügt – in die Gesamtabwägung Eingang gefunden haben und es diese Umstände bei der getroffenen Prognoseentscheidung berücksichtigt hat. Zudem ist bei der Entscheidung in die Abwägung einzustellen, dass die letzte (nicht einschlägige) Tat des Angeklagten bereits mehr als 4,5 Jahre vor der gegenständlichen Tat begangen wurde und der Angeklagte innerhalb dieser Zeit nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist.

Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil auch.

Der Senat konnte über die Strafaussetzung zur Bewährung nicht selbst entscheiden. Hierfür müssen die Feststellungen des angefochtenen Urteils zur Rechtsfolgenseite vollständig sein und ergeben, dass die Voraussetzungen für eine Bewährung zweifelsfrei vorliegen, der Ermessenspielraum des Tatrichters mithin auf die Bewilligung der Strafaussetzung reduziert war (BGH NStZ-RR 2012, 357; StV 1996, 265 (266); 1992, 13; BeckRS 1993, 31105781; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 354, Rn. 26d). Zugleich muss es als ausgeschlossen erscheinen, dass bei einer Neuverhandlung Tatsachen festgestellt werden, die eine Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen könnten (vgl. BeckOK StPO/Wiedner, 51. Ed. 1.1.2024, StPO § 354 Rn. 64 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend auch aufgrund des Zeitablaufs nicht gegeben.“

Strafe II: Viele Vorstrafen und schneller Rückfall, oder: Keine Bewährung

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Und dann mal wieder etwas zur Bewährung, und zwar den BGH, Beschl. v. 23.05.2024 – 4 StR 42/24. Nichts Besonderes, aber immerhin 🙂 .

Das LG hat den Angeklagten wegen versuchter räuberischer Erpressung und „vorsätzlicher“ Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es nicht zur Bewährung ausgesetzt hat, und ihn im Übrigen freigesprochen. Die Revision des Angeklagten hatte einen Teilerfolg, soweit das LG den Angeklagten wegen Körperverletzung verurteilt hatte. Insoweit fehlte es an der Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses (§ 203 StPO). Die diesem Tatvorwurf zugrundeliegende Anklageschrift hatte das LG im Hauptverhandlungstermin zur Hauptverhandlung zugelassen, allerdings nur in der „Spruchbesetztung“. Infolgedessen war ist der Eröffnungsbeschluss nicht wirksam, was ein im Revisionsverfahren nicht behebbares Verfahrenshindernis zur Folge hatte.

Die erfolgte hatte die Neufassung des Schuld- und Strafausspruchs durch den BGH zur Folgem der zur Bewährungsentscheidungs ausführt:

„Die Entscheidung der Strafkammer über die (versagte) Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung kann hingegen bestehen bleiben. Dem steht nicht entgegen, dass das Landgericht zur Begründung der negativen Sozialprognose gemäß § 56 Abs. 1 StGB auch auf den Umstand abgehoben hat, dass der Angeklagte die – der Einstellung unterliegende – Körperverletzungstat im Rahmen einer Untersuchungshaft begangen hat. Es kann dahinstehen, ob diese Erwägung außer Betracht bleiben muss, nachdem der Senat auf Antrag des Generalbundesanwalts die Verurteilung wegen dieser Tat mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben hat, oder ob das an sich rechtsfehlerfrei festgestellte Körperverletzungsgeschehen hierdurch lediglich insoweit entfallen ist, als es Grundlage der Verurteilung wegen der Tat zu II.B der Urteilsgründe war, für die Aussetzungsentscheidung wegen der verbleibenden Einzelstrafe betreffend die andere prozessuale Tat (II.A der Urteilsgründe) jedoch weiter herangezogen werden kann. Denn der Senat schließt angesichts der weiteren vom Landgericht angeführten Prognosegesichtspunkte jedenfalls aus, dass es für die Entscheidung des Landgerichts, die Strafvollstreckung nicht zur Bewährung auszusetzen, tragend war und diese ohne die Berücksichtigung der Körperverletzungstat anders ausgefallen wäre. Die Strafkammer hat ihre Prognoseentscheidung maßgeblich auf die Vielzahl von Vorstrafen, die Hafterfahrung des Angeklagten sowie den Umstand gestützt, dass er die hier gegenständliche versuchte räuberische Erpressung weniger als ein Jahr nach seiner letzten Haftentlassung, ersichtlich unbeeindruckt von der Haft, beging.“

StGB II: Günstige Sozialprognose wegen der Therapie?, oder: Nur bei erfolgreichem Therapieabschluss

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Im zweiten Posting dann das BayObLG, Urt. v. 19.02.2024 – 203 StRR 571/23 – zur Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung

Das LG hatte den Angeklagten u.a. wegen Diebstahls zu einer eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten verurteilt und die Vollstreckung der festgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision, die sich ihrem Inhalt nach ausschließlich gegen die Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung richtete. Die Revision hatte Erfolg.

„2. Die Entscheidung des Landgerichts, die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr wird gemäß § 56 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt, wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lässt und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Nach Absatz 2 der Vorschrift kann das Gericht unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen.

b) Bei der insoweit anzustellenden Gesamtwürdigung, insbesondere der in § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB genannten Umstände, kommt dem Tatgericht ein weiter Bewertungsspielraum zu; dessen Entscheidung ist daher vom Revisionsgericht bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 28. März 2018 – 2 StR 516/17- und vom 12. Mai 2021 – 5 StR 120/20-, jeweils juris; BayObLG, Urteil vom 02. Dezember 2022 – 202 StRR 108/22-, juris Rn. 3). Auch ein Bewährungsbruch schließt eine günstige Kriminalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB nicht von vornherein aus (BGH, Urteil vom 14. April 2022 – 5 StR 313/21 –, juris Rn. 23 m.w.N.; BayObLG, Urteil vom 15. September 2023 – 202 StRR 47/23 –, juris Rn. 5; BayObLG, Urteil vom 02. Dezember 2022 – 202 StRR 108/22-, juris Rn. 6). Bei Straftätern, die in der Vergangenheit bereits eine längere Freiheitsstrafe verbüßt haben oder vorsätzliche Straftaten in der Bewährungszeit begehen, kommt es für die Annahme einer günstigen Legalprognose darauf an, ob sich in den Lebensverhältnissen des Angeklagten nach der Begehung der Taten Änderungen ergeben haben, die den Schluss zulassen, dass die Ursachen für die bisherige Delinquenz beseitigt sind (BayObLG, Urteil vom 15. September 2023 – 202 StRR 47/23 –, juris Rn. 5).

Die Ausführungen des Landgerichts für seine Erwartung, der nach den Feststellungen erheblich vorbestrafte, unter laufender Bewährung stehende und strafhafterfahrene Angeklagte werde sich nunmehr schon allein die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen (§ 56 Abs. 1 Satz 1 StGB), genügen den Anforderungen der Rechtsprechung nicht. Dass sich der Angeklagte am 28. Juni 2023, also knappe zwei Monate vor der anstehenden Berufungshauptverhandlung, auf eine von der Berufungskammer bezüglich ihrer Ausgestaltung nicht näher dargestellte stationäre Soziotherapie eingelassen hat, vermag eine günstige Legalprognose nicht zu stützen. Nach der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung könnte eine Therapie nur dann eine positive Prognose rechtfertigen, wenn eine solche erfolgreich abgeschlossen wäre, nicht aber, wenn der Eintritt des erhofften Behandlungserfolgs im maßgeblichen Zeitpunkt des Endes der Hauptverhandlung noch völlig ungewiss ist; dies gilt auch dann, wenn aus der Sicht des Tatrichters gute Gründe dafür sprechen, dass die Therapie zukünftig eine positive Veränderung bei dem Angeklagten bewirken könnte (vgl. BayObLG, Urteil vom 2. Dezember 2022 – 202 StRR 108/22 –, juris Rn. 10; OLG Bamberg, Urteil vom 12. November 2013 – 3 Ss 106/13 –, juris; KG Berlin, Urteil vom 5. Oktober 2007 – (4) 1 Ss 307/07 (191/07) –, juris Rn. 6).

c) Da das angefochtene Urteil schon die Annahme einer günstigen Legalprognose nicht belegt, kommt es nicht mehr darauf an, dass sich die Kammer mit den Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 und 3 StGB rechtsfehlerhaft in ungenügender Weise auseinandergesetzt hat.“

Bewährung I: Voraussetzung günstige „Sozialprognose“, oder: Auch beim mehrfachen „Bewährungsversager“?

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Heute dann eine „Bewährungstag“, also Entscheidungen mit und zu Bewährungsfragen (§§ 56 ff. StGB).

Zunächst das BayObLG, Urt. v.15.09.2023 – 202 StRR 47/23 – zu den Voraussetzungen der Bewährung nach § 56 Abs. 1 StGB, also günstige Sozialprognose.

Das AG hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Das LG hat auf die Strafmaßberufung des Angeklagten dann ausgesetzt. Dagegen dann die Revision der GStA, die Erfolg hatte:

„….. Die Entscheidung des Landgerichts, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, weil es zu einer „günstigen Sozialprognose“ gelangt ist, hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Wie die Strafzumessung ist zwar auch die Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ihm steht bei der Beantwortung der Frage, ob die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen ist, weil zu erwarten ist, dass der Angeklagte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (§ 56 Abs. 1 StGB), ein weiter Bewertungsspielraum zu, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat. Das Revisionsgericht kann die Einschätzung des Tatrichters grundsätzlich nur auf Ermessensfehler und Rechtsirrtümer überprüfen. Selbst wenn das Revisionsgericht die Prognoseentscheidung des Tatgerichts für fragwürdig und die Auffassung der Anklagebehörde für überzeugender hält, hat es deshalb die subjektive Wertung der Strafkammer, soweit sie vertretbar ist und deshalb neben anderen abweichenden Meinungen als gleich richtig zu bestehen vermag, auch dann zu respektieren, wenn eine zum gegenteiligen Ergebnis führende Würdigung ebenfalls rechtlich möglich gewesen wäre. Die Entscheidung des Tatrichters, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe nach § 56 Abs. 1 StGB zur Bewährung auszusetzen, ist mithin vom Revisionsgericht, sofern keine Rechtsfehler vorliegen, bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen, weil allein der Tatrichter sich aufgrund des persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung und der Würdigung von Tat und Persönlichkeit des Angeklagten eine Überzeugung davon verschaffen kann, ob zu erwarten ist, dass sich der Angeklagte in Zukunft auch ohne Strafverbüßung straffrei führen wird (stRspr., vgl. nur BayObLG, Urt. v. 02.12.2022 – 202 StRR 108/22 = OLGSt StGB § 56 Nr 29; 01.04.2022 – 202 StRR 35/22; 24.09.2021 – 202 StRR 98/21; OLG Bamberg, Urt. v. 23.08.2016 – 3 OLG 8 Ss 58/16, bei juris m.w.N.).Ein sachlich-rechtlicher Mangel liegt allerdings dann vor, wenn der Bewährungsentscheidung ein im Gesetz nicht vorgesehener Maßstab zugrunde gelegt wird, die Anforderungen an eine günstige Täterprognose nach § 56 Abs. 1 StGB verkannt oder sich die Würdigung des Tatgerichts deshalb als unvollständig und damit als rechtsfehlerhaft erweist, weil sie nicht alle für die Prognoseentscheidung bedeutsamen Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen hat oder die Begründung der Strafaussetzung nicht nachprüfbar dargestellt ist.

2. Die Darlegungen des Landgerichts für seine Erwartung, der Angeklagte werde sich schon allein die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen (§ 56 Abs. 1 Satz 1 StGB), halten angesichts dieser Maßstäbe im Ergebnis einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Für eine günstige Legalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB kommt es auf die im Zeitpunkt der tatrichterlichen Verhandlung zu bejahende Erwartung künftiger straffreier Lebensführung an, wobei für diese Erwartung eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit sprechen muss. Hierzu hat der Tatrichter eine erschöpfende individuelle Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen, die Rückschlüsse auf das künftige Verhalten des Täters zulassen. Bei einem Angeklagten, der trotz bewilligter Strafaussetzung zur Bewährung erneut straffällig geworden ist, kann vor allem dann, wenn er zeitnah nach solchen Entscheidungen und während offener Bewährung weitere Straftaten begeht, in der Regel nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit erwartet werden, dass er sich anders als in der Vergangenheit verhalten wird (vgl. BGH, Urt. v. 17.05.1988 – 1 StR 138/88 = StV 1989, 15 = NStE Nr 22 zu § 56 StGB = BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 9; BayObLG und OLG Bamberg a.a.O.). Die Begehung von Straftaten während einer Bewährungszeit belegt vielmehr, dass die frühere Prognose falsch war, weshalb eine erneute günstige Prognose nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Gesichtspunkte infrage kommen kann (BayOblG a.a.O. sowie Beschl. v. 05.07.2022 – 202 StRR 68/22 bei juris). Eine derartige Konstellation liegt hier vor, weil der Angeklagte in der Vergangenheit mehrfach Bewährungszeiten nicht durchgestanden hat und überdies auch bei Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat unter Bewährung stand. Noch mehr gilt diese Einschätzung dann, wenn der Angeklagte – wie hier – langdauernden Freiheitsentzug erlitten hat und gleichwohl wieder straffällig wurde. Zwar ist in solchen Fällen eine erneute Bewährung nicht von vornherein ausgeschlossen (BGH, Urt. v. 22.07.2010 – 5 StR 204/10 = NStZ-RR 2010, 306; 10.11.2004 – 1 StR 339/04 = NStZ-RR 2005, 38; Beschl. v. 04.01.1991 – 5 StR 573/90 = BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 15; BayObLG, Urt. v. 24.09.2021 – 202 StRR 98/21 a.a.O.). Indes muss es sich bei den Umständen, die der Tatrichter zum Beleg seiner Erwartung einer straffreien Lebensführung des Angeklagten in Zukunft heranzieht, um solche handeln, die zeitlich der Tatbegehung nachfolgten. Lagen die Gesichtspunkte, die bei isolierter Betrachtung für eine günstige Legalprognose sprechen können, dagegen schon im Zeitpunkt der Verwirklichung der abzuurteilenden Taten vor, sind diese grundsätzlich nicht geeignet, die durch das frühere Bewährungsversagen und die Begehung der neuen Taten trotz langjährigen Strafvollzugs indizierte negative Kriminalprognose zu entkräften (BayObLG a.a.O.). Zudem muss bei massiv vorbestraften Tätern, die sich – wie der Angeklagte – lange Zeit im Strafvollzug befunden haben, den neuen Gesichtspunkten besonderes Gewicht zukommen, um trotz dieser für die Prognose äußerst negativen Indizien die Erwartung künftiger Straffreiheit begründen zu können. In solchen Fällen kommt es für die Annahme einer günstigen Legalprognose entscheidend darauf an, ob sich in den Lebensverhältnissen des Angeklagten nach Begehung der Taten Änderungen ergeben haben, die den Schluss zulassen, dass die Ursachen für die bisherige Delinquenz beseitigt sind (BayObLG, Beschl. v. 05.07.2022 – 202 StRR 68/22 a.a.O.).

b) Diesen Anforderungen wird das Berufungsurteil nicht gerecht.

aa) Soweit das Landgericht darauf abhebt, dass der Angeklagte nach Verwirklichung der verfahrensgegenständlichen Tat Vater einer Tochter geworden ist, bleibt gänzlich offen, ob ein Kausalzusammenhang zwischen der bisherigen Kinderlosigkeit des Angeklagten und den von ihm in der Vergangenheit verübten Straftaten bestand. Es ist nicht im Ansatz ersichtlich, weshalb der Angeklagte, der massiv und unter anderem auch wegen schwerer Straftaten vorbestraft ist, deswegen langjährigen Strafvollzug verbüßen musste und bei Begehung der neuen Tat sogar zweifach unter Bewährung stand, durch die Geburt seiner Tochter nunmehr dazu gebracht werden soll, sich künftig rechtstreu zu verhalten. Einen Erfahrungssatz dahingehend, dass ein hartnäckig uneinsichtiger und selbst durch langen Strafvollzug nicht zu beindruckender Straftäter, als der sich der Angeklagte erwiesen hat, allein wegen der Vaterschaft ein rechtstreues Leben führen wird, gibt es nicht. Hinzu kommt, dass der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung eingeräumt hat, während der Schwangerschaft seiner Ehefrau eine weitere Straftat begangen zu haben. Soweit die Berufungskammer dem keine Bedeutung für die Prognose beimessen möchte, weil es der Geburt der Tochter ein stärkeres Gewicht für die Annahme künftiger Straffreiheit als dem Wissen um die bevorstehende Geburt beimisst, ist dies ebenfalls nicht plausibel.

bb) Nichts anderes gilt, soweit die Berufungskammer für die Annahme einer günstigen „Sozialprognose“, auf die es im Rahmen des § 56 Abs. 1 StGB von vornherein nicht ankommt, sondern auf eine Legalprognose (vgl. nur zuletzt nur BGH, Urt. v. 10.02.2022 – 1 StR 437/21 = StV 2022, 642; BayObLG, Beschl. v. 05.07.2023 – 202 StRR 49/23 a.a.O.), zusätzlich auf die Arbeitsstelle, die der Angeklagte derzeit innehat, verweist. Insoweit handelt es sich zum einen bereits nicht um einen neuen Gesichtspunkt, zumal der Angeklagte ausweislich der Feststellungen der Berufungskammer auch in der Vergangenheit immer wieder berufstätig war, was ihn aber nicht von der Begehung von Straftaten abhielt. Zum anderen ist die bisherige Berufstätigkeit des Angeklagten durch einen häufigen Wechsel der Arbeitsstellen bzw. einer selbständigen Tätigkeit, also durch eine unstete berufliche Eingliederung, geprägt. Anhaltspunkte, die erwarten lassen, dass er die jetzige Arbeitsstelle auch in Zukunft behalten wird, sind unbeschadet des Umstands, dass selbst dies noch keineswegs ein ausreichendes Indiz für die künftige Straffreiheit wäre, weder vom Tatgericht aufgezeigt noch sonst ersichtlich.

cc) Soweit die Berufungskammer für die Bewährungsentscheidung zusätzlich darauf abstellt, dass der Angeklagte eine „verkehrspsychologische Maßnahme“ absolviert hat, vermag auch dies eine positive Legalprognose nicht zu begründen. Die Berufungskammer verkennt hierbei, dass es im Rahmen des § 56 Abs. 1 StGB auf die Erwartung straffreier Lebensführung ankommt und nicht etwa nur darauf, dass sich der Angeklagte sich künftig an Verkehrsregeln halten wird. Etwas anderes könnte allenfalls dann in Erwägung gezogen werden, wenn sich die Rechtsverletzungen des Angeklagten in der Vergangenheit auf Verkehrsdelikte beschränkt hätten. Dies ist aber keineswegs der Fall. Den Vorverurteilungen des Angeklagten liegen völlig unterschiedliche Straftaten, unter anderem Verbrechen des versuchten Raubes sowie des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu Grunde, sodass selbst eine Besserung seiner Einstellung zu den Regeln des Straßenverkehrs keineswegs eine günstige Legalprognose rechtfertigt.

dd) Schließlich findet die Erwägung des Landgerichts, dass die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe „für die junge Familie des Angeklagten erheblich einschneidende Folgen hätte“, in § 56 Abs. 1 StGB keine Stütze.“

Bewährung I: Günstige Sozialprognose?, oder: Führt ein Rücktritt zu einem Verwertungsverbot?

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Vor dem Feiertag morgen – zumindest in einigen Bundesländern – dann zunächst noch drei Entscheidungen, die sich mit Bewährungsfragen befassen.

Bei der ersten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 04.04.2019 – 3 StR 64/19. Das LG hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es nicht zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegenstand der Verurteilung ist der Übergriff des Angeklagten auf eine Prostituierte. Von einer Verurteilung wegen des Versuchs der besonders schweren Vergewaltigung und des Totschlags hat es abgesehen, weil der Angeklagte von der weiteren Ausführung dieser Delikte strafbefreiend nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 StGB zurückgetreten sei. Bei der Prüfung, ob die Vollstreckung der auf zwei Jahre zugemessenen Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden konnte, hat das LG aber im Rahmen der Entscheidung über die Sozialprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB zum Nachteil des Angeklagten in die Gesamtwürdigung eingestellt, dass er bereit gewesen sei, „seine sexuellen Bedürfnisse unter Anwendung erheblicher – mit großen Gefahren für das Opfer verbundener – Gewalt zwangsweise durchzusetzen“.

Der BGH beanstandet das in der Revision nicht.

„…Insbesondere ist es hier von Rechts wegen nicht zu beanstanden, dass das Landgericht zu Lasten des Angeklagten Umstände und Motive in die Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB eingestellt hat, die mit der versuchten besonders schweren Vergewaltigung und dem versuchten Totschlag Delikte betreffen, von denen der Angeklagte nach der rechtlichen Würdigung der Strafkammer gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 StGB strafbefreiend zurückgetreten ist.

1. Das Landgericht hat diese Umstände rechtsfehlerfrei für die Beurteilung der nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlichen Erwartung, dass der Angeklagte sich bereits die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen werde, herangezogen, da sie für diese Entscheidung von erheblicher Bedeutung waren.

a) Die Prognose nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB hat das Tatgericht auf Grund einer umfassenden Würdigung aller Gesichtspunkte zu treffen, die Rückschlüsse auf ein künftiges Legalverhalten des Angeklagten zulassen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 1992 – 3 StR 149/92, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Sozialprognose 1; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 208). Hierzu zählen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB insbesondere die Persönlichkeit des Angeklagten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind. In diesem Rahmen können die Umstände der Tat zum einen insofern Bedeutung erlangen, als die inneren Beweggründe, die den Täter zu der Tat veranlasst haben, ebenso wie die von ihm bei und mit der Tatverwirklichung verfolgten Ziele Rückschlüsse auf seine Persönlichkeit und damit auf die Gefahr weiterer Straftaten zulassen (vgl. LK/Hubrach, StGB, 12. Aufl., § 56 Rn. 25; Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 56 Rn. 29); zum anderen können auch äußere Umstände wie die Vorbereitung der Tat oder die Art und Weise des Tatablaufs entsprechende Anknüpfungspunkte bieten.

b) Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei dem von der Strafkammer in die Gesamtwürdigung eingestellten Motiv des Angeklagten, mittels der abgeurteilten Tat seine sexuellen Bedürfnisse – gegebenenfalls unter Anwendung erheblicher Gewalt – durchzusetzen, um einen für die Legalprognose relevanten Umstand, da dieses Vorhaben Anlass für die Tatbegehung und insbesondere auch die massive Gewaltanwendung zum Nachteil der Geschädigten war. Aus diesem Beweggrund und dem Tatablauf hat die Strafkammer den möglichen und für die Entscheidung bedeutsamen Schluss gezogen, dass in dem Verhalten des Angeklagten – trotz der freiwilligen Abstandnahme von der weiteren Tatausführung und des Nachtatverhaltens – erhebliche Persönlichkeitsdefizite zum Ausdruck kommen, die mit Blick auf die Unsicherheiten hinsichtlich der Triebstruktur des Angeklagten die Gefahr begründen, er könne in Zukunft in ähnlichen Situationen in gleicher Weise handeln.

2. Das Landgericht war im vorliegenden Fall auch nicht aus rechtlichen Gründen daran gehindert, das Tatmotiv und den Tatablauf sowie die daraus abgeleiteten Erwägungen im Rahmen der Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB zu berücksichtigen. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass der Angeklagte nach der rechtlichen Würdigung der Strafkammer vom Versuch der besonders schweren Vergewaltigung und des Totschlags nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 StGB strafbefreiend zurückgetreten und ausschließlich wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist.

a) Die Rücktrittsregelung des § 24 StGB vermittelt einen persönlichen Strafaufhebungsgrund (vgl. BGH, Urteil vom 20. April 2016 – 2 StR 320/15, BGHSt 61, 188 Rn. 10; LK/Lilie/Albrecht, StGB, 12. Aufl., § 24 Rn. 50) mit der Folge, dass der wirksam vom Versuch zurückgetretene Täter wegen dieses Versuchs nicht mehr schuldig gesprochen werden darf (vgl. NKStGB/Zaczyk, 5. Aufl., § 24 Rn. 124; SSWStGB/Kudlich/Schuhr, 4. Aufl., § 24 Rn. 78). Um die privilegierende Wirkung des Rücktritts zu sichern, entspricht es zudem sowohl ständiger Rechtsprechung als auch der herrschenden Meinung im Schrifttum, dass in denjenigen Fällen, in denen der Täter zwar vom Versuch einer Straftat strafbefreiend zurückgetreten, jedoch wegen eines zugleich verwirklichten vollendeten Delikts zu bestrafen ist, der auf die versuchte Straftat gerichtete Vorsatz sowie ausschließlich darauf bezogene Umstände für die Strafzumessung bei dem verbliebenen Delikt grundsätzlich nicht herangezogen werden dürfen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 1996 – 3 StR 445/95, BGHSt 42, 43, 44; Beschluss vom 7. April 2010 – 2 StR 51/10, NStZ-RR 2010, 202; LK/Lilie/Albrecht, StGB, 12. Aufl., § 24 Rn. 498; Schönke/Schröder/Eser/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 24 Rn. 114). Durch diese Erstreckung der Rücktrittswirkung soll verhindert werden, dass sich der Tatbestand, den man mit der Privilegierung der Straffreiheit bedacht hat, über die Höhe der übriggebliebenen Gesetzesverletzung, sozusagen „durch die Hintertür“, wieder einschleichen und im Ergebnis auswirken kann (Dallinger, MDR 1966, 726).

Ein darüber hinausgehendes allgemeines Verwertungsverbot, das die Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vom Rücktritt erfassten Strafvorwurfs hinsichtlich der verbleibenden Delikte sperren würde, ist der Vorschrift des § 24 Abs. 1 StGB indes nicht zu entnehmen. Insoweit unterscheidet sie sich etwa von der Regelung des § 51 BZRG, der zufolge getilgte oder tilgungsreife Eintragungen im Bundeszentralregister dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil – etwa im Rahmen einer Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB (vgl. hierzu BeckOK StPO/ Bücherl, § 51 BZRG Rn. 27) – verwendet werden dürfen (BGH, Urteil vom 14. Februar 1996 – 3 StR 445/95, BGHSt 42, 43, 45).

Demgemäß ist es von Rechts wegen nicht zu beanstanden, wenn in die Zumessung der wegen des verbliebenen vollendeten Delikts zu verhängenden Strafe jedenfalls diejenigen äußeren Umstände eingestellt werden, die sich auf das Tatgeschehen insgesamt beziehen und den Unrechts- und Schuldgehalt sowohl des vom Rücktritt erfassten als auch des verbliebenen vollendeten Delikts charakterisieren (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 1996 – 3 StR 445/95, BGHSt 42, 43, 44; Beschluss vom 25. Juli 2002 – 3 StR 41/02, NStZ 2003, 143, 144; die Berücksichtigung der inneren Tatumstände ablehnend BGH, Beschluss vom 7. April 2010 – 2 StR 51/10, NStZ-RR 2010, 202 mwN; dagegen ausdrücklich offen gelassen in BGH, Beschluss vom 25. Juli 2002 – 3 StR 41/02, NStZ 2003, 143, 144).

b) Bei sachgerechter Übertragung dieser Maßgaben auf die hiesige Fallgestaltung begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, auch bei der Prognosebildung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB jedenfalls diejenigen Umstände zu berücksichtigen, die sowohl das vom Rücktritt vom Versuch erfasste als auch das verbliebene vollendete Delikt betreffen, wenn und soweit sie Rückschlüsse auf die Wahrscheinlichkeit eines künftigen Legalverhaltens des Angeklagten zulassen. In diesem Rahmen können neben den äußeren auch innere Tatumstände, namentlich die Motive und Ziele des Täters, herangezogen werden.

Voraussetzung für die tragfähige Beurteilung der Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten ist eine vollständige und belastbare Entscheidungsgrundlage, die das Tatgericht durch die umfassende und bestmögliche Aufklärung aller für die Prognosebildung relevanten Umstände herzustellen hat (vgl. Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 56 Rn. 24; für die Vorschrift des § 57a StGB vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1992 – 2 BvR 1041/88 u.a., BVerfGE 86, 288, 326 f.). Nur so kann den prognostischen Unwägbarkeiten Rechnung getragen werden, die sich aus dem weit gefassten Begriff der künftigen Straffreiheit, der alle Arten von Straftaten unabhängig von ihrer Schwere einschließt (vgl. LK/Hubrach, StGB, 12. Aufl., § 56 Rn. 15) und nicht auf die Bewährungszeit beschränkt ist (vgl. BGH, Urteil vom 7. Januar 1992 – 1 StR 599/91, BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 22), ergeben. Dies gilt umso mehr, als der Grundsatz „in dubio pro reo“ hier nicht eingreift und das erkennende Gericht zu einer positiven Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit gelangen muss (vgl. BayObLG, Urteil vom 29. Februar 1988 – RReg. 5 St 17/88, BayObLGSt 1988, 32, 34; LK/Hubrach, StGB, 12. Aufl., § 56 Rn. 12).

Die Handlungsmotive und Beweggründe, die den Angeklagten zu der Tat veranlasst haben, bilden dabei als „psychische Wurzel der Tat“ regelmäßig einen wesentlichen Bestandteil der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 1992 – 3 StR 149/92, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Sozialprognose 1). Ihr besonderes Gewicht beziehen sie daraus, dass sie im Unterschied zu anderen Prognosekriterien – wie etwa den Lebensverhältnissen des Angeklagten – an ein konkretes strafrechtlich relevantes Handeln des Angeklagten anknüpfen und jedenfalls für diesen Fall Aufschluss darüber geben können, aus welchen Gründen und unter welchen Umständen er sich zu einem strafbaren Verhalten hat verleiten lassen (vgl. für die Strafzumessung Dreher, MDR 1965, 839, 840). Dies kann Anknüpfungspunkte für die Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten in der Zukunft bieten. So wird die Gefahr etwa geringer zu bewerten sein, wenn es sich bei der Tat um eine einmalige Entgleisung handelte, als wenn der Täter eine zielgerichtete Beeinträchtigung fremder Rechtsgüter unter Ausnutzung einer Gelegenheit verfolgte, die sich jederzeit wieder ergeben kann (vgl. MüKoStGB/Groß, 3. Aufl., § 56 Rn. 32; SSWStGB/Claus, 4. Aufl., § 56 Rn. 18).

Vor diesem Hintergrund sind auch diejenigen Beweggründe des Angeklagten in die Prognoseentscheidung einzubeziehen, die die Verwirklichung sowohl des vom Rücktritt umfassten als auch des verbliebenen vollendeten Delikts betreffen. Blieben diese Umstände in solchen Fällen ausgeklammert und der Blick auf die Motive beschränkt, die ausschließlich das vollendete Delikt betreffen, würde – ungeachtet der Frage, ob eine trennscharfe Aufspaltung der Motive überhaupt möglich ist (vgl. für die Strafzumessung Dallinger, MDR 1966, 726) – die für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit maßgebliche Tatsachengrundlage um einen wesentlichen Aspekt verkürzt. Besonders deutlich wird dies in der – auch hier vorliegenden – Fallkonstellation, in der ausschließlich Beweggründe vorliegen, die beide Delikte gleichermaßen tragen. Hier hätte das Ausblenden der subjektiven Tatsachen nämlich zur Folge, dass eine „gewissermaßen motivlose, im luftleeren Raum schwebende Straftat“ zurückbliebe (vgl. für die Strafzumessung BGH, Beschluss vom 25. Juli 2002 – 3 StR 41/02, NStZ 2003, 143, 144 unter Verweis auf Dallinger, MDR 1966, 726). Damit wäre der Prognoseentscheidung ein wesentlicher tatsächlicher Umstand gänzlich entzogen.“